L 6 U 1749/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 26 U 4038/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 1749/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. April 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als weitere Folge eines Arbeitsunfalls vom 3. Dezember 1976 und die Gewährung einer höheren Verletztenrente.

Der am xx. xx 1941 geborene Kläger erlitt am 3. Dezember 1976 während seiner angestellten Tätigkeit als Pharmareferent im Außendienst einen Autounfall, als sein Fahrzeug auf einer Kreuzung in G. von einem ca. 30 km/h schnellen Fahrzeug unter Missachtung der Vorfahrt auf der linken Seite erfasst wurde (vgl. Urteil des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 31. März 1977 – 7 Ds 74/77 -). Der Kläger wurde mittels Krankenwagen in das Kreiskrankenhaus L. verbacht, wo der dortige Dr. S. eine massive Schwellung des rechten Kniegelenks, Schürfungen über der Patella, Kopfschmerzen, leichte Übelkeit, eine anterograde Amnesie, ein Hämatom der linken Stirnhälfte und einen leichten Druckschmerz im linken Thoracalbereich in Höhe der 7. bis 8. Rippe dokumentierte und die Diagnosen einer Patellafraktur rechts und einer Schädelprellung stellte (Bericht vom 3. Dezember 1976). Die Patellafraktur in Form eines knöchernen Kniescheibenabrisses am unteren Pol der rechten Kniescheibe mit Verletzung des Kniescheibenbandes wurde operativ versorgt, wobei die Beweglichkeit eingeschränkt blieb. Die Folgen der Schädelprellung und der Prellung der linken Thoraxseiten klangen im Verlauf der Behandlung wieder ab (Bericht des Dr. V., Städtisches Krankenhaus L. a. N., vom 9. April 1977).

Nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 11. Juli 1977 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 28. Oktober 1977 vorläufige Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 vom Hundert (v.H.) auf der Grundlage eines Ersten Rentengutachtens des Prof. Dr. W. vom 1. Juli 1977. Danach sei eine vom Kläger angegebene Commotios cerebri folgenlos ausgeheilt. Es bestehe eine deutliche Bewegungseinschränkung und eine leichte Instabilität am rechten Kniegelenk.

Mit Bescheid vom 27. Oktober 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 1979 gewährte die Beklagte dem Kläger – gestützt auf ein am 15. August 1978 von Prof. Dr. W. erstelltes Gutachten - statt der vorläufig gewährten Rente eine Dauerrente ab dem 1. Dezember 1978 nach einer MdE von 20 v.H. und erkannte als Folgen des Arbeitsunfalls eine "Kapselverdickung und Druckschmerzhaftigkeit am rechten Kniegelenk mit Einschränkung der Beugebewegung, Umfangsvermehrung im Bereich des rechten Kniegelenks, Muskelminderung am rechten Oberschenkel nach unterem Polabriss der rechten Kniescheibe" an. Nicht als Unfallfolgen anerkannt wurden: "Varikosis beiderseits, Leistenbruchoperation links, Senk-Spreizfuß beiderseits, tuberkulöse Rippenfellentzündung rechts, Entfernung des Hodens, Hepatitis, erbsengroßer kalkdichter Schatten oberhalb des medialen Femurcondylus rechts, Speichenbruch rechts". Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage (S 3 U 807/79) beim Sozialgericht Stuttgart (SG) wurde abgewiesen (Urteil vom 7. Dezember 1979), nachdem auch der auf Antrag und auf Kosten des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bestellte Gutachter Prof. Dr. R. in seinem Gutachten vom 26. September 1979 die MdE auf 20 v. H. geschätzt hatte, wobei er allerdings langfristig mit einer Verschlimmerung der Unfallfolgen an der Kniescheibe im Sinne einer fortschreitenden Retropatellararthrose rechnete. Nach einem von Prof. Dr. R. veranlassten neurologischen Zusatzgutachten des Dr. S. vom 9. Juni 1979 sei, so Prof. Dr. R., kein krankhafter Befund im Kopf- und Hirnnervenbereich festzustellen gewesen. Es sei neben einer Schädelprellung eine leichte unkomplizierte Commotio cerebri ohne substantielle Hirnschädigung angenommen worden, wie sie nach allgemeiner Erfahrung innerhalb von Wochen oder Monaten folgenlos abklinge.

Am 6. Oktober 1980 erstellten Prof. Dr. W. und Dr. W. ein Zweites Rentengutachten, in welchem die Beweglichkeit des rechten Kniegelenks geringfügig besser angegeben (Streckung/Beugung 0/0/90°) und die MdE weiterhin mit 20 v.H. eingeschätzt wurde.

Der Kläger teilte der Beklagten am 20. Mai 1981 telefonisch mit, seit ca. einem Jahr an fast unerträglichen Kopfschmerzen zu leiden, welche er zumindest teilweise auf den Unfall zurückführe. Eine Behandlung sei, bis auf Tabletteneinnahme, nicht erfolgt. Eine weitergehende Prüfung wurde seitens der Beklagten nicht eingeleitet.

Aufgrund einer seitens des behandelnden Orthopäden Dr. A. gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 15. Dezember 1997 geltend gemachten Verschlechterung des Befundes des rechten Kniegelenks veranlasste diese eine unfallchirurgische Begutachtung des Klägers durch Prof. Dr. W. und Dr. I ... Diese stellten in ihrem Gutachten vom 2. November 1998 bzw. der Ergänzung von März 1999 eine verbesserte Beweglichkeit des rechten Kniegelenks (Streckung/Beugung 5/0/110°) im Vergleich zum Vorgutachten vom 6. Oktober 1980 fest und schätzten die MdE weiterhin auf 20 v.H. Der Kläger legte einen Bericht des Neurologen und Psychiaters Dr. P. (eingeholt auf Veranlassung des ärztlichen Dienstes des Arbeitsamts S.) vom 30. Oktober 1995 vor. Danach beständen ein dringender Verdacht auf ein hirnorganisches Psychosyndrom und eine hirnorganisch bedingte Wesensänderung nach Schädel-Hirn-Trauma 1976 sowie eine bekannte Cyclothymie. Der Kläger berichte über Schlafstörungen, Nervosität und Konzentrationsstörungen. Sein Gesundheitsszustand habe sich seit dem Unfall verschlechtert. Zuvor schon sei er wegen Cyclothomie in psychiatrischer Behandlung gewesen.

Nach einem neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Prof. Dr. M. und PD Dr. S. vom 2. Februar 1999 mit fachpsychologischer Untersuchung durch Diplom-Psychologe N. berichte der Kläger über Nervosität, Schlafstörungen und vorbestehende, seit 1979 oder 1980 verstärkt auftretende Stimmungsschwankungen. Ein krankhafter Befund habe nicht erhoben werden können. Die Stimmungsschwankungen erfüllten nicht die Kriterien einer wesentlichen depressiven oder manischen Störung. Würden tatsächlich manische oder depressive Phasen angenommen, sei ein Zusammenhang mit dem Unfall nur schwierig herzustellen. Auf einem Kernspintomogramm vom 30. März 1998 und einem Computertomogramm vom 4. Oktober 1995 zeigten sich Verdickungen der harten Hirnhäute im Bereich des Stirnhirns. Eine Beeinträchtigung der Stirnhirnfunktion sei hierdurch unwahrscheinlich. Ein Zusammenhang mit dem Unfallereignis könne nicht hergestellt werden. Unfallfolgen seien auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nicht festzustellen und eine MdE hierfür nicht anzunehmen. Hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 1999 den Antrag auf Gewährung einer höheren Rente ab, weil eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nicht eingetreten sei.

Im anschließenden Klageverfahren beim SG (S 1 U 6310/99) wurde der Kläger von Amts wegen von Prof. Dr. D. begutachtet, der die MdE ebenfalls mit 20 v.H. einschätzte (Beugeeinschränkung im rechten Kniegelenk um 20° bei radiologisch dokumentierter Arthrose im Gelenk zwischen körperfernem Oberschenkelknochen und Kniescheibe nach körperfernem Kniescheibenbruch mit operativer Entfernung des unteren Kniescheibenpols und Reinsertion der Kniescheibensehne sowie geringfügige Verdickung der Kniegelenkskapsel und geringfügiger Kniescheibentiefstand rechts). Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) wies die Berufung (L 7 U 3831/01) gegen das klageabweisende Urteil des SG vom 30. Mai 2001 mit Urteil vom 21. November 2002 zurück, nachdem Prof. Dr. R. in dem auf Antrag und Kosten des Klägers gemäß § 109 SGG erstellten Gutachten vom 21. Juni 2002 ebenfalls keine rechtlich wesentliche Änderung in den für den Bescheid vom 27. Oktober 1978 maßgeblichen Verhältnissen gesehen und die MdE weiterhin auf 20 v.H. geschätzt hatte.

Mit Schreiben vom 7. Juni 2007 unterrichtete der Kläger die Beklagte, am 9. November 2004 sei ein starkes Schwindelgefühl mit Sprachstörung aufgetreten. Nach dem beigefügten Bericht des Städtischen Krankenhauses S. unter Bezugnahme auf einen Bericht vom 15. Dezember 2004 sei eine Behandlung wegen einer Episode mit passagerem Schwindel, Dysarthrie, Gangataxie und Nystagmusphänomenen erfolgt, wobei der dortige Prof. Dr. N. nicht beurteilen konnte, ob es sich um eine Spätfolge des Schädelhirntraumas im Jahr 1976 gehandelt hatte. Er diagnostizierte einen Zustand nach wahrscheinlicher Hirnstamm-TIA (transitorisch ischämische Attacke), differentialdiagnostisch einen komplex-partiellen Anfall (vgl. Arztbrief vom 23. Mai 2007). Nach dem Ereignis 2004 zeigte sich in einer notfallmäßigen Schädel-CT-Untersuchung mit CT-Angiographie keine Ischämie, die Gefäße seien bis auf eine arteriosklerotisch veränderte Arteria vertebralis rechts unauffällig (Bericht vom 15. Dezember 2004).

Am 25. September 2007 teilte der Kläger zunächst telefonisch mit, dass sich seine Unfallfolgen an Knie und Kopf verschlechtert hätten. Im Weiteren überließ er Zwischenbericht des Prof. Dr. G., Katharinenhospital S., vom 18. September 2007, wonach die Indikation zur Implantation einer Kiegelenkstotalendoprothese (Knie-TEP) rechts bestehe. Am 30. Mai 2008 erfolgte dann die Implantation einer bikondylären Oberflächenersatzprothese am rechten Kniegelenk (Bericht des Prof. Dr. G. vom 11. Juni 2008), wobei am 26. August 2009 eine Revisionsoperation erforderlich war.

Am 25. Juni 2010 unterrichtete der Kläger die Beklagte telefonisch, dass sich die Unfallfolgen verschlechtert hätten. Nach Durchführung der Revisionsoperation am 26. August 2009 und anschließendem unauffälligen Heilverlauf ließ die Beklagte den Kläger zunächst durch Prof. Dr. K. (zusammen mit PD Dr. S.) orthopädisch/unfallchirurgisch untersuchen und begutachten. Dieser teilte aufgrund der ambulanten Untersuchung im Dezember 2010 mit, es bestehe eine MdE von 20 v.H., und begründete dies mit dem von ihm festgestellten Patellatiefstand von 2 cm rechts gegenüber links, der symptomatischen Patellarückflächenarthrose und Schmerzhaftigkeit sowie der eingeschränkten Beweglichkeit (0/0/90°), ein relevantes Muskeldefizit sei nicht zu verzeichnen; Hinweise auf die vom Kläger geltend gemachte PTBS konnte er nicht erkennen.

Die Beklagte holte ergänzend den Befundbericht des Prof. Dr. N. vom 2. Februar 2011 ein, wonach infolge des Verkehrsunfalls eine PTBS mit Schlafstörungen, Angstzuständen, unsystematischem Schwindel und holocephalen Kopfschmerzen bestehe. Es lägen Hinweise vor, dass der Unfall zu einer wesentlichen Verschlimmerung der bereits bestehenden manisch-depressiven Erkrankung geführt habe. Die MdE auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet sei mit 50 v.H. einzuschätzen.

Daraufhin ließ die Beklagte den Kläger von dem Neurologen und Psychiater Prof. Dr. S. untersuchen und begutachten. Dieser führte im Gutachten vom 13. Mai 2011 aufgrund der Untersuchung im Mai 2011 und Auswertung des testpsychologischen Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin T. vom 12. Mai 2011 aus, Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet lägen nicht vor; eine unfallbedingte MdE sei daher nicht gegeben. Ein hirnorganisches Psychosyndrom bestehe auf dem Boden einer Hirngefäßerkrankung und daher unfallunabhängig. Die Diagnose (einer posttraumatischen Belastungsstörung) sei nicht nachzuvollziehen. Weder Schwindel, noch Kopfschmerzen, noch Angstzustände seien Hinweise auf eine PTBS. Darüber hinaus sei verkannt worden, dass sich infolge des Unfallereignisses bislang keinerlei Hinweise auf eine PTBS ergeben hätten. Ein psychischer Primärschaden sei nicht dokumentiert. Das Unfallereignis sei auch grundsätzlich nicht geeignet, eine PTBS herbeizuführen.

Mit Bescheid vom 7. Juni 2011 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Rentenerhöhung ab. Im Widerspruchsverfahren erstattete Prof. Dr. S. das Gutachten vom 17. Februar 2012. Er nahm keine wesentliche Änderung in den Verhältnissen an und schätzte die MdE weiterhin auf 20 v.H., wobei er eine Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks (0/0/90°) bei regelrecht einliegender Kniegelenksendoprothese inklusive Kniescheibenrückflächenersatz bei Zustand nach Abrissfraktur des kaudalen Patellapols und Kniescheibentiefstand auf der rechten Seite im Seitenvergleich als wesentliche noch bestehende Unfallfolge berücksichtigte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. August 2012 wies die Beklagte den Widerspruch – gestützt auf die Feststellungen der o.g. Gutachten – zurück. Eine wesentliche Verschlimmerung in den für die Rente maßgeblichen Verhältnissen gegenüber der letzten maßgeblichen Feststellung im Bescheid vom 27. Oktober 1978 sei nicht eingetreten. Im Unfallfolgenzustand sei – entsprechend der Einschätzung des Prof. Dr. K. und des Prof. Dr. S. – keine Verschlimmerung eingetreten und die bestehenden Unfallfolgen seien weiterhin mit einer MdE von 20 v.H. sachgerecht sowie befundangemessen bewertet. Prof. Dr. S. sei zu dem Ergebnis gekommen, dass auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet keine unfallbedingten Gesundheitsstörungen vorlägen, sondern die geklagten Beschwerden in Form von Schlafstörungen, Angstzuständen sowie Schwindelgefühlen in keinem Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall vom 3. Dezember 1976 stünden. Dagegen hat der Kläger am 4. September 2012 Klage beim SG erhoben und auf die Einschätzung des Prof. Dr. N. verwiesen, wonach eine MdE von 50 v.H. auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet vorliege.

Aufgrund einer beim Kläger am 19. Juli 2013 vorgenommenen Tuberositas-Umstellungsosteotomie hat die Beklagte nach dem mit Beschluss vom 8. Oktober 2013 angeordnetem Ruhen des Verfahrens noch eine Untersuchung und Begutachtung durch Dr. H. veranlasst. Dieser hat aufgrund der ambulanten Untersuchung vom 3. April 2014 als Unfallfolgen eine Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenke mit Extension/Flexion 0-5-85°, Narben, eine diskrete Umfangsminderung im Bereich des rechten Oberschenkels sowie eine diskrete Umfangvermehrung über dem rechten Kniegelenk angegeben und die MdE weiterhin mit 20 v.H. eingeschätzt. Es sei ein medizinischer Endzustand erreicht. Die Knie-TEP liege achsen- und rotationsgerecht ein. Lockerungszeichen seien nicht zu erkennen. Die osteotimierte Tuberositas tibiae sei vollständig knöchern konsolidiert. Die Stellung der Patella sei regelrecht.

Das SG hat von Amts wegen das nervenfachärztliche Gutachten der Dr. H. vom 16. März 2015 (aufgrund der ambulanten Untersuchung vom 24. Februar 2015) eingeholt. Diese hat auf psychiatrischem Gebiet am ehesten eine bipolare affektive Störung, gegenwärtig remittiert, angenommen. Eine PTBS hat sie ausdrücklich ausgeschlossen. Nach der Aktenlage seien keine Unfallfolgen aus psychiatrischer Sicht dokumentiert bzw. die später festgestellten Verdachtsdiagnosen seien nicht ausreichend gut begründet und könnten nicht nachvollzogen werden. Eine MdE auf psychiatrischem Fachgebiet liege jedenfalls als Unfallfolge nicht vor. Zu den hierzu vorgebrachten Einwendungen des Klägers hat Dr. H. ergänzend mit Schreiben vom 9. November 2015 Stellung genommen und insbesondere darauf verwiesen, dass ein Auftreten der Störung innerhalb von sechs Monaten bzw. spätestens zwei Jahren nach dem traumatisierenden Ereignis weder aus der Exploration des Klägers noch aus den Unterlagen und Arztbriefen nachvollzogen werden könne. Die von Prof. Dr. N. angegebenen Symptome wie Schlafstörung, Angstzustände, unsystematischer Schwindel, Kopfschmerzen, Angstgefühle und Ein- und Durchschlafstörungen eigneten sich nicht für die Diagnose einer PTBS, da es sich um eher unspezifische Symptome handele, die es auch bei einem depressiven Syndrom im Rahmen einer bipolaren Erkrankung, also einer manisch-depressiven Erkrankung bei der depressiven Episode geben könne. In den Arztbriefen des Prof. Dr. N. fehlten insbesondere die für die Diagnosestellung laut ICD 10 geforderten Merkmale wie das wiederholte Erleben des Traumas in Flashbacks oder Träumen, das Gefühl des andauernden Betäubtseins und der emotionalen Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen können. Bezüglich der in den 1980-er Jahren festgestellten manisch-depressiven Erkrankung könne ein ursächlicher Zusammenhang zum Unfallereignis nicht hergestellt werden.

Zuletzt hat der Kläger nach dem zwischenzeitlichen Ruhen des Klageverfahrens den Bericht des Klinikums S. vom 1. April 2016 über den stationären Aufenthalt ab 30. März 2016 vorgelegt. Es seien Schrauben im Bereich des Tibiakopfes entfernt worden. Die erneute stationäre Behandlung sei, so der Kläger, Folge der Knie-TEP und somit ebenfalls Folge des am 3. Dezember 1976 erlittenen Wegeunfalles gewesen.

Mit dem Kläger am 1. Juli 2016 zugestellten Urteil vom 12. April 2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die bei Erlass des letzten Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung (1. September 1999) eingetreten sei, liege nicht vor. Eine PTBS sei von keinem Arzt diagnostiziert worden und das von Prof. Dr. S. und Dr. P. diagnostizierte hirnorganische Psychosyndrom bestehe unfallunabhängig. Auch bezüglich der von Dr. H. "am ehesten" angenommenen affektiven bipolaren Störung sei nachvollziehbar dargelegt worden, dass es sich nicht um eine Unfallfolge handele. In Bezug auf die Erkrankung des rechten Kniegelenks sei keine wesentliche Änderung eingetreten und eine MdE von 20 v.H. sei hierfür weiterhin angemessen.

Dagegen hat der Kläger bereits vor der Zustellung des Urteils am 11. Mai 2016 Berufung beim LSG eingelegt. Zur Berufungsbegründung hat er das neuropsychologische Gutachten des Prof. Dr. M. vom 28. Oktober 2017 vorgelegt, nachdem er zunächst die Einholung eines Gutachtens bei Prof. Dr. M. nach § 109 Abs. 1 SGG beantragt, jedoch den Kostenvorschuss nicht in der ihm nach mehrfachen Firstverlängerungen bis zum 15. März 2017 gesetzten Frist eingezahlt hatte. Nach diesem Gutachten seien "alle 7 Kriterien (außer evtl. einem) des CAPS-5" (Clinician-Administered PTSD Scale for DSM-5) "für eine PTBS erfüllt". Der Kläger versuche auftretende Erinnerungen an den Unfall durch das Hören von klassischer Musik aus seinem Kopf zu verbannen. Er sei allgemein ängstlich. Dies drücke sich dadurch aus, dass er beim Eintreten durch die Haustür gleich gefragt habe, ob er, Prof. M., einen Hund im Haus habe. Hinsichtlich des Kriteriums "Kognitionen und Stimmungssymptome" könne man von "übertriebenen negativen Überzeugungen und Erwartungen" und vermindertem Interesse oder Teilnahme an Aktivitäten" sprechen. Sein BDI-Wert (Beck-Depressions-Inventar) von 19 "könnte als Indiz für seine "übertrieben negativen Überzeugungen" gesehen werden". Zuletzt hat er sich im Erörterungstermin am 29. Oktober 2018 auf die in einem schwerbehindertenrechtlichen Verfahren beim SG (S 24 SB 6108/16) erstellte sachverständige Zeugenauskunft des Prof Dr. K. vom 30. August 2017 bezogen, worin dieser den Grad der Behinderung (GdB) für die posttraumatische Gonarthrose mit Gelenkersatz und leichtgradiger Einschränkung (Beweglichkeit Extension/Flexion 0-0-100°) auf 30 geschätzt hat. Nach dieser von ihm vorgelegten Stellungnahme seien noch Schrauben bei Z. n. Tuberositasosteotomie verblieben gewesen, so dass diese vor Behandlung eines Ulcus cruris venosum durch die Gefäßchirurgie entfernt worden seien. Bei ihm bestehe u.a. ein Dekubitus am Steiß, ein Diabetes mellitus mit Polyneuropathie und Nephropathie und eine chronische venöse Insuffizienz mit Ulzerationen. Weiter hat er im Rahmen der mündlichen Verhandlung einen Bericht des Dr. W. vom 16. Januar 2019 bezüglich einer Anschlussrehabilitationsmaßnahme vom 28. Dezember 2018 bis zum 16. Januar 2019 nach Implantation einer Hüftgelenksendoprothese rechts vorgelegt, nach welchem die übrigen Gelenke der unteren Extremitäten klinisch unauffällig und altersentsprechend frei beweglich seien.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. April 2016 und der Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides vom 27. Oktober 1978 eine posttraumatische Belastungsstörung als weitere Unfallfolge anzuerkennen und verurteilen eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vom Hundert ab dem 25. Juni 2010 zu gewähren,

hilfsweise Prof. Dr. M. als sachverständigen Zeugen dazu zu hören, dass eine posttraumatische Belastungsstörung als Folge des Arbeitsunfalls vom 3. Dezember 1976 besteht und als Folge daraus eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vom Hundert resultiert.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich insbesondere auf die Gutachten des Prof. Dr. M., des Prof. Dr. S. und der Dr. H ...

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nach §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere hat sie der Kläger nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat zurecht die vom Kläger erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß §§ 54 Abs.1 SGG auf behördliche Feststellung einer PTBS als weiterer Unfallfolge sowie Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1, 4 SGG auf Gewährung einer höheren Verletztenrente abgewiesen.

Eine Entscheidung in der Sache ist möglich, ohne das von ihm ursprünglich beantragte Wahlgutachten bei Prof. M. einzuholen, da der anwaltlich vertretene Kläger diesen Antrag in der letzten mündlichen Verhandlung nicht aufrechterhalten hat. Der Beweisantrag gilt daher als erledigt (dazu: Mushoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 103 SGG Rz. 83). Der Antrag wäre daneben wegen Verzögerung des Rechtsstreits nach § 109 Abs. 2 SGG abzulehnen, weil der angeforderte Kostenvorschuss nicht innerhalb der gesetzten und bereits verlängerten Frist eingezahlt worden ist. Auch dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Anhörung des Prof. M. als sachverständigem Zeugen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 373 Zivilprozessordnung – ZPO) war nicht nachzugehen, denn der Kläger hat schon nicht dargelegt, was die Zeugenaussage über den Inhalt des von ihm vorgelegten Privatgutachtens hinaus ergeben soll (BSG, Beschluss vom 28. Februar 2018 – B 13 R 73/16 B –, Rz. 10 juris). Weiter sind Gegenstand der Beweiserhebung durch Zeugen Wahrnehmungen über vergangene - ausnahmsweise auch gegenwärtige - Tatsachen und Zustände (Bundesgerichtshof -BGH, Urteil vom 18. März 1993 – IX ZR 198/92 –, Rz. 9, juris). Ein entsprechender Beweisantrag muss grundsätzlich in prozessordnungsgerechter Weise formuliert sein, sich regelmäßig auf ein Beweismittel der ZPO beziehen, das Beweisthema möglichst konkret angeben und insoweit wenigstens umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben soll (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/S.t, SGG, 12. Aufl 2017, § 160 Rz. 18a mwN). Der Kläger hat nicht konkret angegeben, welche relevanten Befundtatsachen, aus welchen sich dann erst in einem zweiten Schritt die Diagnose einer PTBS ergeben könnte, er noch für beweisbedürftig ansieht und aus welchem Grund Prof. M., welcher den Kläger lediglich im Rahmen der von ihm durchgeführten Begutachtung gesehen hat, diese bezeugen können soll. Entsprechend genaue Angaben wären jedoch im Hinblick auf die zahlreich vorliegenden medizinischen Unterlagen und die bislang eingeholten Gutachten erforderlich.

Die vom Kläger erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf behördliche Feststellung einer PTBS als weitere Unfallfolge ist bereits mangels Klagebefugnis (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG) unzulässig. Denn die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 7. Juni 2011 nur über seinen (sinngemäßen) Antrag auf Rentenerhöhung und nicht über die Feststellung der streitgegenständlichen Unfallfolge "PTBS" entschieden. Nach dem Empfängerhorizont verständiger Beteiligter sind die Zusammenhänge zu berücksichtigen, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl. BSG, Urteil vom 29. Januar 2008 - B 5a/5 R 20/06 R -, BSGE 100, 1, (2) m. w. N.; Urteil des Senats vom 30. Juli 2015 - L 6 U 3058/14 -, juris, Rz. 53). Danach liegt eine Entscheidung über die Feststellung einer PTBS als Unfallfolge nicht vor. Die Beklagte hat das Telefonat mit dem Kläger am 25. Juni 2010 zum Anlass für weitere Ermittlungen wegen einer geltend gemachten Verschlechterung im Hinblick auf die Höhe der MdE und damit einer möglichen Rentenerhöhung genommen. Einen konkreten Antrag auf Feststellung weiterer Unfallfolgen, insbesondere einer PTBS, hat der Kläger damals nicht gestellt und darüber hat die Beklagte auch nicht entschieden. Dem Verfügungssatz des Bescheids vom 7. Juni 2011 ist vielmehr zu entnehmen, dass die Beklagte nur über den Antrag des Klägers auf Rentenerhöhung entschieden hat.

Für das Begehren auf Gewährung einer höheren Verletztenrente hat der Kläger die Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1, 4 SGG zulässig mit der unechten Leistungsklage auf Gewährung einer höheren Verletztenrente nach einer höheren MdE kombiniert.

Insoweit ist die Klage aber unbegründet. Eine wesentliche Verschlechterung in den Verhältnissen, die dem insoweit maßgeblichen Bescheid vom 27. Oktober 1978 zugrunde lagen, mit dem eine Rente nach einer MdE von 20 v.H. gewährt wurde, ist nicht eingetreten. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten der Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Dabei liegt eine wesentliche Änderung vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, dass sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Diese Vorschrift wird für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung durch § 73 Abs. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) spezifisch ergänzt. Danach ist eine Änderung i.S. des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hinsichtlich der Feststellung der Höhe der MdE nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 v.H. beträgt.

Rechtsgrundlage für die begehrte Rentengewährung ist § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls – hier des von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom 3. Dezember 1976 – über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern (§ 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Um ihr Vorliegen beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen beeinträchtigt ist. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden. Entscheidend ist, in welchem Ausmaß Versicherte durch die Folgen des Versicherungsfalls in ihrer Fähigkeit gehindert sind, zuvor offenstehende Arbeitsmöglichkeiten zu ergreifen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 123). Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - B 2 U 5/10 R -, SozR 4-2700 § 280 Nr. 3, Rz. 16 m.w.N.). Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R -, BSGE 93, 63, 65).

Die Einschätzung der MdE setzt voraus, dass der Arbeitsunfall beim Kläger eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens hervorgerufen hat, entweder durch einen unfallbedingten Gesundheitserst- oder einen damit im Ursachenzusammenhang stehenden Gesundheitsfolgeschaden.

Die unfallversicherungsrechtliche Zurechnung setzt erstens voraus, dass die Verrichtung der versicherten Tätigkeit den Schaden, gegebenenfalls neben anderen konkret festgestellten unversicherten (Wirk)Ursachen, objektiv (mit)verursacht hat. Für Einbußen der Verletzten, für welche die versicherte Tätigkeit keine (Wirk)Ursache war, besteht schlechthin kein Versicherungsschutz und haben die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung nicht einzustehen. (Wirk)Ursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die in Frage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. Insoweit ist Ausgangspunkt der Zurechnung die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der schon jeder beliebige Umstand als notwendige Bedingung eines Erfolges gilt, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele ("conditio sine qua non"). Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung muss eine versicherte Verrichtung, die im Sinne der "Conditio-Formel" eine erforderliche Bedingung des Erfolges war, darüber hinaus in seiner besonderen tatsächlichen und rechtlichen Beziehung zu diesem Erfolg stehen. Sie muss (Wirk)Ursache des Erfolges gewesen sein, muss ihn tatsächlich mitbewirkt haben und darf nicht nur eine im Einzelfall nicht wegdenkbare zufällige Randbedingung gewesen sein.

Ob die versicherte Verrichtung eine (Wirk)Ursache für die festgestellte Einwirkung und die Einwirkung eine (Wirk)Ursache für den Gesundheitserstschaden (oder den Tod) war, ist eine rein tatsächliche Frage. Sie muss aus der nachträglichen Sicht ("ex post") nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen, gegebenenfalls unter Einholung von Sachverständigengutachten, beantwortet werden (vgl. dazu BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 – B 2 U 9/11 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 44, Rz. 61 ff.).

Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln von Verletzten, das objektiv seiner Art nach von Dritten beobachtbar und subjektiv, also jedenfalls in laienhafter Sicht, zumindest auch auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Als objektives Handeln der Verletzten kann es erste Ursache einer objektiven Verursachungskette sein. Diese kann über die Einwirkung auf den Körper, über Gesundheitserstschäden oder den Tod hinaus bis zu unmittelbaren oder im Sinne von § 11 SGB VII, der für die zweite Prüfungsstufe andere Zurechnungsgründe als die Wesentlichkeit regelt, mittelbaren Unfallfolgen sowie auch zur MdE reichen, derentwegen das SGB VII mit der Rente ein Leistungsrecht vorsieht (vgl. BSG, a.a.O., Rz. 31).

Erst wenn die Verrichtung, die möglicherweise dadurch verursachte Einwirkung und der möglicherweise dadurch verursachte Erstschaden festgestellt sind, kann und darf auf der ersten Prüfungsstufe der Zurechnung, also der objektiven Verursachung, über die tatsächliche Kausalitätsbeziehung zwischen der Verrichtung und der Einwirkung mit dem richterlichen Überzeugungsgrad mindestens der Wahrscheinlichkeit entschieden werden. Es geht hierbei ausschließlich um die rein tatsächliche Frage, ob und gegebenenfalls mit welchem Mitwirkungsanteil die versicherte Verrichtung, gegebenenfalls neben anderen konkret festgestellten unversicherten (Wirk)Ursachen, eine (Wirk)Ursache der von außen kommenden, zeitlich begrenzten Einwirkung auf den Körper von Versicherten war (vgl. BSG, a.a.O., Rz. 32).

Zweitens muss der letztlich durch die versicherte Verrichtung mitbewirkte Schaden rechtlich auch unter Würdigung unversicherter Mitursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich der begründeten Versicherung fallenden Gefahr, eines dort versicherten Risikos, zu bewerten sein. Denn der Versicherungsschutz greift nur ein, wenn sich ein Risiko verwirklicht hat, gegen das die jeweils begründete Versicherung Schutz gewähren soll (vgl. BSG, a.a.O., Rz. 33).Wird auf der ersten Stufe die objektive (Mit-)Verursachung bejaht, indiziert dies in keiner Weise die auf der zweiten Stufe der Zurechnung rechtlich zu gebende Antwort auf die Rechtsfrage, ob die Mitverursachung der Einwirkung durch die versicherte Verrichtung unfallversicherungsrechtlich rechtserheblich, also wesentlich, war. Denn die unfallversicherungsrechtliche Wesentlichkeit der (Wirk-)Ursächlichkeit der versicherten Verrichtung für die Einwirkung muss eigenständig rechtlich nach Maßgabe des Schutzzweckes der jeweils begründeten Versicherung beurteilt werden (vgl. BSG, a.a.O., Rz. 34). Sie setzt rechtlich voraus, dass der Schutzbereich und der Schutzzweck der jeweiligen durch die versicherte Verrichtung begründeten Versicherung durch juristische Auslegung des Versicherungstatbestandes nach den anerkannten Auslegungsmethoden erkannt werden. Insbesondere ist festzuhalten, ob und wie weit der Versicherungstatbestand gegen Gefahren aus von ihm versicherten Tätigkeiten schützen soll (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 15. Mai 2012 – B 2 U 16/11 R -, SozR 4-2700 § 2 Nr. 21, Rz. 21 ff.). Nur wenn beide Zurechnungskriterien bejaht sind, erweist sich die versicherte Verrichtung als wesentliche Ursache (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 – B 2 U 9/11 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 44, Rz. 37).

Diese Voraussetzungen müssen für jeden einzelnen Gesundheitserstschaden erfüllt sein. Ein solcher ist jeder abgrenzbare Gesundheitsschaden, der unmittelbar durch eine versicherte Einwirkung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde, die durch ein- und dieselbe versicherte Verrichtung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde. Es handelt sich also um die ersten voneinander medizinisch abgrenzbaren Gesundheitsschäden, die infolge ein- und derselben versicherten Verrichtung eintreten (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 – B 2 U 9/11 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 44, Rz. 39). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für die Beweiswürdigung bei der Tatsachenfeststellung, dass die Tatsachen, die solche Gesundheitsschäden erfüllen, im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen der versicherten Einwirkung und einem Gesundheitserstschaden sowie zwischen einem Gesundheitserst- und einem Gesundheitsfolgeschaden der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteile vom 2. April 2009 – B 2 U 29/07 R -, juris, Rz. 16 und 31. Januar 2012 – B 2 U 2/11 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 43, Rz. 17).

Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klä-gers (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1991 - 2 RU 31/90 -, SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Das Bestehen einer Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens muss ausgehend von konkreten Funktionseinbußen beurteilt werden. Soweit die MdE sich nicht ausnahmsweise unmittelbar aus den Unfallfolgen erschließt, bilden festgestellte und eindeutig nach gängigen Diagnosesystemen (z.B. ICD-10, DSM-IV) konkret zu bezeichnende Krankheiten (vgl. BSG, Urteile vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, BSGE 96, 196 (203) und vom 15. Mai 2012 – B 2 U 31/11 R -, juris, Rz. 18; Urteile des Senats vom 26. November 2015 – L 6 U 50/15 -, juris, Rz. 48 m.w.N. und vom 17. März 2016 – L 6 U 4796/13 -, juris, Rz. 37) die Tatsachengrundlage, von der ausgehend die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Leistungsvermögens auf dem Gebiet des gesamten Erwerbslebens zu beurteilen ist (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 2 U 5/10 R -, SozR 4-2700 § 280 Nr. 3, Rz. 17 m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben begründen die Folgen des Arbeitsunfalls vom 3. Dezember 1976 weiterhin keine höhere MdE als 20 v.H ...

Der Senat folgt bezüglich der Unfallfolgen im Bereich des rechten Knies den Feststellungen der Gutachten des Prof. Dr. K., des Prof. Dr. S. und des Dr. H ... Diese haben die MdE aufgrund der Beschwerden im rechten Kniegelenk übereinstimmend mit 20 v.H. eingeschätzt, was unter Berücksichtigung der erhobenen Untersuchungsbefunde nachvollziehbar und überzeugend ist.

Nach den in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätzen stehen bei der Beurteilung der MdE die funktionellen Defizite im Vordergrund; dem radiologischen Befund kommt nur nachrangige Bedeutung zu. Eine Bewegungseinschränkung eines Kniegelenks (Streckung/Beugung) von 0/0/120° bedingt eine MdE von 10 v.H., für eine Streckung/Beugung von 0/0/90° ist eine MdE von 15 v.H. angemessen, bei einer Streckung/Beugung von 0/0/80° bzw. 0/10/90° eine MdE von 20 v.H und bei einer Streckung/Beugung von 0/30/90° eine MdE von 30 v.H. Führt eine Unfallverletzung oder eine berufsbedingte Gonarthrose zur Versorgung mittels Endoprothese, wird bei einem guten funktionellen Ergebnis unter präventiven Aspekten – verschlossener Arbeitsmarktanteil wegen Gefährdungen des Knochen-Prothesen-Verbundes infolge übermäßiger Belastungseinwirkungen – grundsätzlich von einer Mindest-MdE von 20 v.H. ausgegangen. Bei schlechter Funktion- mit Streck- und Beugedefizit sind 30 v.H. angemessen. Eine noch höhere MdE z.B. mit 40 v.H. ist allenfalls bei gelockerter oder infizierter Prothese erlaubt, was jedoch in der Regel einer operativen Sanierung zugeführt wird (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 686f.).

Sowohl nach den Erfahrungssätzen für die Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen des Kniegelenks im Allgemeinen wie auch bei Implantation einer Knie-TEP im Speziellen ist keine höhere MdE als bislang anzusetzen. Die Knie-TEP des Klägers weist, wie sich etwa aus dem Gutachten des Prof. Dr. S. vom 17. Februar 2012 und dem Gutachten des Dr. H. vom 9. Mai 2014 ergibt, bei einer geringen Instabilität von 1+ eine gute Funktion und kein über das Übliche bei diesem Endoprothesentyp hinausgehendes Streck- oder Beugedefizit auf. Das Implantat liegt achsen- und rotationsgerecht sowie knöchern vollständig konsolidiert ein. Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. wurde, ebenso wie bei früheren Untersuchungen des Prof. Dr. K., die Beweglichkeit des rechten Kniegelenks jeweils mit 0/0/90° angegeben. Die Untersuchung durch Dr. H. ergab eine Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk mit einem Bewegungsausmaß in Extension/Flexion von 0/5/85°, eine diskrete Minderung des Muskelmantels im Bereich des rechten Oberschenkels von durchschnittlich 1 cm und eine diskrete Umfangsvermehrung über dem Kniegelenk von durchschnittlich 1 cm. Mit diesen Untersuchungsbefunden liegen – nach den oben dargelegten Kriterien – weiterhin die Voraussetzungen die Annahme einer wesentlichen Veränderung der unfallbedingten Funktionsbeeinträchtigungen und mithin die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von mehr als 20 v.H. nicht vor. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Kläger zuletzt im Erörterungstermin am 29. Oktober 2018 vorgelegten sachverständigen Zeugenauskunft des Prof. Dr. K. im Verfahren S 24 SB 6108/16 beim SG Stuttgart. Denn die von diesem mitgeteilten Befunde (Extension/Flexion 0-0-100°) sind sogar besser als die vorherigen Messwerte. Weiter ergibt sich aus dessen Stellungnahme, dass die Entfernung der Schrauben der Tuberasitasosteotomie zur Behandlung einer Gefäßerkrankung in Form eines Ulcus cruris venosum erforderlich war. Ein Zusammenhang dieser Erkrankung mit dem Unfallereignis erschließt sich insbesondere bei dem unter einer chronischen venösen Insuffizienz und Diabetes mellitus mit Polyneuropathie und Nephropathie leidenden Kläger nicht. Prof. Dr. K. selbst hat die chronische venöse Insuffizienz als Ursache von Ulzerationen beim Kläger benannt. Auch bei Unterstellung eines Zusammenhangs der Ulzeration am rechten Unterschenkel mit dem anerkannten Arbeitsunfall ist eine daraus folgende überdauernde Funktionsbeeinträchtigung weder aus den medizinischen Erkenntnissen ersichtlich noch vom Kläger vorgetragen. Eine Verschlechterung in den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 27. Oktober 1978 zugrunde lagen, ist insoweit nicht eingetreten. Schließlich ist dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bericht des Dr. W. vom 16. Januar 2019 sogar eine unauffällige, altersentsprechende Beweglichkeit auch des rechten Kniegelenks zu entnehmen.

Auf psychischem Fachgebiet liegen keine Folgen des Arbeitsunfalls vom 3. Dezember 1976 vor, die eine MdE bedingen und deshalb einen höheren Rentenanspruch begründen könnten.

Das Vorliegen einer PTBS nach ICD-10 F43.1 oder DSM-IV-TR ist nicht erwiesen. Der Senat folgt insoweit der Einschätzung der Dr. H., welche in ihrem nervenärztlichen Gutachten vom 16. März 2015 bzw. in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 9. November 2015 nachvollziehbar das Vorliegen einer PTBS ausgeschlossen hat.

Diese Krankheit, welche nach der von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme in ihrer aktuellen und international gültigen Ausgabe ICD-10, Version 2018 (ICD-10-GM-2018) als "F43.1" kodiert wird, bezeichnet eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (ICD-10-GM-2018 F62.0) über. Kriterien für die Diagnosestellung sind (vgl. Schnyder, MedSach 2003, S. 142 (143 f.)) ein Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalem Ausmaß, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde (A-Kriterium), Wiedererleben: Erinnerungen tagsüber, Träume, Flashbacks, Bedrängnis bei Konfrontation mit ähnlichen Ereignissen (B-Kriterium), Vermeidung von Umständen, welche der Belastung ähneln (C-Kriterium), Amnesie oder erhöhte Sensitivität und Erregung: mindestens zwei der folgenden Merkmale: Schlafstörungen, Reizbarkeit oder Wutausbrüche, Konzentrationsstörungen, Hypervigilanz, erhöhte Schreckhaftigkeit (D-Kriterium) sowie das Auftreten in der Regel innerhalb von sechs Monaten nach dem Ereignis (E-Kriterium). Nach diesem Diagnosesystem orientiert sich die vertragsärztliche Behandlung (Urteil des Senats vom 27. August 2015 - L 6 VS 4569/14 -, juris, Rz. 36). Es ist daher in erster Linie auch von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten sowie den Sachverständigen anzuwenden, da es die nachvollziehbare Feststellung einer konkreten psychischen Gesundheitsstörung unter Verwendung eines üblichen Diagnosesystems sowie des dortigen Schlüssels und der Bezeichnungen ermöglicht. Zur Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung herangezogen wird auch das von der American Psychiatric Association in den Vereinigten Staaten von Amerika herausgegebene Diagnostische und statistische Manual psychischer Störungen, seit 1996 auch auf Deutsch; die Textrevision der vierten Auflage wurde 2000 veröffentlicht (DSM-IV-TR). Nach DSM-IV-TR 309.81 ist das so genannte "Traumakriterium", das A-Kriterium, eingängiger gefasst. Danach ist Hauptmerkmal der posttraumatischen Belastungsstörung die Entwicklung charakteristischer Symptome nach der Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis. Das traumatische Ereignis beinhaltet unter anderem das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat (A1-Kriterium). Es muss ein extremes, lebensbedrohliches Ereignis tatsächlich stattgefunden haben (Foerster/Leonhardt, MedSach 2003, S. 146 (147)). Bezüglich des Erlebnisses ist eine Reaktion von Angst, Hilflosigkeit oder Grauen zu verlangen (A2-Kriterium). Weitere Kriterien sind (vgl. Schnyder, a. a. O.) ständiges Wiedererleben des traumatischen Ereignisses (B-Kriterium), anhaltendes Vermeiden spezifischer Stimuli, welche an das Trauma erinnern (C-Kriterium), Angst oder erhöhtes Erregungsniveau (D-Kriterium), Dauer mindestens ein Monat (E-Kriterium) sowie erhebliches Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Bereichen (F-Kriterium). Die seit Mai 2013 dem DSM-IV-TR folgende, nunmehr in deutscher Sprache vorliegende 5. Auflage des Diagnostischen und statistischen Manuals (DSM-5) steht dem an sich nicht entgegen (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 27. August 2015 - L 6 VS 4569/14 -, a. a. O., Rz. 40; Widder/Dreßing/Gonschorek/Tegenthoff/Drechsel-Schlund, MedSach 2016, S. 156 ff.). Unter das A-Kriterium wird nunmehr allerdings auch die Erfahrung wiederholter oder extremer Konfrontation mit aversiven Details von einem oder mehreren derartigen traumatischen Ereignissen (z. B. Ersthelfer, die menschliche Leichenteile aufsammeln, oder Polizisten, die wiederholt mit schockierenden Details von Kindesmissbrauch konfrontiert werden) gefasst. Damit löst sich, ohne dies deutlich zu machen, das DSM-5 deutlich von der historischen Entwicklung der Erfassung seelischer Folgen schwerer Traumatisierung in den psychiatrischen Klassifikationsschemata, welche nicht zuletzt unter dem Druck der Veteranen des 1955 begonnenen Vietnamkrieges erfolgte, denen ganz unzweifelhaft permanente lebensbedrohliche Ereignisse widerfuhren und die Gräueltaten mit anblicken mussten (vgl. Hirschmüller, MedSach 2003, S. 137 (140)). An dem Diagnosesystem DSM-5 wird im fachmedizinischen Schrifttum zudem die fehlende Validität bemängelt (Urteil des Senats vom 27. August 2015 - L 6 VS 4569/14 -, a. a. O., Rz. 41). Da die exakte psychische Diagnose es nachvollziehbar machen muss, warum und in welchem Ausmaß eine Person psychisch krank ist, ist das DSM-5 besonders bei der posttraumatischen Belastungsstörung nicht geeignet, diese Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten (Urteil des Senats vom 27. August 2015 - L 6 VS 4569/14 -, a. a. O., Rz. 42).

Nach beiden Diagnosesystemen, also nach ICD-10-GM-2018 und DSM-IV-TR fehlt es – wie Dr. H. zutreffend dargelegt hat – vorliegend an den Voraussetzungen für eine Diagnosestellung. Bereits das A-Kriterium ist nicht erfüllt. Denn hierzu wäre erforderlich, dass das Unfallereignis am 3. Dezember 1976 tatsächlich eine außergewöhnliche Schwere erreicht hat, was in Anbetracht des Unfallhergangs (Auffahrunfall mit 30 km/h) und der relativ geringen unmittelbaren Unfallfolgen (Patellafraktur rechts, Schädelprellung) nicht anzunehmen ist. Jedenfalls sind aber die weiteren Merkmale einer PTBS nicht erwiesen. Zutreffend hat Dr. H. darauf hingewiesen, dass in einem Zeitrahmen von 6 Monaten bzw. spätestens 2 Jahren nach dem Unfallereignis (E-Kriterium nach ICD-10) in den vorliegenden Arztberichten keine psychischen Beschwerden berichtet wurden und deshalb die Diagnose einer PTBS schon deshalb nicht als gesichert angenommen werden kann. Darüber hinaus hat Dr. H. auch zu Recht darauf hingewiesen, dass von den für die Diagnosestellung geforderten Merkmalen lediglich das wiederholte Erleben des Traumas in der Form von zwei- bis dreimal wöchentlich auftretenden Alpträumen, in denen es um Autounfälle geht, festgestellt werden konnte und keine sonstigen spezifischen Symptome, insbesondere kein Vermeidungsverhalten. Sie hat auch nachvollziehbar dargestellt, dass die von Prof. Dr. N. genannten Symptome wie Schlafstörungen, Angstzustände, unsystematischer Schwindel und Kopfschmerzen sich nicht für die Diagnose einer PTBS eignen, weil diese unspezifischen Symptome auch bei einem depressiven Syndrom im Rahmen einer – beim Kläger in den 1980er Jahren diagnostizierten - bipolaren Erkrankung auftreten können. Bereits in den hier im Wege des Urkundenbeweises verwertbaren Gutachten des Prof. Dr. M. aus dem Januar 1999 und des Prof. Dr. S. aus dem Mai 2012 wurden keine spezifischen Symptome einer PTBS festgestellt und eine solche folgerichtig auch nicht festgestellt.

Der Einschätzung des Prof. Dr. M. in seinem im Auftrag des Klägers erstellten Privatgutachten vom 17. Oktober 2017, welches als Parteivorbringen zu werten ist (BSG, Urteil vom 6. April 1989 – 2 RU 55/88 –, juris, Rz. 20), kann dagegen nicht gefolgt werden. Prof. Dr. M. zieht die CAPS für das DSM-5 heran. Unabhängig von den dargestellten grundsätzlichen Vorbehalten im Hinblick auf die PTBS-Diagnostik nach dem DSM-5, ist, wie ausgeführt, bereits das auch nach dem DSM-5 erforderliche A-Kriterium nicht als erfüllt anzusehen. Auch die weiteren, von Dr. H. ausgeschlossenen Merkmale einer PTBS können – mit Ausnahme der Wiedererlebenssymptome durch Träume und Erinnerungen - aus dem Gutachten des Prof. Dr. M. nicht abgeleitet werden. Insbesondere ist das von Prof. Dr. M. bejahte Vermeidungskriterium nicht erfüllt, da der Kläger gegenüber Dr. H. keinerlei Probleme beim Autofahren oder eine Vermeidung von ähnlichen Verkehrssituationen wie bei dem Unfallereignis geschildert hat. Prof. Dr. M. hat für die Annahme des Vermeidungskriteriums ausreichen lassen, dass der Kläger zur Bewältigung von Erinnerungen klassische Musik höre. Dies genügt den dargestellten Voraussetzungen nicht. Daran ändert sich nichts durch die Angaben des Klägers im Erörterungstermin am 29. Oktober 2018, dass er seit Jahren nicht mehr selbst Auto fahre. Denn jedenfalls im Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. H. im Februar 2015 hatte der Kläger – bis auf eine Einschränkung beim Bremsen wegen der Knieprobleme - noch keinerlei Probleme beim Autofahren berichtet, so dass ein Zusammenhang des möglicherweise in letzter Zeit neu aufgetretenen Vermeidungsverhaltens mit dem nunmehr mehr als 40 Jahre zurückliegenden Unfallereignis nicht hinreichend wahrscheinlich zu machen ist.

Auch bezüglich der weiteren Symptome einer PTBS gelingt es Prof. Dr. M. nicht, für den Senat überzeugend einen Zusammenhang mit dem Unfallereignis herzustellen. Die von ihm angegebenen allgemeinen Ängste, vermindertes Interesse oder Teilnahme an Aktivitäten, übertriebene Schreckrektionen, (nach den Testergebnissen leichte) Konzentrationsschwierigkeiten und Schlafstörungen sind nicht für die Diagnose einer PTBS ausreichend, weil sie ebenso wie die von Prof. Dr. N. berichteten und teilweise deckungsgleichen Symptome – wie auch schon Dr. H. nachvollziehbar begründet hat – zu unspezifisch sind und ebenso gut Symptome der bei dem Kläger diagnostizierten bipolaren Störung sein können. Sie sind darüber hinaus schon nicht nachvollziehbar belegt. So hat Prof. Dr. M. zum CAPS 5-Kriterium "Kognitionen und Stimmungssymptome" ausgeführt, "eventuell" könne man von übertriebenen negativen Überzeugungen und Erwartungen und vermindertem Interesse oder Teilnahme an Aktivitäten sprechen. Ein Wert von 19 im Beck-Depressionsinventar "könnte als Indiz ( ) gesehen werden". Für die Annahme relevanter Schreckreaktionen hat Prof. Dr. M. die Frage des Klägers nach dem Vorhandensein eines Hundes in den Untersuchungsräumen genügen lassen und im Weiteren ohne kritische Auseinandersetzung mit den Angaben des Klägers oder dem späten Zeitpunkt des Auftretens der von ihm zugrunde gelegten Symptome nach dem Unfallereignis das Vorliegen aller Kriterien für eine PTBS als erfüllt angesehen – dies jedoch auch nur mit der Einschränkung "außer evtl. einem". Dies genügt für den Nachweis einer PTBS unzweifelhaft nicht.

Die von Dr. H. diagnostizierte, gegenwärtig remittierte bipolare affektive Störung ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 3. Dezember 1976 zurückzuführen. Nach den Angaben des Klägers bei der Begutachtung durch Dipl.-Psych. M. im Januar 1999 hatte bereits 1975 eine nervenärztliche Behandlung wegen zunehmender Nervosität und Stimmungsschwankungen stattgefunden. Auch Dr. P. hatte in seinem Arztbrief vom 30. Oktober 1995 eine bereits vor dem Unfall bekannte Cyclothymie, also eine Störung aus dem bipolaren Formenkreis, aufgeführt. Ein Zusammenhang dieser vorbestehenden Störung mit dem Unfallereignis vom 3. Dezember 1976 ist damit nicht erkennbar.

Ebenso wenig liegt ein hirnorganisches Psychosyndrom als Unfallfolge vor. Zu Recht hat Dr. H. hierzu angemerkt, dass es sich, entsprechend der Dokumentation der behandelnden Klinik und den Durchgangsarztberichten, bei dem Schädelhirntrauma um eine Commotio cerebri, d.h. ein leichtes Schädelhirntrauma gehandelt hat. Anhaltende Beschwerden hierdurch sind nicht belegt. Bereits im Bericht des Durchgangsarztes Dr. V. vom 9. April 1977 wird angegeben, dass die Folgen der Schädelprellung wieder abgeklungen seien und nach Angaben des Prof. Dr. W. in seinem Ersten Rentengutachten vom 1. Juli 1977 war die Commotio cerebri am Untersuchungstag (21. Juni 1977) folgenlos ausgeheilt. Nach dem neurologischen Zusatzgutachten zum Gutachten des Prof. Dr. R. vom 26. September 1979 waren ebenso keine krankhaften Befunde im Kopf- und Hirnnervenbereich festzustellen. Daher ist der von Dr. P. in seinem Arztbrief vom 30. Oktober 1995 geäußerte dringende Verdacht auf ein hirnorganisches Psychosyndrom und hirnorganisch bedingte Wesensänderung nach Schädelhirntrauma 1976 nicht nachvollziehbar. Im Gutachten des Prof. Dr. M. vom 2. Februar 1999 ist ebenfalls kein relevant auffälliger hirnorganischer Befund erhoben worden. Auch der passagere Schwindel mit Dysarthrie, Gangataxie und Verwirrtheit, der im November 2004 Anlass für eine stationäre Behandlung des Klägers im Städtischen Krankenhaus S. war, kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit dem bei dem Unfall am 3. Dezember 1976 erlittenen Schädelhirntrauma in Zusammenhang gebracht werden. Denn Prof. Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 13. Mai 2011 nachvollziehbar dargelegt, dass unter Berücksichtigung des später erhobenen kernspintomographischen Befundes eine Durchblutungsstörung des Kleinhirns (Kleinhirninfarkt) vorgelegen hat und die Gesundheitsstörung deshalb nicht in Zusammenhang mit dem Unfallereignis aus dem Jahr 1977 steht, sondern unfallunabhängig ist. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Arztbrief des Prof. Dr. N. vom 23. Mai 2007, der nicht beurteilen konnte, ob es sich um eine Spätfolge des Schädelhirntraumas im Jahr 1976 gehandelt hat. Nach seinem Bericht vom 15. Dezember 2004 fand sich in der kernspintomographischen Untersuchung des Schädels einzig eine arteriosklerotische Veränderung der Arteria vestibularis rechts. Hinweise auf eine Verletzungsfolge sind nicht festgestellt worden.

Anhaltspunkte für das Vorliegen weiterer Gesundheitsstörungen beim Kläger, die wesentlich kausal auf den Arbeitsunfall am 3. Dezember 1976 zurückzuführen sind und zu einer messbaren MdE führen könnten, lassen sich den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht entnehmen. Insbesondere ist ein Zusammenhang der von Prof. Dr. K. in der sachverständigen Zeugenauskunft im Verfahren S 24 SB 6108/16 beim SG neben der postraumatischen Gonarthrose mit Gelenkersatz erwähnten weiteren Gesundheitsbeeinträchtigungen wie einem drittgradigen Dekubitus am Steiß oder einer chronisch venösen Insuffizienz nicht ersichtlich.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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