L 7 AS 2959/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AS 1853/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 2959/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers zu 1 gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 14. August 2018 wird als unzulässig verworfen.

Die Berufung der Klägerin zu 2 gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 14. August 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Kosten der Unterkunft und Heizung.

Der Beklagte bewilligte den in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Klägern mit Bescheid vom 15. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2017 für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II und verfügte dabei die Auszahlung der Leistungen für Unterkunft und Heizung (in Höhe von 612,70 Euro) an deren Vermieterin. Hiergegen erhoben die Kläger am 20. Dezember 2017 wegen der Höhe der bewilligten Leistungen und wegen der Auszahlung der Leistungen für Unterkunft und Heizung an die Vermieterin beim Sozialgericht F. (SG) Klage (S 9 AS 4848/17), die derzeit ruht (Beschluss des SG vom 22. März 2018).

Am 22. April 2018 haben die Kläger beim SG die vorliegende Klage erhoben mit dem sinngemäßen Ziel, dass die Leistungen für die Unterkunft und Heizung für März bis Juni 2018 nicht an die Vermieterin, sondern an sie – die Kläger – selbst ausgezahlt werden.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 14. August 2018 abgewiesen. Die Klage sei bereits unzulässig. Das klägerische Begehren könne sachdienlich nur so ausgelegt werden, dass die Kläger die Verurteilung der Beklagten begehrten, die Leistungen für die Kosten der Unterkunft für März bis Juni 2018 an sie selbst und nicht an ihre Vermieterin auszuzahlen sowie weitere Leistungen für die Unterkunft für die Kosten einer Räumungsklage zu erbringen. Die spätere Einlassung der Kläger im Schreiben vom 26. Mai 2018, dies sei nicht Inhalt der Klage, müsse entweder auf einem Missverständnis beruhen oder sei selbst missverständlich formuliert. Denn aus dem Schreiben vom 26. Mai 2018 lasse sich ein anderes Rechtsschutzziel der Kläger nicht entnehmen. Die Frage, in welcher Höhe und auf welche Weise (d. h. durch Zahlung an wen) der Beklagte den Klägern Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2018 zu erbringen habe, sei bereits Gegenstand des früher rechtshängig gewordenen Klageverfahrens mit dem Aktenzeichen S 9 AS 4848/17. Die vorliegende Klage sei daher wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig.

Gegen den ihnen am 17. August 2018 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 17. August 2018 Berufung eingelegt. Die Verfahren seien ruhend gewesen und der Richter am SG sei abgelehnt worden.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts F. vom 14. August 2018 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 15. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2017 zu verurteilen, die Miete für März bis Juni 2018 nicht an die Vermieterin, sondern an sie auszuzahlen.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufungen zurückzuweisen.

Der Beklagte hat sich in der Sache nicht geäußert.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Der Senat entscheidet in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung über die Berufungen der Kläger. Die sinngemäß gestellten Ablehnungsgesuche gegen die zur Entscheidung berufenen Berufsrichter des Senats sind rechtsmissbräuchlich und daher offensichtlich unzulässig.

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) gewährleistet, dass die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens nicht vor einem Richter stehen, dem es an der gebotenen Neutralität fehlt (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 11. März 2013 – 1 BvR 2853/11 – juris Rdnr. 25 m.w.N.). Bei der Anwendung der Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung von Richtern ist zu beachten, dass diese dem durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgten Ziel dienen, auch im Einzelfall die Neutralität und Distanz der zur Entscheidung bestimmten Richter zu sichern. Deshalb ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch auf der Grundlage einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters berufen (vgl. § 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 42 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]). Durch diese Zuständigkeitsregelung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Annahme naheliegt, es werde an der inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine angebliche Befangenheit selbst entscheiden muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. März 2013 – 1 BvR 2853/11 – juris Rdnr. 27; BSG, Beschluss vom 7. Dezember 2017 – B 5 R 208/17 B – juris Rdnr. 11). Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG lässt daher lediglich in dem Fall eines gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs eine Entscheidung des abgelehnten Richters selbst über das Gesuch zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. März 2013 – 1 BvR 2853/11 – juris Rdnr. 30 m.w.N.; BSG, Beschluss vom 7. Dezember 2017 – B 5 R 208/17 B – juris Rdnr. 11; BSG, Beschluss vom 13. November 2017 – B 13 R 152/17 B – juris Rdnr. 13; BSG, Beschluss vom 31. August 2015 – B 9 V 26/15 B – juris Rdnr. 15). Ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren soll nur echte Formalentscheidungen ermöglichen oder einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern, was eine enge Auslegung der Voraussetzungen gebietet (BSG, Beschluss vom 7. Dezember 2017 – B 5 R 2853/11 – juris Rdnr. 12). Völlige Ungeeignetheit ist daher nur dann anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens selbst entbehrlich ist. Dies ist grundsätzlich nur dann der Fall, wenn das Ablehnungsgesuch für sich allein offenkundig eine Ablehnung nicht zu begründen vermag. Ist hingegen ein – wenn auch nur geringfügiges – Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet die Ablehnung als unzulässig aus. Zum Tatbestand der rechtsmissbräuchlichen Richterablehnung gehört die Verfolgung verfahrensfremder, vom Sinn und Zweck des Ablehnungsrechts offensichtlich nicht erfasster Ziele (BSG, Beschluss vom 7. Dezember 2017 – B 5 R 2853/11 – juris Rdnr. 13). Das Ablehnungsverfahren dient nicht dazu, die Beteiligten gegen unrichtige – materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche – Rechtsauffassungen zu schützen; insoweit stehen den Beteiligten die allgemeinen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Durch das Institut der Richterablehnung soll ausschließlich eine unparteiische Rechtspflege gesichert, nicht aber die Möglichkeit der Überprüfung einzelner Verfahrensfehler eröffnet werden. Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler eines Richters bilden daher grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund (BSG, Beschluss vom 7. Dezember 2017 – B 5 R 208/17 B – juris Rdnr. 17; BSG, Beschluss vom 13. November 2017 – B 13 R 152/17 B – juris Rdnr. 15; BSG, Beschluss vom 31. August 2015 – B 9 V 26/15 B – juris Rdnr. 15). Auch ein Ablehnungsgesuch, das allein den Zweck verfolgt, eine abgelehnte Terminverlegung zu erzwingen, ist rechtsmissbräuchlich (BSG, Beschluss vom 7. Dezember 2017 – B 5 R 208/17 B – juris Rdnr. 14; BSG, Beschluss vom 22. Juni 2015 – B 9 SB 72/14 B – juris Rdnr. 12; BSG, Beschluss vom 26. Mai 2014 – B 12 KR 67/13 B – juris Rdnr. 9; BSG, Beschluss vom 26. Juli 2007 – B 13 R 28/06 R – juris Rdnr. 9).

Die Rechtsmissbräuchlichkeit des Ablehnungsgesuchs gegen die Berufsrichter des Senats folgt daraus, dass die Kläger die Richter lediglich als "kriminell", "hochkriminell", "geistesgestört", "korrupt" und als "Schande und Gefahr für das deutsche Rechts- und Sozialsystem" beschimpfen und ihnen die Verwirklichung verschiedener Straftatbestände vorwerfen. Ein irgendwie gearteter sinnvoller, auf die Sache bezogener Vortrag lässt sich dem Schriftsatz vom 22. September 2018 nicht entnehmen.

2. Der Senat konnte trotz Ausbleiben der Kläger im anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Kläger in der ihnen am 4. September bzw. 24. September 2018 zugestellten Ladung zur mündlichen Verhandlung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind. Sie haben zwar beantragt, den Termin zur mündlichen Verhandlung zu verlegen, jedoch keinen Verhinderungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung kann – und muss ggf. – zwar gemäß § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO bei Vorliegen erheblicher Gründe aufgehoben werden, selbst wenn das persönliche Erscheinen des Klägers – wie vorliegend – nicht angeordnet worden ist (vgl. BSG, Beschluss vom 21. Juli 2005 – B 11a/11 AL 261/04 B – juris Rdnr. 10; BSG, Beschluss vom 13. November 2008 - B 13 R 277/08 B - juris Rdnr. 15). Ein i.S. des § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO ordnungsgemäß gestellter Verlegungsantrag mit einem hinreichend substantiiert geltend und ggf. glaubhaft gemachten Terminverlegungsgrund begründet grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminverlegung (BSG, Urteil vom 28. April 1999 – B 6 KA 40/98 R – juris Rdnr. 16; BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 – B 9 SB 5/02 R – juris Rdnr. 11; BSG, Beschluss vom 7. November 2017 – B 13 R 153/17 B – juris Rdnr. 8). Die Kläger haben nicht glaubhaft gemacht, dass ein solcher Fall hier vorliegt. Sie haben lediglich gänzlich unsubstantiiert behauptet, wegen zwei OP-Terminen und akuter Erkrankung nicht anreisen zu können. Unplausibel ist auch die Behauptung, keinen Wohnsitz im Inland zu haben, denn sie begehren und erhalten Leistungen nach dem SGB II, was einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland voraussetzt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II), und insbesondere auch Leistungen für Unterkunft und Heizung für eine Wohnung im Inland, nämlich in B.-S ... Dass die Kläger einen erheblichen Verlegungsgrund nicht nur behaupten, sondern auch glaubhaft machen müssen, war ihnen jedenfalls aufgrund des Beschlusses des Vorsitzenden vom 25. September 2018 bekannt; die Kläger haben sich anschließend aber nicht mehr geäußert.

3. Die Berufung des Klägers zu 1 ist schon deswegen unzulässig, weil dieser weiterhin unter Betreuung bei Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für gerichtliche und behördliche Verfahren steht (Beschluss des Amtsgerichts M. vom 4. Juni 2018 – XVII 143/16 – n.v.). Aufgrund dieses Einwilligungsvorbehaltes ist der Kläger zu 1 prozessunfähig (vgl. zuletzt die gegenüber dem Kläger zu 1 ergangenen Beschlüsse des LSG Baden-Württemberg vom 6. Juli 2018 – L 3 AS 1914/18 ER-B – n.v.; vom 31. August 2018 – L 7 AS 2983/18 ER-B – n.v.). Der Betreuer hat die Einwilligung zur Berufungseinlegung nicht erteilt.

4. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin zu 2 ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da die Klägerin zu 2 die Auszahlung von Leistungen an sich in Höhe von mehr als 750,00 EUR begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

5. Die Berufung der Klägerin zu 2 ist aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig. Die Klägerin wendet sich bei sinngemäßer Auslegung ihres Vorbringens gegen die Auszahlung der Leistungen für Unterkunft und Heizung zwischen März und Juni 2018 an ihre Vermieterin und damit der Sache nach gegen den Bescheid vom 15. Dezember 2017.

Gemäß § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) kann während der Rechtshängigkeit die Sache von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. Die Streitsache wurde gemäß § 94 Satz 1 SGG durch Erhebung der Klage rechtshängig. Die Streitsache bezüglich des Bescheides vom 15. Dezember 2017 ist bereits aufgrund der am 20. Dezember 2017 beim SG erhobenen Klage, die der Kläger gerade unter Vorlage des Bescheides vom 15. Dezember 2017 erhoben und auch ausdrücklich als Klagegegenstand bezeichnet hat, rechtshängig geworden (S 9 AS 4848/17). Diese Klage ist auch weiterhin rechtshängig; die Rechtshängigkeit wird durch das vom SG angeordnete Ruhen des Verfahrens nicht beeinträchtigt.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

7. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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