Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 350/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 563/19 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 11. Februar 2019 aufgehoben und der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden und statthaft (§§ 173, 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die Beschwerde ist auch begründet. Das Sozialgericht Mannheim (SG) hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 11.02.2019 den Antragsgegner zu Unrecht verpflichtet, den Antragstellern im Wege der einstweiligen Anordnung für die Zeit vom 01.09.2018 bis 31.01.2019 Leistungen für Kosten der Unterkunft in Höhe von 565,00 EUR monatlich zu gewähren.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen des Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (zum Begriff der Glaubhaftmachung vgl. BSG, Beschlüsse vom 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B - und vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B -, Juris).
Mit dem – allein durch den Antragsgegner – angefochtenen Beschluss des SG sind den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe der Kosten der Unterkunft für die Zeit vom 01.09.2018 bis 31.01.2019 im Wege der einstweiligen Anordnung zugesprochen worden. Unabhängig davon, ob, wie das SG annimmt, ein Anordnungsanspruch besteht, da die mit Bescheid vom 24.01.2019 erfolgte Versagung der Leistungen ab dem 01.09.2018 rechtswidrig gewesen sei, fehlt es für die Leistungserbringung für die Zeit vor dem 01.02.2019, ab dem der Antragsgegner bis zum 31.07.2019 vorläufig Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 565,00 EUR bewilligt hat, an dem erforderlichen Anordnungsgrund.
Ein Anordnungsgrund besteht regelmäßig nur, soweit Leistungen für die Gegenwart oder die nahe Zukunft begehrt werden. Durch eine einstweilige Anordnung sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d.h. gegenwärtig noch bestehenden Notlage erforderlich sind. Für die Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit besteht demgegenüber regelmäßig kein Anordnungsgrund. Sofern Leistungen für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum geltend gemacht werden, ist ein Anordnungsgrund nur dann zu bejahen, wenn noch ein gegenwärtiger schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.02.2017 - L 13 AS 26/17 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.01.2017 - L 19 AS 2381/16 B ER -; LSG Bayern, Beschluss vom 15.12.2016 - L 11 AS 712/16 B ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.09.2016 - L 32 AS 1688/16 B ER -, Juris; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., 2017, § 86b Rdnr. 368 ff., Meßling in Hauck/Behrend, SGG, § 86b Rdnr. 168). Die individuelle Interessenlage des Betroffenen, unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter muss es unzumutbar erscheinen lassen, den Betroffenen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen.
Das SG führt zutreffend aus, dass die Nichtgewährung der Leistungen in der Vergangenheit in die Gegenwart fortwirkt, weil sie Grund für die Mietrückstände gewesen sein dürfte und damit Grundlage der fristlosen Kündigung der Wohnung war. Allerdings kann die Gewährung von Kosten der Unterkunft für den Zeitraum September 2018 bis Januar 2019 den Verlust der Wohnung nicht mehr abwenden. Die fristlose Kündigung ist wirksam und kann aufgrund des Ablaufs der zweimonatigen Nachholfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) am 28.01.2019 auch nicht mehr durch eine Zahlung der Mietrückstände unwirksam gemacht werden. Die Antragsteller sind zwischenzeitlich auch durch das Amtsgericht H. mit Urteil vom 13.02.2019 (30 C 356/18) verurteilt worden, die Wohnung herauszugeben. Soweit das SG ausgeführt hat, bei einem vollständigen und zeitnahen Nachzahlen der Miete könne versucht werden, auf den Vermieter dahingehend einzuwirken, dass das Mietverhältnis dennoch fortgesetzt wird oder dass bei der Räumung der Wohnung den Antragstellern mehr Flexibilität eingeräumt wird, vermag dies vorliegend eine besondere Eilbedürftigkeit nicht zu begründen. Wie sich bereits aus der aktenkundigen E-Mail des Prozessbevollmächtigten des Vermieters an den Antragsgegner vom 07.02.2019 ergibt, hat der Vermieter kein Interesse an der Begründung eines Mietverhältnisse mit der Antragstellerin Ziff. 1. Ihr Verhalten sei so, dass ein Verbleib in der Wohnung nicht zumutbar sei und der Vermieter auf einen Räumungstitel bestehe. Auch auf entsprechende Nachfrage des zuständigen Richters des Amtsgerichts H. hat der Prozessbevollmächtigte des Vermieters mitgeteilt, auf die Vollstreckung des Räumungstitels werde auch bei einer nachträglichen Zahlung der Mietschulden nicht verzichtet. Der Verlust des Wohnraums zum 01.09.2019 – den Antragstellern ist durch das Amtsgericht H. eine Frist zur Räumung der Wohnung bis zum 31.08.2019 eingeräumt worden – kann auch durch eine rückwirkende Leistungserbringung nicht verhindert und damit die gegenwärtige Notlage der Antragsteller nicht beseitigt werden. Es ist daher nicht unzumutbar, die Antragsteller zur Durchsetzung ihres Anspruchs auf das Hauptsachverfahren zu verweisen, zumal der Antragsgegner sich bereits bereit erklärt hat, den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz als Widerspruch gegen den Versagungsbescheid vom 24.01.2019 zu werten und nach Vorlage der fehlenden Unterlagen über einen Leistungsanspruch für den Zeitraum 01.09.2018 bis 31.01.2019 zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden und statthaft (§§ 173, 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die Beschwerde ist auch begründet. Das Sozialgericht Mannheim (SG) hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 11.02.2019 den Antragsgegner zu Unrecht verpflichtet, den Antragstellern im Wege der einstweiligen Anordnung für die Zeit vom 01.09.2018 bis 31.01.2019 Leistungen für Kosten der Unterkunft in Höhe von 565,00 EUR monatlich zu gewähren.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen des Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (zum Begriff der Glaubhaftmachung vgl. BSG, Beschlüsse vom 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B - und vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B -, Juris).
Mit dem – allein durch den Antragsgegner – angefochtenen Beschluss des SG sind den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe der Kosten der Unterkunft für die Zeit vom 01.09.2018 bis 31.01.2019 im Wege der einstweiligen Anordnung zugesprochen worden. Unabhängig davon, ob, wie das SG annimmt, ein Anordnungsanspruch besteht, da die mit Bescheid vom 24.01.2019 erfolgte Versagung der Leistungen ab dem 01.09.2018 rechtswidrig gewesen sei, fehlt es für die Leistungserbringung für die Zeit vor dem 01.02.2019, ab dem der Antragsgegner bis zum 31.07.2019 vorläufig Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 565,00 EUR bewilligt hat, an dem erforderlichen Anordnungsgrund.
Ein Anordnungsgrund besteht regelmäßig nur, soweit Leistungen für die Gegenwart oder die nahe Zukunft begehrt werden. Durch eine einstweilige Anordnung sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d.h. gegenwärtig noch bestehenden Notlage erforderlich sind. Für die Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit besteht demgegenüber regelmäßig kein Anordnungsgrund. Sofern Leistungen für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum geltend gemacht werden, ist ein Anordnungsgrund nur dann zu bejahen, wenn noch ein gegenwärtiger schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.02.2017 - L 13 AS 26/17 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.01.2017 - L 19 AS 2381/16 B ER -; LSG Bayern, Beschluss vom 15.12.2016 - L 11 AS 712/16 B ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.09.2016 - L 32 AS 1688/16 B ER -, Juris; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., 2017, § 86b Rdnr. 368 ff., Meßling in Hauck/Behrend, SGG, § 86b Rdnr. 168). Die individuelle Interessenlage des Betroffenen, unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter muss es unzumutbar erscheinen lassen, den Betroffenen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen.
Das SG führt zutreffend aus, dass die Nichtgewährung der Leistungen in der Vergangenheit in die Gegenwart fortwirkt, weil sie Grund für die Mietrückstände gewesen sein dürfte und damit Grundlage der fristlosen Kündigung der Wohnung war. Allerdings kann die Gewährung von Kosten der Unterkunft für den Zeitraum September 2018 bis Januar 2019 den Verlust der Wohnung nicht mehr abwenden. Die fristlose Kündigung ist wirksam und kann aufgrund des Ablaufs der zweimonatigen Nachholfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) am 28.01.2019 auch nicht mehr durch eine Zahlung der Mietrückstände unwirksam gemacht werden. Die Antragsteller sind zwischenzeitlich auch durch das Amtsgericht H. mit Urteil vom 13.02.2019 (30 C 356/18) verurteilt worden, die Wohnung herauszugeben. Soweit das SG ausgeführt hat, bei einem vollständigen und zeitnahen Nachzahlen der Miete könne versucht werden, auf den Vermieter dahingehend einzuwirken, dass das Mietverhältnis dennoch fortgesetzt wird oder dass bei der Räumung der Wohnung den Antragstellern mehr Flexibilität eingeräumt wird, vermag dies vorliegend eine besondere Eilbedürftigkeit nicht zu begründen. Wie sich bereits aus der aktenkundigen E-Mail des Prozessbevollmächtigten des Vermieters an den Antragsgegner vom 07.02.2019 ergibt, hat der Vermieter kein Interesse an der Begründung eines Mietverhältnisse mit der Antragstellerin Ziff. 1. Ihr Verhalten sei so, dass ein Verbleib in der Wohnung nicht zumutbar sei und der Vermieter auf einen Räumungstitel bestehe. Auch auf entsprechende Nachfrage des zuständigen Richters des Amtsgerichts H. hat der Prozessbevollmächtigte des Vermieters mitgeteilt, auf die Vollstreckung des Räumungstitels werde auch bei einer nachträglichen Zahlung der Mietschulden nicht verzichtet. Der Verlust des Wohnraums zum 01.09.2019 – den Antragstellern ist durch das Amtsgericht H. eine Frist zur Räumung der Wohnung bis zum 31.08.2019 eingeräumt worden – kann auch durch eine rückwirkende Leistungserbringung nicht verhindert und damit die gegenwärtige Notlage der Antragsteller nicht beseitigt werden. Es ist daher nicht unzumutbar, die Antragsteller zur Durchsetzung ihres Anspruchs auf das Hauptsachverfahren zu verweisen, zumal der Antragsgegner sich bereits bereit erklärt hat, den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz als Widerspruch gegen den Versagungsbescheid vom 24.01.2019 zu werten und nach Vorlage der fehlenden Unterlagen über einen Leistungsanspruch für den Zeitraum 01.09.2018 bis 31.01.2019 zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
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