Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AS 71/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 899/18
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid des Jobcenter A-Stadt vom 15.11.2017, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2018 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01.12.2017 bis 30.06.2018 Alg II endgültig zu gewähren.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Kläger, ein kroatischer Staatsangehöriger reiste am 14.03.2014 in die BRD ein und führte hier die Tätigkeit eines selbstständiges Fliesenlegers aus. Die Gewerbeanmeldung datiert vom 22.04.2014. Ende Mai 2015 konnte der Kläger seine selbstständige Tätigkeit nicht mehr ausüben. Seit 26.05.2015 ist er arbeitsunfähig. Die Gewerbeabmeldung erfolgte zum 30.06.2015. Am 10.05.2016 erlitt er darüber hinaus einen Herzinfarkt. Zwischenzeitlich ist ein GdB von 40 ab 09.10.2017 festgestellt.
Am 01.06.2015 beantragte der Kläger die Gewährung von Alg II. Mit Bescheid vom 26.10.2016 und Änderungsbescheid vom 26.11.2016 wurde Alg II für Juni 2015 bis November 2017 gewährt.
Am 17.10.2017 stellte der Kläger einen Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen, worauf mit Bescheid vom 15.11.2017 die Gewährung von Alg II abgelehnt und zur Begründung ausgeführt wurde, dass der Kläger zwar nach mehr als einjähriger beruflicher Tätigkeit einen Selbstständigenstatus habe, dies jedoch nur für zwei Jahre.
Gegen diese Entscheidung legte der Kläger am 08.12.2014 Widerspruch ein, der durch Bescheid vom 17.01.2018 zurückgewiesen wurde.
Gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid wandte sich der Kläger mit der am 24.01.2018 erhobenen Klage. Zuvor hatte er am 12.01.2016 bereits beantragt, das Jobcenter im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu verpflichten.
Mit Beschluss vom 28.02.2018 verpflichtete das Sozialgericht die Antragsgegnerin das Jobcenter A-Stadt zur Gewährung von Alg II vorläufig ab 12.01.2018. Mit dem Beschluss vom 19.07.2018 begrenzte das LSG die Gewährung von Alg II vorläufig bis Junli 2018. Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 17.04.2018 Alg II vorläufig für den Zeitraum vom 12.01.2018 bis 30.06.2018 bewilligt hatte.
Auf den Widerbewilligungsantrag des Klägers wurde schließlich Alg II für Juli 2018 bis Dezember 2018 vorläufig gewährt, wobei keine Gründe für die Vorläufigkeit angegeben wurden.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 15.11.17 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.18 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für den Zeitraum vom 01.12.17 bis 30.06.18 endgültig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren.
Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene schließt sich dem Antrag der Beklagten an.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Zu Unrecht hat die Beklagte mit Bescheid vom 15.11.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.01.2018 die Gewährung von Alg II für die Zeit ab 01.12.2017 bis 30.06.2018 abgelehnt.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zu. Er ist zwar arbeitsunfähig jedoch erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II. Er ist unstreitig auch hilfebedürftig. Darüber hinaus ist der Kläger wie zur Überzeugung des Gerichts feststeht, nicht vom Leistungsbezug nach dem SGB II nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen.
Nach dieser Vorschrift sind vom Leistungsbezug lediglich Ausländer ausgenommen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Das Aufenthaltsrecht des Klägers ergibt sich jedoch auch nach § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz EU, falls ein selbstständigen Status vorbesteht.
Nach dieser Vorschrift bleibt das Recht auf Einreise und Aufenthalt des Arbeitnehmers und selbstständig Erwerbstätigen unberührt. Bei vorübergehender Erwerbsminderung in Folge von Krankheit oder in Folge bei unfreiwilliger durch die zuständige Bundesagentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbstständigen Tätigkeit in Folge von Umständen auf die der Selbstständige keinen Einfluss hat, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit.
Unstreitig hat der Kläger mehr als ein Jahr gearbeitet, sodass sein Selbstständigenstatus fortbesteht. Zwar hat das LSG in seiner Entscheidung vom 20.06.2016 L 16 AS 284/16 BER ausgeführt, dass das Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU nur solange fortbesteht, wie die Arbeitnehmereigenschaft fortbesteht. Dies gelte jedoch nur für zwei Jahre. Das LSG schließt dies aus der Entstehungsgesichte des Artikel 7 Abs. 3 Richtlinie 2004/28/EWG. Zur Begründung des Kommissionsentwurfs der Richtlinie war ausgeführt worden, das die wesentlichen Bestimmungen des L 68/360/EWG übernommen wurden. In Artikel 7 Abs. 2 Richtlinie 68/360/EWG konnte die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis beschränkt werden, nachdem der Arbeitnehmer länger als 12 Monate unfreiwillig arbeitslos war. Die Beschränkung durfte jedoch 12 Monate nicht unterschreiten. Somit blieb bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach EWG Recht das Aufenthaltsrecht für zwei Jahre erhalten.
Das LSG übertragt diese alten Regelungen auf § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU und schließt daraus, dass die Arbeitnehmereigenschaft für längstens 2 Jahre erhalten bleibt.
Dem kann das erkennende Gericht nicht folgen, denn Artikel 2 Abs. 3, Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU enthält eben gerade keine Begrenzung des Arbeitnehmerstatus bzw. Selbstständigenstatus. Eine restriktive Auslegung dergestalt, wie sie vom LSG vorgenommen wird, hält das erkennende Gericht nicht für möglich. Hätte der Gesetzgeber den Arbeitnehmerstatus auf zwei Jahre begrenzen wollen, hätte er dies in § 2 Freizügigkeitsgesetz EU regeln müssen. Eine Anspruchsbegrenzung ohne gesetzliche Grundlage erscheint verfassungswidrig. Möglicherweise wäre es wünschenswert, eine Begrenzung des Arbeitnehmerstatus einzuführen, sie würde sich auch in das Freizügigkeitsgesetz im Hinblick auf § 4 Abs. 1 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz (Daueraufenthaltsrecht) gut einordnen. Eine solche Begrenzung gibt es aber nicht. Das BSG (Urteil vom 13.07.2017 B 4 AS 17/16 R Juris) hat es bislang offengelassen, ob eine Begrenzung des Arbeitnehmerstatus möglich ist. Für Einschränkungen von grundsätzlich bestehenden Ansprüchen bedarf es jedoch einer gesetzlichen Grundlage. Die Begrenzung kann nicht durch Auslegung veralteten EWG-Rechts ermittelt werden.
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte können die angefochteten Bescheide keinen Bestand haben. Die Beklagte war daher zu verurteilen, ab 01.12.2017 bis 30.06.2018 Alg II endgültig zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
II. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01.12.2017 bis 30.06.2018 Alg II endgültig zu gewähren.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Kläger, ein kroatischer Staatsangehöriger reiste am 14.03.2014 in die BRD ein und führte hier die Tätigkeit eines selbstständiges Fliesenlegers aus. Die Gewerbeanmeldung datiert vom 22.04.2014. Ende Mai 2015 konnte der Kläger seine selbstständige Tätigkeit nicht mehr ausüben. Seit 26.05.2015 ist er arbeitsunfähig. Die Gewerbeabmeldung erfolgte zum 30.06.2015. Am 10.05.2016 erlitt er darüber hinaus einen Herzinfarkt. Zwischenzeitlich ist ein GdB von 40 ab 09.10.2017 festgestellt.
Am 01.06.2015 beantragte der Kläger die Gewährung von Alg II. Mit Bescheid vom 26.10.2016 und Änderungsbescheid vom 26.11.2016 wurde Alg II für Juni 2015 bis November 2017 gewährt.
Am 17.10.2017 stellte der Kläger einen Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen, worauf mit Bescheid vom 15.11.2017 die Gewährung von Alg II abgelehnt und zur Begründung ausgeführt wurde, dass der Kläger zwar nach mehr als einjähriger beruflicher Tätigkeit einen Selbstständigenstatus habe, dies jedoch nur für zwei Jahre.
Gegen diese Entscheidung legte der Kläger am 08.12.2014 Widerspruch ein, der durch Bescheid vom 17.01.2018 zurückgewiesen wurde.
Gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid wandte sich der Kläger mit der am 24.01.2018 erhobenen Klage. Zuvor hatte er am 12.01.2016 bereits beantragt, das Jobcenter im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu verpflichten.
Mit Beschluss vom 28.02.2018 verpflichtete das Sozialgericht die Antragsgegnerin das Jobcenter A-Stadt zur Gewährung von Alg II vorläufig ab 12.01.2018. Mit dem Beschluss vom 19.07.2018 begrenzte das LSG die Gewährung von Alg II vorläufig bis Junli 2018. Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 17.04.2018 Alg II vorläufig für den Zeitraum vom 12.01.2018 bis 30.06.2018 bewilligt hatte.
Auf den Widerbewilligungsantrag des Klägers wurde schließlich Alg II für Juli 2018 bis Dezember 2018 vorläufig gewährt, wobei keine Gründe für die Vorläufigkeit angegeben wurden.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 15.11.17 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.18 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für den Zeitraum vom 01.12.17 bis 30.06.18 endgültig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren.
Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene schließt sich dem Antrag der Beklagten an.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Zu Unrecht hat die Beklagte mit Bescheid vom 15.11.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.01.2018 die Gewährung von Alg II für die Zeit ab 01.12.2017 bis 30.06.2018 abgelehnt.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zu. Er ist zwar arbeitsunfähig jedoch erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II. Er ist unstreitig auch hilfebedürftig. Darüber hinaus ist der Kläger wie zur Überzeugung des Gerichts feststeht, nicht vom Leistungsbezug nach dem SGB II nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen.
Nach dieser Vorschrift sind vom Leistungsbezug lediglich Ausländer ausgenommen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Das Aufenthaltsrecht des Klägers ergibt sich jedoch auch nach § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz EU, falls ein selbstständigen Status vorbesteht.
Nach dieser Vorschrift bleibt das Recht auf Einreise und Aufenthalt des Arbeitnehmers und selbstständig Erwerbstätigen unberührt. Bei vorübergehender Erwerbsminderung in Folge von Krankheit oder in Folge bei unfreiwilliger durch die zuständige Bundesagentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbstständigen Tätigkeit in Folge von Umständen auf die der Selbstständige keinen Einfluss hat, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit.
Unstreitig hat der Kläger mehr als ein Jahr gearbeitet, sodass sein Selbstständigenstatus fortbesteht. Zwar hat das LSG in seiner Entscheidung vom 20.06.2016 L 16 AS 284/16 BER ausgeführt, dass das Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU nur solange fortbesteht, wie die Arbeitnehmereigenschaft fortbesteht. Dies gelte jedoch nur für zwei Jahre. Das LSG schließt dies aus der Entstehungsgesichte des Artikel 7 Abs. 3 Richtlinie 2004/28/EWG. Zur Begründung des Kommissionsentwurfs der Richtlinie war ausgeführt worden, das die wesentlichen Bestimmungen des L 68/360/EWG übernommen wurden. In Artikel 7 Abs. 2 Richtlinie 68/360/EWG konnte die Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis beschränkt werden, nachdem der Arbeitnehmer länger als 12 Monate unfreiwillig arbeitslos war. Die Beschränkung durfte jedoch 12 Monate nicht unterschreiten. Somit blieb bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach EWG Recht das Aufenthaltsrecht für zwei Jahre erhalten.
Das LSG übertragt diese alten Regelungen auf § 2 Abs. 3 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU und schließt daraus, dass die Arbeitnehmereigenschaft für längstens 2 Jahre erhalten bleibt.
Dem kann das erkennende Gericht nicht folgen, denn Artikel 2 Abs. 3, Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz EU enthält eben gerade keine Begrenzung des Arbeitnehmerstatus bzw. Selbstständigenstatus. Eine restriktive Auslegung dergestalt, wie sie vom LSG vorgenommen wird, hält das erkennende Gericht nicht für möglich. Hätte der Gesetzgeber den Arbeitnehmerstatus auf zwei Jahre begrenzen wollen, hätte er dies in § 2 Freizügigkeitsgesetz EU regeln müssen. Eine Anspruchsbegrenzung ohne gesetzliche Grundlage erscheint verfassungswidrig. Möglicherweise wäre es wünschenswert, eine Begrenzung des Arbeitnehmerstatus einzuführen, sie würde sich auch in das Freizügigkeitsgesetz im Hinblick auf § 4 Abs. 1 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz (Daueraufenthaltsrecht) gut einordnen. Eine solche Begrenzung gibt es aber nicht. Das BSG (Urteil vom 13.07.2017 B 4 AS 17/16 R Juris) hat es bislang offengelassen, ob eine Begrenzung des Arbeitnehmerstatus möglich ist. Für Einschränkungen von grundsätzlich bestehenden Ansprüchen bedarf es jedoch einer gesetzlichen Grundlage. Die Begrenzung kann nicht durch Auslegung veralteten EWG-Rechts ermittelt werden.
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte können die angefochteten Bescheide keinen Bestand haben. Die Beklagte war daher zu verurteilen, ab 01.12.2017 bis 30.06.2018 Alg II endgültig zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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