L 6 SB 1028/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SB 3064/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 1028/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Grad der Behinderung (GdB) des Klägers streitig.

Der am xx. xx 1961 geborene Kläger, türkischer Staatsangehöriger, ist im Landkreis H. wohnhaft und beantragte erstmals am 17. Juni 2015 beim dortigen Landratsamt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft. Bei ihm bestehe eine Osteoporose, Rückenbeschwerden aufgrund von Lendenwirbelkörper(LWK)-Frakturen, einer Fehlstellung der Lendenwirbelsäule (LWS), Halswirbelsäulen(HWS)-Beschwerden, Brustwirbelsäulen(BWS)-Beschwerden, ein mit Metformin behandelter Diabetes mellitus Typ II, eine arterielle Hypertonie, ein Zustand nach Koronarangiographie, eine Koprostase, Gelenkbeschwerden (Ellenbogen) und eine Handschwäche. Seine Finger schliefen ein und in seinem rechten Fuß befinde sich nach einem Arbeitsunfall eine Platte. Hierzu legte er verschiedene Behandlungs- und Befundberichte vor. Nach einem Bericht des Leitenden Arztes P., Klinikum H., vom 20. Juni 2014 stellte sich der Kläger mit rechtsseitigen Unterbauchschmerzen, seit drei Tagen ohne Stuhlgang, vor. Es sei die Diagnose einer Koprostase gestellt worden. Der Blutdruck wurde mit 187/112 mmHg gemessen. Nach einem Bericht des Prof. Dr. G., H. – Klinik für Wirbelsäulentherapie, vom 28. April 2015 sei eine Spinalkanalstenose L3/L4 und ein Bandscheibenvorfall, eine Kyphose bei alter LWK1-Fraktur mit Spinalkanalstenose L1/L2, Osteoporose, ein Zustand nach Nukleotomie C7/Th1 links im Mai 2014, ein Diabetes mellitus Typ II, eine arterielle Hypertonie und ein Zustand nach Koronarangiographie mit Ausschluss einer koronaren Herzkrankheit im Dezember 2012 zu diagnostizieren. Der Kläger berichte unverändert Beschwerden im Bereich des thorakolumbalen Übergangs sowie eine Schmerzausstrahlung in beide Beine verbunden mit Kribbeln bei Belastung. Die Gehstrecke sei deutlich reduziert. In einem MRT (Magnetresonanztomographie) der LWS aus dem Februar 2015 zeige sich eine hochgradige Spinalkanalstenose L3/L4 und bei L1/L2 mit massiver Einengung des Spinalkanals sowie die alte Fraktur LWK1 mit Kyphosebildung und eine mäßiggradige Einengung bei L2/L3 mit relativer Spinalkanalstenose. Es sei am 21. April 2015 mikrochirurgisch eine erweiterte interlaminäre Fensterung L3/L4 rechts mit Dekompression, Sequestrektomie und Nukleotomie erfolgt. Bezüglich der Kyphosedeformität sei ein weiterer operativer Eingriff vereinbart worden. Mit einem weiteren Ambulanzbrief vom 18. September 2014 berichtete Prof. G. u.a., dass nach einer Koprostase vor einigen Monaten aktuell keine Beschwerden bestünden.

Mit Bescheid vom 5. August 2015 stellte der Beklagte beim Kläger einen GdB von 30 seit dem 17. Juni 2015 fest. Die vorliegende Behinderung habe zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt. Der GdB-Bewertung lagen als Funktionsbeeinträchtigung ein operierter Bandscheibenschaden, Wirbelsäulenverformung, ein mit Verformung verheilter Wirbelbruch, eine Spinalkanalstenose, eine Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose) und eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule zugrunde. Der Bluthochdruck, die Darmverstopfung und die koronare Herzkrankheit bedingten keinen Einzel-GdB von wenigstens 10. Gelenkbeschwerden und ein Diabetes mellitus seien nicht nachgewiesen.

Gegen diese Entscheidung legte der Kläger am 19. August 2015 Widerspruch ein. Er habe sich einer umfassenden Wirbelsäulenoperation unterzogen, welche jedoch nicht die Schmerzsymptomatik verbessert habe. Hierbei habe sich eine tiefgreifende Wundinfektion ergeben, die auch bis dato nicht ausgeheilt sei. Ergänzend legte der Kläger erneut ärztliche Berichte und ein Attest seines Hausarztes Dr. F. vor. Nach diesem Attest vom 14. August 2015 leide der Kläger an einem chronischen Bandscheibenschaden und einem Zustand nach OP. Außerdem bestehe ein Diabetes mellitus, Hypertonie und eine Osteoporose. In einem Entlassungsbericht über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 2. Juli bis 11. August 2015 berichtete Prof. G., es seien die Diagnosen einer tiefen Wundinfektion bei Zustand nach dorsaler Spondylodese Th 11 auf L2 mit Dekompression L1/L2 und Wirbelkörperersatz LWK1 am 12. Juni 2015 bei kyphotischer Fehlhaltung infolge einer alten LWK1-Fraktur mit konsekutiver Spinalkanalstenose L1/L2, ein Zustand nach Spinalkanalstenose L3/L4 und Bandscheibenvorfall mit mikrochirurgisch erweiterter interlaminärer Fensterung L3/L4 rechts, Dekompression, Sequestrektomie und Nukleotomie vom 21. April 2015 und ein Zustand nach Nukleotomie C7/Th1 links im Mai 2014 zu diagnostizieren. Nebendiagnostisch bestehe eine arterielle Hypertonie, eine Refluxösophagitis, eine Osteoporose, ein Diabetes mellitus Typ II, ein Zustand nach Koronarangiographie mit Ausschluss einer koronaren Herzkrankheit und eine Pflasterunverträglichkeit. Nach Revisionseingriffen habe die Infektsituation gut beherrscht werden können, sodass am 31. Juli 2015 die Wunde sekundär verschlossen worden sei. Inzwischen mobilisiere sich der Kläger selbstständig, inklusive Treppe. Ein sensomotorisches Defizit sei nicht neu aufgetreten. Die Medikation bestehe aus Clindamycin 600, HCT 25, Beloc-zok mite 47,5, Ramipril, Pantozol 20, Novalgin 500, Metformin 1000, Tillidin 50/4 und Movikolbeuteln. (Bericht vom 11. August 2015).

Nach einer Stellungnahme des Versorgungsarztes Dr. Z. vom 9. September 2015, nach welcher das Wirbelsäulenleiden mittelgradige funktionelle Auswirkungen bedinge, die Wundinfektion behandelbar und damit akut sein dürfte, der Blutdruck ohne Organschaden bestehe und der Diabetes mellitus mit Metformin eingestellt sei, wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2015 zurück. Die Funktionsbeeinträchtigungen seien mit einem GdB von 30 angemessen bewertet. Es bestehe ein Wirbelsäulenleiden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen. Dies schließe häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen und ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome mit ein. Der Diabetes sei mit Metformin eingestellt und dies bedinge keinen Teil-GdB.

Hierauf hat der Kläger am 9. Oktober 2015 Klage beim Sozialgericht Ulm erhoben. Aufgrund seines Beschwerdebilds sei angesichts nicht mehr bestehender Arbeitsfähigkeit und nicht gebesserter Schmerzsymptomatik von einem GdB von mindestens 60 auszugehen. Ergänzend legt er erneut medizinische Berichte bei. Nach einem vorläufigen Entlassungsbrief des Dr. E., Universitäts- und Rehabilitationskliniken U. (Zentrum für Integrierte Rehabilitation), vom 8. Oktober 2015 bestünden massive Funktionseinschränkungen und allgemeine Schwäche nach mehrfachen Wirbelsäulenoperationen sowie eine anhaltende Belastungsreaktion. Der stationäre Aufenthalt habe vom 14. September bis zum 12. Oktober 2015 gedauert. Nach dem diesbezüglichen ärztlichen Entlassungsbericht, welchen der Kläger mit den Seiten 2.1 bis 2.5 vorgelegt hat, berichte der Kläger nach den Operationen noch über eine deutlich schmerzhafte Funktionseinschränkung der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule. Die Kraft in beiden Beinen sei schmerzbedingt leicht eingeschränkt. Er berichte eine Hypästhesie an der Handkante links, ansonsten nur teils Kribbelparästhesien im Bereich beider Beine. Bei der klinischen Abschlussuntersuchung habe der Kläger ein hinkfreies Gangbild mit leichter Rumpfseitneige nach rechts gezeigt. Er sei insgesamt motorisch unruhig, könne nicht lange sitzen. Über der BWS und LWS bestehe eine unauffällige Narbe, lokal leichte Druckschmerzhaftigkeit und keine Entzündungszeichen. Rumpfbewegungen seien nur sehr eingeschränkt schmerzfrei möglich. Die Inklination sei bis 20°, die Reklination bis 10° und die Links-Rechts-Seitneige bis 20-0-20° durchführbar, die Rotation sei nicht geprüft. Anamnestisch bestehe weiterhin eine Hypästhesie rechts lateralseitig sowie Dysästhesien im Bereich der Fußsohle linksseitig. Der Einbeinstand sei beidseits unsicher, die tiefe Hocke nicht vollständig möglich. Der Kläger habe sich im Vergleich zur Aufnahme deutlich stabilisiert. Er sei jedoch weiterhin sehr eingeschränkt körperlich belastbar. Er sei im Alltag selbstständig, habe eine Kräftigung des Rumpfes erreicht und könne mit Pausen einige hundert Meter gehen. Eine wesentliche Schmerzlinderung habe bisher nicht erreicht werden können. Der Blutdruck wurde mit 140/80 mmHg gemessen. Ausweislich eines Radiologieberichts des Dr. K. vom 17. Februar 2016 bestehe ein Zustand nach zwischenzeitlicher dorsaler Spondylodese BWK11/12 auf LWK1/2 und Implantation eines Cages im Bandscheibenfach BWK12/LWK1 bei vorbestehender LWK1-Sinterungs-/Impressionsfraktur, eine mäßige Kranialisierung der Petikelschraube BWK11 links mit mäßigem Lockerungssaum, ein Zustand nach zwischenzeitlicher Spinalkanalstenosen-OP LWK1/2 mit leichteren Restrezessusengen, unverändert eine mäßige bis mittelgradige Spinalkanalstenose LW2/3 bei Bandscheibenprotrusion, Retrospondylose und hypertropher Spondylarthrose, ein Zustand nach zwischenzeitlicher Operation einer vormals hochgradigen Spinalkanalstenose LWK3/4 mit aktuell mäßiger Restspinalkanalstenose und eine mäßige Spinalkanalstenose LWK4/5 und diskrete Spinalkanalstenose LWK5/SWK1. Nach einem Bericht des Prof. Dr. S. der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums U. vom 29. Dezember 2015 sei beim Kläger u.a. eine leichte depressive Episode zu diagnostizieren. Subjektiv äußere er deutliche Konzentrationsstörungen und Aufmerksamkeitsdefizite, welche im Gespräch nicht objektivierbar gewesen seien. Es bestehe eine diskret depressive Stimmung (5 von 10 auf der visuellen Analogskala). Aufgrund der psychopathologischen Symptomatik, die einer leichten depressiven Episode entspreche, und den ausgeprägten Schmerzen sei eine antidepressive Behandlung mit Cymbalta besprochen worden. Nach einem Bericht des Prof. Dr. K. der Klinik für Neurochirurgie des Bundeswehrkrankenhauses U. vom 30. August 2016 bestehe ein thorakales und lumbales Schmerzsyndrom mit Wurzelreizsyndrom L5 und S1 rechts. Die Stand- und Halteprüfungen würden sicher, jedoch schmerzbedingt eingeschränkt durchgeführt. Die Koordinationsprüfungen seien unauffällig. Es bestünden keine motorischen Defizite. Der Patient beschreibe eine Hypästhesie am lateralen Oberschenkel rechts sowie eine starke Allodynie im Bereich der Narben. Aktuell werde ein Mischbild aus tiefsitzender, thorakolumbaler Schmerzsymptomatik sowie einer Wurzelreizung L5 und S1 rechts gesehen. Allenfalls bestehe eine relative Indikation zum Wechsel der gelockerten Schrauben. Der Kläger werde jedoch auch in Anbetracht der psychosozialen Komponente von einer weiteren Operation nicht deutlich profitieren.

Das SG hat durch Befragung der behandelnden Ärzte Dr. F. und Dr. S. als sachverständige Zeugen sowie durch Einholung eines Gutachtens auf Antrag des Klägers bei Dr. S. Beweis erhoben. Der Allgemeinmediziner Dr. F. hat mit Schreiben vom 27. November 2015 mitgeteilt, den Kläger zuletzt am 14. August 2015 behandelt zu haben, der Blutdruck habe bei RR 165/100 mmHg gelegen. Er beurteile die Gesundheitsstörungen als schwer, die genauen Richtlinien hierfür seien ihm nicht bekannt. Im Übrigen hat sich Dr. F. auf beigefügte Behandlungs- und Befundberichte, insbesondere den Entlassungsbericht des Dr. E. vom 15. Oktober 2015 bezogen. Der Orthopäde Dr. S. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 15. Dezember 2015 mitgeteilt, bei der klinischen Untersuchung bestehe ein Beckengeradestand, der Schober lumbales betrage 10 zu 13 cm, der Finger-Boden-Abstand 40 cm. Der Lasèque sei negativ. Beide Hüften seien gut beweglich, die Reflexe auslösbar, der Langsitz möglich. Es bestehe ein Belastungsschmerz. Der Schweregrad der einzelnen Behinderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule sei als mittelschwer einzustufen. Der Gesundheitszustand des Klägers sei seit 2015 unverändert.

In seinem Gutachten vom 31. März 2017 hat Dr. S. dann im orthopädischen Befund ausgeführt, der Kläger zeige ein unauffälliges Gangbild. Es bestehe eine druckschmerzhafte Protuberanzia occipitalis (eine Knochenvorwölbung am Hinterhauptbein) und keine Nervenaustrittsirritation. Die Dorsalextension und Rotation der Halswirbelsäule sei um 5° bewegungseingeschränkt, ebenso die Seitdrehung. Der Kinn-Brustbein-Abstand betrage 14 zu 6 cm. An der Brustwirbelsäule bestehe eine seitengleiche Schulterkulisse und eine gering verstärkte Brustkyphose. Es liege kein Druckschmerz vor. Der Ottindex betrage 30/33 cm. An der Lendenwirbelsäule bestehe eine reizfreie Narbe nach dorsaler Spondylodese Th11 bis L2. Der Schober lumbalis betrage 10/12 cm, der Finger-Boden-Abstand 80 cm, der Lasegue sei negativ. Die Hüften seien gut beweglich, die Reflexe auslösbar. Der Langsitz sei nicht möglich. Es bestünden Parästhesien beider Oberschenkelaußenseiten und Schmerzen in beiden Waden, ein Belastungsschmerz bei längerem Stehen und eine schmerzhafte Schwäche des rechten Unterschenkels. An den oberen Extremitäten sei im Bereich beider Schultern eine freie Innen- und Außenrotation, keine Ansatztendopathie sowie keine muskuläre Atrophie nachweisbar. An den unteren Extremitäten sei keine Muskelatrophie nachweisbar. Es bestehe ein regelrechter Reflexstatus und die Beschwielung beider Fußsohlen sei seitengleich ausgebildet. Es beständen Parästhesien im Bereich beider Unterschenkel sowie im Bereich beider Oberschenkelaußenseiten. Durch die LWK1-Fraktur komme es zum Deformieren des Wirbelkörpers, auch zur Schädigung des Bandapparates, zur Subluxation der Gelenkfortsätze. Durch diese Veränderungen der Wirbelsäulenkompartemente verlören die Wirbelgelenke ihren physiologischen Partnerbezug und entwickelten schmerzhafte Spondylarthrosen. Diese Lockerung des ligamentären Bandapparats führe durch die asymmetrische Dauerbelastung zu Reizzuständen durch die veränderte Gelenkanatomie. Schmerzen würden durch die ungünstigen funktionellen Verhältnisse und damit verbundenen nervalen Irritationen der kleinen Wirbelgelenke ausgelöst. Weiter bestehe beim Kläger ein Zustand nach cervicaler Bandscheibenoperation C7/Th1 sowie nach Zustand Spondylodese Th11/L2 mit mehrfachen postoperativen Infekteingriffen und weiterhin bestehenden Spinalkanalstenosen, die – bedingt durch ein Zusammenspiel aus Bandscheibenprotrusion, Spondylose, Spondylarthrose, postinfektiöser Narbenbildung und Versteifung – zu Schädigungen der Nervenwurzel führten, die sich durch Schonhaltung, Bewegungseinschränkung, Parästhesien beider Beine und Stressinkontinenz äußerten. Darüber hinaus habe sich durch die mehrfachen operativen Eingriffe ein chronisches Schmerzsyndrom entwickelt. Der Kläger berichte über belastungsabhängige Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule, die ständig und wetterabhängig seien, über eine Bewegungseinschränkung, Stressinkontinenz und ausstrahlende Schmerzen in beide Beine. Er könne 200 m mit Gehstöcken gehen, dann müsse er sich setzen und darauf achten, dass ein örtlich naher Toilettenbesuch möglich sei. Die einzelnen Funktionsstörungen seien nicht trennbar, vielmehr seien diese Begleitsymptome Mischbilder, die sich überlagerten. Die beim Kläger nachweisbaren Funktionseinschränkungen seien als sehr schwer einzustufen. Durch die postoperativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule und damit verbundene Schmerzsymptomatik, Bewegungseinschränkung, Stressinkontinenz und Peronaeusschwäche des rechten Beines mit Parästhesien beider Oberschenkel sei ein Teil-GdB von 50 einzustufen. Der Grad der Behinderung für die chronische Schmerzkrankheit mit Komorbiditäten sei mit einem Teil-GdB von 40 zu bewerten. Unter Einbeziehung aller Behinderungen, der diabetischen Stoffwechsellage, Hypertonie, Schwindel, Schlafstörungen, Depressionen und Reizblasensyndrom sei insgesamt ein GdB von 60 als adäquat festzusetzen.

Nach Ablehnung eines Vergleichsangebots des Beklagten hinsichtlich der Feststellung eines GdB von 40 ab dem 17. Juni 2015 beim Kläger, hat das SG mit Urteil vom 11. Dezember 2017 – dem Kläger zugestellt am 29. Januar 2018 – die Beklagte zur Feststellung eines GdB von 40 ab dem 17. Juni 2015 und zur Erstattung eines Viertels der außergerichtlichen Kosten des Klägers verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Führend seien die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule. Im Rahmen der Begutachtung sei beim Kläger keine wesentliche Beeinträchtigung der Brustwirbelsäule festzustellen gewesen. Es bestehe ein Wirbelsäulenschaden mit schweren funktionellen Auswirkungen im Bereich der Lendenwirbelsäule. Zusammen mit den leichteren funktionellen Auswirkungen im Bereich der Halswirbelsäule (leichtgradige Bewegungseinschränkungen) seien die Wirbelsäulenbeschwerden mit einem Teil-GdB von 30 angemessen bewertet. Bei zusätzlicher Berücksichtigung des chronischen Schmerzsyndroms sei der GdB auf 40 zu erhöhen. Weitere Behinderungen, die einen Teil-GdB von mindestens 10 bedingten, lägen nicht vor. Mit Blick auf die psychiatrische Erkrankung (Depressionen) sei keine fachspezifische Behandlung dokumentiert, der Kläger habe diesbezüglich auch keinen behandelnden Fach-Arzt angegeben. Der medikamentös mit Metformin behandelte Diabetes mellitus rechtfertige keinen weiteren Teil-GdB von mindestens 10.

Hierauf hat der Kläger am 27. Februar 2018 beim SG Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe 2004 einen Unfall erlitten und dabei sei sein rechtes Auge beschädigt worden. Er habe dort nur eine eingeschränkte Sehschärfe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 11. Dezember 2017 wird aufgehoben und der Bescheid des Beklagten vom 5. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. September 2015 wird teilweise aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, ab dem 17. Juni 2015 einen GdB von 60 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat beim Augenallianz-Zentrum H. über die behandelnde Ärztin P. einen Bericht über Visusprüfungen des Klägers beigezogen. Nach diesem Bericht vom 18. Oktober 2018 habe der Visus am 11. April 2017 mit Korrektur am rechten Auge 1,0 und am linken Auge 0,8 betragen, ohne Korrektur am rechten Auge 0,4 und am linken Auge 0,8. Zuletzt habe der Visus am 2. Oktober 2018 mit eigener Brille am rechten Auge 0,8 und am linken Auge 1,0 betragen.

Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 11. Dezember 2018 darauf hingewiesen, dass er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Daher sei beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen. Die Beteiligten haben hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verfahrensakte des Beklagten und die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet über die Berufung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, weil die Berufsrichter des Senats die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu dieser Verfahrensweise gegeben worden.

Die Berufung ist nach §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG zulassungsbedürftig. Auch hat sie der Kläger nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht erhoben.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, vgl. zur Klageart BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 6/12 R -, juris, Rz. 25 m.w.N.) zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat bis aktuell keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40 seit dem 17. Juni 2015. Daher ist die angefochtene Verwaltungsentscheidung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Die gerichtliche Nachprüfung richtet sich, bezogen auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, in Fällen einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz bzw. bei Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung zum Zeitpunkt der Entscheidung (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 54 Rz. 34).

Der Anspruch des Klägers richtet sich nach § 152 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der aktuellen, seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch Art. 1 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234). Nach § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (Satz 1). Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (Satz 2). Menschen sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX).

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Solange diese Rechtsverordnung nicht erlassen ist, gelten nach der Übergangsregelung in § 241 Abs. 5 SGB IX – wie bisher schon – die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der auf Grund des § 30 Absatz 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend. Hierbei handelt es sich um die zum 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412), die unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG regelt (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteile vom 16. Dezember 2014 - B 9 SB 2/13 R -, SozR 4-3250 § 69 Nr. 18, Rz. 10 m.w.N. und vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (etwa "Altersdiabetes" oder "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R -, juris, Rz. 17 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B -, juris, Rz. 5).

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R -, juris, Rz. 13). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.

In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze und unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen des Klägers ab dem 17. Juni 2015 mit einem GdB von 40 ausreichend bewertet sind.

Die wegen der Gesundheitsstörungen an den Haltungs- und Bewegungsorganen vorliegenden Funktionsbehinderungen bedingen in Bezug auf das Funktionssystem "Rumpf" einen Teil-GdB von 30.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1 wird der GdB für angeborene und erworbene Schäden an den Haltungs- und Bewegungsorganen entscheidend bestimmt durch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen (Bewegungsbehinderung und Minderbelastbarkeit) sowie die Mitbeteiligung anderer Organsysteme. Die üblicherweise auftretenden Beschwerden sind dabei mitberücksichtigt. Außergewöhnliche Schmerzen sind gegebenenfalls zusätzlich zu werten (vgl. VG, Teil A, Nr. 2 j). Schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Gelenke können schwerwiegender als eine Versteifung sein. Bei Haltungsschäden und/oder degenerativen Veränderungen an Gliedmaßengelenken und an der Wirbelsäule (z. B. Arthrose, Osteochondrose) sind auch Gelenkschwellungen, muskuläre Verspannungen, Kontrakturen oder Atrophien zu berücksichtigen. Mit bildgebenden Verfahren festgestellte Veränderungen (z. B. degenerativer Art) allein rechtfertigen noch nicht die Annahme eines GdB. Ebenso kann die Tatsache, dass eine Operation an einer Gliedmaße oder an der Wirbelsäule (z. B. Meniskusoperation, Bandscheibenoperation, Synovialektomie) durchgeführt wurde, für sich allein nicht die Annahme eines GdB begründen. Bei den entzündlich-rheumatischen Krankheiten sind unter Beachtung der Krankheitsentwicklung neben der strukturellen und funktionellen Einbuße die Aktivität mit ihren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand und die Beteiligung weiterer Organe zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt für Kollagenosen und Vaskulitiden. Bei ausgeprägten osteopenischen Krankheiten (z. B. Osteoporose, Osteopenie bei hormonellen Störungen, gastrointestinalen Resorptionsstörungen, Nierenschäden) ist der GdS vor allem von der Funktionsbeeinträchtigung und den Schmerzen abhängig. Eine ausschließlich messtechnisch nachgewiesene Minderung des Knochenmineralgehalts rechtfertigt noch nicht die Annahme eines GdB.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 ergibt sich der GdB bei angeborenen und erworbenen Wirbelsäulenschäden (einschließlich Bandscheibenschäden, Scheuermann-Krankheit, Spondylolisthesis, Spinalkanalstenose und dem so genannten "Postdiskotomiesyndrom") primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Der Begriff Instabilität beinhaltet die abnorme Beweglichkeit zweier Wirbel gegeneinander unter physiologischer Belastung und die daraus resultierenden Weichteilveränderungen und Schmerzen. So genannte "Wirbelsäulensyndrome" (wie Schulter-Arm-Syndrom, Lumbalsyndrom, Ischialgie sowie andere Nerven- und Muskelreizerscheinungen) können bei Instabilität und bei Einengungen des Spinalkanals oder der Zwischenwirbellöcher auftreten. Für die Bewertung von chronisch-rezidivierenden Bandscheibensyndromen sind aussagekräftige anamnestische Daten und klinische Untersuchungsbefunde über einen ausreichend langen Zeitraum von besonderer Bedeutung. Im beschwerdefreien Intervall können die objektiven Untersuchungsbefunde nur gering ausgeprägt sein. Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität haben einen GdB von 0 zur Folge. Gehen diese mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) einher, ist ein GdB von 10 gerechtfertigt. Ein GdB von 20 ist bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) vorgesehen. Liegen schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vor (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ist ein Teil-GdB von 30 angemessen. Ein GdB-Rahmen von 30 bis 40 ist bei mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorgesehen. Besonders schwere Auswirkungen (etwa Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z.B. Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) eröffnen einen GdB-Rahmen von 50 bis 70. Schließlich ist bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB-Rahmen zwischen 80 und 100 vorgesehen. Anhaltende Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression mit motorischen Ausfallerscheinungen - oder auch die intermittierenden Störungen bei der Spinalkanalstenose - sowie Auswirkungen auf die inneren Organe (etwa Atemfunktionsstörungen) sind zusätzlich zu berücksichtigen. Bei außergewöhnlichen Schmerzsyndromen kann auch ohne nachweisbare neurologische Ausfallerscheinungen (z. B. Postdiskotomiesyndrom) ein GdB über 30 in Betracht kommen.

Beim Kläger bestehen vor allem Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule. Aufgrund der dort vorliegenden degenerativen Veränderungen insbesondere in Form von Spinalkanalstenosen bei Bandscheibenprotrusionen, Retrospondylosen und Spondylarthrosen, betont im Bereich LWK2/3 und LWK3/4, und einer Cage-Implantation BWK12/LWK1 ist die Beweglichkeit eingeschränkt. Nach dem Entlassungsbericht des Dr. E. vom 15. Oktober 2015 lag eine Einschränkung der Beweglichkeit in der Inklination (Vorneige) auf 20°, der Reklination (Rückneige) auf 10° und der Links-Rechts-Seitneige auf 20-0-20° vor, die tiefe Hocke ist nicht vollständig möglich. Hinzu kommen Nervenwurzelreizerscheinungen. Sowohl in diesem Bericht, dem Bericht des Prof. G. vom 28. April 2014, dem Bericht des Prof. K. wie auch dem Gutachten des Dr. S. vom 31. März 2017 werden Fehlempfindungen in Form von Kribbelparästhesien jedenfalls im Bereich des rechten Oberschenkels aufgeführt, nach dem Gutachten des Dr. S. sogar im Bereich beider Ober- und Unterschenkel. Nach den dortigen Feststellungen beträgt der Finger-Boden-Abstand 80 cm, der Langsitz ist nicht durchführbar. Dem Gutachten des Dr. S. sind damit gegenüber seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 27. November 2015 erhebliche Verschlechterungen zu entnehmen, wobei zu beachten ist, dass zwischen der Zeugenaussage und dem Gutachten ein Zeitraum von knapp 1,5 Jahren liegt. An der Brustwirbelsäule ist keine relevante Funktionsbeeinträchtigung dokumentiert. Dr. S. hat einen Ott-Index von 30:33 cm festgestellt, was dem normalen Bewegungsausmaß entspricht. Die Halswirbelsäule ist nach einer Spondylodese HWK7/BWK1 in der Bewegungsfähigkeit insgesamt nur gering eingeschränkt. Nach dem Gutachten des Dr. S. beträgt der Kinn-Brustbein-Abstand 14:6 cm (Normalmaß in der Reklination: 16 bis 24 cm, in der Inklination: 0 bis 2 cm), die übrigen Bewegungsmaße sind lediglich um jeweils 5° eingeschränkt. Nervenwurzelreizerscheinungen sind weder im Bereich der Brust- noch der Halswirbelsäule dokumentiert. Das von Dr. S. und Prof. K. festgestellte Schmerzsyndrom, welches sich insbesondere in schmerzbedingten Bewegungseinschränkungen und in die Beine ausstrahlenden Schmerzen äußert, ist aufgrund seiner Verortung im lumbalen und thorakolumbalen Bereich im Rahmen der Bewertung der Funktionsbeeinträchtigungen an der Wirbelsäule mit zu berücksichtigen. Zur Schmerzbehandlung erfolgt die Einnahme von Novalgin und Tilidin. Die Osteoporose, welche beim Kläger messtechnisch feststellbar ist, bringt jedoch noch keine eigenständig zu berücksichtigender Funktionsbeeinträchtigung mit sich.

Damit bestehen beim Kläger mittel- bis eher schwergradige funktionelle Auswirkungen der Schäden an der Lendenwirbelsäule, sowie leichtgradige funktionelle Auswirkungen im Bereich der Halswirbelsäule. Unter Berücksichtigung der Auswirkungen des Schmerzsyndroms ist ein Teil-GdB von 30 gerechtfertigt. Eine Situation, welche etwa dem Bestehen schwergradiger funktioneller Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden in zwei Wirbelsäulen gleichgesetzt werden könnte, besteht nicht. Der Bewertung des Dr. S., welcher für die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule einen Teil-GdB von 50 und zusätzlich einen Teil-GdB von 40 für das Schmerzsyndrom angesetzt hat, kann nicht gefolgt werden. Zum einen geht die Bewertung deutlich über die Maßgaben der VG hinaus, welche etwa erst ab besonders schweren Auswirkungen wie der Versteifung großer Teile der Wirbelsäule oder der anhaltenden Ruhigstellung der Wirbelsäule durch eine drei Wirbelsäulenabschnitte umfassende Rumpforthese, einen Bewertungsrahmen mit einem Teil-GdB von 50 bis 70 eröffnet. Zum anderen hat Dr. S. in seine Bewertung ein Reizblasensyndrom einbezogen, obwohl dies erstmals in der Gutachtensituation berichtet und keine Behandlung angegeben worden ist, bei welchem mithin nicht von einem relevanten überdauernden Zustand ausgegangen werden kann. Ebenso hat er Schwindelbeschwerden in die Bewertung einbezogen, welche vom Kläger selbst nicht berichtet worden sind. Dr. S. hat insoweit nicht nur die beim Kläger tatsächlich zu objektivierenden Funktionsstörungen seiner Bewertung zugrunde gelegt hat, sondern auch Beeinträchtigungen, die im Allgemeinen bei Beeinträchtigungen der Wirbelsäule bzw. chronischen Schmerzsyndromen auftreten können, ohne deren tatsächliches Vorliegen beim Kläger zu verifizieren. Selbst wenn man diese Beeinträchtigungen in die Bewertung einbeziehen und sie im Rahmen der Wirbelsäule bewerten wollte, rechtfertigen diese aufgrund des geringen von Dr. S. beschriebenen Ausmaßes jedoch noch keinen höheren Teil-GdB. Gleiches gilt für die Bewertung als eigenständige Funktionsbeeinträchtigungen. Eine relative Harninkontinenz in Form eines leichten Harnabgangs bei Belastung (z. B. Stressinkontinenz Grad I) kann als eigenständige Beeinträchtigung einen Teil-GdB von 0 bis 10 bedingen (VG, Teil B 12.2.4), ebenso Gleichgewichtsstörungen ohne wesentliche Folgen mit leichter Unsicherheit und geringen Schwindelerscheinungen erst bei höheren Belastungen oder ein Morbus menière mit ein bis zwei Anfällen im Jahr (VG, Teil B 5.3). Auch ausgehend von den diesbezüglichen Angaben des Dr. S. ist im Hinblick auf die dargestellten Maßgaben der VG jeweils kein Teil-GdB zu vergeben.

Im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" ist die von Prof. S. im Bericht vom 29. September 2015 diagnostizierte leichte depressive Episode ist mit einem Teil-GdB von 10 ausreichend bewertet.

Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetative oder psychische Störungen bedingen einen GdB von 0 bis 20, stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 80 bis 100 (VG, Teil B 3.7).

Beim Kläger besteht nach dem Bericht des Prof. S. nur eine diskret depressive Stimmung, Subjektiv geäußerte Konzentrationsstörungen und Aufmerksamkeitsdefizite hat Prof. S. nicht objektivieren können. Eine fachärztliche, insbesondere auch regelmäßige Behandlung findet nicht statt. Aufgrund der geringen Auswirkungen kann die leichte depressive Episode zwar entsprechend einer leichteren psychischen Störung zwar mit einem Teil-GdB von 10 bewertet werden, die Ausschöpfung des für diese Beeinträchtigungen vorgesehenen Bewertungsrahmens ist jedoch nicht angezeigt.

Der Bluthochdruck des Klägers ist ebenfalls mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. Für eine Hypertonie (Bluthochdruck) in leichter Form mit keinen oder geringen Leistungsbeeinträchtigung (höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen) ist nach den VG ein GdB von 0 bis 10 vorgesehen, in mittelschwerer Form mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen - Fundus hypertonicus I-II - und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie), diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung, je nach Leistungsbeeinträchtigung ein GdB von 20 bis 40, in schwerer Form mit Beteiligung mehrerer Organe (schwere Augenhintergrundveränderungen und Beeinträchtigung der Herzfunktion, der Nierenfunktion und/oder der Hirndurchblutung) je nach Art und Ausmaß der Leistungsbeeinträchtigung ein GdB von 50 bis 100 und in maligner Form mit einem diastolischen Blutdruck konstant über 130 mm Hg; Fundus hypertonicus III-IV (Papillenödem, Venenstauung, Exsudate, Blutungen, schwerste arterielle Gefäßveränderungen) sowie unter Einschluss der Organbeteiligung (Herz, Nieren, Gehirn) ein GdB von 100 (VG, Teil B 9.3).

Beim Kläger bestehen schwankende Blutdruckwerte, welche sich zwischen Werten von 140/80 mmHG (Entlassungsbericht des Dr. E. vom 15. Oktober 2015) und 187/112 mmHg bewegen, wobei der letztgenannte Wert bei der Notfallaufnahme aufgrund akuter Unterbauchschmerzen und nach dreitägigem Stuhlgangausfall am 20. Juni 2014 gemessen wurde. Der Kläger erhält Blutdruckmedikamente verordnet, über die tatsächliche Einnahme finden sich keine Angaben. Da keine Organveränderungen wie eine Linksherzvergrößerung oder Augenhintergrundveränderungen dokumentiert sind und lediglich einmal ein diastolischer Wert von über 100 mmHG gemessen wurde, ist ein Teil-GdB von 10 angemessen und ausreichend.

Im Bereich des Funktionssystems "Auge" ist kein GdB von wenigstens 10 anzusetzen. Für die Beurteilung des Sehvermögens ist in erster Linie die korrigierte Sehschärfe maßgebend; daneben sind u.a. Ausfälle des Gesichtsfeldes und des Blickfeldes zu berücksichtigen (VG, Teil B 4). Bei einem Visus mit Korrektur von 1,0 auf dem einen und von 0,8 auf dem anderen Auge liegt ein GdB von 0 vor (VG, Teil B 4.3).

Der mit Metformin behandelte Diabetes mellitus Typ II bedingt keinen messbaren GdB, da diese Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und der Kläger durch sie somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt ist (VG Teil B 15.1). Auch die Refluxösophagitis ist nicht mit einem Teil-GdB von 10 oder mehr zu bewerten (VG, Teil B 10.1). Die Refluxösophagitis ist nach den vorliegenden medizinischen Erkenntnissen mit dem Wirkstoff Pantoprazol, einem Protonenpumpenhemmer ausreichend behandelbar, erheblichere Beschwerden oder Auswirkungen dieser Gesundheitsstörung auf Nachbarorgane sind nicht ersichtlich. Die Darmträgheit (Koprostase) stellt keine Behinderung i. S. d. § 2 Abs. 1 SGB IX dar, da es sich dabei nach den vorliegenden Berichten nur um eine akute Beeinträchtigung von kurzer Dauer gehandelt hat. Lediglich im Bericht des Klinikums H. vom 20. Juni 2014 werden Unterbauchschmerzen nach drei Tagen ohne Stuhlgang angeführt. Bereits nach dem Ambulanzbrief des Prof. G. vom 18. September 2014 berichtete der Kläger nach einer Koprostase vor einigen Monaten über keine Beschwerden mehr. Ebenso ist die zunächst nach der Wirbelsäulenoperation am 12. Juni 2015 aufgetretene tiefe Wundinfektion zum Zeitpunkt des Beginns der Rehabilitationsmaßnahme im Zentrum für Integrierte Rehabilitation U. am 14. September 2015 abgeheilt.

Damit sind für die Bewertung des Gesamt-GdB des Klägers die mit einem Teil-GdB von 30 zu bewertenden Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Wirbelsäule mit Nervenwurzelreizerscheinungen und Schmerzsyndrom maßgebend, da die hinzukommenden Teil-GdB-Werte von 10 sich nicht erhöhend auszuwirken vermögen (VG, Teil A 3d, ee). Ein Anspruch auf einen höheren GdB als bislang festgestellt besteht daher nicht. Die Zuerkennung eine GdB von 40 durch das Sozialgericht ist daher nicht zu beanstanden.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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