L 9 R 151/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 1061/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 151/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 11. Dezember 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1959 geborene Klägerin lebt seit 1971 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie hat keinen Beruf erlernt und war im Zeitraum August 1976 bis Mai 2012 als Zimmermädchen und Näherin beschäftigt.

Am 15.03.2016 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog medizinische Unterlagen bei, darunter Berichte des S. Krankenhauses S. vom 17.03.2015, 06.10.2015, 30.03.2016, 13.10.2016 und 30.01.2017 sowie ein im Rahmen eines Antrags auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation eingeholtes Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. vom 23.05.2014, der ein ängstlich-depressives Syndrom, aktuell leichtgradiger Ausprägung, ein bekanntes periodisches Fiebersyndrom mit Lymphadenopathie, Myalgien, einen Hautausschlag und einmalige Gesichtsschwellung, Psoriasis vulgaris und eine mögliche Arthritis psoriatica diagnostizierte. Leichte Tätigkeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen seien der Klägerin unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen sechs Stunden und mehr zumutbar.

Mit Bescheid vom 01.04.2016 lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit der Begründung ab, die Einschränkungen, die sich aus den Krankheiten oder Behinderungen der Klägerin ergeben, führten nicht zu einem Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Klägerin könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Aufgrund ihres beruflichen Werdegangs sei es ihr zumutbar, Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben, weshalb auch kein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bestehe.

Aufgrund des Widerspruchs vom 22.04.2016 veranlasste die Beklagte eine Begutachtung der Klägerin durch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. M., die in ihrem Gutachten vom 08.03.2017 eine somatoforme Schmerzstörung und ein depressives Syndrom diagnostizierte. Leichte und zeitweilig mittelschwere Tätigkeiten ohne über das normale Maß hinausgehenden Stress und Druck, ohne Nacht- und ohne Akkordarbeit seien der Klägerin weiterhin vollschichtig möglich. Unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. M. sowie einer beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. L. vom 13.03.2017 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.05.2017 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 26.05.2017 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, das Ausmaß der bei ihr vorliegenden Depression werde durch das Gutachten der Dr. M. nicht ausreichend berücksichtigt. In den aktuelleren Berichten des S. Krankenhauses S. werde eine rezidivierende schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome diagnostiziert. Außer durch die Depression werde ihre Leistungsfähigkeit auch durch ein chronisches Schmerzsyndrom und eine rheumatische Erkrankung beeinträchtigt.

Im Rahmen der Beweisaufnahme hat das SG die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen gehört und Gutachten bei dem Facharzt für Innere Medizin – Rheumatologie – Dr. B. und dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. eingeholt. Die Internisten und Rheumatologen Prof. Dr. B. und G. haben unter dem 13.09.2017 mitgeteilt, bei der Klägerin bestehe eine Psoriasisarthritis seit 2008; sie sei zuletzt im September 2016 in der Praxis vorstellig gewesen, weshalb über die derzeitigen Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit keine Aussage getroffen werden könne. Der Internist und Rheumatologe Dr. G. hat in seiner am 18.09.2017 eingegangenen Auskunft u. a. über Behandlungen am 23.05.2017 berichtet und ausgeführt, aufgrund der Diagnose einer Arthritis psoriatica mit möglicher Beteiligung der Fingergelenke sei die Tätigkeit als Näherin sicherlich eingeschränkt, allerdings hätten sich im Mai 2017 keine aktuellen entzündlichen Gelenkschwellungen gefunden. Im Schub sei eine Tätigkeit nach seiner Einschätzung nicht durchzuführen, bei guter medikamentöser Einstellung seien Tätigkeiten drei bis sechs Stunden täglich zumutbar. Dr. L. hat in seiner Auskunft vom 12.09.2017 mitgeteilt, die Klägerin habe sich seit Jahren in hausärztlicher Behandlung seines damaligen Kollegen L. befunden, der zum 01.04.2017 seine kassenärztliche Tätigkeit beendet habe. Bei ihm habe sich die Klägerin seit 01.04.2017 lediglich zweimal in der Sprechstunde vorgestellt. Eine Aussage hinsichtlich des beruflichen Leistungsvermögens als Näherin könne er daher nicht treffen. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie W., Oberärztin im S. Krankenhaus S., hat unter dem 19.09.2017 über die ambulante psychiatrische Behandlung seit August 2013 berichtet. Das maßgebliche Leiden liege im körperlichen Bereich, wodurch die Klägerin psychisch belastet sei. Sie könne maximal drei Stunden täglich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. Dr. M. und Dipl.-Psych. R. haben in ihrer Auskunft vom 11.12.2017 die Diagnosen mittelgradige depressive Episode und chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren mitgeteilt und angegeben, bei Beendigung der Behandlung im März 2016 sei die Klägerin für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter zwei Stunden täglich leistungsfähig gewesen.

Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 24.04.2018 ausgeführt, anamnestisch bestehe bei der Klägerin eine Psoriasisarthritis ohne aktuelle Hinweise auf eine entzündliche Aktivität, ein periodisches Fiebersyndrom mit Lymphadenopathie, Myalgien, Hautausschlag, aktuell ebenfalls ohne Hinweis auf eine entzündliche Aktivität, rezidivierend schwere depressive Episoden und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Momentan stehe nach seiner Einschätzung eine erneute depressive Episode mit Exazerbation des schweren chronischen Schmerzsyndroms im Vordergrund der Beschwerden. Diese bedingten aktuell eine deutliche Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit, wobei die genauere Quantifizierung nochmalig durch eine psychiatrische Begutachtung geklärt werden sollte. Hinsichtlich der Psoriasisarthritis könne momentan keine entzündliche Aktivität im Bereich großer oder kleiner Gelenke gefunden werden. Auch radiologisch ließen sich keine postentzündlichen Veränderungen im Hand- und Fußbereich finden. Es bestünden abnützungsbedingt arthrotische Veränderungen, die allerdings das übliche Maß nicht signifikant überschritten. Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien aufgrund der aktuellen psychischen Situation mit deutlich depressiver Komponente und Schmerzexazerbation nur unter zweistündig möglich. Rein rheumatologisch hinsichtlich der Psoriasisarthritis wären allerdings ohne Schubsymptomatik leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig möglich.

Dr. D. hat in seinem Gutachten vom 24.09.2018 auf seinem Fachgebiet eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode, und ein Wirbelsäulensyndrom ohne neurologisches Defizit diagnostiziert. Zumutbar seien vollschichtig nur noch leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne Heben, Tragen und/oder Bewegen schwerer Gegenstände, etwa solche mit einem Gewicht von über 7,5 kg, ohne Tätigkeiten mit erhöhter Unfall- oder Absturzgefahr, wie Tätigkeiten auf Leitern, Dächern, Treppen und/oder Gerüsten sowie Tätigkeiten an laufenden Maschinen, ohne Tätigkeiten, die mit einem besonderen Zeitdruck verbunden seien, wie Akkord- und Fließbandtätigkeiten oder andere taktgebundene Tätigkeiten, ohne Tätigkeiten in Nacht- und/oder Wechselschicht.

Mit Urteil vom 11.12.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Die – näher dargelegten – Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung sowie einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit seien nicht erfüllt. Die Klägerin sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Sie könne noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit einigen qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Die für das aktuelle berufliche Leistungsvermögen der Klägerin wesentlichen Gesundheitsstörungen lägen auf rheumatologischem und nervenärztlichem Fachgebiet. Wie sich aus den Gutachten von Dr. B. und Dr. D., jeweils bezogen auf ihre Fachgebiete, ergebe, bestehen bei der Klägerin im Wesentlichen anamnestisch eine Psoriasisarthritis ohne aktuelle Hinweise auf eine entzündliche Aktivität, ein periodisches Fiebersyndrom mit Lymphadenopathie, Myalgien, ein Hautausschlag, aktuell ebenfalls ohne Hinweis auf eine entzündliche Aktivität, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig eine leichte Episode, und ein Wirbelsäulensyndrom ohne neurologisches Defizit. Ferner seien bei der Klägerin anamnestisch ein Asthma bronchiale und eine Adipositas gegeben. Soweit Dr. B. in seinem Gutachten rezidivierend schwere depressive Episoden und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren mit gravierenden Auswirkungen auf das berufliche Leistungsvermögen beschrieben habe, könne der – insoweit fachfremd vorgenommenen – Beurteilung nicht gefolgt werden. Dr. B. habe selbst ein psychiatrisches Gutachten für erforderlich gehalten. Aus den rheumatologischen Erkrankungen folgten qualitative, aber keine quantitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens. Eine etwaige Leistungsminderung während eines Schubs der anamnestisch angegebenen Psoriasisarthritis könne eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit, jedoch angesichts der Umstände im vorliegenden Fall keine Erwerbsminderung begründen, zumal Dr. B. in seinem Gutachten keine aktuellen Hinweise für eine entzündliche Aktivität gesehen habe. Aus dem Gutachten von Dr. D. folge ebenfalls, dass von seinem Fachgebiet her leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zumutbar seien. Eine Leistungsminderung in zeitlicher Hinsicht lasse sich aufgrund der bestehenden Gesundheitsstörungen nicht begründen. Etwas anderes folge auch nicht aus den im Gerichtsverfahren veranlassten schriftlichen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte. Die Klägerin sei zuletzt als Zimmermädchen bzw. Näherin, somit als ungelernte Arbeiterin bzw. angelernte Arbeiterin des unteren Bereichs beschäftigt gewesen. Sie sei daher breit, d.h. auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar und habe keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Gegen das ihr am 07.01.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10.01.2019 Berufung eingelegt. Zur Berufungsbegründung hat sie ergänzend zu den Ausführungen im Widerspruchs- und Klageverfahren vorgetragen, mit der Entscheidung des SG bestehe kein Einverständnis. Unter Hinweis auf die Leistungseinschätzungen des Internisten und Rheumatologen Dr. G., der Fachärztin für Psychiatrie W. und der Dr. M./Dipl.-Psych. R. halte sie an ihrem Begehren fest.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 11. Dezember 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit ab 1. März 2016 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat den Versicherungsverlauf vom 02.05.2019 übersandt.

Mit Schreiben vom 09.05.2019 und 05.06.2019 sind die Beteiligten auf die beabsichtigte Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen worden; ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen worden.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 01.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.05.2017 sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG – nach vorheriger Anhörung der Beteiligten – die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 09.05.2019 und 05.06.2019 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung – § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) – sowie einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit – § 240 SGB VI – dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung nicht besteht, weil die Klägerin noch wenigstens sechs Stunden täglich leistungsfähig ist, und ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht besteht, weil die Klägerin auf leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden kann. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Ergänzend ist auszuführen, dass auch der Senat nicht festzustellen vermag, dass das Leistungsvermögen der Klägerin für körperlich leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen auf unter sechs Stunden täglich herabgesunken ist. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat – ebenso wie das SG – aufgrund der übereinstimmenden Beurteilungen von Dr. B. und Dr. D. sowie des im Wege des Urkundenbeweises verwertbaren Gutachtens von Dr. M. In Übereinstimmung mit dem SG vermochten die sachverständigen Zeugenaussagen, soweit sie sich zur Erwerbsfähigkeit der Klägerin geäußert haben, angesichts der ausführlichen Begutachtungen sowohl auf internistisch-rheumatologischem als auch auf psychiatrischem Fachgebiet und deren schlüssigen Begründung des Leistungsvermögens im Ergebnis nicht zu überzeugen. Die Gutachter haben sich mit den bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen ausführlich auseinandergesetzt und sind – bezogen auf ihr jeweiliges Fachgebiet – für den Senat schlüssig und überzeugend zu der Einschätzung gelangt, dass ihr zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zugemutet werden können, wobei qualitative Leistungseinschränkungen zu berücksichtigen sind. So sind der Klägerin ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne Heben, Tragen und/oder Bewegen schwerer Gegenstände mit einem Gewicht von über 5 kg, ohne Tätigkeiten mit erhöhter Unfall- oder Absturzgefahr, wie Tätigkeiten auf Leitern, Dächern, Treppen und/oder Gerüsten sowie Tätigkeiten an laufenden Maschinen, ohne Tätigkeiten, die mit einem besonderen Zeitdruck verbunden sind, etwa Akkordtätigkeiten, Fließbandtätigkeiten oder andere taktgebundene Tätigkeiten, ohne Tätigkeiten in Nacht- und/oder Wechselschicht vollschichtig zumutbar.

Die vorliegenden Einschränkungen können zwar das Spektrum der für die Klägerin in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken, sie begründen aber keine Zweifel an der normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden am Tag. Für die Verneinung von Erwerbsminderung bei mindestens sechs Stunden täglich leistungsfähigen Versicherten muss weder eine konkrete Tätigkeit benannt, noch die Frage geprüft werden, ob es genügend Arbeitsplätze gibt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für in diesem Umfang leistungsfähige Ungelernte und Angelernte des unteren Bereichs geeignete Arbeitsplätze in ausreichender Zahl vorhanden sind (Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 u. a. -, Juris). Dies stimmt mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers überein, der durch § 43 Abs. 3 SGB VI klargestellt hat, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Allerdings ist die Frage, ob es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeitsplätze gibt, immer dann zu klären, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt oder Versicherte nur noch auf solchen Arbeitsplätzen einsetzbar sind, bei denen wegen ihrer Seltenheit die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes besteht, also z.B. noch in Betracht kommende Tätigkeiten nur unter betriebsunüblichen Bedingungen ausgeübt werden können oder entsprechende Arbeitsplätze auf Grund gesundheitlicher Beeinträchtigungen von der Wohnung aus nicht erreichbar sind oder nur vereinzelt vorkommen. Für die Prüfung, ob eine schwere spezifische Leistungsbehinderung – oder im Übrigen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen – vorliegt, gibt es keinen konkreten Beurteilungsmaßstab; sie richtet sich vielmehr nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Maßgeblich sind vor allem Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Einschränkungen und die damit verbundene Frage, inwieweit diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten zu versperren. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können vor allem besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen. Unter den üblichen Bedingungen ist das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, d.h. unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt. Dazu gehören neben rechtlichen Bedingungen (Dauer und Verteilung der Arbeitszeit etc.) auch tatsächliche Umstände, wie z.B. die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistiger Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz, also kognitive Grundfähigkeiten, die krankheitsbedingt herabgesetzt sein können (vgl. u.a. BSG, Urteile vom 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R - und vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R -, Juris, m.w.N.).

Ernste Zweifel an der Einsatzfähigkeit der Klägerin als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen hat der Senat angesichts des beschriebenen Restleistungsvermögens nicht, da der Klägerin Arbeiten, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen), noch weitgehend zugemutet werden können. Soweit Dr. B. eine volle Gebrauchsfähigkeit der Hände als nicht gegeben ansieht, begründet dies keine schwere qualitative Leistungseinschränkung. Zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. B. war eine entzündliche Aktivität im Bereich großer oder kleiner Gelenke ebenso wenig wie eine postenentzündliche Veränderung im Hand- und Fußbereich feststellbar. Die festzustellenden abnützungsbedingt arthrotischen Veränderungen überschritten das altersübliche Maß nicht signifikant. Soweit Dr. B. die Tätigkeit als Näherin wegen potentieller Verschlechterung von Gelenkschmerzen im Finger- und Handgelenksbereich ausschließt, sind damit nicht grundsätzlich Tätigkeiten unter Einsatz der Hände unzumutbar. Selbst wenn man Tätigkeiten mit überwiegender oder ständiger Benutzung der Hände nicht mehr als leidensgerecht ansehen wollte, sind dadurch überwachende, aufsichtsführende Tätigkeiten etwa in einem Parkhaus, als Kassiererin, als Pförtnerin an der Nebenpforte oder Tätigkeiten als Telefonistin nicht ausgeschlossen. Aus psychiatrischer Sicht sind nach der Einschätzung von Dr. D. und Dr. M. lediglich Tätigkeiten mit über das normale Maß hinausgehendem Stress oder Druck, insbesondere Tätigkeiten, die mit Akkordarbeit verbunden sind, nicht mehr leidensgerecht. Soweit Dr. B. besondere Verantwortung oder geistige Beanspruchung aufgrund der eingeschränkten Lesefähigkeit nicht abverlangen will, wird dies durch die psychiatrischen Fachgutachten nicht bestätigt. Damit liegen in ausreichender Zahl Tätigkeitsfelder und in ausreichendem Umfang Beschäftigungsmöglichkeiten vor, auf die die Klägerin noch vermittelt werden kann.

Schließlich ist auch die sog. Wegefähigkeit der Klägerin nicht in rentenrelevantem Maß eingeschränkt. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG ein abstrakter Maßstab anzuwenden. Ein Katalogfall liegt nicht vor, soweit ein Versicherter täglich viermal Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (BSG, Urteile vom 12.12.2011 - B 13 R 21/10 R - und - B 13 R 79/11 R -, vom 30.01.2002 - B 5 RJ 36/01 R -, Juris m.w.N., vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, Juris). Dazu gehört z.B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (vgl. BSG, Urteile vom 14.03.2002 - B 13 RJ 25/01 R - und vom 30.11.1965 - 4 RJ 101/62 -, Juris). Nach den vorliegenden insoweit übereinstimmenden Ausführungen aller Gutachter liegt eine entsprechende Einschränkung der Wegefähigkeit nicht vor.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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