S 49 AS 3368/19 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
49
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 49 AS 3368/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag wird abgelehnt. Der Antragsgegner trägt keine außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Gründe:

I.

Die alleinerziehende Antragstellerin bezieht zusammen mit ihren beiden minderjährigen Kindern als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft von dem Antragsgegner laufend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch [SGB II].

Mit Bescheid vom 22.05.2019 erklärte der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin und ihren Kindern die Aufhebung der Bewilligungen für den Monat August 2018 über insgesamt 1.325,96 EUR, forderte die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft jeweils zur Erstattung ihrer individuellen Rückzahlungsanteile auf (bzgl. der Antragstellerin betrifft dies 766,16 EUR) und erklärte die Aufrechnung mit den laufenden Leistungen der Bedarfsgemeinschaftsmitglieder ab dem 01.07.2019. Der Bescheid, auf dessen Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird, ist der Antragstellerin ausweislich der Postzustellungsurkunde am 24.05.2019 zugestellt worden.

Mit Email vom 21.07.2019 erhob die Antragstellerin unter Bezugnahme auf ein Gespräch vom 15.07.2019 Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.05.2019. Dem Widerspruch fügte die Antragstellerin eine Krankenhausabrechnung über einen stationären Aufenthalt vom 02.05.2019 bis zum 06.05.2019 und ein nicht datiertes ärztliches Attest über einen Bandscheibenvorfall im HWS-Bereich, Schwindel, Kopfschmerzen und epigastrische Schmerzen mit starken gastroindestinalen Beschwerden bei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2019 wies der Antragsgegner den Widerspruch wegen Verfristung als unzulässig zurück. Im Übrigen wird auf die Begründung des Widerspruchsbescheides verwiesen.

Mit auf den 08.07.2019 datiertem Schreiben, das beim SG in D. am 09.08.2019 eingegangen ist, hat die Antragstellerin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung trägt die Antragstellerin vor, sie habe am 21.06.2019 Widerspruch gegen die Aufrechnung vom 22.05.2019 erhoben, welcher bedingt durch ihren stationären Aufenthalt im Mai 2019 erst am 15.07.2019 gelesen worden sei. Insofern "liegt es noch in der 4-Wochen-Frist und hat somit seine Gültigkeit." Sie widerspreche dem Widerspruchsbescheid vom 25.07.2019. Ganz abgesehen davon dass die Aufrechnung gegen Recht und Gesetz verstoße, bedeute sie eine besondere Härte für die Familie und sei von ihr nicht verschuldet. Nach § 43 SGB II dürfe gegenüber Kindern nicht aufgerechnet werden.

Die Antragstellerin beantragt mit Schriftsatz vom 08.07.2019,

den Erstattungsanspruch des Antragsgegners vom 22.05.2019 aufzuheben; Rückerstattung 272,00 EUR für Juli und August; der Schulbedarf ist wie vor da und somit nicht zu erstatten.

Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 15.08.2019,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner ist der Ansicht, dass der Widerspruch unzulässig gewesen sei. Die Aufrechnung nach § 43 SGB II sei zudem rechtmäßig erfolgt. Es sei keine Eilbedürftigkeit gegeben. Der Antragstellerin würden ausreichend Leistungen nach dem SGB II verbleiben um ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Die Antragstellerin hat zum Eilverfahren eine Email vom 28.07.2019 an die Antragsgegnerin eingereicht, nach der diese es unterlassen solle trotz des laufenden Widerspruchsverfahrens Leistungsabzüge vorzunehmen.

Die Antragstellerin hat gegen den Widerspruchsbescheid vom 25.07.2019 am 23.08.2019 zum Aktenzeichen S 49 AS xxxx/19 für sich und ihre dort namentlich benannten Kinder Hauptsacheklage vor dem SG in D. erhoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Leistungsakte des Antragsgegners Bezug genommen. Diese Inhalte sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

II.

Der nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG] bzw. analog § 86b SGG statthafte Eilantrag der Antragstellerin ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.

1. Der schriftsätzlich am 09.08.2019 gestellte Antrag ist analog § 123 SGG im Sinne des Meistbegünstigungsprinzips so auszulegen, dass sich die Antragstellerin inhaltlich gegen die Regelungen des Aufhebungs-, Erstattungs- und Aufrechnungsbescheides vom 22.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2019 wenden möchte. Auch wenn sich § 123 SGG dem Wortlaut nach nur auf Klagen bezieht, sind diese Vorschriften aufgrund der vergleichbaren Interessenlage auf Anträge im Verfahren nach einstweiligem Rechtsschutz übertragbar (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 123 SGG, Rn. 3b).

2. Soweit sich die Antragstellerin sich gegen die Aufhebungsentscheidung vom 22.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2019 wendet ist § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG die statthafte Antragsart für ihr Begehren. Ohne gerichtliche Anordnung ist eine aufschiebende Wirkung der bereits anhängigen Anfechtungsklage S 49 AS 3526/19 nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II nicht gegeben, da die Aufhebungsentscheidung insofern kraft Gesetzes sofortig vollziehbar ist.

Demgegenüber ist § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht statthaft soweit sich die Antragstellerin auch gegen die Erstattungs- und Aufrechnungsentscheidung vom 22.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2019 wendet. Denn weder die Erstattungs- noch die Aufrechnungsentscheidung sind nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II sofortig vollziehbar, so dass der Anfechtungsklage S 49 AS 3526/19 nach § 86a Abs. 1 S. 1 SGG hier aufschiebende Wirkung zukommt (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 12.03.2010 – L 12 B 140/09 AS ER, juris, Rn. 45; Sächsisches LSG, Beschl. v. 31.08.2016 – L 3 AS 633/16 B ER, juris, Rn. 25; Aubel, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 39, Rn. 12 m.w.N., 14 m.w.N.). Sofern die aufschiebende Wirkung nach § 86a Abs. 1 S. 1 SGG nicht beachtet werden sollte – wofür hier insbesondere die vorgelegte Email vom 28.07.2019 spricht -, ist insofern ein Antrag auf gerichtliche Feststellung der aufschiebenden Wirkung analog §§ 86a, 86b SGG statthaft (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, Rn. 15 m.w.N. aus der Rechtsprechung).

Die so verstandenen Eilanträge nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG und §§ 86a, 86b SGG analog können analog § 56 SGG im Wege der objektiven Antragshäufung geltend gemacht werden. Sie sind allerdings nur in Bezug auf die Individualrechte der Antragstellerin selbst zulässig, da diese nur diesbezüglich antragsbefugt ist (§ 54 Abs. 1 S. 2 SGG analog).

Soweit die allein auftretende Antragstellerin scheinbar darüber hinaus auch die Individualrechte ihrer Kinder geltend machen möchte, ist der Eilantrag unzulässig, da sie diesbezüglich nicht analog § 54 Abs. 1 S. 2 SGG antragsbefugt ist (st. Rechtsprechung; vgl. zur Notwendigkeit einer eigenen Beteiligtenstellung jedes Bedarfsgemeinschaftsmitgliedes etwa: BSG, Urt. v. 07.11.2006 – B 7b AS 8/06 R; vgl. auch: BSG, Urt. v. 02.07.2009 – B 14 AS 54/08 R, juris, Rn. 22; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 19.02.2018 – L 19 AS 2278/17 B, juris, Rn. 5; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 09.08.2013 – L 2 AS 1040/13 NZB; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 30.04.2013 – L 6 AS 1170/12 B; Aubel, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 38, Rn. 12 m.w.N.). In diesem Zusammenhang ist es für die Begründung einer eigenen Beteiligtenstellung eines Kindes auch nicht ausreichend, wenn der Elternteil eines minderjährigen Kindes unter Bezugnahme auf die Bedarfsgemeinschaft – wie hier - in eigenem Namen Klage oder Eilantrag erhebt (vgl. Hessisches LSG, Urt. v. 13.11.2015 – L 9 AS 44/15, juris, Rn. 29 m.w.N.). Dass die Kinder der Antragstellerin eindeutig nicht Verfahrensbeteiligte des Eilverfahrens geworden sind, ergibt sich bereits daraus, dass zu keinem Zeitpunkt in der Antragsschrift vom 08.07.2019 von einem der Kinder als Antragsteller gesprochen oder diese auch nur namentlich genannt werden. Insbesondere bei anwaltlich vertretenen Beteiligten kann eine Kenntnis dieser Rechtsprechung und eine eindeutige Benennung der Beteiligten eines Rechtsstreites erwartet werden. Das Gericht verweist in diesem Zusammenhang auf folgende Ausführungen:

"Vorliegend hat die Bevollmächtigte der Klägerin jedoch Klage - und auch Berufung - ausdrücklich nur im Namen der Klägerin erhoben und nicht für jedes einzelne Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Eine Auslegung des Klageschriftsatzes nach dem so genannten "Meistbegünstigungsprinzip" scheidet vor dem Hintergrund der Entscheidung des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - aus. In diesem Fall hatte das BSG eine Übergangszeit bis 30.06.2007 bestimmt, wonach Klageanträge wegen der besonderen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten und daraus resultierenden Zweifel in Erweiterung der üblichen Auslegungskriterien danach zu beurteilen waren, in welcher Weise die an einer Bedarfsgemeinschaft beteiligten Personen die Klage hätten erheben müssen, um die für die Bedarfsgemeinschaft insgesamt gewünschten höheren Leistungen zu erhalten. Diese Übergangszeit ist lange abgelaufen, so dass die Bevollmächtigte der Klägerin, wenn sie denn Leistungen für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft begehrt hätte, einen entsprechenden Antrag hätte stellen müssen." (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 19.02.2018 – L 19 AS 2278/17 B, juris, Rn. 5)

Die entsprechenden Ausführungen gelten allerdings sinngemäß auch für unvertretene Kläger bzw. Antragsteller, sofern - wie hier - im jeweiligen Einzelfall auch nach verständiger Auslegung der Klage- / Antragsschrift keine Anhaltspunkte für die Begründung einer eigenen Beteiligtenstellung objektiv erkennbar sind. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Hauptsacheklage S 49 AS xxxx/19 auch im Namen der Kinder erhoben worden ist und der Antragstellerin die Notwendigkeit einer eigenen Beteiligtenstellung der Kinder scheinbar geläufig gewesen ist, die vorliegend versäumt worden ist.

3. Der Antrag der Antragstellerin auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung gem. § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG ist unbegründet, da das Gericht im Rahmen seiner eigenen Interessenabwägung nicht zum Vorrang des Aussetzungsinteresses gegenüber dem Vollzugsinteresses des Aufhebungsbescheides kommt.

Die Erfolgsaussicht des Antrags nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG beurteilt sich nach dem Ergebnis einer Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse der Antragsteller an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung und dem Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung. Hierbei sind neben einer allgemeinen Abwägung der Folgen bei Gewährung bzw. Nichtgewährung des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfes in der Hauptsache von Bedeutung (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b SGG, Rn. 12c ff.). Dabei kann nicht außer Acht gelassen werden, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides grundsätzlichen Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 23.03.2011 – L 11 KA 97/10 B ER; Beschl. v. 26.07.2006 – L 20 B 144/06 AS ER). Eine Abweichung von diesem Regel-/Ausnahmeverhältnis durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs kommt daher nur in Betracht, wenn – etwa wegen offenbarer Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids oder bei unklaren Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (Widerspruch oder Klage) als Ergebnis einer allgemeinen Interessenabwägung – ausnahmsweise das private Interesse der durch den Bescheid belasteten Person überwiegt (vgl. z.B. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b SGG, Rn. 12c ff.). Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und der Betroffene durch ihn in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird deshalb die aufschiebende Wirkung angeordnet, weil dann ein öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht besteht. Bei offenbarer Rechtswidrigkeit ist für eine Entscheidung zugunsten des Antragstellers, anders als bei Entscheidungen nach § 86b Abs. 2 SGG, auch keine weitergehende besondere Eilbedürftigkeit erforderlich (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, Rn. 12f m.w.N.). Ist der Hauptsacherechtsbehelf hingegen aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht abschätzbar, ist eine allgemeine Interessenabwägung durchzuführen.

Nach diesen Maßstäben war die aufschiebende Wirkung nicht anzuordnen. Die Aufhebungsentscheidung vom 22.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2019 ist nicht offensichtlich rechtswidrig. Vielmehr erscheint gegenwärtig nach summarischer Prüfung ausgeschlossen, dass der Hauptsacherechtsbehelf S 49 AS xxxx/19 erfolgreich sein wird, da der Antragsgegner den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.05.2019 zu Recht wegen Verfristung nach § 84 SGG als unzulässig zurückgewiesen hat.

Zwar ist umstritten, welche Klageart statthaft ist, wenn die Behörde einen Widerspruch zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen hat (einerseits: SG Duisburg, Urt. v. 26.04.2018 – S 49 AS 857/17, juris, Rn. 24 ff. m.w.N.; andererseits: SG München, Urt. v. 28.06.2019 – S 46 AS 1966/18, juris, Rn. 15 ff.). Einigkeit besteht jedoch in der Frage, dass eine Klage gegen einen Widerspruchsbescheid keinen Erfolg haben kann, mit dem der Widerspruch zu Recht durch die Behörde als unzulässig zurückgewiesen worden ist. Dies ist hier der Fall.

Der Ausgangsbescheid vom 22.05.2019 ist der Antragstellerin ausweislich der Postzustellungsurkunde am 24.05.2019 zugestellt worden. Da der Bescheid über eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung verfügte, begann die einmonatige Widerspruchsfrist (§ 84 Abs. 1 S. 1 SGG) mit dem Tag nach der Zustellung – dem 25.05.2019 - zu laufen und ist am 24.06.2019 um 24 Uhr abgelaufen. Die Widerspruchserhebung mit Email vom 21.07.2019 erfolgte erst deutlich nach Ablauf der Widerspruchsfrist und damit verspätet. Dass die Antragstellerin geltend macht, sie habe den Bescheid erst am 15.07.2019 gelesen, ist unerheblich. Denn mit der hier bewirkten Ersatzzustellung nach § 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 3 Abs. 2 Verwaltungszustellungsgesetz [VwZG], § 180 Zivilprozessordnung [ZPO] gilt der Ausgangsbescheid gemäß § 180 S. 2 SGG kraft Gesetzes unabhängig davon bereits als zugestellt, ob bzw. zu welchem Zeitpunkt der Adressat tatsächlich Kenntnis von dem Inhalt des zugestellten Bescheides erlangt (vgl. BSG, Urt. v. 27.05.2008 – B 2 U 5/07 R, juris, Rn. 11 – "Für die Zustellung mittels Postzustellungsurkunde verweist § 3 Abs 3 VwZG (in der bis zum 31. Januar 2006 in Kraft gewesenen, hier noch maßgebenden Fassung) auf die §§ 177 bis 181 der Zivilprozessordnung (ZPO). Danach kann, wenn in der Kanzlei (dem "Geschäftsraum") des bevollmächtigten Rechtsanwalts niemand angetroffen wird, die Zustellung durch Einlegen in den Briefkasten bewirkt werden (§ 180 Abs 1 ZPO). Dass die Voraussetzungen für eine solche Ersatzzustellung vorgelegen haben, ist durch die Zustellungsurkunde gemäß § 182 Abs 1 Satz 2, § 418 Abs 1 ZPO bewiesen. Ein Gegenbeweis iS des § 418 Abs 2 ZPO wurde nicht geführt. Nach § 180 Satz 2 ZPO wird mit der Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten die Zustellung fingiert. Das bedeutet, dass es für die Wirksamkeit der Zustellung nicht darauf ankommt, ob und wann der Betroffene von dem zugestellten Schriftstück tatsächlich Kenntnis erlangt [ ]."; Senger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 63 SGG, Rn. 10, 31, 40, 50 f. m.w.N.).

Sofern die Antragstellerin vorträgt, dass ihres stationären Aufenthaltes im Mai 2019 den Bescheid nicht eher gelesen habe, rechtfertigte dieser Umstand nicht die Annahme einer Wiedereinsetzung von Amts wegen nach § 67 SGG in die versäumte Widerspruchsfrist (vgl. zur Anwendbarkeit des § 67 SGG auf Widerspruchfristen: Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 27 SGB X, Rn. 12). Denn unabhängig davon, ob bei der Widerspruchserhebung allein durch die Übersendung der Krankenhausabrechnung bei Widerspruchserhebung unverzüglich eine ausreichende Glaubhaftmachung der Hinderungsgründe i.S.d. § 67 Abs. 2 SGG erfolgt ist, stellt der stationäre Krankenhausaufenthalt vom 02.05.2019 bis zum 06.05.2019 offensichtlich keinen Grund dafür dar, warum die Antragstellerin deshalb später im Mai 2019 ab dem 24.05.2019 gehindert gewesen wäre die Widerspruchsfrist einzuhalten. Gleiches gilt für attestierten Erkrankungen insbesondere in Form von Bandscheibenvorfall im HWS-Bereich, Schwindel, Kopfschmerzen und epigastrische Schmerzen. Es ist nicht erkennbar, dass die Antragstellerin hierdurch krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen wäre, innerhalb der Widerspruchsfrist zumindest einen Einzeiler bzgl. der Anfechtung des Bescheides vom 22.05.2019 abzufassen. Der Antragsgegner musste vorliegend bei der Widerspruchserhebung am 21.07.2019 von Amts wegen keine Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist gewähren.

Auf den Umstand, dass auch die Widerspruchserhebung per Email unzulässig war und der Widerspruch ebenfalls aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen war (LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 28.09.2010 – L 18 AL 76/10, juris, Rn. 18; Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 84 SGG, Rn. 3 m.w.N.; Gall, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 84 SGG, Rn. 14 m.w.N.), kommt es daher nicht mehr an.

4. Der Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung analog §§ 86a, 86b SGG ist ebenfalls unbegründet.

Der Feststellungsantrag analog §§ 86a, 86b SGG ist begründet, soweit einem Rechtsbehelf i.S.d. § 86a Abs. 1 S. 1 SGG aufschiebende Wirkung zukommt. Eine weitere Interessenabwägung findet nicht statt (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, Rn. 15). Eine aufschiebende Wirkung kommt nach § 86a Abs. 1 S. 1 SGG jedem (Anfechtungs-) Widerspruch und jeder Anfechtungsklage gegen einen Bescheid zu, dessen sofortige Vollziehbarkeit nicht ausnahmsweise nach § 86a Abs. 2 SGG angeordnet ist. Ob der Rechtsbehelf seinerseits erfolgsversprechend ist, ist hierfür unerheblich, so dass grundsätzlich auch ein unzulässiger oder unbegründeter Rechtsbehelf eine aufschiebende Wirkung entfaltet (Aubel, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 39, Rn. 7; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG 12. Auflage 2017, § 86a SGG, Rn. 10 m.w.N.). Nur wenn der Rechtsbehelf offensichtlich unzulässig ist oder ein Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist, wird nach überwiegender Ansicht keine aufschiebende Wirkung begründet (Wehrhahn, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 86a, Rn. 6 f.; Aubel, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 39, Rn. 7; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 86a SGG, Rn. 10 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall kommt den Erstattungs- und Aufrechnungsentscheidungen vom 22.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2019 mangels Anwendbarkeit des § 39 SGB II (s.o.) keine sofortige Vollziehbarkeit i.S.d. § 86a Abs. 2 SGG zu.

Der hiergegen zum Aktenzeichen S 49 AS xxxx/19 erhobenen Anfechtungsklage kommt dennoch keine aufschiebende Wirkung i.S.d. § 86a Abs. 1 S. 1 SGG zu. Zwar ist die statthafte isolierte Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid vom 25.07.2019 am 23.08.2019 fristgerecht (§ 87 SGG) erhoben worden und erscheint auch im Übrigen nicht offensichtlich unzulässig. Nach Ansicht des Gerichtes steht der offensichtlichen Unzulässigkeit einer Klage jedoch der - hier vorliegende - Fall gleich, dass bereits der vorherige Widerspruch offensichtlich unzulässig erhoben worden ist, die Behörde den Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen hat und die dagegen erhobene Klage insofern keinerlei Erfolgsaussichten mehr aufweist. Denn in diesen Fällen hat der offensichtlich unzulässige Widerspruch bereits während der Anhängigkeit des Widerspruchsverfahrens keine aufschiebende Wirkung nach § 86a Abs. 1 S. 1 SGG entfaltet. Es würde daher nicht einleuchten, warum dann – nach gesetzeskonformer - Zurückweisung des Widerspruchs durch einen das Widerspruchsverfahren abschließenden Widerspruchsbescheid plötzlich später noch ein Suspensiveffekt durch eine Klage erstmalig eröffnet werden sollte, die zwar zulässig ist aber in der Sache keinen Erfolg haben kann. Es wäre insbesondere nicht nachvollziehbar, warum derjenige, der zumindest noch die Widerspruchsfrist eingehalten hatte aber später die Klage offensichtlich verfristet erhebt (offensichtliche Unzulässigkeit), im Hinblick auf den (Nicht-) Eintritt der aufschiebenden Wirkung nach § 86a Abs. 1 S. 1 SGG schlechter stehen sollte, als derjenige, der sogar bereits seinen Widerspruch offensichtlich verfristet erhoben hat, dann aber für seine inhaltlich aussichtslose Klage später die Klagefrist beachtet. Für die hier vertretene Ansicht spricht auch der Umstand, dass allgemein auch der offensichtliche Eintritt der Bestandskraft eines Verwaltungsaktes als Ausschlussgrund für den Eintritt der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfes nach § 86a Abs. 1 S. 1 SGG angesehen wird (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 86a SGG, Rn. 10 m.w.N.). Eine derartige Bestandskraft des Bescheides ist bei einem wegen offensichtlicher Verfristung unzulässigen Widerspruch bereits vor Einleitung des Widerspruchsverfahrens eingetreten (unabhängig von der Möglichkeit einer späteren Wiedereinsetzung nach § 67 SGG; vgl. hierzu: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 86a SGG, Rn. 10 m.w.N.). Insofern ist kein Grund ersichtlich, warum dann einer späteren Klage gegen den bestandskräftigen Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides nachträglich noch eine aufschiebende Wirkung i.S.d. § 86a Abs. 1 S. 1 SGG zukommen sollte.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Rechtskraft
Aus
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