L 2 BA 594/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 3598/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 BA 594/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der an der Gesellschaft lediglich einen Anteil von 25 % ohne Sperrminorität hält, ist auch unter Berücksichtigung einer daneben bestehenden schuldrechtlichen Stimmrechtsvereinbarung abhängig und damit sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 9. Januar 2018 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten auch für das Berufungsverfahren.

Der Streitwert wird auf 117.758,26 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1 und zu 2 zur Renten-, Arbeitslosen- und teilweise zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen nebst Umlagebeiträgen in Höhe von 117.758,26 EUR für die Tätigkeit als Minderheits-Gesellschaftergeschäftsführer bei der Klägerin, einem Bauunternehmen, für den Zeitraum vom 1.1.2010 bis 31.12.2013 nach einer Betriebsprüfung.

Die Klägerin ist eine Familien-GmbH. Nach dem Ausscheiden des Vaters halten die 4 Brüder, die Beigeladenen zu 1 (Ma.) und zu 2 (Mi. ) sowie U. und T. S. je 25 % der Anteile an der GmbH. Der Beigeladene zu 1 ist seit 2006 und der Beigeladene zu 2 seit 1994 Geschäftsführer, die Brüder U. und T. S. sind abhängig beschäftigt bei der GmbH. Die Geschäftsführer sind einzelvertretungsberechtigt und vom Selbstkontrahierungsverbot befreit. Außer im Falle eines wichtigen, gerichtlich festzustellenden Grundes, ist ihre Abberufung nur je mit ihrer Zustimmung möglich (§ 5 Abs. 2 Unterabsatz 3 des Gesellschaftsvertrages (GV) sowie Nr. 1 Abs. 1 der Geschäftsführer Verträge (GFV)vom 28.7.2009, Bl. 44 ff. SG Akte). Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst (§ 7 Abs. 1 GV, Bl. 29 SG Akte). Die Gesellschafterversammlung kann der Geschäftsführung allgemeine oder besondere Weisungen erteilen. Insbesondere ist ihr die Beschlussfassung unter anderem über die Abberufung und Änderung der Anstellungsbedingungen der bereits berufenen Geschäftsführer vorbehalten, über welche sie mit einer Mehrheit von 75 % entscheidet (§ 7 Abs. 9 S. 2 und 3 Buchst. g GV, Bl. 30 SG-Akte).

In den GFV ist weiter geregelt:

2. Der Geschäftsführer erhält für seine Tätigkeit eine gewinn- und liquiditätsabhängige Vergütung. Hierauf werden monatliche Vorauszahlungen in Höhe der bisherigen Vergütung bezahlt. Die Bezüge des Gesellschaftergeschäftsführers werden in regelmäßigen Abständen überprüft. Die Überprüfung erfolgt jeweils zum 30. Juni und zum Jahresende sowie bei Vorliegen der Schlussbilanz. Die bisherigen Tantiemeregelungen bleiben vorbehaltlich einer anderweitigen Entscheidung/Überprüfung nach Maßgabe des vorgenannten Absatzes bestehen und gelten ebenfalls als Vorauszahlung.

3. Der Geschäftsführer bestimmt Art und Umfang seiner Arbeitszeit selbst. Hierbei sind die Belange der Gesellschaft zu berücksichtigen. Längere Abwesenheitszeiten, wie beispielsweise Urlaubsabwesenheit oder Krankheit, sind mit dem anderen Geschäftsführer abzustimmen.

In den früheren Fassungen der GFV der Beigeladenen zu 1 und zu 2 (vom 10.4.2006 und vom 14.1.1994, vgl. Bl. 113, 118 SG Akte) waren feste Monatsgehälter, die Gewährung vermögenswirksamer Leistungen, Weihnachtsgratifikation, Urlaubsgeld, Entgeltfortzahlungen für den Krankheits- und Todesfall vereinbart; Überstunden, Mehrarbeit sowie Sonn- und Feiertagsarbeit wurde nicht gesondert vergütet. Es bestand Anspruch auf Anpassung der Bezüge an geänderte Verhältnisse. Den Geschäftsführern wird ein PKW zur geschäftlichen Nutzung bei Kostentragung durch die Gesellschaft zur Verfügung gestellt. Zusätzlich ist eine Tantieme für die tätigen Gesellschafter in Höhe von je 4 % des Jahresüberschusses der Handelsbilanz vor Verrechnung mit Verlustvorträgen und vor Abzug der Körperschafts- und Gewerbesteuer vereinbart (Tantiemevereinbarung vom 9.4.2006, Bl. 122 SG Akte).

Am 28.7.2009 schlossen die Gesellschafter einen Stimmbindungsvertrag, wonach in Zukunft bei allen Gesellschafterbeschlüssen übereinstimmend mit Ja oder Nein gestimmt wird. Diese Vereinbarung gilt auf unbestimmte Zeit und kann nur aus wichtigem Grund oder unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Halbjahr oder zum Jahresende gekündigt werden (Nr. 2 des Stimmbindungsvertrages, Bl. 33 der SG Akte).

Vom 26.3.2014 bis 19.1.2015 fand eine Betriebsprüfung bei der Klägerin für den Prüfzeitraum 1.1.2010 bis 31.12.2013 statt. Die Klägerin legte unter anderem Verträge über Darlehen vor, die ihr der Beigeladene zu 2 im Jahre 2010 i.H.v. 36.000 EUR, 46.000 EUR und 24.000 EUR gewährt hatte (Bl. 47 ff. VA Bd. 1). Zudem legte sie unbeschränkte Bürgschaften der Beigeladenen zu 1 und zu 2 zur Sicherung aller Forderungen der Bezirkssparkasse B. gegenüber der Klägerin vor (Bl. 53 ff. VA Bd. 1). Zudem übersandte sie Feststellungsbögen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH für die Beigeladenen zu 1 und zu 2 (Bl. 73 ff. VA Bd. I).

Nach Anhörung (Schreiben vom 19.1.2015) stellte die Beklagte mit Bescheid vom 23.2.2015 fest, dass sich für den Prüfzeitraum vom 1.1.2010 bis ein 31.12.2013 eine Nachforderung von 117.758,26 EUR ergebe. Nach Gesamtwürdigung aller Umstände würden die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis der Beigeladenen zu 1 und zu 2 überwiegen. Sie verfügten weder über die Mehrheit der Gesellschaftsanteile noch über eine Sperrminorität. Die Gewährung von Darlehen unter Familienangehörigen, bzw. die Abgabe einer selbstschuldnerischen Bürgschaft rechtfertige nicht die Annahme eines Unternehmerrisikos. Die Vergütung werde als monatliche Vorauszahlung in Höhe der bisherigen Vergütung unter Entrichtung von Lohnsteuer und Verbuchung als Betriebsausgabe gezahlt. Durch die Stimmbindungsvereinbarung könnten die Regelungen im Gesellschaftsvertrag nicht abbedungen werden, da hierfür die notarielle Form erforderlich sei. Es bestehe Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1 und zu 2 zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 2.2.2007 bis 30.12.2010. Ab dem 31.12.2010 übersteige ihr regelmäßiges Arbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze, so dass für die Beschäftigung ab dem 1.1.2011 keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu fordern seien. Zudem bestehe für den gesamten Zeitraum Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1 und zu 2 in der Renten- und Arbeitslosenversicherung, woraus sich eine Forderung der bisher nicht entrichteten Beiträge sowie der Umlagebeträge 1 und 2 und deren Insolvenzgeldumlage ergebe.

Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1.7.2015 im Wesentlichen mit der gleichen Begründung zurück.

Am 31.7.2015 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und unter Berufung auf den Stimmbindungsvertrag vom 28.7.2009 die Auffassung vertreten, dass die Beigeladenen zu 1 und zu 2 nicht abhängig beschäftigt seien. Der Abschluss eines Stimmbindungsvertrages außerhalb des Gesellschaftsvertrages sei grundsätzlich möglich und stelle eine schuldrechtliche Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern dar. Eine Klage wegen Verletzung der sich daraus ergebenden Verpflichtungen könne auch gegen die Gesellschaft selbst erhoben werden. Daher hätten die Beigeladenen zu 1 und zu 2 die Möglichkeit, Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zu blockieren, so dass sie die Geschicke der Klägerin maßgeblich beeinflussen könnten. Seit Abschluss der Stimmbindungsvertrages seien auch sämtliche Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einstimmig beschlossen worden. Zudem seien die Beigeladenen zu 1 und zu 2 zur alleinigen Vertretung der Klägerin berechtigt und vom Selbstkontrahierungsverbot befreit. Ihre Abberufung als Gesellschafter-Geschäftsführer sei nur mit ihrer Zustimmung möglich. Sie erhielten kein festes Gehalt, sondern eine gewinn- und liquiditätsabhängige Vergütung und könnten Art und Umfang ihrer Arbeitszeit selbst bestimmen. Sie seien nicht weisungsgebunden, sondern könnten ihre Arbeitskraft und Kenntnisse nach eigenem Ermessen einsetzen. Auch nach außen seien sie als allein entscheidungsbefugte Personen aufgetreten. Innerhalb der Gesellschafterversammlung komme ihnen eine deutlich herausgehobene Stellung zu, da ihre Mitgesellschafter als Arbeitnehmer weisungsgebunden seien. Jedenfalls bis zu den Entscheidungen des BSG im August 2012 habe die Klägerin davon ausgehen können, dass bereits die familiäre Rücksichtnahme bei Gesellschafterbeschlüssen einen wesentlichen Einfluss der Beigeladenen zu 1 und zu 2 begründet habe. Bis zu diesem Zeitpunkt habe Vertrauensschutz bestanden und dürfe nicht von einer abhängigen Beschäftigung ausgegangen werden. Zudem habe die Beklagte in der Vergangenheit mehrfach Betriebsprüfungen ohne Beanstandungen vorgenommen, so dass ein etwaiger Anspruch auf rückwirkende Beitragszahlungen verwirkt sei.

Die Beklagte ist der Klage unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid entgegengetreten. Zudem habe der Stimmbindungsvertrag nur indiziellen Charakter für die Statusbeurteilung. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin bezüglich der Beitragsnachforderung nicht berufen. Insbesondere habe sie zu keinem Zeitpunkt ein Statusfeststellungsverfahren bei der Clearingstelle beantragt. Durch die Verjährungsfrist von 4 Jahren sei sie hinreichend vor unzumutbaren Beitragsnachforderungen geschützt. Eine Verwirkung von Ansprüchen setze das Hinzutreten besonderer Umstände voraus, die nicht gegeben seien. Der Rentenversicherungsträger sei auch in kleinen Betrieben nicht zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten verpflichtet, sondern könne eine Stichprobenprüfung vornehmen. Bescheide bezüglich Betriebsprüfungen in der Vergangenheit würden daher neben belastenden Feststellungen keine Begünstigung dahingehend enthalten, dass der Beitrag auf den darin festgesetzten Betrag begrenzt sei. Eine Bindungswirkung trete nur ein, wenn die Beitragshöhe personenbezogen und für einen bestimmten Zeitraum festgestellt worden sei.

Das SG hat durch Beschluss vom 5.12.2016 die Beigeladenen zu 1 bis zu 6 beigeladen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 9.1.2018 zurückgewiesen. Der Bescheid vom 23.2.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.7.2015 sei rechtmäßig. Die Beigeladenen zu 1 und zu 2 seien Minderheitsgesellschafter mit einer Beteiligung von je 25 % am Stammkapital der Klägerin. Aus ihrem daraus resultierenden Stimmrecht erwachse ihnen somit keine beherrschende Stellung innerhalb der Gesellschafterversammlung, da das Stimmrecht von der Höhe der Beteiligung am Stammkapital abhängig und Beschlüsse mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst werden (§ 7 Abs. 1 GV, Bl. 29 SG Akte). Eine Sperrminorität hätten die Beigeladenen zu 1 und zu 2 insbesondere auch nicht aus dem Stimmbindungsvertrag vom 28.7.2009 gehabt. Das daraus resultierende und von allen Gesellschaftern gemeinsam beschlossene Einstimmigkeitserfordernis sei eine schuldrechtliche Stimmbindungsvereinbarung, die außerordentlich habe gekündigt werden können und daher nicht geeignet sei, bei einem Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer den sozialversicherungsrechtlichen Status als nicht versicherungspflichtiger Selbstständiger zu begründen (Hinweis auf BSG, Urteil vom 11.11.2015 - B 12 KR 10/14 R -, juris Rn. 29). Hinzu komme, dass vorliegend im Stimmbindungsvertrag auch ein ordentliches Kündigungsrecht für alle Gesellschafter unter Einhaltung einer näher bezeichneten Kündigungsfrist vereinbart worden sei. Eine Kündigung der Stimmbindungsvereinbarung durch die Mitgesellschafter hätten die Beigeladenen zu 1 und zu 2 nicht verhindern können. Dass eine Kündigung der Stimmbindungsvereinbarung im hier streitigen Zeitraum tatsächlich nicht erklärt worden sei, sei unbeachtlich. Bei einem Konfliktfall zwischen den Gesellschaftern wäre die den anderen Gesellschaftern aufgrund des Kündigungsrechts zustehende Rechtsmacht zum Tragen gekommen. Damit habe auch nach den gelebten tatsächlichen Verhältnissen eine Weisungsunterworfenheit der Beigeladenen zu 1 und zu 2 bestanden. Dem Stimmbindungsvertrag, der keine Sperrminorität zu begründen vermöge, könne lediglich eine Indizwirkung im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau aller Umstände zur Einstufung der Tätigkeit zukommen. Die dadurch begründete Möglichkeit für jeden der Gesellschafter, eine Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung zu verhindern, ergebe zwar den Willen der Beteiligten, eine größere Rechtsmacht für jeden der 4 Gesellschafter einzuräumen, begründe jedoch keine hervorgehobene rechtliche Stellung der Beigeladenen zu 1 und zu 2 gegenüber ihren Mitgesellschaftern. Der Stimmbindungsvertrag könne nicht als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit gewertet werden. Auch nach dem Gesamtbild der sonstigen vertraglichen und tatsächlichen Verhältnisse habe sich das SG nicht davon überzeugt, dass die Beigeladenen zu 1 und zu 2 ihre Tätigkeit als Geschäftsführer als Selbstständige ausgeübt haben. Es überwögen bei einer Gesamtschau die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung. Nach Nr. 2 der GV erhielten sie für ihre Tätigkeit zwar eine gewinn- und liquiditätsabhängige Vergütung. Hierauf würden aber monatliche Vorauszahlungen in Höhe der bisherigen Vergütung, wie sie sich aus den vorherigen Fassungen der GV mit festem Monatsgehalt, Gewährung vermögenswirksamer Leistungen, Weihnachtsgratifikation, Urlaubsgeld und Entgeltfortzahlungen für Krankheit- und Todesfall, unentgeltliche PKW Nutzung, Reisekostenersatz typisch für eine abhängige Beschäftigung ergeben, angerechnet. Sie trügen kein wesentliches wirtschaftliches Risiko, stellten keine eigenen Betriebsmittel und beschäftigten keine eigenen Arbeitnehmer. Durch die vereinbarte garantierte monatliche Vergütung erfolge der Einsatz der eigenen Arbeitskraft auch durch Überstunden, Mehrarbeit nicht mit dem Risiko, hierfür kein Entgelt zu erhalten. Bei der vereinbarten angemessenen Anpassung der Bezüge an geänderte Verhältnisse handele es sich um eine übliche arbeitsvertragliche Regelung. Die Tantiemeregelung begründe eine Gewinnoption, aber kein Verlustrisiko. Im Übrigen werde die Tantieme für alle tätigen Gesellschafter in gleicher Höhe gewährt und damit auch für die unstreitig abhängig beschäftigten Mitgesellschafter. Es fehle an dem für einen Selbstständigen typischen Risiko, dass die Führung eines eigenen Unternehmens regelmäßig mit sich bringe. Des Weiteren könne die Gesellschafterversammlung der Geschäftsführung und damit den Beigeladenen zu 1 und zu 2 allgemeine oder besondere Weisungen erteilen (§ 7 Abs. 9 S. 2 Buchst. g IV, Bl. 30 SG Akte). Formal stehe dazu der Stimmbindungsvertrag zwar im Widerspruch, der aber jederzeit ordentlich mit einer Frist gekündigt werden könne. Demgegenüber bedürfe eine Änderung der Anstellungsbedingungen der Beigeladenen zu 1 und zu 2 einer Mehrheitsentscheidung der Gesellschafterversammlung von 75 % (§ 7 Nr. 9 S. 2 Buchst. g GV. Damit seien die Beigeladenen zu 1 und zu 2 gegenüber den weiteren Gesellschaftern aufgrund der lediglich zustehenden Rechtsmacht weisungsabhängig. Hinzu komme, dass die Gesellschafterversammlung die Beigeladenen zu 1 und zu 2 mit einer Mehrheit von 75 % der Stimmen als Geschäftsführer abberufen könne. Dafür sei zwar grundsätzlich die Zustimmung des betroffenen Geschäftsführers nötig, allerdings nicht im Falle eines wichtigen, gerichtlich festzustellenden Grundes (§ 5 Abs. 2 Unterabsatz 3 GV, Bl. 29 SG Akte, sowie Nr. 1 Abs. 1 GFV vom 28.7.2009, Bl. 44 SG Akte; § 38 Abs. 2 GmbHG). Demgegenüber seien die für eine selbstständige Tätigkeit sprechenden Gesichtspunkte von nur untergeordneter Bedeutung. Die freie Einteilung der Arbeitszeiten sei auch in Beschäftigungsverhältnissen und insbesondere bei Diensten höherer Art nicht untypisch. Gleiches gelte für die Berechtigung zur Einzelvertretung, die Befreiung vom Selbstkontrahierungszwang, die Gewährung von Darlehen an die Klägerin und die Abgabe von Bürgschaftserklärungen für die Klägerin. Die Beklagte habe daher zutreffend die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1 und zu 2 für ihre Tätigkeit als Geschäftsführer für die Klägerin ab dem 1.1.2010 bis zum 31.12.2013 in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI sowie in der Arbeitslosenversicherung nach § 24 Abs. 1 i.V.m. §§ 20 Abs. 1 S. 1 SGB III bzw. bis zum 30.12.2010 in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gemäß §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 6 SGB V und § 20 SGB XI aufgrund einer abhängigen Beschäftigung festgestellt. Die Beklagte sei daher auch gemäß § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV dazu berechtigt gewesen, die Höhe der rückständigen Beiträge zur Sozialversicherung im streitgegenständlichen Zeitraum gegenüber der Klägerin festzusetzen. Es habe weder eine Verjährung noch eine Verwirkung der Beitragsnachforderung unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid vom 1.7.2015 vorgelegen.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 15.1.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 14.2.2018 schriftlich beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung eingelegt und vorgetragen, dass die Beigeladenen zu 1 und zu 2 eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt hätten. Hierfür spreche, dass sie eine gewinn- und liquiditätsabhängige Vergütung und kein Festgehalt erhalten hätten. Damit seien sie direkt vom wirtschaftlichen Erfolg der GmbH abhängig gewesen. In den neuen Geschäftsführerverträgen seien keine für Arbeitnehmer typischen Regelungen enthalten wie Ausschluss von Nebentätigkeit, nachvertragliches Wettbewerbsverbot, Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfall, Selbstkontrahierungsverbot. Lediglich hinsichtlich der Vergütung und hier nur bezüglich der Höhe sei auf die Regelung im alten Vertrag Bezug genommen worden. Für eine selbstständige Tätigkeit spreche die freie Wahl von Arbeitszeit und -ort und die Unabhängigkeit von Weisungen. Auch Minderheitsgesellschafter unterlägen nicht zwingend dem Status eines abhängig Beschäftigten. Entscheidend sei die Rechtsmacht aus dem Gesellschaftsvertrag. Nach § 5 des GV sei der Geschäftsführer je nur mit seiner Zustimmung abzuberufen. Ausnahme sei allein ein wichtiger, gerichtlich festzustellender Grund. Dies entspreche einem faktischen Vetorecht. Der Stimmbindungsvertrag sei nur mit einer Frist von 3 Monaten kündbar gewesen. Dies sei im schnelllebigen Baugewerbe viel Zeit um Entscheidungen zu treffen. Außerdem könnten sich die Beigeladenen zu 1 und zu 2 bzw. die die Klägerin auf Vertrauensschutz berufen. Mehrfach seien vorher Betriebsprüfungen ohne Beanstandung durchgeführt worden in denen die Prüfung des Status der Geschäftsführer zwingend sei und die anders beurteilt worden sei. An der Behauptung, dass auch vorher separat für die Geschäftsführer anders entschieden worden sei, hat die Klägerin im Erörterungstermin am 25.3.2019 nicht mehr festgehalten. Bis zur Aufgabe der "Kopf und Seele" Rechtsprechung des BSG habe man sich auf die Kriterien verlassen dürfen. Dies ergebe auch die Stellungnahme der Spitzenverbände.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 9. Januar 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juli 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Geschäftsführer der Klägerin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien sowie die Beklagte zu verurteilen, die von der Klägerin bereits gezahlten Beträge i.H.v. 58.498,55 EUR sowie 60.444,71 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von jeweils 8 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klägerin zurückzubezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Die Berichterstatterin hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 25.3.2019 erörtert.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (die Klägerin, die Beigeladenen zu 1 und zu 2 sowie die Beklagte im Erörterungstermin, die übrigen Beigeladenen zu 3 bis zu 6 jeweils durch schriftliche Erklärungen).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (vgl. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 23.2.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.7.2015 ist rechtmäßig. Denn die Beigeladenen zu 1 und zu 2 haben ihre Tätigkeit als Minderheits-Gesellschafter-Geschäftsführer für die Klägerin im Zeitraum vom 1.1.2010 bis 31.12.2013 im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt, die der Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung (Kranken- und Pflegeversicherung begrenzt bis 31.12.2010) unterlegen hat.

Das SG hat die rechtlichen Voraussetzungen für das Vorliegen von Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung zutreffend dargelegt und mit ausführlicher und überzeugender Begründung im Rahmen einer Gesamtabwägung dargelegt, dass die Beigeladenen zu 1 und zu 2 als Minderheitsgesellschafter ohne Sperrminorität trotz des schuldrechtlichen Stimmbindungsvertrages im Zweifelsfall weisungsgebunden und damit abhängig beschäftigt waren, was die Beklagte zur Nachforderung der Beiträge berechtigt hat. Die rechtliche Problematik ist durch die Rechtsprechung des BSG eindeutig geklärt. Danach sind Gesellschafter-Geschäftsführer aufgrund ihrer Kapitalbeteiligung nur dann selbstständig tätig, wenn sie mindestens 50 % der Anteile am Stammkapital halten oder ihnen bei geringerer Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine "echte"/"qualifizierte" Sperrminorität eingeräumt ist. Eine "echte"/"qualifizierte" Sperrminorität setzt voraus, dass sie nicht auf bestimmte Angelegenheiten der Gesellschaft begrenzt ist, sondern uneingeschränkt die gesamte Unternehmenstätigkeit umfasst. Außerhalb des Gesellschaftsvertrags (Satzung) zustande gekommene, das Stimmverhalten regelnde Vereinbarungen (Abreden) sind bei der Bewertung der Rechtsmachtverhältnisse nicht zu berücksichtigen (BSG, Urteile vom 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R - und - B 12 R 5/16 R). Die faktische arbeitskraft- und inhaltsbezogene Weisungsfreiheit vermag an der durch die gesellschaftsrechtliche Ausgangslage bedingten Abhängigkeit von der Gesellschafterversammlung und der fehlenden Rechtsmacht der Beigeladenen zu 1 und zu 2 nichts zu ändern (BSG, Urteil vom 14.3.2018 - B 12 R5/16 R -, juris Rn. 19). Der Senat sieht deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Lediglich ergänzend wird ausgeführt, dass sich die Klägerin auch nicht auf Vertrauensschutz berufen kann. Die von den Beigeladenen zu 1 und zu 2 im Erörterungstermin in dem Zusammenhang angeführte Befreiung von der Krankenversicherungspflicht durch die Krankenkassen wegen Feststellung einer selbständigen Tätigkeit konnte nicht belegt werden.

Frühere Prüfmitteilungen der Beklagten - die nicht vorgelegt werden konnten - vor dem hier streitbefangenen Zeitraum ab 1.1.2010 begründen keinen Vertrauensschutz in diesem Sinne. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG können Arbeitgeber aus Betriebsprüfungen keine weitergehenden Rechte ableiten, weil Betriebsprüfungen unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten nur den Zweck haben, die Beitragsentrichtung zu einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen nicht zu und kann ihnen schon deshalb nicht zukommen, weil die Betriebsprüfung nicht umfassend oder erschöpfend zu sein braucht und sich auf bestimmte Einzelfälle oder Stichproben beschränken darf. Betriebsprüfungen – ebenso wie das Ergebnis der Prüfung festhaltende Prüfberichte der Versicherungsträger – bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm etwa – mit Außenwirkung – "Entlastung" zu erteilen. Eine materielle Bindungswirkung kann sich lediglich dann und insoweit ergeben, als Versicherungs- und/oder Beitragspflicht (und Beitragshöhe) im Rahmen der Prüfung personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch gesonderten Verwaltungsakt festgestellt wurden (zum Ganzen z.B. BSG, Beschluss vom 17.3.2017 – B 12 R 44/16 B – juris, Rn. 20 m.w.N.; vgl auch z.B. BSG, Urteil vom 18.11.2015 – B 12 R 7/14 R – juris, Rn. 18).

Soweit die Klägerin Vertrauensschutz wegen einer "Änderung der Rechtsprechung des BSG" geltend macht, kann dem nicht gefolgt werden. Soweit sie sich auf die sog. "Kopf und Seele"-Rechtsprechung bezieht, handelte es sich insoweit im Rahmen des hier allein maßgeblichen Beitragsrechts nicht um eine gefestigte und langjährige Rechtsprechung, die Vertrauensschutz auslösen könnte (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.12.2017 – L 10 R 1637/17 – juris, Rn. 30 m.w.N.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.2.2019 – L 4 BA 313/18 –, juris Rn. 87; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6.2.2019 – L 4 BA 6/18 –, juris Rn. 32). Vielmehr wurde die sog. Kopf und Seele-Rechtsprechung - worauf bereits das BSG im Urteil vom 29.07.2015, B 12 KR 23/13 R (in SozR 4-2400 § 7 Nr. 24, m.w.N.) hingewiesen hat - für das Leistungsrecht der Arbeitsförderung und der Unfallversicherung entwickelt, also gerade nicht für das - hier maßgebende - Beitragsrecht. Tatsächlich hatte der für das Beitragsrecht zuständige 12. Senat des BSG - soweit ersichtlich - nur einmal hierauf zurückgegriffen (BSG, a.a.O. mit Hinweis auf das Urteil vom 23.06.1994, 12 RK 72/92), dann aber jahrelang hierauf nicht mehr Bezug genommen, sondern maßgebend auf die dem jeweiligen Beteiligten zustehende Rechtsmacht abgestellt (vgl. BSG, Urteil vom 25.01.2006, B 12 KR 30/04 R ; Urteil vom 24.01.2007, B 12 KR 31/06 R in SozR 4-2400 § 7 Nr. 7; s. hierzu auch Ledge, Das Ende von "Kopf und Seele" in SGb 2007, 25, 27) und schließlich auch ausdrücklich Zweifel an dieser Rechtsprechung der für das Leistungsrecht zuständigen Senate formuliert (Urteile vom 29.08.2012, B 12 KR 25/10 R in SozR 4-2400 § 7 Nr. 17 BSG, und B 12 R 14/10 R, in juris). Dem entsprechend hat das BSG bei seiner Entscheidung vom 29.07.2015 (a.a.O.) auch keinen Grund gesehen, die zeitliche Anwendbarkeit seiner Rechtsauffassung zu begrenzen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.12.2017 – L 10 R 1637/17 –, juris Rn. 30). Ansonsten hätte das BSG bei einer vermeintlichen Aufgabe seiner gefestigten Rechtsprechung bei den ebenfalls in der Vergangenheit liegenden Tatbeständen nicht Sozialversicherungspflicht bejahen dürfen und lediglich in Form eines obiter dictum entschieden.

Im Übrigen hätte die Klägerin unmittelbar nach ihrer Gründung die Möglichkeit gehabt, die Frage der Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1 bis 2 in einem Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV zu klären und damit diesbezüglich frühzeitig eine verbindliche Entscheidung und Sicherheit zu erhalten. Von dieser Möglichkeit machte sie keinen Gebrauch.

Aus diesen Gründen war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladenen tragen gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO ihre außergerichtlichen Kosten selbst, weil sie keine Anträge gestellt haben.

Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt nach § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 3, 53 Abs. 2 Nr. 4 GKG und entspricht der streitigen Nachforderung.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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