L 10 U 3856/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 2644/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 3856/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 12.05.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten steht die Dauer sowie die Höhe gewährter Verletztenrente im Streit.

Die am 1963 geborene Klägerin stieß am 02.07.2009 gegen 6.55 Uhr auf der Kreisstraße K 4. zwischen R. und D. frontal mit einem auf ihrer Fahrspur entgegenkommenden, einen Bus überholenden Pkw zusammen. Sie befand sich nach ihren Angaben zu diesem Zeitpunkt als nicht am Gesellschaftskapital beteiligte angestellte Geschäftsführerin der La F. GmbH auf dem Weg, um einen Arbeiter der La F. GmbH abzuholen und zu einer Baustelle zu bringen. Die Klägerin wurde mit dem Rettungswagen in die Orthopädische Universitätsklinik H. gebracht und zur Überwachung stationär aufgenommen. Dort gab die Klägerin Schmerzen in der rechten Thoraxhälfte, am Becken rechts sowie im Brustbereich an, Amnesie, Übelkeit, Erbrechen oder Kopfschmerzen verneinte sie (Bl. 315 VerwA). Im Befund zeigten sich lediglich ein Druckschmerz im Bereich der rechten Thoraxhälfte und im Bereich des rechten Beckens, kein Klopfschmerz über der Wirbelsäule, eine freie Beweglichkeit aller vier Extremitäten und keine neurologischen Auffälligkeiten. In der Sonografie des Abdomens ergaben sich - abgesehen von einem Hinweis auf einen Blasenpolyp - keine Auffälligkeiten, das Röntgen des Thorax ergab eine Fraktur der 6. Rippe. Die Ärzte diagnostizierten eine Thorax- und Sternumprellung, eine Fraktur der 6. Rippe und eine Beckenprellung. Nach Beginn einer Atem- und Schmerztherapie wurde die Klägerin am 04.07.2009 entlassen.

Erstmals nach dem Unfall begab sich die Klägerin am 29.07.2009 zum Orthopäden und H-Arzt Dr. L. , bei dem sie bereits seit Oktober 1993 u. a. wegen Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule (im Oktober 1993 und November 2007), der Brustwirbelsäule (im Oktober 1993, Juli 1995 und November 2007) und der rechten Schulter (jedenfalls im Juli 1995) in Behandlung stand (s. dessen sachverständige Zeugenauskünfte gegenüber dem Senat, Bl. 93 ff., 104 ff. LSG-Akte mit Auszug aus der digitalen Patientenakte). Dr. L. dokumentierte im H-Arzt-Bericht (Bl. 3 VerwA) für den 29.07.2009 Schmerzen im Bereich des Thorax, er schloss durch Röntgenaufnahmen knöcherne Verletzungen der rechten Hand und des linken Fußes aus und diagnostizierte Prellungen der Rippen, der Hand, des Fußes und eine Rippenfraktur. Nach mehreren Konsultationen im August 2009 gab die Klägerin gegenüber Dr. L. erstmals am 01.09.2009 Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) an (Bl. 104, 116 LSG-Akte). Da die Beschwerden anhielten, veranlasste Dr. L. am 05.10.2009 (Bl. 116 LSG-Akte) sowohl eine Computertomographie (CT) des rechten Thorax als auch eine Magnetresonanztomographie (MRT) der HWS, die am 14.10.2009 durchgeführt wurden und neben einer kleinen Bulla (= Flüssigkeitsansammlung) eine Fraktur der 6. und 7. Rippe (CT, Bl. 407 VerwA) sowie mehrere Bandscheibenvorfälle und -vorwölbungen im Bereich der HWS und der Brustwirbelsäule (BWS), u. a. einen breitbasigen Bandscheibenvorfall in Höhe des Halswirbelkörpers (HWK) 6/7 sowie eine teilweise Signalanhebung der Wirbelkörper 6 und 7 "im Sinne eines Kontusionsödems" zeigten. Hinsichtlich sämtlicher Einzelheiten wird auf den Befundbericht Bl. 406 f. VerwA verwiesen. Für den 30.11.2009 dokumentierte Dr. L. erstmals "weiterhin" Schmerzen im Arm (vgl. Bl. 118 LSG-Akte) und für den 07.01.2009 Beschwerden in der rechten Schulter. Zu diesem Zeitpunkt lag bereits das von ihm veranlasste MRT der rechten Schulter vom 14.12.2009 vor, das u. a. degenerative Veränderungen des AC-Gelenkes mit retroartikulärem Knochenödem, ein Knochenmarködem am Trochanter major und Reizzustände von Schleimbeuteln und Sehnen zeigte (hinsichtlich sämtlicher Einzelheiten wird auf den Befundbericht Bl. 15 SG-Akte Bezug genommen). Spätere MRT der HWS zum Verlauf (September 2010 und Januar 2011) erbrachten keine wesentlichen Befundänderungen (vgl. Bl. 457 und 458 VerwA).

Wegen psychischer Beschwerden befand sich die Klägerin ab Oktober in einer "traumaadaptierten Verhaltenstherapie" bei der Diplom-Psychologin S. , welche eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und eine depressive Episode diagnostizierte (Bl. 98 ff. VerwA).

Im Rahmen einer vom Rentenversicherungsträger im März 2010 durchgeführten stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme (Federseeklinik, Abteilung Orthopädie, vgl. zu allen Einzelheiten den Entlassungsbericht Bl. 104 ff. SG-Akte) gab die Klägerin Beschwerden im Bereich des Nackens und der rechten Schulter mit entsprechenden funktionellen Einschränkungen an. In psychischer Hinsicht habe sie den Unfall noch nicht verarbeitet, sie erlebe ihn immer wieder, habe ihn immer wieder vor Augen. Das Amitriptylin (Antidepressivum) habe sie eigenständig abgesetzt. Im zusammengefassten psychologischen Bericht wurden die psychischen Symptome als deutlich rückläufig beschrieben, weshalb keine weiteren Maßnahmen notwendig seien. In psychischer Hinsicht sei die Klägerin für die angegebene Tätigkeit als Raumausstatterin arbeitsfähig (Bl. 110 SG-Akte). Wegen der orthopädischen Beschwerden wurde die Klägerin als dauerhaft leistungsunfähig angesehen. Nach einer im Juni 2010 erfolgten Arthroskopie des rechten Schultergelenks (Bl. 459 f. VerwA) ist die Klägerin nach eigenen Angaben beschwerdefrei (Bl. 4 SG-Akte).

Mit Bescheid vom 02.09.2009 lehnte die Beklagte zunächst das Vorliegen eines Arbeitsunfalles ab, weil die Klägerin als alleinige Geschäftsführerin nicht in einem die persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit begründenden Beschäftigungsverhältnis gestanden habe und auch nicht freiwillig versichert gewesen sei (Bl. 28 VerwA). Hiergegen erhob die Klägerin mit der Begründung Widerspruch, Arbeitnehmerin der La F. GmbH zu sein. Nach weiteren Ermittlungen ging die Beklagte intern davon aus, dass die Klägerin als Arbeitnehmerin anzusehen sei und Leistungen zustünden (vgl. Bl. 39 und 131 VerwA). Ein Widerspruchsbescheid erging jedoch nicht. Im Juli 2011 teilte sie der Klägerin mit (Bl. 217 VerwA), es sei unstreitig, dass - vorbehaltlich einer abschließenden Entscheidung des Rechtsausschusses - ein Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes vorliege.

Im Auftrag der Beklagten erstellte Prof. Dr. S. (Universitätsklinikum H. ) ein orthopädisch-chirurgisches Gutachten, in dem er als Unfallfolgen auf orthopädischem Fachgebiet eine Nacken-Zerrung mit Stauchung HWK 6 und HWK 7, eine Fraktur der 6. und 7. Rippe rechts, eine Prellung des Rückfußes rechts lateral sowie eine Distorsion der Mittelhand 1. Strahl beschrieb (Bl. 164 VerwA). Bei derartigen Verletzungen sei von einer Arbeitsunfähigkeit von vier bis sechs Wochen auszugehen. Die Veränderungen der HWS und der rechten Schulter seien degenerativ und durch den Unfall sei es lediglich zu vorübergehenden Verschlimmerungen gekommen (Bl. 165 VerwA), die zu einer Arbeitsunfähigkeit von längstens sechs Wochen geführt hätten. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) liege nicht vor (Bl. 166 VerwA).

Der von der Beklagten mit einer Begutachtung beauftragte Neurologe und Psychiater Prof. Dr. B. diagnostizierte nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 08.09.2011 als Unfallfolgen eine abklingende Symptomatik einer PTBS, einen Zustand nach HWS-Distorsion mit abklingender Symptomatik, einen Zustand nach Thorax-, Sternum- und Beckenprellung sowie einen Zustand nach Fraktur der Rippen 6 und 7 rechts (Bl. 256 VerwA). Die Bandscheibenvorfälle im Bereich der HWS, die Beschwerden in der rechten Schulter sowie den Verdacht auf ein Karpaltunnelsyndrom beidseits bezeichnete er als unfallunabhängig, wobei die HWS- und Schulterbeschwerden durch den Unfall und dadurch entstandene Prellungen eine vorübergehende Verschlimmerung erfahren hätten (Bl. 266 VerwA). Die MdE schätzte er auf 20 v. H. ein und ging davon aus, dass sich diese bis zum Ende des Jahres auf 10 v. H. reduzieren werde (Bl. 267 VerwA). Hierzu vertrat der Neurologe und Psychiater Dr. F. in seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen (Bl. 291 f., 299 VerwA) die Auffassung, dass bei der Klägerin noch eine Anpassungsstörung mit Angst und Depression gemischt vorliege, die auch zum Teil durch die körperlichen Beschwerden unterhalten werde. Die MdE betrage bis zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung 20 v. H., anschließend nur noch 10 v. H. Arbeitsunfähigkeit über die 78. Woche hinaus könne nicht angenommen werden.

Mit Bescheid vom 23.03.2012 (Bl. 337 VerwA) bewilligte die Beklagte der Klägerin "wegen der Folgen ihres Arbeitsunfalls" vom 12.10.2009 bis 08.09.2011 eine Rente nach einer MdE von 20 v. H. Einen darüberhinausgehenden Rentenanspruch lehnte sie ab. Im Rahmen der Bewertung der MdE habe sie eine abgeklungene depressive Anpassungsstörung berücksichtigt. Die degenerativen Veränderungen der HWS und BWS mit Protrusionen sowie eine AC-Gelenksarthrose mit Impingementsyndrom der rechten Schulter seien unfallunabhängig. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 06.08.2014, Bl. 505 VerwA).

Hiergegen hat die Klägerin am 01.09.2014 beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben. Zur Begründung hat sie insbesondere ausgeführt, dass die Beklagte in ihrem Bescheid zu Unrecht keine Wirbelsäulen- und Schulterverletzungen als Unfallfolgen berücksichtigt habe. Sie sei während des an den Unfall anschließenden stationären Krankenhausaufenthaltes nicht vollumfassend untersucht worden, weshalb diese Beeinträchtigungen erst zu einem späteren Zeitpunkt erkannt worden seien.

Das SG hat bei Prof. Dr. S. , Chefarzt der Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik I am Psychiatrischen Zentrum N. , ein Gutachten eingeholt (vgl. Bl. 43 ff. SG-Akte). Der Sachverständige hat auf Grund seiner Untersuchungen am 02.03.2015 und 30.03.2015 als Unfallfolge eine sonstige Reaktion auf schwere Belastung mit persistierender phobischer Störung (Angst vor Autofahren) diagnostiziert (Bl. 100 SG-Akte). Bis zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Prof. Dr. B. betrage die MdE 20 v. H., anschließend für die noch verbliebene wesentlich phobische Symptomatik 10 v. H. (Bl. 102 SG-Akte). Eine nach dem Unfallereignis diagnostizierte depressive Episode sei aktuell nicht mehr wirksam und auch nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das in Rede stehende Schädigungsereignis zurückzuführen (Bl. 100 SG-Akte). Die Voraussetzungen für die Diagnose einer PTBS seien nicht erfüllt.

In seinem auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingeholten Gutachten (vgl. Bl. 164 ff. SG-Akte) hat der Neurochirurg PD Dr. Z. das im MRT beschriebene Knochenmarködem angesichts des zeitlichen Abstandes eher als Begleiterscheinung eines degenerativen Prozesses bewertet (Bl. 167 SG-Akte) und ist davon ausgegangen, dass der Unfall zu einer Beschleunigung des degenerativen Prozesses führte (Bl. 168 SG-Akte), den degenerativen Schaden an der HWS also richtungweisend verschlimmerte (Bl. 169 SG-Akte). Die aktuelle MdE betrage 50 v. H. Für die unmittelbar an den Unfall anschließende Zeit sehe er keine Möglichkeit, verbindlich eine MdE anzugeben (Bl. 169 SG-Akte).

Mit Urteil vom 12.05.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Ein weitergehender Anspruch auf Verletztenrente stehe der Klägerin nicht zu. Es hat sich in Bezug auf die psychiatrischen Gesundheitsstörungen, auch in Bezug auf die Bewertung der MdE, den Ausführungen von Prof. Dr. S. angeschlossen und im Übrigen darauf hingewiesen, dass auch bei Annahme eine PTBS die Auffälligkeiten bereits im Jahr 2011 deutlich rückläufig und im Zeitpunkt der Begutachtung durch Prof. Dr. B. nicht mehr erheblich gewesen seien und deshalb keine MdE um wenigsten 20 v.H. bedingt hätten. In orthopädischer Hinsicht hat es sich der Beurteilung von Prof. Dr. S. angeschlossen. In Bezug auf die rechte Schulter sei die Klägerin ohnehin nach eigenen Angaben nach der Arthroskopie vom Juni 2010 beschwerdefrei, sodass hieraus - unabhängig von Kausalitätsüberlegungen - keine MdE resultiere. Unfallfolgen im Bereich der HWS lägen nicht vor, wie Prof. Dr. S. überzeugend dargelegt habe. PD Dr. Z. könne nicht gefolgt werden.

Gegen das ihr am 20.09.2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17.10.2016 Berufung eingelegt und diese im Wesentlichen damit begründet, dass die bei ihr noch bestehenden Beschwerden im HWS-Bereich auf den Arbeitsunfall vom 02.07.2009 zurückzuführen seien. Das SG habe es pflichtwidrig unterlassen, zur Beurteilung der Verletzungsfolgen ein verkehrstechnisches Gutachten zur Ermittlung der Kräfte, die durch den Frontalzusammenstoß auf die Wirbelsäule gewirkt hätten, einzuholen. Der Antrag werde aufrechterhalten. Es könne nicht zu Lasten der Klägerin gehen, dass die die Erstbehandlung durchführende Orthopädische Universitätsklinik notwendige MRT-Untersuchungen, durch die Weichteilverletzungen und Protrusionen der Wirbelsäule hätten dargestellt werden können, unterlassen habe.

Die Klägerin beantragt (Schriftsatz vom 16.11.2016, sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 12.05.2016 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 23.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2014 zu verurteilen, ihr ab dem 12.10.2009 Verletztenrente nach einer MdE von 60 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Der Senat hat u. a. den Orthopäden Dr. L. als sachverständigen Zeugen befragt und einen Ausdruck seiner Patientendatei beigezogen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung nach im Erörterungstermin erfolgter Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 23.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2014 mit dem die Beklagte der Klägerin eine Verletztenrente lediglich nach einer MdE von 20 v. H. und nur für den Zeitraum vom 12.10.2009 bis 08.09.2011 gewährte und einen darüberhinausgehenden Rentenanspruch - sowohl in Bezug auf die Höhe der MdE als auch in Bezug auf die Dauer der Verletztenrenten - ablehnte. Hiergegen wendet sich die Klägerin zulässigerweise mit ihrer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (BSG, Urteil vom 31.10.2007, B 2 U 4/06 R, in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5).

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Der Klägerin steht kein höherer Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 60 v. H. ab dem 12.10.2009 und über den 08.09.2011 hinaus zu. Denn die gesundheitlichen Folgen des von ihr am 02.07.2009 erlittenen Arbeitsunfalls rechtfertigen nicht die Bemessung mit einer MdE von mehr als 20 v. H. im Zeitraum 12.10.2009 bis 08.09.2011 und einer MdE von mehr als 10 v. H. über den 08.09.2011 hinaus.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).

Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Hier erlitt die Klägerin am 02.07.2009 einen versicherten Arbeitsunfall. Dies steht aufgrund des Bescheides vom 23.03.2012 fest.

Zwar enthält dieser Bescheid vom 23.03.2012 keine eindeutige Anerkennung des Verkehrsunfalles als Arbeitsunfall. Die Eingangsformulierung im Verfügungssatz des Bescheides "wegen der Folgen ihres Arbeitsunfalles" stellt seinem Wortlaut nach und für sich betrachtet lediglich ein Begründungselement ("wegen") für die eigentliche Regelung (i.S. eines Verwaltungsaktes, § 31 Zehntes Buch des Sozialgesetzbuches - SGB X -), nämlich die Bewilligung und Ablehnung im Übrigen von Verletztenrente dar. Auch die Mitteilung der Beklagten gegenüber der Klägerin im Schreiben vom 21.07.2011 (Bl. 217 VerwA) enthält keine verbindliche Entscheidung der Beklagten über das Vorliegen eines Arbeitsunfalles, weil die dort vertretene Auffassung unter den Vorbehalt einer Entscheidung des Rentenausschusses gestellt wurde. Indessen durfte die Klägerin angesichts der besonderen Umstände des Verwaltungsverfahrens davon ausgehen, dass die Beklagte mit dem Bescheid vom 23.03.2012 auch einen Arbeitsunfall anerkennen wollte. Mit der ursprünglichen Ablehnung eines versicherten Unfalls durch den Bescheid vom 02.09.2009 und dem hiergegen erhobenen Widerspruch war zunächst allein die Frage, ob die Klägerin einen Arbeitsunfall erlitt, zu klären. Mit der - unverbindlich (s.o.) - geäußerten Auffassung im Schreiben vom 21.07.2011 verwies die Beklagte insoweit auf die anstehende Entscheidung des Rentenausschusses. Mit dem Bescheid vom 23.03.2012 erging dann diese Entscheidung des Rentenausschusses, und zwar - was Versicherungsschutz als solches anging - mit einem der Klägerin günstigen Inhalt. Damit durfte die Klägerin die - auch für die Frage, ob ein Arbeitsunfall vorliege - angekündigte und nun vorliegende Entscheidung des Rentenausschusses mit der Verwendung des Begriffs Arbeitsunfall als eine solche Anerkennung und damit als den Ablehnungsbescheid vom 02.09.2009, der einer Leistungsbewilligung entgegengestanden hätte, erledigender Umstand (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X) auffassen.

Bei der Klägerin lagen und liegen im streitigen Zeitraum ab dem 12.10.2009 über die von der Beklagten der MdE-Bemessung zugrunde gelegte psychische Störung hinaus keine (weiteren) psychischen Gesundheitsstörungen vor, die auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sind. Das Sozialgericht hat in Bezug auf die psychischen Störungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Diagnose einer PTBS mangels Nachweis und damit Erfüllung sämtlicher Kriterien nicht vorliegen, vielmehr deshalb - wie von Prof. Dr. S. zutreffend dargelegt - von einer ursprünglichen sonstigen Reaktion auf schwere Belastung mit spezifischer Angstsymptomatik (Autofahren) auszugehen ist, die in ihren funktionellen Auswirkungen bis zur Begutachtung durch Prof. Dr. B. aber weitestgehend abgeklungen war und keine rentenrelevante MdE (im Falle der Klägerin wenigstens 20 v. H.) mehr verursachte. Gleiches gilt für die von Prof. Dr. S. thematisierte depressive Störung, wobei das SG unter Bezugnahme auf den Sachverständigen zu Recht dargelegt hat, dass diese - remittierte - Störung auf verschiedene psychosoziale Einflüsse zurückzuführen war, insbesondere nicht durch das Unfallereignis selbst oder ihm zurechenbare mittelbare Auswirkungen verursacht war, sondern vor allem auf enttäuschte Erwartungen der Klägerin beruhte. Einwände hiergegen hat die Klägerin in der Berufung nicht vorgebracht, sondern bereits das SG darauf hingewiesen, sie sei nicht der Auffassung, an Problemen zu leiden, die eine psychiatrische Begutachtung gerechtfertigt hätten (Bl. 119 SG-Akte). Der Senat sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung gemäß § 153 Abs. 2 SGG aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine solche enttäuschte Erwartungshaltung der Klägerin (nach dem Arbeitsunfall müssten andere sich um sie kümmern, sie versorgen und die Verantwortung für sie übernehmen) als konkurrierende Ursache anzusehen ist (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R) und keinen wesentlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall begründet (BSG, a.a.O.; BSG, Beschluss vom 19.05.2000, B 2 U 138/00 B). Im Übrigen lässt sich dem seitens der Diplom-Psychologin S. erhobenen psychischen Befund (Bl. 98 VerwA), der vom Sachverständigen als Grundlage der Diagnose gedient hat, das Ausmaß der von ihr gestellten Diagnose einer depressiven Episode nicht feststellen, so dass bereits aus diesem Grund eine der Klägerin günstige MdE-Bewertung ausscheidet.

Auch die von der Klägerin zur Begründung eines höheren bzw. längeren Anspruchs auf Verletztenrente angeführten orthopädischen Beschwerden an der rechten Schulter sowie insbesondere im Bereich der HWS und BWS sind nicht auf den Verkehrsunfall zurückzuführen.

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Kann dagegen das Unfallereignis nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Gesundheitsschaden entfiele (conditio sine qua non), ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob neben der versicherten Ursache weitere Ursachen im naturwissenschaftlichen Sinn (erste Stufe) zum Gesundheitsschaden beitrugen. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine überwiegende oder auch nur gleichwertige Bedeutung der versicherten gegenüber der konkurrierenden Ursache ist damit für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht Voraussetzung. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen Krankheitsanlage (egal, ob bislang stumm oder als Vorschaden manifest) zu vergleichen und abzuwägen ist (Problem der inneren Ursache), ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" (im Falle eines Vorschadens weiterer) akuter Erscheinungen aus ihr durch das Unfallereignis nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Gleiches gilt selbstverständlich, wenn die Erscheinung zu derselben Zeit ohne jede äußere Einwirkung aufgetreten wäre (siehe BSG, Urteil vom 02.02.1999, B 2 U 6/98 R).

Unstreitig hat die Klägerin durch den Arbeitsunfall als Gesundheitserstschaden eine Fraktur der 6. und 7. Rippe sowie Prellungen erlitten, die - laut dem Sachverständigen Prof. Dr. S. - zu einer Arbeitsunfähigkeit von vier bis sechs Wochen geführt haben und somit keine Rentenrelevanz darstellen. Rentenrelevante Einschränkungen in Zusammenhang mit diesen Gesundheitserstschäden macht die Klägerin auch nicht geltend.

Als Gesundheitsschäden im Bereich der HWS und BWS gesichert sind Bandscheibenprotrusionen und -vorfälle (laut Gutachten des Prof. Dr. S.: multisegmental degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule mit Protrusion HWK 3/4, Bandscheibenvorfall HWK 5/6 und HWK 6/7, Protrusion HWK 7/BWK 1, degenerative Veränderungen bis BWK 5). Ein ursächlicher Zusammenhang dieser Störungen mit dem Verkehrsunfall kann jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, auch nicht im Sinne einer richtungweisenden Verschlimmerung, wie dies PD Dr. Z. annimmt.

Der Senat verneint vielmehr bereits den ursächlichen Zusammenhang zwischen den diagnostizierten strukturellen Veränderungen und den Beschwerden der Klägerin mit den beim Verkehrsunfall aufgetretenen Einwirkungen. Zuzugeben ist der Klägerin zwar, dass die strukturellen Schäden erst nach dem Arbeitsunfall durch das MRT vom 14.10.2009 diagnostiziert wurden. Der ursächliche Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinn kann jedoch nicht rein zeitlich begründet werden, sondern muss sachlich-inhaltlich nachvollziehbar sein. Dem entsprechend kann im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung auch nicht im Sinne eines Anscheinsbeweises aus dem Vorliegen einer bestimmten Einwirkung auf die Verursachung der Erkrankung geschlossen werden (BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 34/03 R). Vielmehr muss der Ursachenzusammenhang zwischen Unfallereignis und Unfallfolgen positiv festgestellt werden (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R). Insbesondere gibt es keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache und einem rein zeitlichen Zusammenhang die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSG, a.a.O.).

Insbesondere kommt den Angaben der Klägerin, vor dem Unfall keinerlei Beschwerden gehabt zu haben, keine für die Kausalitätsbetrachtung relevante Bedeutung zu. Denn diese Angaben treffen schon nicht zu. Aus der von Dr. L. überlassenen Patientendatei ergibt sich das Gegenteil. Wegen Beschwerden im Bereich der HWS war die Klägerin im Oktober 1993 und November 2007, wegen Beschwerden im Bereich der BWS im Oktober 1993, Juli 1995 und November 2007 und wegen Beschwerden im Bereich der rechten Schulter jedenfalls im Juli 1995 in Behandlung.

Vor allem aber fehlt es an jeglicher Dokumentation einer zeitnah nach dem Unfall aufgetretenen Beschwerdesymptomatik, und zwar sowohl in Bezug auf die Wirbelsäule als auch in Bezug auf die rechte Schulter. Der Senat vermag daher nicht festzustellen, dass es bei diesen Körperstellen zu Gesundheitserstschäden kam.

Bei der noch am Unfalltag erfolgten Erstuntersuchung in der Orthopädischen Universitätsklinik H. gab die Klägerin lediglich Schmerzen in der rechten Thoraxhälfte, am Becken rechts sowie im Brustbereich an. Sie verneinte Amnesie, Übelkeit, Erbrechen oder Kopfschmerzen. Im Rahmen der Befunderhebung fand sich kein Klopfschmerz über der Wirbelsäule - also auch nicht im Bereich von HWS und BWS - und alle vier Extremitäten - und damit auch die rechte Schulter - waren frei beweglich. Dabei war den behandelnden Ärzten die Schwere des Unfallereignisses bekannt und sie dokumentierten dies in ihrem Bericht (frontal kollidiert). Soweit die Klägerin meint, es könne nicht zu ihrem Nachteil gehen, wenn im Rahmen des stationären Aufenthaltes keine MRT-Untersuchungen der Wirbelsäule durchgeführt worden seien, verkennt sie zum einen, dass für die Ärzte der Orthopädischen Universitätsklinik H. mangels Beschwerdeangaben und angesichts eines völlig unauffälligen Befundes keinerlei Anlass für eine weitergehende Diagnostik bestand und zum anderen, dass eine pflichtwidrig unterlassene Befunderhebung nicht dazu führt, dass ein auffälliger Befund unterstellt werden könnte.

Tatsächlich wurden auch in der nachfolgenden Zeit weder Beschwerden noch funktionelle Störungen im Bereich HWS, BWS oder rechter Schulter dokumentiert. Noch am 29./30.07.2009, also fast vier Wochen nach dem Verkehrsunfall, sprach die Klägerin zwar bei ihrem Orthopäden Dr. L. vor, Beschwerden im Bereich von HWS, BWS oder rechter Schulter gab sie aber nicht an. Im H-Arzt-Bericht (Bl. 3 VerwA) dokumentierte Dr. L. für den 29.07.2009 Schmerzen im Bereich des Thorax, er schloss durch Röntgenaufnahmen knöcherne Verletzungen der rechten Hand und des linken Fußes aus und diagnostizierte Prellungen der Rippen, der Hand, des Fußes und eine Rippenfraktur. Inhaltlich dieselbe Dokumentation findet sich in der Patientendatei von Dr. L. (dort für den 30.07.2009). Auch im August 2009 war die Klägerin viermal bei Dr. L. , ohne dass weitere Beschwerden dokumentiert worden wären. Damit können bis mindestens Ende August 2009 im Bereich HWS, BWS oder rechter Schulter keine Beschwerden festgestellt werden.

Erstmals am 01.09.2009, also zwei Monate nach dem angeschuldigten Verkehrsunfall, sind Beschwerden im Bereich der HWS dokumentiert (Bl. 104, 116 LSG-Akte). Ein zeitnah zum Unfall im Bereich der HWS erhobener klinischer Befund liegt somit nicht vor, schon gar nicht in Bezug auf die BWS. Die Annahme eines wahrscheinlichen naturwissenschaftlichen Zusammenhangs (erste Stufe der Kausalitätsprüfung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung) zwischen versicherter Einwirkung und zeitlich nachfolgend diagnostiziertem Bandscheibenvorfall (sog. traumatischer Bandscheibenvorfall) setzt aber entweder ligamentäre oder knöcherne Begleitverletzungen voraus, die hier in den MRT aber nicht beschrieben sind, oder zeitnah zur versicherten Einwirkung eine entsprechende, auf einen Bandscheibenvorfall hinweisende klinische Symptomatik, wie z. B. eine Nervenwurzelreizsymptomatik (Urteil des Senats vom 18.06.2015, L 10 U 221/13 ZVW, in juris). Damit verneint der Senat einen naturwissenschaftlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Verkehrsunfall und der im Bereich von HWS und BWS beschriebenen strukturellen Veränderungen.

Vor diesem Hintergrund ist der Senat - entgegen der von Prof. Dr. S. in seinem Gutachten gestellten Diagnose (Bl. 164 VerwA) - auch nicht davon überzeugt, dass sich die Klägerin bei dem Unfall eine Nackenzerrung mit Stauchung im Bereich HWK 6/7 zuzog. Tatsache ist, dass - was Prof. Dr. S. im Zeitpunkt der Erstellung seines Gutachtens nicht bekannt war - Beschwerden der Klägerin im Bereich HWS/BWS erstmals am 01.09.2009 und somit zwei Monate nach dem Unfall geklagt wurden und auch zuvor kein auffälliger klinischer Befund erhoben wurde. Nach der unfallversicherungsrechtlichen Literatur gehen HWS-Verletzungen jedoch mit sofortigen nachhaltigen lokalen Beschwerden im Halsbereich einher (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl., 2017, S. 485). Daher teilt der Senat auch die Auffassung von Prof. Dr. S. nicht, wonach das im Bereich HWK 6/7 festgestellte Kontusionsödem eine Folge der diagnostizierten Nackenzerrung sei (Bl. 162 VerwA). Eine Erklärung für eine unfallunabhängige Ursache des Ödem hat PD Dr. Z. geliefert. Danach kann es sich auch um eine Begleiterscheinung des ablaufenden degenerativen Prozesses handeln (Bl. 167 SG-Akte). Die zeitliche Diskrepanz zwischen Unfallgeschehen und Auftreten der Beschwerden im HWS-Bereich spricht auch gegen die von den Sachverständigen angenommene vorübergehende (so Prof. Dr. S. , Bl. 165 VerwA) bzw. richtungweisende (so PD Dr. Z. , Bl. 168 SG-Akte) Verschlimmerung des degenerativen Vorschadens. Allein die Schwere des Unfallgeschehens vermag einen ursächlichen Zusammenhang zu den mehrere Wochen später aufgetretenen Beschwerden nicht zu begründen (s. hierzu ebenfalls das zitierte Urteil des Senats vom 18.06.2015).

Nichts Anderes gilt in Bezug auf die rechte Schulter. Prof. Dr. S. beschrieb zwar in seinem Gutachten strukturelle Veränderungen der rechten Schulter im Sinne einer AC-Gelenksarthrose mit Einengung des Supraspinatusoutlets sowie einer Ansatztendinose der Subscapularis- und Supraspinatussehne (Bl. 164 VerwA) und Veränderungen im Bereich der rechten Schulter und Entsprechendes lässt sich auch dem MRT vom Dezember 2009 entnehmen (vgl. Bl. 15 SG-Akte: u.a. degenerative Veränderungen des AC-Gelenkes mit retroartikulärem Knochenödem, ein Knochenmarködem am Trochanter major und Reizzustände von Schleimbeuteln und Sehnen). Wie bereits ausgeführt machte die Klägerin auch insoweit jedenfalls bis Ende August 2009 keine Beschwerden geltend, obwohl sie bei Dr. L. immer wieder vorsprach. Erstmals für den 30.11.2009 dokumentierte Dr. L. "weiterhin" Schmerzen im Arm (vgl. Bl. 118 LSG-Akte) und für den 07.01.2010 Beschwerden in der rechten Schulter. An diesem Tag fand Dr. L. im Bereich der rechten Schulter konkret einen Druckschmerz über dem Schultereckgelenk, einen schmerzhaften Bogen sowie Schmerzen bei der Abduktion und einen positiven Adduktionstest (Bl. 118 LSG-Akte). Dem entsprechend vermag der Senat zwar davon auszugehen, dass bei der Klägerin Schmerzen im Arm schon vor dem 30.11.2009 vorlagen, jedoch keinesfalls vor September 2009 und damit ebenfalls nicht zeitnah nach dem Verkehrsunfall. Wenn es aber bei dem Verkehrsunfall zu strukturellen Gesundheitserstschäden im Bereich der rechten Schulter gekommen wäre, wäre wiederum eine entsprechende Beschwerdesymptomatik mit funktionellen Einschränkungen, wie sie Dr. L. dann konkret am 07.01.2010 beschrieb, zu erwarten gewesen. Stattdessen war unmittelbar nach dem Unfall (auch) die rechte Schulter frei beweglich (s. den Befund der Orthopädischen Universitätsklinik H. ).

Damit lagen und liegen über die erwähnte vorübergehende psychische Symptomatik hinaus keine funktionellen Einschränkungen vor, die auf den Verkehrsunfall zurückzuführen sind. Diese unfallbedingte psychische Symptomatik - der Senat stimmt wie das SG insoweit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. zu (bis 08.09.2011 MdE von 20 v. H. und danach 10 v. H.) - bedingte bis zum 08.09.2011 (Untersuchung durch Prof. Dr. Brecht) keine höhere MdE als 20 v. H. und nach diesem Zeitpunkt keine rentenrelevante MdE (im Falle der Klägerin wenigstens 20 v. H.) mehr. All dies hat das SG im Urteil zutreffend dargelegt, worauf der Senat bereits Bezug genommen hat.

Den Antrag der Klägerin, ein verkehrstechnisches Gutachten einzuholen, lehnt der Senat ab. Mit einem solchen Gutachten möchte die Klägerin einen Ursachenzusammenhang zwischen Unfallereignis und den noch bestehenden Restbeschwerden belegen (Bl. 68 LSG-Akte). Indessen ist ein solches Gutachten für diesen Zweck völlig ungeeignet, sodass der Senat dem Antrag nicht nachkommen muss (S. in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/S. , SGG, 12. Aufl., 2017, § 103 Rdnr. 8). Zum Nachweis des Gesundheitserstschadens vermag die verkehrstechnische Analyse der Unfallmechanik nämlich keinen entscheidenden Beitrag zu leisten (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 492). Entgegen der klägerischen Auffassung ist das primäre Verletzungsbild und sind nicht unfallmechanische Belastungsfaktoren die sicherste Informationsquelle und grundsätzlich die Basis aller weiteren gutachtlichen Überlegungen. Eine verkehrstechnische Unfallanalyse mit Bestimmung der Belastungsfaktoren für die Fahrzeuginsassen bei der Begutachtung ist daher entbehrlich (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O.). Denn auch diese kann den Vollbeweis des Vorliegens von Gesundheitserstschäden in Form von HWS- und BWS-Verletzungen bzw. Schulterverletzungen nicht erbringen. Im Übrigen geht auch der Senat davon aus, dass bei dem erlittenen Verkehrsunfall durchaus schwere Gesundheitserstschäden jeglicher Art hätten verursacht werden können. Die Eignung des Unfallereignisses für Schäden auch im Bereich der HWS, BWS und rechten Schulter wird damit unterstellt. Solche Schäden sind aber - wie dargelegt - tatsächlich nicht eingetreten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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