L 9 AS 2607/18 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 17 AS 809/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 2607/18 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Juni 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

Die form- und fristgerecht (§ 145 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung im Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Vorliegend wird der Beschwerdewert nicht erreicht. Streitig sind allein die der Leistungsberechnung zu Grunde zu legenden Kosten der Unterkunft (KdU), weil die Kläger das Verfahren zulässigerweise hierauf beschränkt haben (stRspr seit Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - und vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R -; Juris). Der Beklagte hatte im Rahmen der Berechnung der KdU nach § 22 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unter Zugrundelegung des "grundsicherungsrelevanten Mietspiegels des Ortenaukreises" im Zeitraum 01.06.2014 bis 30.09.2014 statt der tatsächlich angefallenen Kaltmiete in Höhe von 550 EUR lediglich 529,30 EUR übernommen, so dass sich für den Bewilligungszeitraum nur eine Beschwer in Höhe von 82,80 EUR (4 x 20,70 EUR) errechnet. Wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr sind nicht betroffen.

Da das Sozialgericht (SG) die Berufung im Urteil nicht zugelassen hat, bedarf eine Berufung der Zulassung durch Beschluss des Landessozialgerichts (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG). Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Die Rechtssache hat entgegen den Ausführungen der Kläger keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 144 Rdnr. 28). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand der Rechtsprechung und Literatur nicht ohne weiteres beantworten lässt. Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort auf sie so gut wie unbestritten ist (BSG, SozR 1500 § 160 Nr. 17) oder praktisch von vornherein außer Zweifel steht (BSG, SozR 1500 § 160a Nr. 4).

Vorliegend hat der Beklagte der Berechnung der KdU ein schlüssiges Konzept zugrunde gelegt, das mittlerweile wegen unstreitiger Mängel nicht mehr angewandt wird, das aber bei den Klägern zu höheren übernommenen KdU geführt hat, als die Berechnung nach der Wohngeldtabelle plus Sicherheitszuschlag ergeben hätte. Der Klägerbevollmächtigte argumentiert nun, es handele sich um eine grundsätzliche Frage, ob die Anwendbarkeit der sog. Angemessenheitsobergrenze stets voraussetze, dass deren Werte höher seien als die Werte eines Angemessenheitskonzeptes, welches unschlüssig "zulasten" der Hilfeempfänger sei (zulasten, da höhere Werte ausweisend als die Wohngeldtabelle). Diese Argumentation überzeugt nicht. Zum einen ist auszuführen, dass es auf diese Rechtsfrage vorliegend nicht ankommt, da die Angemessenheitsobergrenze, d.h. die Anwendung der Wohngeldtabelle plus Sicherheitszuschlag, weder vom Beklagten noch vom Gericht als die KdU begrenzend herangezogen wurde, sondern die KdU auf Basis des 2014 noch angewandten jobcentereigenen Konzepts errechnet wurden. Zum anderen ist die Rechtsfrage, wie die Höhe der KdU im Rahmen des § 22 SGB II zu berechnen ist, höchstrichterlich geklärt. Ausgangspunkt ist § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, wonach Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt werden, soweit diese angemessen sind. Hierzu ist höchstrichterlich entschieden worden, dass es sich bei dem Begriff der Angemessenheit der KdU in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II um einen der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegenden unbestimmten Rechtsbegriff handelt, dass eine Einzelfallprüfung auf der Grundlage des Produkttheorie vorzunehmen ist, und anhand welcher Kriterien und Maßstäbe zu beurteilen ist, ob die vom kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen auf einem schlüssigen Konzept beruhen (vgl. hierzu die umfangreichen Ausführungen und Rechtsprechungsnachweise bei Luik, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage, § 22 Rn. 73 ff.). Auch ist in der Rechtsprechung des BSG entschieden, dass bei Fehlen eines schlüssigen Konzepts und festgestelltem Ausfall der lokalen Erkenntnismöglichkeiten die KdU auf die Werte der Wohngeldtabelle zu § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zzgl. eines Zuschlags zu begrenzen sind (vgl. nur BSG, Urteile vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R -, vom 29.04.2015 - B 14 AS 6/14 R - und vom 30.01.2019 - B 14 AS 11/18 R -, Juris). Hierbei macht es keinen Unterschied, aus welchen Gründen ein Konzept nicht den Anforderungen an ein "schlüssiges Konzept" im Sinne der Rechtsprechung genügt und ob die Werte des Konzepts über denen der Wohngeldtabelle liegen, das Konzept somit - wie der Kläger vorträgt - "zu Ungunsten" des Hilfeempfängers unschlüssig ist. § 22 Abs. 1 SGB II deckelt die Höhe der übernahmefähigen KdU durch eine Angemessenheitsprüfung, die nach der Rechtsprechung entweder durch ein schlüssiges Konzept oder aber durch die Wohngeldtabelle plus Sicherheitszuschlag erfolgt - und wenn das vom Jobcenter angewandte Konzept nicht schlüssig ist, taugt es nicht als Grundlage für die Berechnung der KdU und hat keine Beachtung zu finden, egal, ob es für den Hilfeempfänger eigentlich günstiger gewesen wäre als die Wohngeldtabelle - zumal keineswegs vorhersehbar ist, ob in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem ein Konzept "zulasten" des Hilfeempfängers unschlüssig ist, ein den Anforderungen genügendes schlüssiges Konzept ebenfalls höhere Werte enthalten hätte als die Wohngeldtabelle plus Sicherheitszuschlag. Eine ungeklärte Rechtsfrage von allgemeinem Interesse liegt daher nicht vor.

Die Berufung ist auch nicht wegen Divergenz zuzulassen. Divergenz i. S. d. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegt vor, wenn ein abstrakter Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung mit einem Rechtssatz in einer Entscheidung der in dieser Vorschrift genannten Gerichte nicht übereinstimmt und der angefochtenen Entscheidung tragend zugrunde liegt (vgl. BSG, Beschluss vom 19.11.2009 - B 13 RS 61/09 B -, Juris; Leitherer, a.a.O., § 160 Rdnr. 13). Eine solche Abweichung ist hier nicht ersichtlich, ebenso wenig wie ein Verfahrensmangel als Zulassungsgrund (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG).

Da somit im Ergebnis keine Zulassungsgründe vorliegen, war die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist gemäß § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) in Verbindung mit § 73a Abs. 1 SGG abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung der Kläger mithin keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG). Das Urteil des SG Freiburg wird hiermit rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved