S 17 KA 34/16 und S 17 KA 632/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
17
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 17 KA 34/16 und S 17 KA 632/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Im Rahmen der Bildung einer statistischen Vergleichsgruppe ist bei psychologischen Psychotherapeuten eine Differenzierung nach den verschiedenen Fachrichtungen geboten.

2. Die GOP 23220 EBM ist grundsätzlich auch neben laufenden Kurz- oder Langzeittherapien sowie in der Phase der Probatorik abrechnungsfähig. Sie kann jedoch nicht zur Streckung von Therapiekontingenten genutzt werden. Vielmehr müssen sich die Gespräche von den Therapiesitzungen durch den beteiligten Personenkreis, den Inhalt oder den Zweck des Gesprächs unterscheiden. Dies ist im Rahmen der Einzelfallprüfung von den Prüfgremien zu ermitteln.

3. Die GOP 23220 EBM kann auch grundsätzlich nach beendeter Kurz- oder Langzeittherapie niederfrequent zur Stabilisierung des Therapieergebnisses genutzt werden. Dies ist nicht unwirtschaftlich.
Die Beschlüsse des Beklagten vom 18.12.2015 und 10.10.2016 werden aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte trägt die Gerichtskosten sowie die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit zweier Regresse in Höhe von 4.810,50EUR und 2.170,07EUR aufgrund einer Einzelfallprüfung der Gebührenordnungsposition (GOP) 23220 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) in den Jahren 2011 und 2012.

Der Kläger ist als psychologischer Psychotherapeut seit dem 8. April 1996 in A-Stadt niedergelassen und nimmt seitdem als Verhaltenstherapeut an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung teil.

Mit Schreiben vom 22. Januar 2014 (hinsichtlich des Jahres 2011) und 25. Februar 2015 (hinsichtlich des Jahres 2012) informierte die Prüfungsstelle (PS) den Kläger jeweils über die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung bezogen auf die GOP 23220 EBM (Psychotherapeutisches Gespräch als Einzelbehandlung) und bat um Mitteilung eventuell bestehender Praxisbesonderheiten und kompensatorischer Einsparungen. Es seien die folgenden Überschreitungen im Verhältnis zur maßgeblichen Vergleichsgruppe (VG) der vollzugelassenen psychologischen Psychotherapeuten festgestellt worden:

Qtl. GO-NR. Anz. -GO-NR. je 100-Fälle-Praxis Durch. je Fall-Praxis Anz. -GO-NR. je 100-Fälle ausf. Praxen Durch. je Fall ausf. Praxen-VG Abw. in %
2011/1 23220 508 54,28 178 19,02 +185,38
2011/2 23220 502 53,67 187 20,02 +168,08
2011/3 23220 467 49,96 189 20,18 +147,57
2011/4 23220 414 44,27 198 21,16 +109,22
2012/1 23220 501 53,55 202 21,63 +147,57
2012/2 23220 520 55,59 206 22,00 +152,68
2012/3 23220 565 60,44 209 22,37 +170,18
2012/4 23220 528 56,43 218 23,26 +142,61

ln seinen Stellungnahmen erläuterte der Kläger, dass er schwerpunktmäßig mit chronisch kranken Patienten und dabei vornehmlich mit Schmerzpatienten arbeite. Bei dieser Klientel sei, auch nach erfolgreichem Abschluss einer Behandlung, die Notwendigkeit zu einer niederfrequenten psychotherapeutischen Grundversorgung gegeben, um zeitnahe Krisen abzufangen und dadurch Kosten einzusparen. Eine hohe Komorbidität der chronischen Schmerzerkrankungen mit Gewalterfahrungen und sexuellem Missbrauch in der Vorgeschichte sei bekannt (Schätzungen bis 75%). Von daher fänden sich bei ihm viele hoch traumatisierte und schwer beziehungsgestörte Menschen (Diagnosen F60-F69).

Die in den Psychotherapie-Richtlinien (PT-RL) festgelegten Stundekontingente für Verhaltenstherapie seien nicht für die Behandlung von multimorbiden chronischen Erkrankungen ausgelegt. Derartige Störungen könnten nicht in max. 60 Sitzungen geheilt werden. Die multimodale interdisziplinäre Behandlung erfordere einen längeren Betreuungshorizont. Hier biete die GOP 23220 EBM ihm folgende Möglichkeiten:

- Nach einer erfreulich verlaufenen ambulanten Therapie von 25 oder 45 Sitzungen könne er den Patienten durch die Übernahme in die psychotherapeutische Grundversorgung ein niederschwelliges Angebot machen, das helfe, evtl. Krisen zu überbrücken und stabil zu bleiben. Der Erfolg zeige sich besonders deutlich in der Verringerung der notwendigen Medikamente, weniger Krankenhausaufenthalten, weniger Arztbesuchen und besserer Bindung an die Behandler (Vermeidung von doctor hopping).

- Wenn im Rahmen der probatorischen Sitzungen keine lndikation zu einer ambulanten Psychotherapie gestellt werden könne (z.B. Motivationslage, zu geringe Erfolgsaussichten), trotzdem aber eine behandlungsbedürftige Störung mit entsprechenden Leidensdruck vorliege, dann biete die Übernahme in die Grundversorgung die Möglichkeit zur lnformierung über Behandlungsalternativen und Motivierung des Patienten. Nicht selten könnten auf diesem Weg Patienten doch noch einer zielführenden Behandlung zugeführt werden.

So sehr er die neuen Möglichkeiten durch die Einführung der Ziffer schätze, so habe er aus ökonomischen Gründen selbst kein Interesse an einer Ausweitung über das allernotwendigste Maß hinaus, da er auf Grund der viel zu niedrigen Honorierung, einen wesentlich geringeren Quartalsumsatz hinnehmen müsse, als dann, wenn er mehr antragspflichtige Leistungen pro Quartal abrechnen würde. Alles in allem sei es in A-Stadt regional gelungen, durch intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit ein Strukturnetz aufzubauen, das es ermögliche, wirtschaftlich und effektiv ein Versorgungsangebot für chronisch Erkrankte aufzubauen, das zukunftsweisend und förderungswürdig sei. Der Druck auf ihn als Niedergelassener, mehr Patienten aufzunehmen, steige die letzten Jahre ständig. Neben den Anfragen der Patienten und der Angehörigen stiegen die Anfragen der Arzte, Berufsgenossenschaften, Reha- und Akutkliniken und der Krankenversicherungen selbst. Wahrscheinlich stiegen demnächst auch die Aufwendungen für Kostenerstattung bei Psychotherapie.

Es werde lediglich die absolute statistische Überschreitung der GOP 23220 EBM untersucht. Die absolute Menge dürfe jedoch nicht ohne Blick auf die Versorgungsleistung der Praxis (Patienten/Scheine pro Quartal) interpretiert werden. Er vermute, dass er mit 100-120 Scheinen/Quartal auch hier im obersten Bereich der Verteilung der Vergleichszahlen liege. Das Vorgehen, sich ausschließlich an den absoluten Abrechnungszahlen einiger Abrechnungsziffern zu orientieren, sei äußerst fragwürdig.

Die PS stellte jeweils eine Überschreitung bei den Ansätzen der GOP 23220 EBM im Vergleich zur VG im Umfang eines sog. ,,offensichtlichen Missverhältnisses" fest und beauftragte jeweils psychologische Psychotherapeuten als Prüfreferent*innen mit der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit des Ansatzes der GOP 23220 EBM.

Die hinsichtlich des Jahres 2011 beauftragte Prüfreferentin führte aus, dass sie tiefenpsychologisch fundiert arbeite und ihre Prüfungstätigkeit nur aus dieser Sicht habe vornehmen könne. Es erscheine ihr grundsätzlich sinnvoller, für die Prüfung jemanden zu bestimmen, der im gleichen Verfahren wie der zu überprüfende Psychotherapeut zugelassen sei. Sie kam auf der Grundlage der Prüfung für alle vier Quartale des Jahres 2011 – zusammengefasst – zu folgendem Ergebnis:

Berücksichtigt habe sie die Praxisbesonderheit: Schwerpunkt in der Behandlung von Patienten mit chronischer Schmerzstörung und habe bei entsprechender Diagnose keine Abzüge vorgenommen. Grundsätzliche halte sie es für wirtschaftlicher, bei der Krankenkasse einen Antrag auf Verlängerung bzw. einen neuen Antrag auf Psychotherapie zu stellen anstatt über die GOP 23220 EBM niederfrequent psychotherapeutische Gespräche zu führen. Dies könne ihrer Ansicht nach eine psychotherapeutische Behandlung mit regelmäßigen Behandlungen wöchentlich nicht ersetzen. Hier schlage sie Abzüge vor.

Zum Ergebnis dieser Prüfung bestätigte der Kläger mit Schreiben vom 2. Juli 2014 die Auffassung der Prüfreferentin dahingehen, dass die Grundversorgung keinesfalls eine Therapie ersetzen könne. Allerdings sei das lnstrument des psychotherapeutischen Gesprächs dazu auch nicht geschaffen worden. Vielmehr sei die Gesprächsziffer: " ... eine Beratungs- und Gesprächsleistung, die sich von Art, lnhalt und Zielsetzung von den Leistungen der Richtlinienpsychotherapie unterscheide. Das psychotherapeutische Gespräch könne völlig unabhängig von einer beantragten Psychotherapie, z.B. als niederfrequente Leistung alleine erbracht werden. Das psychotherapeutische Gespräch könne auch zur Überbrückung von Wartezeiten genutzt werden. Das psychotherapeutische Gespräch könne mit einer eigenen Zielsetzung parallel zur Richtlinienpsychotherapie erfolgen, vorausgesetzt natürlich, dass diese beiden unterschiedlichen Leistungen grundsätzlich fachlich zu begründen seien. Er nutze die Gesprächsleistung zu verschiedenen Zwecken. Exemplarisch seien genannt: Unterstützung, Motivierung, lnformierung oder Krisenintervention. Weitere Einsatzgebiete seien Fälle, bei denen lediglich eine Restsymptomatik zum Ende der Richtlinientherapie bestehe, die keine erneute Verlängerung erfordere. Zudem prüfe er die geplanten Maßnahmen sehr gewissenhaft, da die Grundversorgung deutlich geringer dotiert sei als die Richtlinientherapie und es bestehe bei unzureichender Prüfung spätestens im Gutachterverfahren die Gefahr, dass der Antrag auf Verlängerung abgelehnt würde. Wenn beispielsweise die geplanten Maßnahmen nicht therapeutischen Zielsetzungen dienten, sondern lediglich unterstützende Maßnahmen darstellten, werde eine Therapie im Gutachterverfahren nicht befürwortet. Gutachter verwiesen dann (zu Recht) auf das lnstrument der psychotherapeutischen Grundversorgung. Die Verlängerung/Neubeantragung der beanstandeten Fälle sei nicht sinnvoll gewesen, sie hätte aus fachlichen Gründen in einem Gutachterverfahren abgelehnt werde müssen. Die Annahme der Referentin impliziere, dass alle beanstandeten Fälle zum gegeben Zeitpunkt auch indiziert für eine Psychotherapie gewesen seien. Das sei aber nicht der Fall gewesen.

Auch nach Kenntnis der Argumente des Klägers blieb die Fachreferentin bei ihrer Einschätzung. Zwar seien die Begründungen des Klägers teilweise plausibel und nachvollziehbar. Sie hätten aber für alle Behandler der Fachgruppe Gültigkeit und rechtfertigten damit nicht die überdurchschnittliche Häufigkeit der Abrechnung.

Bei den konkreteren patientenbezogenen Begründungen als Rechtfertigung für die Nichtbeantragung einer Therapie, wie: zu geringe Aussicht auf eine weitere Verbesserung, zu geringe aktive Veränderungskotrollerwartung, zu geringer Leidensdruck, zu geringe Einsicht-/Therapiefähigkeit etc. würden die meisten Kollegen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit eher vollständig auf eine psychotherapeutische Behandlung verzichten und stattdessen Patienten behandeln, bei denen Veränderungspotential vorhanden sei.

Hinsichtlich des Jahres 2012 wurde ein anderer Fachreferent mit der Bewertung beauftragt. Dieser bemängelte jeweils grundsätzlich die Mischung der GOP 23220 EBM mit Probatorik, KZT und LZT. Es sei zu beanstanden, wenn Ziffern wie folgt verwendet würden: Drei Sitzungen LZT dann 14 Ziffern Gespräch dann wiederum drei LZT oder KZT und Gespräch im Wechsel usw. und danach die Einleitung einer antragspflichtigen Behandlung nicht erkennbar sei. Auf diese Art würden Therapien gestreckt, bei welchen im Normalfall ein Antrag oder ein Verlängerungsbericht zu erstellen sei. So erfolge die Mengenausweitung. Eine Gesprächsziffer (5x) zwischen zwei genehmigungspflichtigen Leistungen bzw. Sitzungen sei ohne Sinn, wolle man nicht Anträge oder Berichte vermeiden. Zugunsten des Klägers seien Gesprächsziffern zum Beginn (erste Sitzurgen im 1 Quartal) und zum Ende des vierten Quartals (letzte Sitzungen) nicht gekürzt worden, da ein Nachweis, dass wiederum eine Probatorik, KZT oder LZT folge usw. nicht möglich gewesen sei. Auch seien Kurzbesuche (unter vier Gesprächsziffern) zwischen regulären Sitzungen (KZT und LZT) nicht moniert worden.

Als niederfrequentes therapeutisches Angebot zur Versorgung z.B. chronisch Kranker, zur Stützung zwischen zwei Behandlungen, als Kurzintervention in Krisen oder als Erhaltungstherapie sei eine Gesprächsziffer sehr sinnvoll und für den Patienten wichtig. Die Gesprächsziffer sei jedoch nicht zur "Streckung" von genehmigungspflichtigen Leistungen gedacht. Wäre diese Art der Abrechnung möglich, so könnte jede(r) Behandler*in bei 50 Sitzungen Therapie (über den Behandlungszeitraum hinweg), von vorneherein 90 Einzelziffern (Gespräch) zusätzlich abrechnen, bei der verbleibenden Möglichkeit Gespräche vorzuschalten und/oder danach eine Erhaltungstherapie abzuhalten.

Die PS setzte sodann unter Bezugnahme auf die Feststellungen der Prüfreferent*innen mit Bescheiden vom 29. September 2014 und 21. September 2015 die nachfolgenden Bruttohonorarkürzungen fest:

Quartale GO-Nr. Anzahl beanstandeter GOP 23220 Wert GOP 23220 Brutto-Kürzung
I/2011 23220 55 10,69EUR 587,95 EUR
II/2011 23220 118 10,69EUR 1.261,42 EUR
III/2011 23220 138 10,69EUR 1.475,22 EUR
IV/2011 23220 139 10,69EUR 1.485,91 EUR
I/2012 23220 44 10,69EUR 470,36 EUR
II/2012 23220 71 10,69EUR 758,99 EUR
III/2012 23220 48 10,69EUR 513,12 EUR
IV/2012 23220 40 10,69EUR 427,60 EUR

Mit seinen Schreiben vom 16. Oktober 2014 (für das Jahr 2011) und 2. Oktober 2015 (für das Jahr 2012) erhob der Kläger jeweils Widerspruch und wehrte sich gegen den Vorwurf, Therapien willkürlich "zu strecken". Alle seine Patient*innen seien unstrittig krank und auch behandlungsbedürftig gewesen. Die behandelten Krankheiten gehörten zum Formenkreis der Erkrankungen, die mit Psychotherapie behandelt werden. Richtig sei allerdings, dass es behandlungsbedürftige (kranke) Patienten gebe, die auf Grund mangelnder Erfolgsaussichten oder motivationaler Defizite im Gutachterverfahren einer Richtlinientherapie abgelehnt werden (müssten). Seien entsprechende Hinweise in der Probatorik erkennbar, gebe es im Therapieantrag die Möglichkeit, eine KZT zu beantragen zur Überprüfung der lndikation zu einer LZT. Seien in einem konkreten Fall die Voraussetzungen für die Umwandlung in eine LZT nicht gegeben, stehe er vor einem Dilemma. Ein Verlängerungsantrag habe keine Aussicht auf Erfolg, die Patienten seien aber behandlungsbedürftig und wollten auch psychologische Begleitung. In diesen Fällen nutze er ,,nolens volens" die Gesprächsziffer, um seiner Behandlungspflicht nachzukommen. Wenn sich die Erfolgsaussichten z. B. durch greifende motivationsfördernde Maßnahmen verbessere, werde selbstverständlich ein Umwandlungsantrag/Verlängerungsantrag gestellt. Das erkläre die monierten ,,zwischengeschobenen" lntervalle mit Gesprächsziffern. Richtig sei auch, dass die Leistungsgrenzen für Psychotherapie in der aktuellen Form in Bezug auf die Herausforderungen durch die wachsende Anzahl chronischer Erkrankungen die Behandler in die genannten Konflikte brächten. Es gebe einen qualitativen Unterschied zwischen einem "psychotherapeutischen Gespräch" und einer Psychotherapiestunde, wenn z. B. informierende oder auch formale Angelegenheiten (Reha-Antrag, Probleme mit anderen Stellen im Gesundheitswesen etc.) unvorhergesehen den Schwerpunkt einer Sitzung bildeten und die eigentlich geplanten Maßnahmen zurückstehen müssten. Dann erkläre er die Zeiteinheit tatsächlich zu einem ,,Psychotherapeutischen Gespräch", weil die Abrechnung der Leistung als Psychotherapie inhaltlich nicht angemessen wäre.

Der Beklagte wies die Widersprüche mit Beschlüssen vom 18. Dezember 2015 und 10. Oktober 2016 zurück und schloss sich zur Begründung den Stellungnahmen der Prüfreferent*innen an. Weil die tatsächliche Fallzahl in der VG für eine statistische Vergleichsprüfung nicht ausreichend erscheine, sei eine Einzelfallprüfung angezeigt gewesen sei.

Gegen diese Beschlüsse richten sich die am 3. Februar 2016 (Aktenzeichen S 17 KA 34/16) und 25. Oktober 2016 (S 17 KA 632/16) zum Sozialgericht Marburg erhobenen Klagen. Zur Begründung seiner Klagen rügt der Kläger insbesondere, dass die Prüfreferent*innen sich nicht hinreichend mit seinem Vortrag auseinandergesetzt hätten. Im Verfahren S 17 KA 34/16 nimmt der Kläger auf die Ausführungen der Prüfreferentin Bezug, die obwohl eine Einzelfallprüfung durchgeführt wurde – auf die Abweichung vom Durchschnitt Bezug nehme. Es stehe der Prüfreferentin nicht zu, im Sinne einer Grundsatzentscheidung zu bewerten, dass es grundsätzlich wirtschaftlicher sei, Anträge auf Psychotherapie zu stellen, anstatt über die GOP 23220 EBM niederfrequent psychotherapeutische Gespräche zu führen. Solange es die GOP 23220 EBM gebe, dürfe diese auch abgerechnet werden. Der Kläger verweist zudem nochmals ausdrücklich darauf, dass es eine psychotherapeutische Behandlungsnotwendigkeit außerhalb von Richtlinientherapie geben könne.

Auch im Verfahren S 17 KA 632/16 bemängelt der Kläger, dass sich der Prüfreferent mit dem Sinn und Zweck der Gesprächsziffer auseinandergesetzt habe, was aber nicht seine Aufgabe sei. Faktisch sei wiederum ein statistischer Vergleich mit der VG der einzige Anlass für die streitgegenständlichen Regresse. Er habe aus fachlichen Gründen jeweils die GOP 23220 EBM abgerechnet.

Der Kläger beantragt,
die Beschlüsse des Beklagten vom 18. Dezember 2015 und 10. Oktober 2016 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.

Es sei grundsätzlich zutreffend, dass die GOP 23220 EBM auch bei laufenden, nach dem Antragsverfahren gemäß den PT-RL durchgeführten und neben solchen Behandlungen in Ansatz gebracht werden könne. Dies ergebe sich auch aus der Leistungslegende zu GOP 23220 EBM, wo nur die Abrechnung nebeneinander in einer Sitzung bei Abrechnungen nach dem Abschnitt 35.2 - Antragspflichtige Leistungen - ausgeschlossen sei. Allerdings sei nach Abschnitt F. der PT-RL und entsprechend Abschnitt 35.2 EBM der Durchführung von antragspflichtigen Psychotherapien der Vorzug zu geben. Insoweit sei an den Stellungnahmen der Prüfreferent*innen festzuhalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Prozessakten verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Sie konnte dies trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen zu 1) bis 7) tun, weil diese ordnungsgemäß geladen worden sind.

Die Klagen sind zulässig.

Gegenstand des Verfahrens ist jeweils nur der Beschluss des Beklagten, nicht auch der der PS. In Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle auf die das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung des Beschwerdeausschusses. Dieser wird mit seiner Anrufung für das weitere Prüfverfahren ausschließlich und endgültig zuständig. Sein Bescheid ersetzt den ursprünglichen Verwaltungsakt der Prüfungsstelle, der abweichend von § 95 SGG im Fall der Klageerhebung nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens wird.

Die Klagen sind auch begründet.

Die Beschlüsse des Beklagten vom 18. Dezember 2015 und 10. Oktober 2016 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Er hat jeweils einen Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.

Im System der gesetzlichen Krankenversicherung nimmt der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt – Vertragsarzt – die Stellung eines Leistungserbringers ein. Er versorgt die Mitglieder der Krankenkassen mit ärztlichen Behandlungsleistungen, unterfällt damit auch und gerade dem Gebot, sämtliche Leistungen im Rahmen des Wirtschaftlichen zu erbringen. Leistungen, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, darf er nach dem hier anzuwendenden Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (§ 12 Abs. 1 SGB V) nicht erbringen.

Rechtsgrundlage für Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise ist § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V (in der bis zum 31.Dezember 2016 gültigen Fassung) i.V.m. der Prüfvereinbarung gemäß § 106 Abs. 3 SGB V, gültig ab 1. Januar 2008 (PV).

Der Beklagte hat vorliegend im Rahmen seiner Zuständigkeit auch eine Wirtschaftlichkeitsprüfung und keine Abrechnungsprüfung, beziehungsweise sachlich rechnerische Richtigstellung nach § 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V (in der in der bis zum 31. Dezember 2016 gültigen Fassung) durchgeführt.

Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten beurteilt, hier § 10 PV (Auffälligkeitsprüfung). Nach den hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist die statistische Vergleichsprüfung die Regelprüfmethode. Die Abrechnungs- bzw. Verordnungswerte des Arztes werden mit denjenigen seiner Fachgruppe – bzw. mit denen einer nach verfeinerten Kriterien gebildeten engeren Vergleichsgruppe – im selben Quartal verglichen. Ergänzt durch die sog. intellektuelle Betrachtung, bei der medizinisch-ärztliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden, ist dies die Methode, die typischerweise die umfassendsten Erkenntnisse bringt.

Vorliegend hat der Beklagte im Rahmen der statistischen Vergleichsprüfung die Gruppe aller vollzugelassenen psychologischen Psychotherapeuten seinen vergleichenden Betrachtungen zugrunde gelegt. Dies ist zur Überzeugung der Kammer bei der Bewertung psychotherapeutischer Leistungen unzureichend, da sich die drei im streitgegenständlichen Zeitraum anerkannten Richtlinienverfahren (Analytische Psychotherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Verhaltenstherapie) fundamental voneinander unterscheiden und per se ausgeschlossen erscheint, dass die unterschiedlichen Verfahren sowohl fachlich-inhaltlich als auch von den rechtlichen Rahmenbedingungen vergleichbar wären. Es handelt sich bei den psychoanalytisch begründeten Verfahren einerseits und der Verhaltenstherapie andererseits um unterschiedliche Versorgungsbereiche, die jeweils eigenständig zu beurteilen sind (so für die Sonderbedarfszulassung auch BSG, Urteil vom 28. Juni 2017 – B 6 KA 28/16 R). Zwar ist dem Beschwerdeausschuss grundsätzlich ein Entscheidungsspielraum zu belassen, ab welchem Ausmaß atypischer Praxisumstände eine engere Vergleichsgruppe gebildet wird oder eine Praxisbesonderheit anerkannt wird oder dem Arzt eine größere Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts belassen wird (BSG, Beschluss vom 11. Dezember 2002, B 6 KA 21/02 B). Dies wird überwiegend so aufgefasst, dass zunächst nach statistischen Kriterien über das Vorliegen eines offensichtlichen Missverhältnisses zu befinden und erst danach gegebenenfalls zu prüfen ist, ob und inwieweit der durch die Fallkostendifferenz begründete Nachweis der Unwirtschaftlichkeit durch Praxisbesonderheiten widerlegt wird. Indessen wird eine derartige Ausgestaltung des Prüfverfahrens weder der beweisrechtlichen Funktion und Bedeutung des offensichtlichen Missverhältnisses noch den Erfordernissen einer effizienten Wirtschaftlichkeitsprüfung gerecht. Nach der Rechtsprechung des BSG kommt der Feststellung eines offensichtlichen Missverhältnisses praktisch die Wirkung eines Anscheinsbeweises zu, so dass aus einer Überschreitung des Vergleichsgruppendurchschnitts nur dann auf eine Unwirtschaftlichkeit geschlossen werden kann, wenn ein solcher Zusammenhang einem typischen Geschehensablauf entspricht, also die Fallkostendifferenz ein Ausmaß erreicht, bei dem erfahrungsgemäß von einer unwirtschaftlichen Behandlungsweise auszugehen ist. Ein dahingehender Erfahrungssatz besteht aber nur unter der Voraussetzung, dass die wesentlichen Leistungsbedingungen des geprüften Arztes mit den wesentlichen Leistungsbedingungen der verglichenen Ärzte übereinstimmen. Der Beweiswert der Statistik wird eingeschränkt oder ganz aufgehoben, wenn bei der geprüften Arztpraxis besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende Umstände vorliegen, die für die zum Vergleich herangezogene Gruppe untypisch sind. Sind solche kostenerhöhenden Praxisbesonderheiten bekannt oder anhand der Behandlungsausweise oder der Angaben des Arztes erkennbar, so müssen ihre Auswirkungen bestimmt werden, ehe sich auf der Grundlage der statistischen Abweichungen eine verlässliche Aussage über die Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise treffen lässt. Das gilt umso mehr, als mit der Feststellung des offensichtlichen Missverhältnisses eine Verschlechterung der Beweisposition des Arztes verbunden ist, die dieser nur hinzunehmen braucht, wenn die Unwirtschaftlichkeit nach Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Falles als bewiesen angesehen werden kann (BSG, Urteil vom 9. März 1994, 6 RKa 18/92; so auch bereits Urteil der erkennenden Kammer vom 17. Dezember 2018 – S 17 KA 223/17). Diese Grundsätze auf Psychotherapeuten übertragend ist bei der statistischen Vergleichsprüfung eine Differenzierung nach Fachkunde der Psychotherapeuten für die Bewertung einer statistische Auffälligkeit und damit eines offensichtlichen Missverhältnisses erforderlich. Diese Überzeugung des Gerichts gründet sich zum einen auf die Systematik des Psychotherapeutengesetzes, der Vereinbarung über die Anwendung von Psychotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung (Psychotherapie-Vereinbarung) und der PT-RL, die die Unterschiede der verschiedenen Richtlinienverfahren sehr deutlich hervorheben. Zunächst ist die fachliche Befähigung des Psychologischen Psychotherapeuten gemäß § 6 der Psychotherapie-Vereinbarung an den Fachkundenachweis in einem der Richtlinienverfahren im Sinne von § 95c SGB V gebunden. Die Verfahren sind nicht miteinander kombinierbar (§ 18 PT-RL). Zudem gelten für sämtliche Richtlinienverfahren im EBM unterschiedliche Abrechnungsziffern, die auch die differenzierten Rahmenbedingungen jeder Therapierichtung beschreiben. Nicht zuletzt manifestiert sich die Unterschiedlichkeit der Therapieansätze in deren Definition in den §§ 16, 16a, 16b und 17 PT-RL und zudem in den damit verbundenen unterschiedlichen Bewilligungsschritten nach § 29 PT-RL (analytische Psychotherapie bei Erwachsenen bis 300 Stunden, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie bei Erwachsenen bis 100 Stunden und Verhaltenstherapie bei Erwachsenen bis 80 Stunden). Im Umkehrschluss folgt daraus, dass mit den einzelnen Richtlinienverfahren unterschiedliche Therapieinhalte und auch Therapiedauern verbunden sind und damit in der Konsequenz auch, dass die Fallzahlen bei analytischen Psychotherapeuten in aller Regel nicht annährend die Fallzahlen von Verhaltenstherapeuten erreichen dürften. Diese Feststellungen werden im Ergebnis auch von der Prüfreferentin im Verfahren S 17 KA 34/16 bestätigt, die ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass es ihr grundsätzlich sinnvoller erscheine, für die Prüfung jemanden zu bestimmen, der im gleichen Verfahren wie der zu überprüfende Psychotherapeut zugelassen sei. Im Rahmen der Neubescheidung sollte der Beklagte deshalb den Kläger als Verhaltenstherapeuten im ersten Prüfungsschritt nur mit der Vergleichsgruppe der psychologischen Psychotherapeuten messen, die ebenfalls verhaltenstherapeutisch tätig sind. Die Kammer geht davon aus, dass sich bei dieser Betrachtungsweise das Maß der festgestellten Überschreitungen reduzieren dürfte.

Nicht zu beanstanden ist, dass der Beklagte dann – aufgrund der insgesamt geringen Fallzahlen in der Gruppe der Psychologischen Psychotherapeuten und der damit verbundenen fehlenden Vergleichbarkeit – zu einer Einzelfallprüfung nach § 11 Abs. 2 PV umgeschwenkt ist.

Demgegenüber erscheint die Auswahl der Prüfreferentin im Kontext der oben dargestellten Grundsätze zwar nicht als rechtswidrig, da allgemeine Vorgaben zur Auswahl von Prüfärzten nicht bestehen. Gleichwohl ist für die Akzeptanz der Bewertung des Abrechnungsverhaltens durch einen Prüfreferent*innen eine vergleichbare Qualifikation bzw. Fachkunde wünschenswert. Dies spiegelt sich gerade bei Psychotherapeuten beispielsweise auch in den Vorgaben der PT-RL für das Gutachterverfahren (§35) wieder, wo Gutachter den gleichen Fachkundenachweis wie zu Begutachtende haben müssen.

Die Beschlüsse des Beklagten sind auch in materieller Hinsicht zu beanstanden. Die Leistungslegende der GOP 23220 EBM lautet wie folgt:

Psychotherapeutisches Gespräch als Einzelbehandlung
Obligater Leistungsinhalt
- Dauer mindestens 10 Minuten
- Einzelbehandlung
Fakultativer Leistungsinhalt
- Syndrombezogene therapeutische Intervention,
- Krisenintervention,
- Anleitung der Bezugsperson(en),
je vollendet 10 Minuten, höchstens 15-mal im Behandlungsfall.

Der Beklagte stützt seine Beschluss ausschließlich auf die Beanstandungen der Prüfreferent*innen, die zum einen (im Verfahren S 17 KA 632/16) jeglichen Ansatz der GOP 23220 EBM bei laufender KZT, LZT bzw. während der Phase der probatorischen Sitzungen bemängelt haben bzw. es (im Verfahren S 17 KA 34/16) "grundsätzlich für wirtschaftlicher halten", bei der Krankenkasse einen Antrag auf Verlängerung bzw. einen neuen Antrag auf Psychotherapie zu stellen, anstatt über die Ziffer 233220 niederfrequent psychotherapeutische Gespräche zu führen. Diese Bewertungen kommen einem Verbot der Abrechnung der GOP 23220 EBM bei laufender Probatorik, KZT oder LZT gleich. Für ein derartiges Verständnis der GOP 23220 EBM gibt es jedoch keinen rechtlichen Anknüpfungspunkt. Vielmehr hat der Beklagte in beiden Verfahren selber zugestanden, dass die GOP 23220 EBM grundsätzlich auch bei laufenden, nach dem Antragsverfahren gemäß den PT-RL durchgeführten und neben solchen Behandlungen in Ansatz gebracht werden kann. Dies ergibt sich auch aus der Leistungslegende zu GOP 23220 EBM, wo nur die Abrechnung nebeneinander in einer Sitzung bei Abrechnungen nach dem Abschnitt 35.2 - Antragspflichtige Leistungen - ausgeschlossen ist.

Insofern kann eine Abrechnung bei laufender Probatorik, KZT oder LZT nicht per se eine Unwirtschaftlichkeit im Einzelfall begründen. Der Vorwurf der Unwirtschaftlichkeit kann sich im vorliegenden Fall damit ohne nähere Betrachtung jedes einzelnen Behandlungsfalles in der Art eines Zirkelschlusses nur noch auf die Überschreitung der Durchschnittswerte der Vergleichsgruppe und damit die statistische Auffälligkeit gründen, die der Beklagte jedoch selber als nicht aussagekräftig eingestuft hat.

Dem Beklagten ist jedoch zuzugeben, dass die PT-RL ein striktes und differenziertes Zulassungsverfahren vorsieht, wenn Psychotherapie im Rahmen des Versorgungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden soll. Insofern trägt die Kammer die Auffassung des Beklagten, dass der Richtlinien-Psychotherapie und der Einhaltung der dazu erlassenen Regeln grundsätzlich ein gewisser Vorzug gebührt. Nicht zu tolerieren ist deshalb, wenn die GOP 23220 EBM ausschließlich zur Streckung von Therapieperioden genutzt würde und damit die in der PT-RL vorgesehenen Stundenkontingente künstlich erweitert würden. Die Kammer folgt insoweit ausdrücklich den Feststellungen des Prüfreferenten im Verfahren S 17 KA 362/16, wenn er darlegt, dass eine Gesprächsziffer (5x) zwischen zwei genehmigungspflichtigen Leistungen bzw. Sitzungen ohne Sinn ist, soweit damit nur die Therapiesitzungen vermieden werden. Die vom Prüfreferenten im Verfahren S 17 KA 362/16 dargestellte Abfolge "drei Sitzungen LZT dann 14 Ziffern Gespräch dann wiederum drei LZT oder KZT und Gespräch im Wechsel" erscheint auch der Kammer auffällig und zumindest ungewöhnlich.

Es ist zu verlangen, dass sich die Gespräche nach der GOP 23220 EBM während der Probatorik, KZT oder LZT hinsichtlich des Personenkreises oder Inhalts oder Zwecks der Gespräche von den Therapiesitzungen unterscheiden. Die Kammer folgt dem Kläger insoweit, als sie ebenfalls davon ausgeht, dass es einen qualitativen Unterschied zwischen einem "psychotherapeutischen Gespräch" und einer Psychotherapiestunde gibt. Um beurteilen zu können, ob im Einzelfall auch entsprechende Indikationen gemäß den Leistungslegenden vorlagen, dürfte es unumgänglich sein, die Behandlungsdokumentation im Einzelfall in die Prüfung der Wirtschaftlichkeit einzubeziehen. Dies gilt auch bezüglich der Frage, ob die vom Kläger geltend gemachten Gründe für ein psychotherapeutisches Gespräch nach der GOP 23220 EBM in Form von "Unterstützung, Motivierung, lnformierung oder auch Bearbeitung formaler Angelegenheiten (Reha-Antrag, Probleme mit anderen Stellen im Gesundheitswesen etc.) überhaupt die Leistungslegende der GOP 23220 EBM im Sinne einer syndrombezogenen therapeutischen Intervention erfüllen. Insoweit bestehen bei der Kammer Bedenken. Auch hier ist jedoch eine Einzelfallbetrachtung unumgänglich. Die insoweit erforderliche sachlich-rechnerische Beurteilung der Abrechnung steht dem Beklagten zumindest im Rahmen einer Annexkompetenz im vorliegenden Fall auch zu (vgl. dazu ausführlich SG Marburg, Urteil vom 30. Oktober 2019, S 17 KA 47/16).

Darüber hinaus hält die Kammer die Beschlüsse des Beklagten auch für widersprüchlich, da sie sich jeweils ausschließlich auf die Bewertungen des jeweiligen Prüfreferenten/der jeweiligen Prüfreferentin beziehen, deren Bewertungen sich jedoch fundamental unterscheiden. Die Prüfreferentin im Verfahren S 17 KA 34/16 hat ausdrücklich eine Praxisbesonderheit des Klägers bei der Behandlung von Patient*innen mit chronischer Schmerzstörung anerkannt und – sofern eine entsprechende Diagnose dokumentiert war – grundsätzlich die Abrechnung der GOP 23220 EBM gebilligt. Von einer derartigen Schwerpunktsetzung ist beim Prüfreferenten im Verfahren S 17 KA 632/16 keine Rede. Vielmehr wird dort überhaupt nicht auf diese vom Kläger vorgetragene Besonderheit Bezug genommen. Der Prüfreferent im Verfahren S 17 KA 632/16 wiederum beanstandet nicht, wenn die GOP 23220 EBM zu Beginn des 1. Quartals oder zum Ende des 4. Quartals angesetzt wurde, weil dabei nicht erkennbar sei, ob im Anschluss eine KZT, LZT oder probatorische Sitzung erfolgt sei. Bei der Prüfreferentin im Verfahren S 17 KA 34/16 spielen diese Erwägungen keine Rolle.

Der fundamentalste Widerspruch zwischen den Prüfreferent*innen entsteht bei der Bewertung der Frage, ob die GOP 23220 EBM nach Abschluss der KZT oder LZT zur Erhaltung des Therapieergebnisses niederfrequent angesetzt werden darf. Während die Prüfreferentin im Verfahren S 17 KA 34/16 dies mit ihren grundsätzlichen Erwägungen des Vorrangs der Richtlinientherapie bemängelt (wie sich auch aus den Prüflisten Bl. 36 43 der Verwaltungsakte ergibt), hält es wiederum der Prüfreferent im Verfahren S 17 KA 632/16 für sehr sinnvoll, dass ein niederfrequentes therapeutisches Angebot zur Versorgung z.B. chronisch Kranker, zur Stützung zwischen zwei Behandlungen, als Kurzintervention in Krisen oder als Erhaltungstherapie besteht. Die Kammer folgt dessen Einschätzung, dass die GOP 23220 EBM insoweit für die Patient*innen wichtig ist, ausdrücklich. Die Kammer beanstandet entgegen der Prüfreferentin damit nicht, wenn die GOP 23220 EBM nach beendeter KZT über einen kurzen Zeitraum – z.B. zur Stabilisierung des Patienten - niederfrequent weiterhin abgerechnet wurde. Allein aufgrund der Vorgabe, dass die GOP 23220 EBM max. 15x pro Quartal abgerechnet werden kann und damit im Quartal max. drei Gespräche à 50min durchgeführt werden können, erscheint es der Kammer fernliegend anzunehmen, dass damit eine in aller Regel viel hochfrequenter durchgeführte weitere KZT umgangen werden könnte.

Nicht zuletzt ist dem Kläger auch zuzugeben, dass der Wert der GOP 23220 EBM keinen wirtschaftlichen Anreiz bietet, diese Ziffer statt einer Richtlinien-Therapiesitzung in Ansatz zu bringen. Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheint es notwendig, bei der Einzelfallprüfung im Detail den Zweck, Inhalt und Verlauf der psychotherapeutischen Gespräche und Therapiesitzungen gegenüberzustellen um sodann die Unterschiede im Ansatz der GOP beurteilen zu können.

Nach alledem mussten die Klagen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 197 Buchst. a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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