S 10 U 31/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 10 U 31/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 U 647/19
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Kostenübernahme für die Implantatversorgung der Zähne 11 und 21.

Der am 00.00.2004 geborene Kläger erlitt am 13.04.2012 während der Ferienbetreuung im Rahmen der offenen Ganztagsschule einen Versicherungsfall, als er auf das Gesicht stürzte. Im 9. Lebensjahr musste der durch den Unfall geschädigte Zahn 11 und im 13. Lebensjahr der Zahn 21 entfernt werden.

Mit Heil- und Kostenplan vom 24.07.2018 unterbreitete die Zahnarztpraxis Dres. U. und Kollegen, N., eine Lückenversorgung im Bereich der Zähne 11 und 21 mit einer implan-tatgetragenen Rekonstruktion.

Mit Bescheid vom 09.08.2018 lehnte die Beklagte die Implantatversorgung ab, da eine Implantatbehandlung bei Jugendlichen aufgrund des noch zu erwartenden Kiefer-wachstums zahnmedizinisch nicht sinnvoll sei. Ein Kieferwachstum sei noch bis über das 20. Lebensjahr hinaus möglich. Es gäbe noch kein geeignetes und anerkanntes Nachweisverfahren über das noch zu erwartende Kieferwachstum, insbesondere ent-spräche das von Dr. U. vorgeschlagene "Ziffer 5-D-Konzept" bisher nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft im Sinne des § 26 Abs. 4 des 7. Bu-ches des Sozialgesetzbuches (SGB VII), so dass eine Implantatinsertion in diesem ästhe-tisch sensiblen Bereich frühestens nach Vollendung des 18. Lebensjahres, möglichst erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres erfolgen sollte.

Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde damit begründet, dass der medizinische Fortschritt zu berücksichtigen sei. Auch die Eltern vertrauten dem Fachwissen von Dr. U., der bereits bei 179 jugendlichen Patienten diese Implantatversorgung durchge-führt habe.

Die Beklagte holte daraufhin eine Stellungnahme ihres beratenden Zahnarztes Dr. T. ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.01.2019 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.

Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB VII hätten Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vor-schriften und unter Beachtung des 9. Buches u.a. Anspruch auf Heilbehandlung. Die Heilbehandlung umfasse auch die zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versor-gung mit Zahnersatz (§ 27 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII).

Die zahnärztliche Behandlung umfasse gemäß § 28 Abs. 3 SGB VII die Tätigkeit der Zahnärzte, die nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst erforderlich und zweckmäßig sei. Eine ärztliche Behandlung sei zweckmäßig, wenn sie auf das Ziel der medizinischen Rehabilitation ausgerichtet und auch hinreichend wirksam sei.

Die Leistungserbringung erfolge grundsätzlich nach dem Grundsatz "mit allen geeigne-ten Mitteln" (§ 26 Abs. 2 SGB VII). Nach § 26 Abs. 4 SGB VII dürften in der gesetzlichen Unfallversicherung jedoch im Allgemeinen keine medizinischen Rehabilitationsleistun-gen erbracht werden, die nicht dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Er-kenntnisse entsprächen. Die Ermittlung eines allgemein anerkannten Standes der medi-zinischen Erkenntnis sei schwierig und könne in einem gewissen Widerspruch stehen zu dem gleichfalls zu berücksichtigenden medizinischen Fortschritt. Dem Gesetzes-zweck entspräche es, auf die Vertretbarkeit der Behandlungsmethode im Einzelfall abzu-stellen. "Außenseitermethoden" seien daher nicht grundsätzlich ausgeschlossen, son-dern könnten im Einzelfall ein geeignetes Mittel darstellen. Andererseits entsprächen Maßnahmen in der Erprobungsphase nicht dem allgemein anerkannten Stand der medi-zinischen Erkenntnisse.

Von diesen rechtlichen Grundlagen ausgehend werde die Kostenübernahme für eine Implantatversorgung der Zähne 11 und 21 zum jetzigen Zeitpunkt zu Recht abgelehnt.

Der Kläger habe aufgrund der Folgen des Unfalls vom 13.04.2012 zwar grundsätzlich einen Anspruch auf Heilbehandlung, die Beklagte könne jedoch im Einzelfall Art, Um-fang und Durchführung der Heilbehandlung nach den v.g. Grundsätzen nach pflicht-gemäßem Ermessen bestimmen (§ 26 Abs. 5 Satz 1 SGB VII).

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens sei daher eine beratungszahnärztliche Stel-lungnahme von Herrn T., Zahnarzt und Master of Science der Implantologie, bezüglich der Zweckmäßigkeit der Implantatversorgung zum jetzigen Zeitpunkt eingeholt worden. In seiner Stellungnahme mache Herr T. deutlich, dass das vertikale Kieferwachstum im Oberkieferfrontzahnbereich individuell sehr unterschiedlich erfolge, in keiner Weise vor-hersagbar sei und in den meisten Fällen noch weit über das 20. Lebensjahr nachweisbar sei. Da es kein Verfahren gebe, mit dem man prüfen könne, welches Wachstum im Indi-vidualfall noch zu erwarten sei, sei eine Implantation im Oberkieferfrontzahnbereich nach den derzeitigen medizinischen Erkenntnissen erst nach Abschluss des vertikalen Kieferwachstums, in keinem Fall vor Vollendung des 18. Lebensjahres zu empfehlen. Weiter führe Herr T. aus, dass auch die von Dr. U. durchgeführte 5-D-Implantatpositionierung die individuellen Wachstumsmuster in diesem konkreten Fall nicht vorhersagen könne und daher unkalkulierbare Risiken berge.

Auch wenn Dr. U. diese Behandlungsmethode bereits in mehreren Fällen durchgeführt habe, befinde sie sich in der Erprobungsphase und entspräche somit noch nicht dem allgemein anerkannten Stand zahnmedizinischer Erkenntnisse. Der Gesetzgeber habe mit § 26 Abs. 4 SGB VII eindeutig bestimmt, dass in Anlehnung an die Vorschriften der Krankenkasse (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB VII) und der Rentenversicherung (§ 13 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI) auch die gesetzliche Unfallversicherung im Allgemeinen keine medizinischen Rehabilitationsleistungen erbringe bzw. erbringen dürfe, die nicht im allgemein aner-kannten Stand medizinischer Erkenntnisse entsprächen. Der Ausschluss einer Ver-pflichtung für Leistungen zur Heilbehandlung, die dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse nicht entsprächen und deren Heilerfolg damit wissenschaft-lich (noch) nicht gesichert sei, diene vorrangig der Qualitätssicherung der von den Un-fallversicherungsträgern zu erbringenden Leistungen. Diese hätten, wie die übrigen Re-habilitationsträger auf bedarfsgerechte, zielgerichtete und an den individuellen Bedürf-nissen der Leistungsberechtigten ausgerichtete qualifizierte Leistungen zur Heilbehand-lung hinzuwirken und sie durch geeignete Leistungserbringer sicher zu stellen.

Im Ergebnis sei die "5-D-Implantatpositionierung" der Praxis Dres. U. keine allgemein an-erkannte Behandlungsmethode, weil die Wirksamkeit der Methode noch nicht gesichert sei. Darüber hinaus stünden anerkannte zahnärztliche Therapiemaßnahmen zur Ver-sorgung der Frontzahnlücke zur Verfügung (temporäre Klebebrücke, herausnehmbare und dem jeweiligen Wachstumsstand anzupassende Teilprothese), die von der Beklag-ten hätten gewährt werden können.

Wegen dieser Entscheidung hat der Kläger am 19.02.2019 Klage erhoben. Der behan-delnde und auf Implantatversorgung von Kindern spezialisierte Dr. U. habe eine Indikati-on zur Behandlung gestellt. Diese Indikation sei im konkreten Einzelfall medizinisch notwendig und indiziert. Ein Abwarten würde nur dazu führen, dass das Knochen- und Implantatlager nicht mehr vorhanden und ein zusätzlicher aufwendiger Beckenkamm-aufbau im Rahmen eines stationären Aufenthaltes erforderlich werde. Erforderlich wäre dann eine aufwendige Weichgewebsoperation, die ihm bei einer Versorgung nach dem "5-D-Konzept" erspart bliebe.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

unter Aufhebung des Bescheides vom 09.08.2018 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 30.01.2019 die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Implantatversorgung gemäß Heil- und Kostenplan vom 24.07.2018 zu überneh-men.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich in ihrer Klageerwiderung im Wesentlichen auf die Gründe des ange-fochtenen Bescheides.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die der Entscheidung zugrunde gelegen haben, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht hat den Rechtsstreit - nach Anhörung der Beteiligten - ohne mündliche Ver-handlung durch Gerichtsbescheid entscheiden können, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger ist durch den Bescheid vom 09.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 30.01.2019 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialge-richtsgesetz (SGG), denn der Bescheid ist nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen An-spruch auf die beantragte Implantatversorgung.

Gemäß § 136 Abs. 3 SGG wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen, weil das Gericht der Begründung des Bescheides vom 09.08.2018 sowie der Begründung des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2019 folgt. Eine Ermessensredu-zierung auf null liegt nach Auffassung der Kammer dementsprechend nicht vor. Ermes-sensfehler sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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