L 10 KO 1952/19 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 13 KO 1845/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 KO 1952/19 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ein gesonderter Zeitaufwand für Literaturrecherche bzw. -studium ist nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen zu vergüten, beispielsweise, wenn die Literaturrecherche vom Gericht ausdrücklich verlangt wird, wenn der Rückgriff auf Standardliteratur bei der Beurteilung aus offensichtlichen oder vom Sachverständigen im Einzelnen dargelegten Gründen nicht zur Beantwortung der gestellten Beweisfragen ausreicht, bei im klinischen oder gutachterlichen Alltag des Sachverständigen seltenen Krankheiten, deren Ursache oder Behandlung im Gutachten zu klären ist bzw. bei selten zur Fragestellung kommenden Kausalzusammenhängen. Voraussetzung einer Vergütung ist aber immer, dass sich der Sachverständige im Einzelnen mit der recherchierten und studierten Literatur im Gutachten auseinandersetzt und daraus die Erforderlichkeit seiner Ausführungen (und damit auch Recherche und Studium der Literatur) zur Beantwortung der Beweisfragen auch erkennbar wird, das bloße Anfügen einer Literaturliste und eine Bezugnahme hierauf im Gutachtenstext genügt daher nicht.
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 13.05.2019 abgeändert. Die Vergütung des Antragstellers für sein Gutachten vom 14.01.2019 wird auf 1.472,73 EUR festgesetzt.

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

In dem beim Sozialgericht Ulm anhängigen Klageverfahren S 2 KR 3730/17 macht die klagende Krankenkasse gegen den beklagten Krankenhausträger eine Rückforderung geltend, weil der bei ihr versicherte und vom Beklagten von Anfang bis Mitte 2013 in seinem Querschnittgelähmten-Zentrum stationär behandelte Patient (Querschnittslähmung ab T9 mit neurogener Harnblasen- und Mastdarmentleerungsstörung, Neigung zu Akne-Abszessen im Bereich des Gesäßes, stationär aufgenommen nach Exzision eines Dekubitalgeschwüres über dem linken Sitzbein zum Zweck einer plastischen Deckung) zu lange stationär behandelt worden und auch kein Zusatzentgelt wegen hohen pflegerischen Aufwandes gerechtfertigt gewesen sei.

Nachdem der Antragsteller - Facharzt für Allgemeinmedizin, Leitender Arzt eines Querschnittgelähmten-Zentrums mit Zusatzqualifikationen im Qualitätsmanagement - vom Sozialgericht zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und um die Erstattung eines Gutachtens nach Aktenlage (geschätzt 400 Bl. Patientendokumentation, 63 Bl. SG-Akten) gebeten worden war, hat er sein elfseitiges Gutachten erstattet, dem ein neun Literaturstellen aufzählendes Verzeichnis englischsprachiger Literatur beigefügt gewesen ist. In seiner Antwort auf Frage 2 des Gutachtensauftrages (erforderliche stationäre Behandlung und erforderliche Dauer) hat er bei der Darstellung der Behandlungsstandards chronifizierter Debikutalgeschwüre durch in Klammer gesetzte Zahlen auf die jeweilige Literatur verwiesen.

Abgerechnet hat der Antragsteller für sein Gutachten acht Stunden Aktenstudium, zwei Stunden Literaturstudium, drei Stunden Ausarbeitung und eine Stunde Diktat und Korrektur, insgesamt 14 Stunden zu einem Stundensatz von 100,00 EUR, Schreibgebühren und Porto sowie die gesetzliche Umsatzsteuer, insgesamt 1.710,73 EUR. Die Kostenbeamtin hat - bis auf das Literaturstudium - antragsgemäß vergütet (1.472,73 EUR). Das Sozialgericht hat die Vergütung des Antragstellers mit Beschluss vom 13.05.2019 antragsgemäß auf 1.710,73 EUR festgesetzt. Die zweistündige Literaturrecherche sei zu vergüten, weil der Antragsteller eine Aufstellung der Literatur beigefügt und an passender Stelle im Gutachten zitiert habe. Der Antragsteller müsse - so die identischen Ausführungen zu einem ebenfalls eine zweistündige Literaturrecherche als vergütungsfähig ansehenden Beschluss vom 06.11.2017, auf den sich der Antragsteller, neben einem weiteren entsprechenden Beschluss berufen hat - überprüfen, ob sein Kenntnisstand bei Abfassung des Gutachtens noch aktuell sei bzw. der Lehrmeinung zum Zeitpunkt der Behandlung entsprochen habe und die Veröffentlichungen auf seinem Fachgebiet seien derart umfangreich, dass eine Datenbankrecherche erforderlich sei, wenn die Publikationen als Nachweis der im Gutachten vertretenen Lehrmeinung dienten.

Allein gegen die Vergütung des Zeitaufwandes für das Literaturstudium richtet sich die vom Antragsgegner eingelegte Beschwerde. Der Antragsgegner vermag nicht zu erkennen, dass die Literatur im Gutachten zitiert, dokumentiert oder diskutiert worden sei. Er hält - anders als der Antragsteller im Antrag auf richterliche Festsetzung vorgetragen hat - die Fragestellung auch nicht für derart speziell, dass sich die Notwendigkeit einer Datenbankrecherche ergebe.

II.

Über die nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz, JVEG) statthafte und damit zulässige Beschwerde entscheidet der nach dem Geschäftsverteilungsplan für Kostensachen allein zuständige 10. Senat nach Übertragung durch den Einzelrichter gemäß § 4 Abs. 7 JVEG in der Besetzung mit drei Berufsrichtern.

Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG erhält der Sachverständige als Vergütung ein Honorar für seine Leistungen, das nach Stundensätzen bemessen ist. Dementsprechend wird es gem. § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit gewährt, wobei die letzte bereits begonnene Stunde voll gerechnet wird, wenn sie zu mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war; anderenfalls beträgt das Honorar die Hälfte des sich für eine volle Stunde ergebenden Betrages.

Nach ständiger Rechtsprechung des Kostensenats (seit Beschluss vom 22.09.2004, L 12 RJ 3868/04 KO-A, u.a. in juris und MedR 2006, 118 und Beschluss vom 14.01.2014, L 12 KO 4491/12 B, u.a. in juris und GesR 2014, 555) ist erforderlich im Sinne des § 8 Abs. 2 JVEG die Zeit, die von erfahrenen Sachverständigen bei durchschnittlicher Arbeitsintensität benötigt wird. Dabei kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass die Angaben des Sachverständigen zu seinem tatsächlichen Zeitaufwand, wie sie von ihm in den mit dem Gutachtensauftrag übersandten Hinweisen unter Versicherung deren Richtigkeit verlangt werden, zutreffen und dass die vom Sachverständigen zur Vergütung verlangten Stunden für die Erstellung des Gutachtens auch notwendig waren. Der Sachverständige muss deshalb eine Abrechnung unter Mitteilung seines tatsächlichen Zeitaufwandes entsprechend den Vorgaben, wie sie ihm in den Hinweisen mitgeteilt worden sind, vorlegen.

Maßgebend für die Vergütung ist somit, ob tatsächlich eine Literaturrecherche durchgeführt bzw. ein Literaturstudium erfolgt ist - ist dies nicht nachweisbar, stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit des Zeitaufwandes nicht - und - falls ja - ob diese Verrichtung gerade für die Erstellung des Gutachtens, also für die Beantwortung der Beweisfragen erforderlich gewesen ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Sachverständige grundsätzlich die Eignung für die Erstellung des Gutachtens aufweisen muss, was grundlegende Kenntnisse für die gutachterliche Fragestellung voraussetzt.

Bei der Frage, ob Zeitaufwand für Literaturrecherche und / oder -studium danach vergütungsfähig ist, ist somit nach dem Zweck dieser Tätigkeit zu unterscheiden.

Dient die Suche und / oder Lektüre dazu, dass der Sachverständige sich fachlich in die Lage versetzt, überhaupt das Gutachten zu erstatten, also die Kompetenz für die Fragestellung zu erwerben (z.B. die Grundlagen der Kausalitätsprüfung in der gesetzlichen Unfallversicherung), ist dieser Zeitaufwand nicht vergütungsfähig. Denn dieser Kenntnisstand ist vom Sachverständigen zu erwarten, deshalb wird er zum Sachverständigen ernannt. Dem entsprechend ist solcher Zeitaufwand nach ständiger Rechtsprechung des Kostensenats (z.B. Beschluss vom 06.08.2010, L 12 KO 1653/10) nicht zu vergüten.

Gleiches gilt, soweit das Heranziehen von Literatur nur der ohnehin bestehenden Pflicht, sich im Bereich der ärztlichen Tätigkeit auf dem Laufenden zu halten, dient (Beschluss des Kostensenats vom 02.10.2015, L 12 1279/15 E; ebenso z.B. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 09.05.2018, L 12 SF 40/17, in juris; Beschluss vom 30.11.2011, L 15 SF 97/11, in juris; Thüringer Landessozialgericht, u.a. Beschluss vom 02.04.2013, L 6 SF 1739/12 E, in juris; Oberlandesgericht Zweibrücken, Beschluss vom 10.07.2015, 6 W 11/15, in juris). Dementsprechend ist Zeitaufwand zum Erwerb von Kenntnissen zu Fragestellungen, die im beruflichen Alltag des Arztes oder im medizinischen Fachbereich, in dem der Arzt üblicherweise gutachterlich tätig wird, nicht nur ganz selten vorkommen, nicht vergütungsfähig. Soweit das Sozialgericht somit meint, der Antragsteller müsse prüfen, ob sein Kenntnisstand bei Abfassung des Gutachtens noch aktuell sei bzw. der Lehrmeinung zum Zeitpunkt der Behandlung entsprochen habe, trifft dies zwar zu, ergibt sich aber aus seiner ohnehin bestehenden ärztlichen Pflicht, sich auf dem Laufenden zu halten.

Dient dagegen das Heranziehen von Literatur dazu, beim Sachverständigen im Wesentlichen bereits vorhandene Kenntnisse im Gutachten im Einzelnen darzustellen und zu belegen (z.B. Wiedergabe und Zitat von Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft anhand der medizinischen Standardliteratur, einschließlich dort eventuell zitierter Studien und dergleichen) oder Einzelheiten der Fragestellung anhand solcher Standardliteratur zu bearbeiten (z.B. Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit oder des Grades der Behinderung, Leistungseinschätzung bei speziellen Fragen der Erwerbsminderung), handelt es sich um Zeitaufwand im Rahmen der Beurteilung, der zwar grundsätzlich vergütungsfähig ist und bei Erforderlichkeit der Ausführungen auch zu vergüten ist, aber nicht als gesonderter Zeitaufwand, sondern als Zeitaufwand für die Bearbeitung und Beantwortung der Beweisfragen. Deshalb verfängt der im angefochtenen Beschluss angestellte Vergleich mit einem Richter, der im Urteil die einschlägige Rechtsprechung zitiert, nicht.

In der veröffentlichen Rechtsprechung (vgl. z.B. die oben nach juris zitierte Rechtsprechung) und Literatur (z.B. Schneider, JVEG, 3. Auflage, § 8 Rdnr. 40 m.w.N. zur Rechtsprechung) ist daher anerkannt, dass gesonderter Zeitaufwand für Literaturrecherche bzw. -studium nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen zu vergüten ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Literaturrecherche vom Gericht ausnahmsweise ausdrücklich verlangt wird (in diesem Sinn auch der Antragsgegner), wenn der Rückgriff auf Standardliteratur aus offensichtlichen oder vom Sachverständigen im Einzelnen dargelegten Gründen nicht zur Beantwortung der gestellten Beweisfragen ausreicht (z.B. wenn verschiedene Lehrmeinungen zu diskutieren sind, vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 09.05.2018, a.a.O.; Thüringer Landessozialgericht, a.a.O., Oberlandesgericht Zweibrücken, a.a.O.), bei im klinischen oder gutachterlichen Alltag des Sachverständigen seltenen Krankheiten, deren Ursache oder Behandlung im Gutachten zu klären ist bzw. bei selten zur Fragestellung kommenden Kausalzusammenhängen (sog. Seltenheitsfälle, so Bayerisches Landessozialgericht und Thüringer Landessozialgericht, jeweils a.a.O.).

Voraussetzung einer Vergütung ist aber immer, dass sich der Sachverständige im Einzelnen mit der recherchierten und studierten Literatur im Gutachten auseinandersetzt (so alle zitierten Entscheidungen und auch Schneider a.a.O.) und daraus die Erforderlichkeit seiner Ausführungen (und damit auch Recherche und Studium der Literatur) zur Beantwortung der Beweisfragen auch erkennbar wird, das bloße Anfügen einer Literaturliste und eine Bezugnahme hierauf im Gutachtenstext genügt daher - anders als der Antragsteller in seiner Beschwerdeerwiderung meint - nicht.

Diese Grundsätze übertragen auf den vorliegenden Sachverhalt führen zu dem Ergebnis, dass der geltend gemachte Zeitaufwand von zwei Stunden für Literaturrecherche/-studium nicht vergütungsfähig ist. Der Antragsteller führt in seinem Gutachten selbst aus, dass bei der Behandlung von Druckgeschwüren bei querschnittgelähmten Patienten der im zu beurteilenden Sachverhalt festgestellte Behandlungsverlauf nicht selten ist, solche Befunde sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich häufig befundet und therapiert werden und frustrane Therapieversuche häufig sind. Dabei ist der Antragsteller selbst Leitender Arzt eines Querschnittgelähmten-Zentrums und er hat damit mit diesem nicht selten vorkommenden Behandlungsablauf vertraut zu sein und - dies ergibt sich aus seinen durchweg nachvollziehbaren und ohne Literaturbeleg auskommenden, durch seine medizinische Erfahrung geprägten Ausführungen zur Behandlung im konkreten Fall - er ist es auch. Schon aus diesem Grund ist der geltend gemachte Zeitaufwand nicht zu vergüten. Die Ausführungen des Antragstellers in seiner Beschwerdeerwiderung zur Komplexität und Schwierigkeit des Falles mit Aspekten aus mehreren medizinischen Fachgebieten vermögen daher die Notwendigkeit eines Literaturstudiums nicht zu begründen.

Damit sind diese beiden Stunden aus der vom Sozialgericht festgesetzten Vergütung herauszurechnen. Im Übrigen ist die Vergütung antragsgemäß festzusetzen, ohne dass es hierzu weiterer Erörterung bedarf, weil sich die Beschwerde auf diese beiden Stunden beschränkt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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