L 6 VJ 1458/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 VJ 2911/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VJ 1458/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 15. März 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Zuerkennung (behördliche Feststellung) einer Verschlechterung des Hörvermögens links als weiterer Folge einer Impfung und die Gewährung einer Beschädigtengrundrente wegen eines anerkannten Impfschadens.

Die Klägerin ist im Jahre 1944 geboren und wohnt im Inland. Im Alter von 42 Jahren hatte sie die Ausbildung zur Arzthelferin absolviert und war danach in diesem Beruf tätig gewesen, zuletzt bei der Musterungsbehörde der B ... Im Jahre 1989 hatte sie bei einem Verkehrsunfall eine Fraktur des 12. Brustwirbelkörpers (Th12) erlitten. Aktuell ist sie berentet. Sie ist verheiratet, lebt mit ihrem Mann im eigenen Haus und hat zwei erwachsene Kinder sowie fünf Enkel.

Erstmals mit Bescheid vom 31. Mai 1996 stellte der Beklagte bei der Klägerin einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 fest. Er legte dem eine Psoriasis mit Gelenkbeteiligung, ein orthostatisches Syndrom, ein klimakterisches Syndrom und eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule nach Fraktur Th12 bei degenerativen Veränderungen und Fehlstatik zu Grunde. In einem Erhöhungsverfahren im Jahre 1997 machte die Klägerin eine psychische Erkrankung und eine Nieren- und Gallenblasenentzündung geltend. Letztlich erhöhte der Beklagte den GdB mit Abhilfebescheid vom 2. Dezember 1997 auf 50 und erkannte die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch zu. Dabei subsumierte er die "depressiven Verstimmungen" unter das klimakterische Syndrom und ging für dieses Funktionssystem sowie für die Schäden an der Wirbelsäule von erhöhten Teil-GdB-Werten von je 30 aus.

Ende 1999 stellte die Klägerin erneut Antrag auf Neufeststellung ihres GdB wegen einer Verschlimmerung der psychischen Erkrankung und wegen eines Tinnitus aurium. Im Laufe dieses Verfahrens gelangten diverse Arztbriefe zur schwerbehindertenrechtlichen Akte des Beklagten. HNO-Arzt F. teilte mit, es bestehe eine sensorineuronale Hörstörung mit Hochtonsenke gering- bis mittelgradig beidseits, ein chronischer Tinnitus aurium links und ein chronisch rezidivierender orthotstatisch ausgelöster Schwindel. Er fügte das Ton-Audiogramm vom 13. Oktober 1999 bei, aus dem sich eine Hochtonschwerhörigkeit mit Hörverlusten von (bis zu) 40 % rechts und 50 % links ergab (vgl. zur Auswertung dieses Audiogramms das Gutachten von Prof. Dr. R. vom 25. Februar 2017, S. 20). Im Dezember 1999 war die Klägerin außerdem wegen eines Hörsturzes in ärztlicher Behandlung, was damals aber nicht aktenkundig wurde. Psychiater und Psychotherapeut Dr. G., der die Klägerin wegen einer anhaltenden mittelgradigen depressiven Episode behandelte, übersandte den Bericht vom 1. März 2000, wonach sie bei einer Untersuchung am 14. Februar 2000 über eine Zunahme der Tinnitusproblematik und eine vermehrte Geräusch-überempfindlichkeit geklagt hatte. Der Beklagte stellte den GdB daraufhin mit Bescheid vom 13. Juni 2000 mit 60 fest, wobei er für die Hörminderung bds. mit Tinnitus links einen weiteren Teil-GdB von 20 berücksichtigte.

Die Klägerin führte am 21. März 2013, am 18. April 2013 und - ein Jahr später - am 10. April 2014 bei ihrem Hausarzt dem Internisten Dr. L., drei FSME-Impfungen mit dem Impfstoff Encepur 0,5 ml mit den Ch.-Bez. 141021A, 142011A und 151011A durch.

Einige Tage später, nach ihren Angaben am dritten Tage nach der letzten Impfung, zeigten sich eine zunehmende Schwäche in den Beinen und Koordinationsprobleme, das Gehen war nicht mehr möglich. Mit diesen Symptomen stellte sie sich am 16. April 2014 bei Dr. L. vor, der eine akute Lumboischialgie annahm und eine ambulante Untersuchung in der Notaufnahme des S.-B.-Klinikums veranlasste. Die dort behandelnde Ärztin Dr. C. hielt nach der Symptomatik und den Beschwerdeschilderungen eine Impfreaktion für wahrscheinlicher (Bericht vom 16. April 2014). Eine MRT-Untersuchung am 17. April 2014 bei Dr. A. ergab lediglich eine Spondylolisthese Grad I bei dem Lendenwirbelkörper (LWK) 4/5 mit einer Foramenstenose LWK 4/5 und 3/4. Nachdem die Gang- und Stehunsicherheit der Klägerin progredient verlief, wurde sie am 19. April 2014 vom Krankenhaus D., wohin sie sich begeben hatte, in die Neurologische Klinik des S.-B.-Klinikums in V. verlegt. Dort wurden ein Guillain-Barré-Syndrom (GBS) mit Hirnnerven-Beteiligung und der Verdacht auf ein Miller-Fisher-Syndrom (Variante des GBS mit Augenbewegungsstörungen, Verlust der Muskeleigenreflexe und einer Störung der Zielbewegung [Ataxie]), fraglich ausgelöst durch die 3. FSME-Impfung, sowie hochgradig radikuläre Schmerzen diagnostiziert (vgl. zu dieser Erkrankung G61.0 der ICD-10 GM, der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Aufl., Deutsche Fassung 2019). Bei Aufnahme lag keine Störung der mimischen oder sensiblen Gesichtsinnervation vor, die Muskeleigenreflexe der Beine waren bds. nicht ausführbar, es bestanden Hüftbeuger- und Kniestreckerschwächen von 2/5 beidseits und zusätzlich eine Fußheberschwäche rechts 2/5. Die Koordination unter anderem im Finger-Nase-Versuch war unsicher. Die Klägerin konnte mit Unterstützung unsicher stehen, aber das Gehen und die Gangvaria nicht ausführen. Eine MRT-Untersuchung am 23. April 2014 ergab keinen Nachweis einer frischen Ischämie, zeigte aber chronisch vaskuläre Marklagerveränderungen ("am ehesten mikroangiopathischer Genese"). Auch wegen der Ergebnisse des Blutbilds wurde eine Impfmeldung abgegeben (vgl. Entlassungsbericht von Dr. S. vom 30. April 2014). Die Klägerin wurde am 30. April 2014 zur stationären Behandlung und Anschlussrehabilitation in die Kliniken S. G. verlegt, wo sie bis einschließlich 17. Juni 2014 behandelt wurde. Diagnostisch wurde dort - nur - das GBS gesichert, symptomatisch wurden eine beinbetonte Tetraparese sowie distal betonte Hyp- und Dysästhesien der Extremitäten festgestellt (vgl. Entlassungsbericht von Dr. R. vom 20. Juni 2014). Bei der Aufnahme wurde am Rande eine bekannte Hörminderung bds. ohne Hörgerät notiert (S. 4 des Berichts). Nach einer umfangreichen medikamentösen Behandlung mit zeitweise hohen Dosen Cortison und einer intensiven Physiotherapie verbesserte sich der Zustand. Die ebenfalls festgestellte Facialis-Parese (S. 5) konnte durch eine logopädische Behandlung weitestgehend zurückgebildet werden. Bei Entlassung bestanden noch eine diskrete links- und beinbetonte Tetraparese und leichte Dys- und Hypästhesien der Hände.

Am 8. Juli 2014 stellte die Klägerin Antrag auf Gewährung einer Versorgung wegen eines Impfschadens. Sie teilte mit, sie sei auf Grund der letzten FSME-Impfung an einem GBS erkrankt. Sie legte den Impfpass und die genannten Berichte über die stationären Behandlungen vor.

Auf Bitten des Beklagten übersandte die Krankenkasse der Klägerin das Vorerkrankungsverzeichnis. Daraus ergaben sich Behandlungen unter anderem wegen Beschwerden an der Wirbelsäule seit Jahren. Ferner hatten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit im Oktober 1999 (1 Woche) wegen eines Tinnitus aurium, im Dezember 1999 (2 Tage) wegen eines Hörsturzes mit Tinnitus sowie vom 17. September 2000 bis zum 16. März 2002 (546 Tage) wegen Tinnitus und "Depression" vorgelegen.

Ferner zog der der Beklagte Befundscheine und Berichte der behandelnden Ärzte bei. Dr. L. tat (31. August 2014) kund, ein Zusammenhang zwischen GBS und Impfung liege nahe. Der HNO-Arzt Dr. E. hatte am 8. Juli 2014 ausgeführt, die Klägerin habe sich nach gesichertem Impfschaden und Rehabilitation bei ihm vorgestellt, das Hören sei schon immer deutlich eingeschränkt gewesen, zuletzt habe es allerdings eine weitere Verschlechterung gegeben, ohne dass mit Sicherheit habe gesagt werden können, welche Seite betroffen sei. Da keine Vergleichswerte vorhanden seien, bleibe unklar, ob im Frühjahr ein Hörsturz links abgelaufen sei. Bei einer Vorstellung bei der Neurologin Dr. K. am 25. Juni 2014 bestanden noch eine leichte Facialis-Mund-Asymmetrie links und eine Hypakusis, die sonstigen Hirnnerven ("Hn") seien ohne Befund ("oB"), das Gangbild war unauffällig.

Der Beklagte ermittelte, dass in dem zuständigen Gesundheitsamt des S.-B.-Kreises keine Impfschadensmeldung vorlag.

Im Auftrag des Beklagten erstattete der Facharzt für Neurologie Dr. N., V.-Hospital R., das Gutachten vom 3. Februar 2015. Er führte aus, die Klägerin habe bei der Anamnese mitgeteilt, es sei während der Rehabilitation in den Kliniken S. aufgefallen, dass sie schlecht höre, das Hörvermögen sei weiterhin schlecht geblieben, das Gehvermögen sei besser geworden. Bei der Untersuchung, so Dr. N., hätten sich im Gesicht normale Sensibilitäten und insbesondere keine Facialis-Parese gezeigt, anamnestisch habe die Klägerin eine Hörminderung bds., links ausgeprägter als rechts, angegeben. Das Gehen sei noch leicht unsicher, der Seiltänzergang kaum durchführbar, der Finger-Nase- und der Knie-Hacken-Versuch seien unauffällig. Die elektroneurografische Untersuchung habe das Bild einer sensomotorischen axonal-demyelinisierenden Polyneuropathie gezeigt. Zu diagnostizieren sei daher ein GBS. Dieses beruhe - auch unter Würdigung des Epidemiologischen Bulletins des R.-Instituts vom 24. Juni 2007 - mit Wahrscheinlichkeit auf der FSME-Impfung mit "Encepur Erwachsene". Verblieben seien eine leichte Stand- und Gangataxie, die mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 20 zu bewerten seien. Die geltend gemachte Hörbeeinträchtigung und die anamnestisch angegebenen, aber klinisch nicht aufgefallenen Gedächtnisstörungen seien wahrscheinlich nicht auf die Impfung zu beziehen.

Nachdem der Versorgungsärztliche Dienst des Beklagten, OMR i.R. K., dem Gutachten zugestimmt hatte (Stellungnahme vom 9. März 2015), erließ der Beklagte den "Erstanerkennungsbescheid" vom 4. Mai 2015. Er entschied, dass bei der Klägerin als Folgen eines schädigenden Ereignisses im Sinne des Impfschadensrechts "Gleichgewichtsstörungen und Sensibilitätsminderungen bei polyneuropathischer Schädigung nach GBS" vorliegen, der dadurch bedingte GdS 20 beträgt und sie wegen der Schädigungsfolgen Anspruch auf Heilbehandlung hat. Die Gewährung einer Beschädigtengrundrente lehnte er ab, weil kein GdS von wenigstens 25 erreicht werde.

Die Klägerin erhob Widerspruch und wandte sich im Wesentlichen gegen das Gutachten Dr. N ... Bereits die Anamnese sei lückenhaft. Sie trug ergänzend vor, sie habe bereits unmittelbar nach der Injektion ein Unwohlsein und einen Schmerz im linken Oberarm verspürt. Bereits am selben Tag, dem 10. April 2014, habe sie Dr. L. von diesen Symptomen berichtet, allerdings als Begleiterin ihres Mannes, der dort um 16.00 Uhr einen Termin gehabt habe, so dass sich Dr. L. auf diesen konzentriert habe. Auf physischer Ebene sei sie weiterhin im Haushalt sehr belastet. In keinem Schreiben sei erwähnt worden, dass sie an einer Hepatitis gelitten habe und insoweit Labor-werte vom 13. Mai 2014 (Kliniken S.) vorlägen. Ferner sei die Zunahme der Hörminderung links eindeutig auf die Impfung zurückzuführen. Dr. N. habe nur vage eine andere Meinung geäußert. Insgesamt seien die Schädigungen des zentralen Nervensystems und die psychischen Belastungen im Alltag deutlich zu wenig berücksichtigt worden. Die Klägerin legte neue ärztliche Unterlagen vor, darunter die Bestätigung des P.-Instituts vom 19. Mai 2014 über die eingegangene Impfschadensmeldung des S.-B.-Klinikums in ihrem Fall, den Bericht des Neurologen Dr. K. vom 23. Juni 2015 (GBS mit Hirnnerven-Beteiligung im April 2014, beidseitige linksbetonte Hypakusis, übriger Hirnnervenstatus regerecht, die Klägerin habe insistiert, dass die Hörminderung erst nach der Impfung aufgetreten sei, diesbezüglich sei eine Abklärung in der HNO-Klinik veranlasst worden) und den Bericht jener Klinik, Dr. L., vom 8. Juli 2015. Dort war ein "Asymmetric hearing loss links größer als rechts" bei Z.n. GBS diagnostiziert worden. Tonaudiometrisch habe sich links eine hochgradige bis an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit gezeigt. In Zusammenhang mit der initialen, inzwischen abgeklungenen Facialis-Parese und mit der Vorgeschichte sei ein Zusammenhang mit dem GBS zu vermuten. Weitere Untersuchungen seien sinnvoll.

Der Beklagte zog die SB-Akte der Klägerin bei, darunter das Ton-Audiogramm vom 13. Oktober 1999. OMR i.R. K. führte versorgungsärztlich aus, bei der Klägerin habe bereits damals eine gering- bis mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit vorgelegen, sie sei seinerzeit 55 Jahre alt gewesen, es können daher nicht mit Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die angegebene Verschlechterung links auf das GBS zurückzuführen sei, vielmehr sei von einer Verschlechterung im Alter wie bei vielen anderen Menschen auch auszugehen.

Daraufhin erging der zurückweisende Widerspruchsbescheid vom 3. November 2015.

Hiergegen hat die Klägerin am 19. November 2015 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Die neurologischen Folgen der Impfung seien höher zu bewerten, sie befinde sich weiterhin in laufender physiotherapeutischer Behandlung und leide vor allem an Gleichgewichtsstörungen. Die Schwerhörigkeit sei auf die Impfung zurückzuführen. Ferner habe sich eine psychische Krankheit entwickelt, weswegen sie sich in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung befinde. Hierzu hat sie die Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. G. vom 18. November 2015 vorgelegt, wonach in Folge der Impfung eine Hörminderung bds. auf Grund des GBS, eine Halbseitenschwäche, attaktische Störungen, eine Verdauungsstörung, Wortfindungsstörungen, Gleichgewichtsstörungen und eine Sensibilitätsstörung im Bereich der Hände und Gedächtnisblockaden vorlägen. Diese Störungsbilder führten zu anhaltenden Ängsten und depressiven Verarbeitungen. Es habe sich eine Phobie vor Injektionen entwickelt, sodass keine Impfungen mehr vorgenommen würden. Der Gesamtsituation würde eine MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) von 30 v.H. gerecht.

Auf Nachfrage des SG hat die Klägerin noch mitgeteilt, die Beschwerden auf Grund des 1999 diagnostizierten Tinnitus hätten sich nach dem Wegfall der psychischen Probleme am Arbeitsplatz gebessert, weswegen ab dem Jahre 2000 keine HNO-ärztliche Behandlung mehr stattgefunden habe. Erst am 8. Juli 2014 habe sie wieder den HNO-Arzt Dr. E. aufgesucht. Inzwischen seien ihr Hörgeräte verordnet worden.

Das SG hat die benannten behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Dr. E. hat am 25. April 2016 mitgeteilt, die Klägerin habe sich ihm zweimal, am 8. Juli und am 14. September 2014, vorgestellt. Es seien grundsätzlich medikamenteninduzierte Hörverschlechterungen bekannt, z.B. bei Chemotherapien. Im Rahmen eines Impfschadens sei ihm dies zwar nicht bekannt, könne aber nicht ausgeschlossen werden. Es fehlten Vergleichsbefunde aus der Zeit kurz vor der Impfung. Dr. E. hat Ton- und Sprachaudiogramme von beiden Behandlungstagen sowie vom 1. September 2014 (Hörgeräteakustiker) vorgelegt. Dr. F., der bis 1999 behandelnde HNO-Arzt, hat mitgeteilt, die Klägerin habe sich seit mehr als zehn Jahren nicht vorgestellt.

Von Amts wegen hat das SG das schriftliche Gutachten vom 25. Februar 2017 bei Prof. Dr. R., Oberarzt der Sektion Phoniatrie und Pädaudiologie des Universitäts-HNO-Klinikums U. erhoben. Dieser Sachverständige hat bekundet, bei der Klägerin bestehe eine reine Innen-ohrschwerhörigkeit geringgradig rechts, an Taubheit grenzend links. Die Hörverluste betrügen tonaudiometrisch 31 % und 88 %, sprachaudiometrisch 10 % und 95 %, gewichtet 10 % und 100 %. Dass diese Schädigung auf die Impfung zurückzuführen sei, sei sehr unwahrscheinlich. In der medizinischen Literatur existierten nur Einzelfallberichte zu Hörstörungen, die mit einem GBS assoziiert seien. Diese schritten üblicherweise jedoch nicht weiter fort, sondern bildeten sich wie die anderen Nervenausfälle in der Mehrzahl sogar wieder zurück. Ferner seien sie meistens radiologisch nachweisbar. Diese Voraussetzungen fehlten bei der Klägerin. Schon 1999 habe eine gering-mittelgradige Hörstörung bds. bestanden. Ferner ergebe sich aus den Unterlagen der Krankenkasse ein Hörsturz am 16. oder 17. Dezember 1999, wobei die Seite nicht angegeben sei. Im weiteren Verlauf sei es zu einem Fortschreiten der Hörstörung vor allem links gekommen. Die Hörschwellen rechts und links hätten sich im Vergleich der Messungen nach der Impfung (8. Juli 2014, 8. Juli 2015, nunmehr 20. Februar 2017) regelmäßig weiter verschlechtert, sodass nunmehr nahezu Taubheit links vorliege. In den CT- und MRT-Untersuchungen kurz nach der Impfung seien keine pathologischen Befunde bzw. Läsionen der Hörnerven festgestellt worden. Es sei daher eher von einer progredienten Innenohrschwerhörigkeit im Sinne einer Altersschwerhörigkeit auszugehen.

Auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin hat das SG das schriftliche Gutachten vom 28. August 2017 bei dem Facharzt für Psychosomatische Medizin, Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. B. erhoben. Dieser Sachverständige hat ausgeführt, die Klägerin leide an einem Zustand nach GBS mit Schwindel, an Sensibilitätsstörungen, Koordinationsstörungen und Taubheit des linken Ohrs nach GBS, an einer Schwerhörigkeit rechts, an Psoriasis, an einem Asthma bronchiale und an einer Somatisierungsstörung. Aus neurologischer Sicht sei es nicht nachvollziehbar, warum das linke Ohr nicht durch das GBS geschädigt worden sein solle, obwohl linksseitig eine Facialis-Parese nachgewiesen worden sei. Es sei vielmehr physiologisch nachvollziehbar, dass sich parallel zu der Facialis-Parese, die durch eine Schädigung des Hirnnervs VII (N. facialis) verursacht werde, auch eine Taubheit links durch eine Entzündung des Hörnervs, des Hirnnervs VIII (N. vestibulocochlearis), eingestellt habe. Die Hirnnerven VII und VIII lägen dicht nebeneinander. Erst nach dem GBS habe sich - bei der Behandlung in G. - Schwerhörigkeit gezeigt, in einer späteren Untersuchung sei Taubheit zu beobachten gewesen. Dass die Klägerin 1999 und 2000 wegen eines Tinnitus und eines Hörsturzes in Behandlung gewesen sei, impliziere nicht zwingend eine daraus folgende Schwerhörigkeit. Die Klägerin habe in der Folgezeit auch keine Schwerhörigkeit behandeln lassen, da ihr Gehör ausreichend gut gewesen sei, während nach einem Tinnitus üblicherweise Kontrollen erfolgten. Auch eine zufällige altersbedingte Zunahme der Schwerhörigkeit schließe nicht aus, dass das GBS zusätzlich das linke Gehör geschädigt habe. Das Ausmaß der funktionellen Beeinträchtigungen der Klägerin durch den Impfschaden sei wegen der wahrscheinlichen Schädigung des Hörnervs und der dadurch entstandenen psychischen Beeinträchtigung mit einem GdS von 30 zu bewerten.

Der Beklagte ist den Ausführungen des Wahlgutachters entgegengetreten und hat darauf hingewiesen, dass in der Inkubationszeit von vier bis 28 Tagen nach einer Impfung, die in der Fachliteratur gefordert werde, keine Verschlimmerung der Hörstörung aufgetreten sei.

Hierzu hat Prof. Dr. B. am 4. Januar 2018 ergänzend Stellung genommen. Er hat ausgeführt, es sei in der Medizin unstreitig, dass das GBS die Hirnnerven mit betreffe. Hierzu gehöre der Hörnerv, dessen Schädigung hier die Hörstörung verursacht habe. Es gebe keine Literaturstellen, wonach der Hörnerv nicht betroffen sei. Es sei für das GBS nicht entscheidend, welche, sondern dass Hirnnerven betroffen seien. Die Hirnnerven VI (gemeint: VII [N. facialis], VI ist der N. abducens) und VIII (N. vestibulocochlearis) unterschieden sich physiologisch nicht. Beide seien gleichermaßen anfällig für Entzündungen.

Mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 15. März 2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin leide als Folge des Impfschadens noch an einer leichten Stand- und Gangataxie auf Grund der elektroneurografisch nachweisbaren peripheren Nervenschädigung. Diese sei mit einem GdS von 20 ausreichend bewertet, wobei die rechtlichen Vorgaben für die Bewertung von Polyneuropathien sowie von Gleichgewichtsstörungen anzuwenden seien. Zu berücksichtigen sei auch, dass nach der Behandlung bei Dr. K. (Arztbrief vom 23. Juni 2015) eine weitere leichte Besserung eingetreten sei. Insbesondere habe sich die Facialis-Parese komplett zurückgebildet. Ebenso sei zu berücksichtigen, dass bei der Gangunsicherheit nach den Angaben Dr. K.s eine phobische Komponente bestehe, die nicht der Impfung angeschuldigt werden könne. Psychische Einschränkungen mit Krankheitswert lägen aber nicht vor. Auch die Hörminderung links sei keine Folge der Impfung. Dies habe das Gutachten von Prof. Dr. R. überzeugend herausgearbeitet. Die Symptomatik und ihre Entwicklung sei untypisch für eine Nervenschädigung. Entgegen den Angaben der Klägerin sei die Hörminderung nicht nach der Impfung von heute auf morgen aufgetreten, sondern sie sei erst mit zeitlichem Abstand nachgewiesen worden und habe sich dann allmählich und kontinuierlich entwickelt. Nach dem wissenschaftlichen Kenntnisstand bildeten sich jedoch Nervenausfälle nach einem GBS in der Mehrzahl wieder zurück. Dem anders lautenden Gutachten von Prof. Dr. B. sei nicht zu folgen. Eine Schädigung des Hörnervs sei nicht nachgewiesen und jedenfalls auf Grund des beschriebenen Verlaufs nicht verantwortlich für die Schwerhörigkeit. Letztlich könne auch die Aussage von Dr. G. einen Rentenanspruch nicht begründen. Dieser Arzt habe seinen Vorschlag, einen GdS von 30 anzunehmen, auch mit Erkrankungen begründet, die nicht auf den Impfschaden zurückzuführen seien, darunter eine Verdauungsstörung auf Grund der Autoimmunhepatitis.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 10. April 2018 bei dem SG Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben. Sie trägt vor, auch die Hörminderung links sei auf die Impfung zurückzuführen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass sie seit 2002 nicht mehr in HNO-ärztlicher Behandlung gewesen sei, obwohl sie ansonsten regelmäßig Ärzte aufgesucht habe. Auch die gravierende Differenz der Hörverluste links und rechts spreche für einen Zusammenhang. Es sei daher dem Gutachten Prof. Dr. B. zu folgen. Ferner habe das SG den Fokus zu Unrecht auf die Hörminderung gelegt. Auch die neurologischen Schädigungen, insbesondere eine Halbseitenschwäche, attaktische, Verdauungs-, Wortfindungs-, Gleichgewichts- und Sensibilitätsstörungen und Gedächtnisblockaden, sowie die psychischen Störungen in Form von Ängsten und Phobien, die Kopfschmerzen und die Hepatitis habe das GBS ausgelöst. Unter diesen Schädigungen leide sie besonders, so sei sie auf Unterstützung durch eine Haushaltshilfe angewiesen und habe krankheitsbedingt umziehen müssen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgericht Reutlingen vom 15. März 2018 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 4. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2015 teilweise aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr ab dem 1. Juli 2014 eine Beschädigtengrundrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 30 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil und seine Entscheidungen.

Auf Nachfrage des Senats hat die Klägerin mitgeteilt, sie sei wegen der Hepatitis nicht in Behandlung, jedoch sei sie wegen der Folgen jener Krankheit bis heute eingeschränkt, weil sie ihre Ernährung habe umstellen müssen.

Mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2018 hat die Klägerin die Behandlungsberichte der Neurologin Dr. C. vom 26. November und vom 6. Dezember 2018 eingereicht. Danach bestehen bei der Klägerin eine leichte Dysarthrophie mit manchmal leichten Schluckstörungen, eine leichte Mundastschwäche links, eine Hypakusis bds. mit rechts erfolgreicher und links erfolgloser Hörgeräteversorgung, ein rasches Absinken im Armhalteversuch links deutlicher als rechts mit paresebedingtem Zittern und Einschränkungen bei den Gang- und Standvaria, der freie Gang sei etwas schleppend, das linke Bein werde nachgezogen, es bestehe allgemeine Sturzneigung, Gehhilfen würden nicht eingesetzt. Die Klägerin sei allein in der Praxis erschienen, sie sei vor kurzem nach Müllheim umgezogen, um ihren Kindern näher zu sein, sie könne keinen Sport mehr ausüben, während sie früher in einer Wandergruppe gewesen sei und lange Radtouren unternommen habe. Zu diagnostizieren seien als Folgen der FSME-Impfung bzw. des dadurch verursachten GBS eine Tetraparese links und beinbetont mit konsekutiver Gang- und Standstörung mit allgemeiner Sturzneigung, eine Hypakusis bds. mit Hörgeräteversorgung, eine intermittierende leichte Schluckstörung und eine leichte Dysarthrophonie. Ferner lägen eine Schilddrüsenfunktionsstörung und ein Z.n. BWK12-Fraktur 1998 vor. Bei der Behandlung sei eine Miller-Fisher-Variante des GBS vermutet worden, denn bereits initial habe mit einer Mundastschwäche links eine über die Hörstörung hinausgehende Beteiligung der Hirnnerven vorgelegen. Die Paresen seien von außerordentlich schweren Schmerzen begleitet gewesen, weswegen Schmerzmedikamente in hoher Dosis verabreicht worden seien.

Wegen des Sachverhalts im Einzelnen und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungspflichtig, weil die Klägerin laufende Sozialleistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere hat sie die Klägerin form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben.

Sie ist aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Dabei ist der Antrag der Klägerin als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG) statthaft und zulässig. Die Klägerin begehrt allein die Gewährung einer laufenden Geldleistung, die ausdrückliche (behördliche oder gerichtliche) Feststellung weiterer Gesundheitsschäden als Folgen der Impfung hat sie nicht beantragt. Insoweit kann sie die Verurteilung des Beklagten dem Grunde nach (§ 130 Abs. 1 SGG) erwirken, bei einer pauschalierten und in die Zukunft gerichteten noch laufenden Sozialleistung wie hier ist eine Bezifferung nicht notwendig. Die begehrte Leistung ist als Beschädigtengrundrente ausreichend bestimmt. Der Anspruch der Klägerin ist auch durch Verwaltungsakt beschieden worden, wie es in einem Subordinationsverhältnis wie hier notwendig ist. Der Beklagte hat in dem insoweit angefochtenen "Erstanerkennungsbescheid" vom 4. Mai 2015 ausdrücklich (Ziffer 2 Satz 3 des Tenors) die Gewährung einer Beschädigtengrundrente abgelehnt. Daher war dieser Anspruch auch Gegenstand des nach § 78 Abs. 1 SGG vorgeschriebenen Vorverfahrens.

Die Klage ist aber nicht begründet.

Die Grundlage des klägerischen Anspruchs ist § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) in der Fassung vom 19. Juni 2006 i.V.m. § 31 Abs. 1 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz - BVG).

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit das IfSG nichts Abweichendes bestimmt. Zu diesen Versorgungsansprüchen gehört die Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs. 1 BVG. Diese bemisst sich nach der Höhe des GdS im Sinne von - in medizinischer Hinsicht - § 30 Abs. 1 BVG, der sich, sofern eine besondere berufliche Betroffenheit (bbB) vorliegt, ggfs. nach § 30 Abs. 2 BVG erhöht. Der GdS wird nach § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen, dabei wird ein bis zu fünf Grad geringerer GdS von dem höheren Zehnergrad umfasst. Anspruch auf Beschädigtengrundrente besteht nach § 31 Abs. 1 BVG ab einem GdS von 30, unter Einbeziehung der genannten Sonderregelung in § 30 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BVG schon ab einem GdS von 25.

Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin ihren Anspruch gegen den richtigen Beklagten gerichtet. Für Ansprüche nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 IfSG ist nach § 66 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 IfSG das Land passivlegitimiert, in dem der Impfschaden verursacht worden ist.

Der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtengrundrente besteht jedoch nicht. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig.

Bei der Klägerin sind im Augenblick lediglich die Auswirkungen des GBS (G61.0 ICD-10 GM) anerkannt. Im Rahmen einer Leistungsklage auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung, wie sie die Klägerin hier erhoben hat, sind aber alle tatsächlich vorliegenden Gesundheitsschäden auf Grund der Impfung zu berücksichtigen. Über den engen Wortlaut des § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG hinaus ist die Prüfung für den "medizinischen" GdS auf alle "anerkennten und anzuerkennenden" Schädigungsfolgen (vgl. bereits Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 4. Februar 1976 – 9 RV 136/75 –, SozR 3100 § 30 Nr. 13, Juris Rz. 17) zu erstrecken, nicht nur diejenigen, die durch Bescheid oder gerichtliches Urteil (vgl. § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 3 SGG) bereits anerkannt sind.

Vor diesem Hintergrund steht einer Berücksichtigung der Hörminderung der Klägerin im Rahmen der Rentenklage auch keine Bindungswirkung (§ 77 SGG) entgegen. Der Beklagte hat in dem Erstanerkennungsbescheid vom 4. Mai 2015 die Anerkennung einer Hörminderung als Schädigungsfolge nicht mit Rechtswirkung abgelehnt. In den drei Verfügungssätzen des Bescheids finden sich keine Ausführungen zu einer Hörminderung. Und soweit in der "Begründung" des Bescheids (Nr. 4) ausgeführt wird, die Hörschädigung sei nach Auffassung des Gutachters nicht auf die Impfung zurückzuführen und "könne" daher nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden, handelt es sich nach Ansicht des Senats nicht um einen weiteren, selbstständig regelnden Verfügungssatz in einer Begründung (vgl. dazu BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 20/14 R -, BSGE 118, 267, 269 f.; Urteil des Senats vom 24. Januar 2019 - L 6 U 1768/18 -, nicht veröffentlicht). Dazu ist diese Formulierung zu unbestimmt. Aus diesem Grunde hat der Senat auch nicht angeregt (§ 106 Abs. 1 SGG), die Klage um einen zusätzlichen Antrag zur Feststellung der Hörminderung als Schädigungsfolge zu erweitern, was nach § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG möglich gewesen wäre.

Die Hörminderung der Klägerin ist jedoch weder im Sinne der Entstehung noch der Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens auf die - als Schädigung anerkannte - 3. FSME-Impfung am 10. April 2014 zurückzuführen. Daher kann sie im Rahmen der Feststellung des GdS nicht berücksichtigt werden.

Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 61 Satz 1 IfSG). Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG anerkannt werden (§ 61 Satz 2 IfSG). Die Zustimmung kann allgemein erteilt werden (§ 61 Satz 3 IfSG).

Im Rahmen der Wahrscheinlichkeitszurechnung muss festgestellt werden, dass die Schutzimpfung nach der im Sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltenden Kausalitätstheorie die wesentliche Ursache für den Eintritt der gesundheitlichen Schädigung und diese wesentliche Ursache für die Schädigungsfolge, den Impfschaden, ist. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist. Für den Wahrscheinlichkeitszusammenhang reicht es aus, wenn mehr - objektiv festgestellte - Umstände (Indizien) für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht allerdings nicht aus (BSG, Urteil vom 19. März 1986 – 9a RVi 2/84 –, BSGE 60, 58-61, SozR 3850 § 51 Nr. 9, Juris Rz. 8). In diesem Rahmen ergeben sich weitere Regelungen für die Beurteilung des Wahrscheinlichkeitszusammenhangs zwischen einer Schädigung und einem Gesundheitsschaden (Erst- oder Folgeschaden) aus Abschnitt C der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG), der Anlage zu § 2 der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen, auf die Ermächtigungsgrundlage in § 30 Abs. 16 BVG gestützten Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV). Hier liegen keine ausdrücklichen, speziellen Regelungen für die Anerkennung von Impfschäden mehr vor, wie sie die früher herangezogenen "Anhaltspunkte für die gutachtliche Tätigkeit im Entschädigungsrecht" (AHP) enthalten hatten. Aus diesem Grunde muss bei der Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern entweder auf die AHP 2008 als deren letzte Fassung zurückgegriffen werden oder - bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten - es müssen andere Erkenntnisquellen wie etwa Sachverständigengutachten genutzt werden (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VJ 1/10 R -, SozR 4-3851 § 60 Nr. 4, Juris Rz. 41). Ferner berücksichtigt die Rechtsprechung bei der Kausalitätsbeurteilung die Verlautbarungen (Epidemiologischen Bulletins) der beim R.-Institut eingerichteten Ständigen Impfkommission (STIKO) über die Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Diese Bulletins stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar (vgl. Urteil des Senats vom 6. April 2017 – L 6 VJ 1281/15 –, Juris, Rz. 46 ff.). Demgegenüber können wissenschaftliche Einzelmeinungen nicht den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ergeben (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 6, Juris Rz. 21). Auch wenn sich eine wissenschaftliche Ansicht durchgesetzt hat, ist bei ihrer Anwendung zu prüfen, ob diese sich überhaupt auf den zu beurteilenden, mitunter lange zurückliegenden Vorgang bezieht. Da andere Ursachen jeweils andere Folgen nach sich ziehen können, gilt dies insbesondere für die Beurteilung von Kausalzusammenhängen. Dementsprechend muss im Impfschadensrecht sichergestellt werden, dass die nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse in Betracht zu ziehenden Impfkomplikationen gerade auch die Impfstoffe betreffen, die im konkreten Fall Verwendung gefunden haben (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VJ 1/10 R -, SozR 4-3851 § 60 Nr. 4, Juris Rz. 43).

Dass die Hörschädigung der Klägerin nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Impfung am 10. April 2014 als wesentlicher Ursache zurückgeführt werden kann, entnimmt der Senat im Wesentlichen dem Gutachten des Gerichtssachverständigen Prof. Dr. R. vom 25. Februar 2017 (§ 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 402 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]) und ergänzend dem Behördengutachten von Dr. N. vom 3. Februar 2015 sowie den ärztlichen Befundunterlagen aus der Zeit unmittelbar nach der Impfung; diese Unterlagen werden als Urkunden mit öffentlichem Glauben (§§ 415 Abs. 1, 418 Abs. 1 ZPO) berücksichtigt. Der entgegenstehenden Ansicht von Prof. Dr. B. in dem Wahlgutachten (§ 109 Abs. 1 SGG) vom 4. Januar 2018 folgt der Senat dagegen ebenso wie das SG nicht.

Bei der Klägerin lag bereits nach den ärztlichen Befundberichten vor der Impfung eine Hörminderung vor. Dieses Indiz spricht zumindest gegen eine Verursachung des Schadens durch die Impfung im Sinne der Entstehung.

Bereits ab 1999 bestanden bei der Klägerin ein Tinnitus und - vor allem - auch eine gering- bis mittelgradige Hörminderung bds. Dies ergibt sich aus dem Befundschein des HNO-Arztes F. vom 13. Oktober 1999 und dem damals erstellten Ton-Audiogramm, die seinerzeit in dem schwerbehindertenrechtlichen Verfahren der Klägerin zur Akte gelangt sind. Diese Beeinträchtigungen bezüglich des Hörens haben mindestens bis zum Jahre 2002 fortbestanden. Dies entnimmt der Senat aus dem Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse der Klägerin, das der Beklagte im impfschädigungsrechtlichen Verfahren beigezogen hat. Danach hatte Dr. S. die Klägerin für die Zeit vom 17. September 2000 bis zum 16. März 2002, also für 546 Tage, unter den Diagnosen Tinnitus und Depression behandelt bzw. krankgeschrieben.

Die Klägerin hat keinen Erfolg mit ihrem Vortrag, diese Hörminderung habe sich alsbald nach dem Ende der damaligen Behandlung zurückgebildet, sei also ausgeheilt gewesen, sodass die nach der Impfung aufgetretene Hörminderung eine Neuerkrankung sei. Eine solche Ausheilung der 1999 bestehenden Hörminderung ist nicht bewiesen. Ärztliche Unterlagen über das Hörvermögen aus der Zeit zwischen 2002 und der Impfung liegen nicht vor, weil die Klägerin - wie sie selbst ausführt - keine HNO-ärztlichen Behandlungen in Anspruch genommen hat. Dies geht nach den auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Regeln der materiellen (objektiven) Beweislast zu ihren Lasten. Dabei kann offen bleiben, ob die Beweislast für das Bestehen eines Vorschadens bzw. einer Vorerkrankung selbst, weil es sich um ein Contra-Indiz gegen einen Wahrscheinlichkeitszusammenhang handelt, bei dem Sozialleistungsträger liegt oder ob bereits eine solche Beweislastverteilung zu einer generellen Umkehr der Beweislast führen würde, die auch im Entschädigungsrecht nicht angenommen werden kann (vgl. zu der gleichen Problematik bei der Frage nach einer inneren Ursache eines Schadens BSG, Urteil vom 7. September 2004 – B 2 U 34/03 R –, Juris Rz. 22). Selbst in diesem Falle wäre für die Ausheilung eines Vorschadens vor einer Schädigung die Beweislast - wieder - bei dem geschädigten Menschen zu sehen. Es handelt sich um eine Gegeneinwendung im Sinne einer Replik. Hinzu kommt, dass derartige medizinisch geprägte Umstände wie ein Vorschaden und auch seine Ausheilung in der Sphäre des Betroffenen liegen, der allein - z.B. durch Arztbesuche - sicherstellen kann, dass entsprechende Feststellungen getroffen und Beweise gesichert werden. Der Sozialleistungsträger kann erst für die Sicherung solcher Umstände ab der Schädigung bzw. ab Beginn des Verwaltungsverfahrens verantwortlich sein, nicht für die Zeiten zuvor.

Generell gegen einen Wahrscheinlichkeitszusammenhang, hier auch im Sinne der Verschlimmerung, spricht ferner der zeitliche Abstand zwischen der Impfung und der Feststellung des hier geltend gemachten Gesundheitsschadens. Auf diesen Punkt hat vor allem der Gutachter Dr. N. hingewiesen.

Zwar hat die STIKO beim R.-Institut das Epidemiologische Bulletin Nr. 25/2007 vom 22. Juni 2007, auf das Dr. N. Bezug genommen hat, am 14. November 2017 zurückgezogen (https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2007/Aus¬ga¬ben/25 07.pdf, am 6. Febru¬ar 2019 abgerufen). Bereits dort war allerdings keine fest stehende Reaktionszeit nach einer Impfung genannt worden. Wie schon damals sind daher auch jetzt maßgeblich die Fachinformationen zu den jeweiligen Impfstoffen (https://www.rki.de/Sha¬redDocs/¬¬-FAQ/FSME/FSME-Imp¬fung/FS¬ME-Im¬pfung.html, abgerufen am 7. Februar 2019; ebenso schon in dem Bulletin vom 22. Juni 2007, S. 216 zu Nr. 9). Dr. N. hat insoweit auf eine Studie aus dem Jahre 1997 (Prof. Dr. K., FSME-Impfungen, Aktuelle Neurologie 24/1997, S. 124 ff.) verwiesen (Zusammenfassung auf https://www.thieme-connect.com/pro¬ducts/e¬journals/abstract/10.1055/s-2007-1017795, abgerufen am 1. Februar 2019). Danach ist nach einer FSME-Schutzimpfung in 1:1.000.000 Fällen mit dem Auftreten einer Neuritis (Nervenentzündung) zu rechnen, das zeitliche Intervall für das Auftreten liegt hiernach bei üblicherweise 7 bis 21 Tagen und höchstens bei 5 bis 42 Tagen. Dieses zeitliche Intervall wird auch in der Rechtsprechung weiterhin zu Grunde gelegt (Bayerisches LSG, Urteil vom 25. Juli 2017 – L 20 VJ 1/17 –, Juris, Rz. 31, 97).

In diesem Zeitintervall sind bei der Klägerin keine Umstände nachgewiesen, aus denen sich eine Verschlechterung des Hörvermögens auf Grund der Impfung ergeben könnte. Zwar stammt die erstmalige ärztliche Notiz, dass überhaupt ein Hörschaden vorliegt, aus dem Aufnahmebefund der Kliniken S. G., also vom 30. April 2014, mithin nur 20 Tage nach der Impfung. Aber der Senat wertet diesen Hinweis nicht als Nachweis einer möglichen Impfkomplikation. Wie ausgeführt, ist davon auszugehen, dass die 1999 diagnostizierte Vorschädigung des Gehörs fortbestanden hatte. Die Kliniken S. haben die Hörminderung entsprechend als "bekannt", also vorbestehend, bezeichnet. Die Verschlimmerung der Hörminderung auf der linken Seite, die hier allein als Impfschaden in Frage kommt, konnte nach diesen ärztlichen Feststellungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht diagnostiziert werden. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass bei der Entlassung aus den Kliniken S. am 17. Juni 2014 weder die Klägerin eine Hörminderung mitgeteilt noch die Ärzte eine solche festgestellt haben. Daraus kann geschlossen werden, dass auch während der Rehabilitation keine Verschlechterung aufgetreten ist. Danach ist die erste ärztliche Notiz, die einen - schwachen - Hinweis auf eine Veränderung des Hörvermögens ergibt, der Befundbericht von Dr. E. vom 8. Juli 2014. Dieser wurde aber erst 89 Tage nach der Impfung erstellt. Hiernach hatte die Klägerin über eine Verschlechterung des schon lange bestehenden Hörschadens geklagt, allerdings noch keine Seite angeben können. Dr. E. hat dann eine - geringe - Differenz im Hörvermögen gefunden, nämlich links eine Verschlechterung im Tieftonbereich. Aber er hat nicht die FSME-Impfung angeschuldigt, sondern einen Hörsturz im Frühjahr gemutmaßt.

Ebenfalls deutlich gegen einen Wahrscheinlichkeitszusammenhang spricht die Progredienz der Hörverschlechterung links. Auf diese Erwägung hat sich maßgeblich Prof. Dr. R. gestützt, was den Senat überzeugt hat. Denn er hat die Ton- und Sprachaudiogramme seit der Impfung (und davor) ausgewertet und daraus die laufende weitere Verschlechterung links herausgearbeitet sowie belegt. Ebenso folgt der Senat seiner ärztlichen Einschätzung, dass sich eine Hörminderung auf Grund einer Nervenschädigung nach wissenschaftlicher Erfahrung wieder zurückbildet und nicht voranschreitet. Die Studie von Takanori Takanawa et al. ("Sudden Deafness and Facial Diplegia in Guillain-Barré Syndrome: Radiological Depiction of Facial and Acoustic Nerve Lesions", Internal Medicin 51/2012, S. 2433 ff., im Volltext veröffentlicht bei https://www.jstage.jst.go.jp/article/internal¬medi¬ci¬ne/51/17/51 51.7737/ pdf, abgerufen am 8. Februar 2019), auf die sich Prof. Dr. R. gestützt hat, betraf zehn Patienten mit einem SHL (Sudden Hearing Loss), das mit einem GBS und einer Facialisparese assoziiert war. Bei allen neun Erwachsenen konnte die Symptomatik überwunden werden, nur bei dem einen untersuchten Kind blieb sie unverändert (a.a.O., S. 2436). Eine Progredienz trat in keinem Falle auf. Dies ist eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, die bereits dann gegen einen Wahrscheinlichkeitszusammenhang spräche, wenn das Hörvermögen nach einem GBS stabil schlecht bliebe, erst recht aber bei einem Voranschreiten wie hier. Diese ärztliche Einschätzung steht auch nicht allein. Schon Prof. Dr. K. hatte in der genannten Studie aus dem Jahre 1997 darauf hingewiesen, dass die von ihm beobachteten neurologischen Impfkomplikationen "eine günstige Prognose" hätten.

Letztlich spricht der medizinische Hergang keinesfalls für, sondern eher gegen einen Ursachenzusammenhang. Die einzige Erklärung für die Hörminderung der Klägerin ist eine Entzündung des N. vestibulocochlearis als Teil der Symptomatik des GBS, denn hierbei handelt es sich um eine entzündliche Nervenerkrankung. Eine solche Entzündung dieses Nervs ist aber nicht nachgewiesen, vielmehr sprechen die ärztlichen Feststellungen nach der Impfung sogar eher dafür, dass dieser Nerv nicht entzündet war. Bei der Erstbehandlung im S.-B.-Klinikum ab dem 19. April 2014 trat bereits die "mundastbetonte Facialis-Parese" erst nach einigen Tagen auf, während bei der Aufnahme noch keine Störung der mimischen und sensiblen Gesichtsreaktionen auffielen. Insbesondere wurde weder klinisch noch elektroneurografisch eine Schädigung des Hörnervs festgestellt. Vielmehr konnte bei der CT- am 21. April und der MRT-Untersuchung am 23. April 2014 keine pathologischen Befunde bzw. keine Läsionen des Hörnervs festgestellt werden. Hierauf hat auch der Sachverständige Prof. Dr. R. zutreffend hingewiesen. Das Gleiche gilt für die anschließende Behandlung in den Kliniken S. in G ... Und bei der anschließenden Untersuchung bei Dr. K. am 25. Juli 2014 wurde ausdrücklich festgehalten, dass die "sonstigen" Hirnnerven ohne Befund waren.

Vor diesem Hintergrund kann der Senat nicht der Einschätzung des Prof. Dr. B. folgen. Seine Erwägungen, es sei nicht nachvollziehbar, warum nicht "auch" der Hörnerv betroffen gewesen sein solle, betreffen nur die Frage, ob eine solche Entzündung ausgeschlossen ist. Damit besteht kein positiver Nachweis dafür, dass es eine solche gegeben hat, seine Schlussfolgerung bewegt sich im Bereich der Mutmaßung. Ferner wertet Prof. Dr. B. einige Umstände zu Gunsten eines Zusammenhangs, obwohl sie, zum Teil aus Rechtsgründen, dagegen sprechen. So weist er darauf hin, dass die Klägerin zwischen 2002 und 2014 nicht in ärztlicher Behandlung war und wertet dies als Indiz dafür, dass keine Hörschädigung vorgelegen hatte. Da aber hier für die Jahre 1999 und 2002 ein Vorschaden erwiesen ist und die Beweislast für eine Ausheilung daher bei der Klägerin liegt, kann dieser Umstand so nicht gewertet werden. Ebenso verbleibt der Sachverständige im Bereich bloßer Spekulation, wenn er ausführt, es sei für ihn nicht nachvollziehbar, dass der Hirnnerv VII entzündet gewesen sei, der daneben liegende Hirnnerv VIII aber nicht. Die einzelnen tatsächlichen Umstände (Indizien), die in die Beurteilung des Wahrscheinlichkeitszusammenhangs eingestellt werden müssen, sind aber ihrerseits im Vollbeweis zu sichern. Es reicht nicht aus, dass sie nur wahrscheinlich oder gar nur möglich sind. Ebenso kann der Senat nicht seinen Ausführungen in der ergänzenden Stellungnahme vom 4. Januar 2018 folgen. Es macht einen Unterschied, welcher Hirnnerv entzündet ist. Es kann für die Anerkennung einer Hörschädigung nicht ausreichen, eine Entzündung in irgendeinem Hirnnerv festzustellen, wenn dieser das Gehör gar nicht versorgt.

Soweit sich die Klägerin auf die Befundberichte von Dr. K. vom 23. Juni 2015 und von Dr. L. vom 8. Juli 2015 beruft, ergibt sich daraus keine abweichende Einschätzung. Dr. K. hat die Klägerin lediglich in die HNO-Klinik Freiburg überwiesen, weil diese darauf insistiert habe, dass die Hörminderung erst im S.-B.-Klinikum aufgetreten sei. Er selbst hat nichts zu einem Ursachenzusammenhang gesagt. Dr. L. hat einen Zusammenhang zwischen dem GBS und der Hörminderung lediglich vermutet, aber insoweit noch weitere (elektroaudiometrische oder elektroneurografische) Untersuchungen für notwendig gehalten. Auch hieraus ergibt sich kein positives Indiz für einen Ursachenzusammenhang.

Eine Anerkennung der Hörminderung im Rahmen der Kann-Versorgung scheidet ebenfalls aus. Über die - möglichen - Ursachen einer Hörminderung wie jener der Klägerin besteht in der Wissenschaft keine Ungewissheit im Sinne von § 61 Satz 2 IfSG. Vielmehr kann die Schwerhörigkeit der Klägerin, gerade bei einer Progredienz ausgehend von den hohen Frequenzen wie hier auch als Altersschwerhörigkeit erklärt werden. Bei der Presbyakusis handelt es sich um eine anerkannte Diagnose (H91.1 ICD-10 GM). Auf diese alternative Erklärungsmöglichkeit hat insbesondere auch Prof. Dr. R. hingewiesen.

Andere bislang nicht anerkannte Folgen der Impfung vermag der Senat ebenfalls nicht zu erkennen. Auf die Nachfrage nach der geltend gemachten Hepatitis im Berufungsverfahren hat die Klägerin sinngemäß geantwortet, diese Erkrankung liege nicht mehr vor, sie leide nur noch an nicht näher beschriebenen "Folgen" in Bezug auf eine Ernährungsumstellung. Auch für die Zeit nach der Impfung ist eine Hepatitis nicht ärztlich festgestellt worden. Soweit die Klägerin im Laufe des Verfahrens auf Laborwerte aus dem S.-B.-Klinikum verweist, ersetzt dies keine Diagnose durch einen Arzt. Die Konzentrationsstörungen und die Schluckstörung, auf die sich die Klägerin weiterhin beruft, konnten schon bei der Untersuchung bei dem Gutachter Dr. N. nicht festgestellt werden. Auch Prof. Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 28. August 2017 weder bei der klinischen Symptomatik noch im psychischen Befund Konzentrationsstörungen beschrieben. Wenn er dann gleichwohl eine entsprechende Symptomatik auflistet, kann dies nicht auf seinen eigenen Feststellungen beruhen und nicht überzeugen. Und letztlich ist zeitnah nach der Impfung keine Sprachstörung beschrieben. Bei der Untersuchung bei Dr. N. konnte eine Dysarthrie ausdrücklich ausgeschlossen werden.

Bei der Klägerin ist danach nur von den Gesundheitsschäden auszugehen, die der Beklagte als Folgen der Impfung vom 10. April 2014 anerkannt hat. Diese bedingen keinen GdS von mehr als 20. Auch eine besondere berufliche Betroffenheit nach § 30 Abs. 2 BVG liegt nicht vor. Insgesamt besteht daher kein Anspruch auf Beschädigtengrundrente.

Bereits bei der Untersuchung bei Dr. N. Anfang 2015 bestanden als Folgen des GBS noch eine leichte Stand- und Gangataxie. Eine Facialis-Parese bestand nicht mehr, sie war ausgeheilt, demzufolge lagen auch keine Schluckstörungen mehr vor. Klinische Symptome der Ataxie waren ein leicht unsicheres Gehen und Einschränkungen in den Gang- und Standvaria, insbesondere war der Seiltänzergang kaum durchführbar. Hinzu kamen die Schmerzen in den unteren Gliedmaßen im Sinne von Beschwerden eines Restless-legs-Syndroms, wobei zwar Dr. N., nicht aber das SG diese auf die Impfung bzw. das GBS zurückgeführt hat. Bereits bei Dr. N. hatte sich das Gehvermögen schon gebessert, die Klägerin fühlte sich beim Gehen noch unsicher, sie berichtete, sie stolpere oft und renne gegen Gegenstände. In den letzten vier Wochen vor der Untersuchung war sie nicht mehr gestürzt. Neben den Einschränkungen an den unteren Gliedmaßen bestanden noch sensible Störungen an den Händen, auch hatte die Klägerin mitgeteilt, einmal eine Tasse nicht habe halten zu können. Für die Zeit danach hat sich der Gesundheitszustand weiter gebessert. Darauf hat Dr. K. in seinem Arztbrief vom 23. Juni 2015 hingewiesen, wobei er sich auf die neurografischen Untersuchungen bezog, die "aktuell" sogar wieder im Normbereich lagen. Klinisch lagen bei ihm im Wesentlichen nur noch sensible Störungen vor. Zu dem nach wie vor leicht unsicheren Gangbild hat Dr. K. ausgeführt, es falle eine phobische Komponente auf, die nicht neurologisch erklärt werden könne, die aber durch regelmäßiges Training behoben werden könne. Insoweit kann daher die Gangstörung jedenfalls nicht vollständig der Impfung angelastet werden. Eine erneute wesentliche Verschlechterung hat sich dann auch nicht bis zu der Untersuchung bei Prof. Dr. B. im August 2017 ergeben. Es fiel weiterhin ein leicht unsicheres Gehen auf, daneben die Schmerzen und Sensibilitätsstörungen. Von Schwindelerscheinungen oder gar Stürzen in der Zeit davor hat die Klägerin auch bei Prof. Dr. B. nichts berichtet. Aus den aktuellen Berichten von Dr. C. vom 26. November und vom 6. Dezember 2018 ergeben sich keine Hinweise auf ein deutlich schlechteres Geh- oder Stehvermögen. Beschrieben werden weiterhin Einschränkungen bei den Gang- und Standvaria und ein "etwas schleppender" Gang. Aber die Klägerin erschien ohne Begleitung in der Praxis, benutzte keine Gehhilfen und ihr Gang war letztlich nach Dr. C. Beschreibung "frei".

In der Bewertung dieser Funktionseinbußen folgt der Senat ebenfalls dem SG. Nach den VG, Teil B Nr. 3.11, sind Polyneuropathien nach den jeweiligen motorischen und sensiblen Störungen bzw. Kombinationen aus beidem zu berücksichtigen. Auch wenn bei der Klägerin keine Polyneuropathie im engeren Sinne vorliegt, kann doch der Z.n. GBS, bei dem es sich ebenfalls um eine entzündliche Nervenerkrankung handelt, entsprechend bewertet werden. Die motorischen Störungen werden denn entsprechend den Regeln für periphere Nervenschäden (VG, Teil B Nr. 18.14) eingestellt. Bei der Klägerin ist nach den - elektroneurografischen - Feststellungen Dr. N. im Bereich der unteren Gliedmaßen der N. tibialis bds. betroffen. Insoweit sehen die VG für einen Totalausfall einen GdS von 30 vor. Bei einer solchen vollständigen Lähmung dieses Nervs fällt der Zehenstand aus, die Wadenmuskeln und die Zehenbeuger können nicht mehr angesprochen werden. Es folgt ein Hacken- und Krallenfuß. Demgegenüber kann die Klägerin den Zehenstand noch ausführen, wenn auch etwas unsicher, die Zehenbeugung selbst ist nicht eingeschränkt und für eine Fußdeformität ist nichts ersichtlich. Insoweit kommt auch unter Einbeziehung der sensiblen Störungen ein GdS von mehr als 20 nicht in Betracht. Dies gilt auch in Bezug auf die oberen Gliedmaßen. Dort liegen zwar auch Schädigungen vor, und zwar am N. ulnaris und am N. medianus bds. Aber funktionell sind allenfalls sensible, keine motorischen Störungen zurückgeblieben. Diese bedingen für sich keinen GdS von mehr als 10, der zu einer Erhöhung beitragen könnte (vgl. die VG, Teil B Nr. 18.13). Auch wenn letztlich die Gangunsicherheit, die allerdings nach Dr. K. Ausführungen eher als phobisch bedingt beschrieben hat, als Impfschaden berücksichtigt würde, ergäbe sich kein höherer GdS. Das SG hat insoweit zutreffend die VG, Teil B Nr. 5.3 herangezogen. Danach bedingt eine Gleichgewichtsstörung ohne wesentliche Folgen einen GdS von 0 bis 10. Damit sind alle Zustände bis hin zu einer stärkeren Unsicherheit mit Schwindelerscheinungen bei außergewöhnlichen Belastungen abgedeckt. Ein GdS von 20 kommt erst in Betracht, wenn bereits leichte Folgen bestehen, insbesondere eine leichte Unsicherheit mit geringen Schwindelerscheinungen wie Schwanken, Stolpern und Ausfallschritten bei alltäglichen Belastungen. Bei der Klägerin bestanden jedoch spätestens ab der Untersuchung bei Dr. N. solche Folgen nicht mehr. Sie hatte dort angegeben, der letzte Sturz liege mehr als vier Wochen zurück. Sie hat den Gang als frei beschrieben und im Wesentlichen nur auf ihre Angst hingewiesen, die aber, wie ausgeführt, nicht auf die Impfung zurückzuführen ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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