L 11 KR 3841/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 3814/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3841/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei einem Rechtsstreit auf Gewährung von Krankengeld bemisst sich der Wert des Beschwerdegegenstands iSv § 144 SGG nach dem Bruttobetrag des Krankengeldes. Bei Versäumung der Meldefrist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V kommt weder eine sog. Nachsichtgewährung noch eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht. Das Risiko, dass eine mit der Post versandte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht bei der Krankenkasse ankommt, trägt der Versicherte.
(Die Revision wurde vom Senat zugelassen)
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24.09.2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld (Krg) für den Zeitraum 28.05. bis 12.06.2016.

Der 1964 geborene Kläger war als Beschäftigter bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Ab 24.03.2016 war er arbeitsunfähig krank. Nach arbeitgeberseitiger Kündigung schied der Kläger mit dem 30.04.2016 arbeitsunfähig aus dem Arbeitsverhältnis aus. Ab 01.05.2016 gewährte die Beklagte ihm Krankengeld iHv 49,51 EUR netto/56,38 EUR brutto kalendertäglich.

Arbeitsunfähigkeit (AU) wurde bescheinigt durch die Gemeinschaftspraxis Dres. Sch./G. mit den Diagnosen F48.0G, F32.1G, F41.1G. Ausgestellt wurden ua folgende AU-Bescheinigungen: ausgestellt am: gültig bis: 02.05.2016 16.05.2016 17.05.2016 27.05.2016 30.05.2016 10.06.2016 13.06.2016 26.06.2016

Mit Bescheid vom 13.07.2016 teilte die Beklagte mit, dass der Kläger Krg nur bis 27.05.2016 erhalte, da die Folgebescheinigung ab 13.06.2016 nicht am Tag nach der letzten AU-Feststellung erfolgt sei. Ab dem 28.05.2016 sei der Kläger nicht mehr mit Anspruch auf Krg bei der Beklagten versichert.

Der Kläger meldete sich daraufhin am 15.07.2016 bei der Beklagten und erfuhr, dass die Bescheinigung vom 30.05.2016 nicht eingegangen sei. Er faxte diese noch am gleichen Tag an die Beklagte. Mit Bescheid vom 27.07.2016 stellte die Beklagte das Ruhen des Anspruchs auf Krg für den Zeitraum 28.05. bis 12.06.2016 fest, da die AU vom 30.05.2016 nicht innerhalb einer Woche gemeldet worden sei. Ab dem 13.06.2016 erhalte der Kläger wieder Krg. Dieses wurde in der Folge durchgehend weitergezahlt bis 17.10.2016. Anschließend bezog der Kläger Arbeitslosengeld.

Mit Schreiben vom 01.08.2016 erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, dass er alle Krankmeldungen fristgerecht eingereicht habe und dies über Postwertzeichen belegen könne. Am 30.05.2016 habe er die AU-Bescheinigung per Einschreiben an die Agentur für Arbeit und den Durchschlag per einfachem Brief an die Beklagte geschickt. Hierzu legte er eine Quittung der Post vom 30.05.2016 über 3,55 EUR vor (Einlieferungsbeleg über ein Einwurfeinschreiben und ein Postwertzeichen). Wenn die Bescheinigung bei der Beklagten verloren gehe, könne ihm dies nicht zugerechnet werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.05.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Meldung der AU sei Pflicht des Versicherten. Die Gefahr des Nichteingangs oder des nicht rechtzeitigen Eingangs der Meldung trage der Versicherte. Dies habe zur Folge, dass die Ruhensvorschrift auch greife, wenn die rechtzeitig zur Post gegebene Meldung dort verloren gehe und der Versicherte unverzüglich nach Kenntnis vom Verlust die Meldung nachhole.

Hiergegen richtet sich die am 06.07.2017 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage. Der Kläger könne durch die Quittung vom 30.05.2016 nachweisen, dass er den Brief mit der AU-Bescheinigung für die Beklagte direkt bei der Post in L. abgegeben habe. Er sei ein sehr pflichtbewusster Mensch und als langjähriger Bezirksschornsteinfegermeister damit betraut gewesen, rechtzeitig organisatorische Dinge zu regeln. Falls die Beklagte die Bescheinigung in ihrem Hause möglicherweise im Rahmen des Einscannens verloren habe, könne dies dem Kläger nicht zugerechnet werden. Er habe auch mehrfach bei der Beklagten wegen der sehr zögerlichen Auszahlung des Krg (erste Zahlung im Juli) nachgefragt, sei jedoch zu keinem Zeitpunkt auf die fehlende AU-Bescheinigung hingewiesen worden; auch sei er nicht über die Möglichkeit des Ruhens des Anspruchs belehrt worden. Nachdem er ein Schreiben der Beklagten vom 21.07.2016 erhalten habe, dass sich sein Versicherungsverhältnis zum 28.05.2016 geändert habe, habe er die Geschäftsstelle in N. aufgesucht und dort mit einer Sachbearbeiterin gesprochen. Er habe erklärt, dass er durchgehend krank gewesen sei und die AU-Bescheinigungen immer sofort mit der Post übersandt habe. Die Sachbearbeiterin habe ihm erklärt, dass die Sache damit in Ordnung sei. Der Kläger habe sich dies schriftlich bestätigen lassen. Das Schreiben vom 21.07.2016 enthalte daher den abgestempelten und unterschriebenen handschriftlichen Vermerk der Sachbearbeiterin: "Versicherungsverhältnis durch Krankengeldbezug ab 01.05.2016 bis laufend geklärt" (Blatt 95 SG-Akte).

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Aus den vorgelegten Postbelegen gehe lediglich hervor, dass ein Einwurf-Einschreiben – nach Angabe des Klägers an die Bundesagentur für Arbeit – zum Versand gebracht worden sei. Der handschriftliche Vermerk auf dem Schreiben vom 21.07.2016 diene lediglich der Klärung des Versicherungsverhältnisses und stelle zu diesem Zeitpunkt keine rechtzeitige Meldung der AU dar. Nicht nachvollziehbar sei der Vortrag des Klägers, dass beim Scannen der Post in einem Dienstleistungszentrum der Beklagten Briefe verloren gehen könnten. Im Zuge der elektronischen Verarbeitung der papiernen Post werde jedes Dokument am Eingangstag elektronisch signiert; Paginiernummer und Verarbeitungs-/Scan-Datum würden als Attribute mit dem digitalisierten Dokument verknüpft und gemeinsam mit diesem gespeichert. Das Risiko des Zugangs liege bei demjenigen, der die Post aufgebe.

Mit Urteil vom 24.09.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Gewährung von Krg im Zeitraum 28.05. bis 12.06.2016 stehe § 49 Abs 1 Nr 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) entgegen. Danach ruhe der Anspruch auf Krg, solange die AU der Krankenkasse nicht gemeldet werde; dies gelte nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der AU erfolge. Es handele sich um eine Obliegenheit des Versicherten. Die Gewährung von Krg bei verspäteter Meldung sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann ausgeschlossen, wenn die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen zweifelsfrei gegeben seien und den Versicherten keinerlei Verschulden am unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Zugang der Meldung treffe (unter Hinweis auf BSG 08.02.2000, B 1 KR 11/99 R; 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R und 10.05.2012, B 1 KR 20/11 R). Die an die nicht rechtzeitige Meldung geknüpfte Wirkung des Ruhens des Anspruchs trete auch ein, wenn der Versicherte die Meldung rechtzeitig zur Post gegeben habe und diese durch den Postlauf verzögert oder gar nicht bei der Beklagten eingehe (unter Hinweis auf BSG 24.06.1969, 3 RK 64/66). Die Wochenfrist sei hier nicht eingehalten, da die AU-Bescheinigung vom 30.05.2016 erst am 15.06.2016 bei der Beklagten eingegangen sei. Das SG gehe zwar davon aus, dass der Kläger diese am 30.05.2016 mit einfachem Brief abgesandt habe, der Zugang bei der Beklagten lasse sich jedoch nicht nachweisen. Das Risiko des Verlustes auf dem Postweg gehe zu seinen Lasten. Ein Ausnahmefall, wenn die ärztliche Feststellung oder die Meldung der AU durch Umstände verzögert oder verhindert worden sei, die in den Verantwortungsbereich der Krankenkasse falle, liege hier nicht vor. Der Vermerk auf Blatt 95 der SG-Akte beziehe sich auf das Versicherungsverhältnis, welches trotz Lücke in der Krg-Gewährung nicht unterbrochen sei und stelle keinen Beleg für einen rechtzeitigen Zugang der AU-Bescheinigung dar.

Gegen das seiner Bevollmächtigten am 27.09.2018 zugestellte Urteil richtet sich die am 26.10.2018 eingelegte Berufung des Klägers. Zu keinem Zeitpunkt sei ihm gesagt worden, dass es nicht genügen könnte, die AU-Bescheinigungen mit einfachem Brief an die Beklagte zu senden und er das Postlaufrisiko trage. Nicht einmal die Beklagte bestreite, dass der Kläger seinen Pflichten als Versicherter nachgekommen sei, sie berufe sich vielmehr darauf, dass ihm das Postlaufrisiko zuzuordnen sei. Hierauf könne sich die Beklagte auf der Grundlage des in dem Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnden Institut der Nachsichtgewährung jedoch nicht berufen (unter Hinweis auf Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen 01.02.2018, L 5 KR 265/17). Dort habe sich der Kläger auf die Übersendung durch den Arzt verlassen, auf den die Verpflichtung zur Übermittlung durch Überlassung von Freiumschlägen übertragen gewesen sei. Bezüglich des Sich-Verlassens auf die Übersendung durch die Deutsche Post bestehe kein Unterschied. Darüber hinaus habe die Beklagte selbst den beim Kläger angelegten Sorgfaltsmaßstab nicht erfüllt; sie habe die Daten der Kontakte mit dem Kläger unzutreffend und lückenhaft wiedergegeben. Zwar habe das BSG in mehreren Urteilen entschieden, dass die Meldeobliegenheiten stets strikt auszulegen seien. Hier liege der Fall jedoch anders. Der Kläger habe die AU-Bescheinigung so rechtzeitig abgeschickt, dass auch bei längerer Postlaufzeit die Wochenfrist gewahrt worden wäre. Dem Kläger sei mündlich am Telefon von einem Mitarbeiter der Beklagten mitgeteilt worden, dass immer wieder etwas im Rahmen des Einscannens verschwinde, das mit der Post komme. Mit dem Vermerk vom 26.07.2016 müsse sich die Beklagte zudem daran halten, dass ein Krg-Bezug vom 01.05.2016 bis laufend als geklärt gelte und von der Mitarbeiterin zugesichert worden sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24.09.2018 und den Bescheid der Beklagten vom 27.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.05.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Krankengeld für den Zeitraum 28.05. bis 12.06.2016 zu gewähren, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und damit zulässig. Streitig ist ein Anspruch auf Geldleistungen iHv 845,70 EUR. Der Beschwerdewert übersteigt damit 750 EUR (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1). Der Wert des Beschwerdegegenstandes im Sinne von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG richtet sich danach, was das SG dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was er davon mit seinen Berufungsanträgen weiterverfolgt. Bei einer Geldleistung ist daher der Wert des Beschwerdegegenstandes für das Berufungsverfahren nach dem Geldbetrag zu berechnen, um den unmittelbar gestritten wird. Rechtliche und wirtschaftliche Folgewirkungen der Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch bleiben außer Betracht (vgl BSG 27.07.2004, B 7 AL 104/03 R, SozR 4-1500 § 144 Nr 2 stRspr). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist hier auf das Bruttokrankengeld abzustellen, das sich nach § 47 SGB V unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Dies sind für die hier streitigen 15 Tage vom 28.05. bis 12.06.2016 (vgl § 47 Abs 1 Satz 7 SGB V) 845,70 EUR (56,38 EUR kalendertäglich).

Demgegenüber kommt es nicht darauf an, in welcher Höhe das Krankengeld nach Abführung der vom Kläger zu tragenden Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (vgl §§ 170 Abs 1 Nr 2 Buchst a, 176 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI), zur sozialen Pflegeversicherung (§§ 59 Abs 2 Satz 1, 60 Abs 2 Satz 1 1. Halbsatz Sozialgesetzbuch Elftes Buch - SGB XI) und zur Arbeitsförderung (§§ 347 Nr 5, 349 Abs 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III) "netto" an den Kläger tatsächlich ausgezahlt wird (aA LSG Baden-Württemberg 12.02.2010, L 4 KR 3594/08, juris Rn 24 ff.). Soweit das BSG diese Frage für das Arbeitslosengeld im Sinne einer Nettozahlung entschieden hat (vgl BSG 27.07.2004, B 7 AL 104/03 R, aaO), handelt es sich bei den dort allein von der Bundesagentur für Arbeit zu tragenden Beiträgen zur gesetzlichen Renten- , Kranken- und sozialen Pflegeversicherung der Bezieher von Arbeitslosengeld (vgl § 170 Abs 1 Nr 2 Buchst b SGB VI, § 251 Abs 4a SGB V, § 59 Abs 1 Satz 1 SGB XI) lediglich um rechtliche bzw wirtschaftliche Folgewirkungen der Gewährung von Arbeitslosengeld. Entsprechendes würde auch für die Zahlung von Krankengeld nach § 47b SGB V gelten, denn Krankengeld bei Beziehern von Arbeitslosengeld wird in Höhe des Betrags des Arbeitslosengelds gewährt und die (allein) von der Krankenkasse zu entrichtenden Beiträge zur Arbeitsförderung, Rentenversicherung und Pflegeversicherung (§ 347 Nr 5b SGB III, § 170 Abs 1 Nr 2a SGB VI, § 59 Abs 2 Satz 1 SGB XI) stellen ebenfalls nur Folgewirkungen dar. Dagegen handelt es sich bei der Abführung der Anteile des Versicherten zu den genannten Sozialversicherungsbeiträgen aus dem Krankengeld für Beschäftigte nicht um rechtliche oder wirtschaftliche Folgewirkungen der Gewährung von Krg. Vielmehr ist dieses kraft Gesetzes nach § 47 SGB V als solches als Bruttobetrag unabhängig von etwaigen Beitragspflichten der Versicherten zu bewilligen. Für die Wertberechnung gemäß § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG ist grundsätzlich nicht ausschlaggebend, ob der geltend gemachte Anspruch vom Sozialversicherungsträger direkt gegenüber dem Kläger zu erfüllen wäre, dieser den "Gegenwert" der beanspruchten Leistung mithin direkt in die Hand bekäme, oder ob aus dem gesetzlich vorgeschriebenen Anspruch Zahlungspflichten des Versicherten gegenüber anderen Sozialversicherungsträgern vorab zu erfüllen sind (so ausdrücklich BSG 27.07.2004, B 7 AL 104/03 R, aaO, Rn 15 aE). Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG. Der angestrebten Vereinfachung des Verfahrens durch Festlegung einer pauschalen Streitwertgrenze entspricht es, auf den leicht festzustellenden kalendertäglichen Bruttobetrag des Krankengeldes abzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen 01.02.2018, L 1 KR 764/16).

Die Berufung ist jedoch in der Sache nicht begründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) gegen den Bescheid vom 27.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.05.2017 zu Recht abgewiesen. Denn der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat für die Zeit vom 28.05. bis 12.06.2016 keinen Anspruch auf Krg.

Die grundlegenden Voraussetzungen für den Anspruch auf Krg ergeben sich aus den Regelungen der §§ 44 ff SGB V (hier idF des GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vom 16.07.2015, BGBl I, 1211). Danach setzt der Anspruch auf Krg zunächst voraus, dass der Kläger wegen Krankheit arbeitsunfähig war, die AU ärztlich festgestellt wurde und er weiterhin gegen das Risiko der AU bei der Beklagten versichert war. Diese Voraussetzungen sind auch für den streitigen Zeitraum unstreitig erfüllt. Der Kläger war arbeitsunfähig krank, dies wurde festgestellt durch die Gemeinschaftspraxis Dres. Sch./G. mit AU-Bescheinigungen vom 17.05 und 30.05.2016. Der Anspruch auf Krg entsteht nach § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V von dem Tag der ärztlichen Feststellung an und bleibt nach § 46 Satz 2 SGB V jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere AU wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der AU erfolgt, Samstage gelten nicht als Werktage. Danach bestand der Anspruch auf Krg durchgehend, denn der vorangegangene Bewilligungsabschnitt für Krg endete am Freitag, den 27.05. 2016 und die nachfolgende Feststellung datiert von Montag, 30.05.2016. Der Kläger war als Beschäftigter mit Anspruch auf Krg versichert und diese Versicherung wurde aufrecht erhalten über den Anspruch auf Krg gemäß § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V.

Der Anspruch auf Krg ruht jedoch im Zeitraum 28.05. bis 12.06.2016. Nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V ruht der Anspruch auf Krg, solange die AU der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Die AU gemäß Bescheinigung vom 30.05.2016 wurde der Beklagten erst am 15.07.2016 per Fax gemeldet, ein früherer Zugang der Meldung lässt sich nicht nachweisen. Die Wochenfrist ist damit nicht eingehalten. Eine Wiedereinsetzung in die Wochenfrist kommt nicht in Betracht, weil es sich bei dieser um eine Ausschlussfrist handelt (vgl BSG 28.10.1981, 3 RK 59/80, SozR 2200 § 216 Nr 5 = BSGE 52, 254; Schifferdecker in Kasseler Kommentar, SGB V, § 49 Rn 46; Brinkhoff in juris PK-SGB V, Stand 14.11.2018, § 49 Rn 47; Knittel in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand 100. EL, SGB V, § 49 Rn 35; Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, Stand August 2015, § 49 Rn 63). Die von der Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung erwähnte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), wonach von einem Bürger zur Fristwahrung nicht mehr verlangt werden dürfe, als die rechtzeitige Aufgabe einer Sendung zur Post, betrifft Fälle der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung von Rechtsmittelfristen. Nach ständiger Rechtsprechung dürfen Verzögerungen durch die Post in derartigen Fällen dem Bürger nicht als Verschulden zugerechnet werden (vgl BVerfG 22.09.2000, 1 BvR 1059/00, NJW 2001, 744; BVerfG 25.09.2000, 1 BvR 2104/99, SozR 3-1100 Art 103 Nr 8). Eine Wiedereinsetzung kommt bei der Ausschlussfrist nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V jedoch nicht in Betracht, wie bereits ausgeführt. Im Hinblick auf die nur begrenzten Auswirkungen der Norm (Ruhen des Anspruchs), die zudem durch den Versicherten mit der Nachholung der Meldung bzw der Vorlage einer neuen AU-Meldung zeitlich begrenzt werden können, bestehen insoweit auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Davon abgesehen befasst sich die von der Bevollmächtigten des Klägers herangezogene Rechtsprechung des BVerfG nicht mit Fällen des Verlustes einer Sendung auf dem Postweg und der Frage, wer in derartigen Fällen das Postlaufrisiko trägt. Diese Frage ist nach allgemeinen Grundsätzen zu beantworten, wonach der Kläger für den (rechtzeitigen) Zugang bei der Krankenkasse die Verantwortung trägt.

Die Meldeobliegenheit ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG stets strikt auszulegen (vgl BSG 28.10.1981, 3 RK 59/80, aaO; BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 1 = BSGE 95, 219; BSG 16.12.2014, B 1 KR 37/14 R, SozR 4-2500 § 192 Nr 7 = BSGE 118, 52). Auch unter Berücksichtigung von § 5 Abs 1 Satz 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) wäre der Kläger nicht von seiner Meldepflicht suspendiert (BSG 18.10.2018, B 3 KR 23/17 R). Das EntgFG regelt nur die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall im Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer. Bei unterbliebener oder verzögerter Meldung können sich Versicherte auch nicht auf fehlendes eigenes Verschulden berufen, etwa bei einer rechtzeitig zur Post gegebenen, auf dem Postweg aber verlorengegangenen AU-Bescheinigung (BSG 24.06.1969, 3 RK 64/66, SozR Nr 8 zu § 216 RVO = BSGE 29, 271). Genauso liegt der Fall auch hier.

Die Beklagte hat mit dem schriftlichen Vermerk (Blatt 95 SG-Akte) "Versicherungsverhältnis durch Krankengeldbezug ab 01.05.2016 bis laufend geklärt" auch keine Zusicherung iSv § 34 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) abgegeben, dass sie durchgehend Krg bewilligen werde. Der Vermerk bezieht sich allein auf das Versicherungsverhältnis, welches trotz Lücke in der Krg-Gewährung nicht unterbrochen ist.

Nichts anderes ergibt sich aus dem vom Kläger herangezogenen, in dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wurzelnden Institut der Nachsichtgewährung. Eine Nachsichtgewährung kommt nach der Rechtsprechung des BSG (vgl Urteil vom 28.10.1981, 3 RK 59/80, aaO) in Betracht, wenn dafür besondere Gründe vorliegen und die vom Gesetzgeber mit der Ausschlussfrist verfolgten Ziele und die dabei zu berücksichtigenden Interessen nicht entgegenstehen. Konkret ist für eine Nachsichtgewährung bei Versäumung der Meldefrist daher erforderlich, dass der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, er daran aber durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung gehindert wurde und er seine Rechte bei der Kasse unverzüglich nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht (LSG Nordrhein-Westfalen 05.07.2018, L 5 KR 151/17). Insoweit können die Kriterien, die das BSG zur vergleichbaren Problematik im Rahmen des § 46 Satz 1 SGB V entwickelt hat (BSG 11.05.2017, B 3 KR 22/15 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 8 = BSGE 123, 134), übertragen werden.

Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger zwar alles getan, was in seiner Macht stand, um den rechtzeitigen Zugang der AU-Bescheinigung zu gewährleisten. Der Senat ist insoweit davon überzeugt, dass der Kläger die Bescheinigung vom 30.05.2016 noch am gleichen Tag in L. mit einfachem Brief an die Beklagte zur Post aufgegeben hat. Der Senat stützt sich insoweit auf die glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, die zudem durch die vorgelegte Quittung ua über den Erwerb eines Postwertzeichens am 30.05.2016 untermauert werden. Es ist jedoch kein im Verantwortungsbereich der Krankenkasse liegendes Fehlverhalten oder ein der Krankenkasse zurechenbares Risiko erkennbar, das hier eine abweichende Beurteilung erfordern würde. Wie bereits ausgeführt, geht das Risiko, dass Post auf dem Beförderungsweg verloren geht, zu Lasten des Klägers. Dafür, dass die Sendung tatsächlich die Beklagte erreicht hat und dort – wie der Kläger vermutet - beim Scannen verloren ging, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Tragende Überlegung für das richterrechtliche Institut der Nachsichtgewährung ist, dass an einen geringfügigen Verstoß weittragende und offensichtlich unangemessene (unverhältnismäßige) Rechtsfolgen geknüpft werden oder der Rechtsausübung kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt (BSG 16.05.2012, B 4 AS 166/11 R, SozR 4-4200 § 7 Nr 31). Dies ist hier nicht der Fall. Die Nachsichtgewährung dient auch nicht dazu, die sich aus dem Gesetz ergebende Verteilung der Verantwortungsbereiche (Verteilung der objektiven Beweislast) zwischen dem Versicherten einerseits und der Krankenkasse andererseits abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (Wert des Beschwerdegegenstandes, Nachsichtgewährung) zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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