L 10 R 1371/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 966/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1371/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 21.03.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1966 geborene Kläger erlernte nach seinen Angaben den Beruf eines Schweißers und Maschinisten und war als Gipser, Metallarbeiter und zuletzt als Maschinenbediener versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 01.03.2007 bis zum 30.11.2011 bezog er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Eine Tätigkeit nahm der Kläger nicht mehr auf.

Zuletzt von Ende März bis Ende April 2014 erhielt er eine Maßnahme der stationären medizinischen Rehabilitation in der Klinik Am schönen Moos, aus der er als erwerbsfähig für Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem zeitlichen Umfang von täglich sechs Stunden und mehr entlassen wurde (Entlassungsbericht vom 30.04.2014). Auf einen erneuten Rehabilitationsantrag hin ließ die Beklagte den Kläger in ihrer ärztlichen Untersuchungsstelle von der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. E. begutachten. Sie kam nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 01.06.2015 zu dem Ergebnis, dass bei ihm Angst und depressive Störung gemischt sowie anamnestisch ein Bandscheibenvorfall L3 bis L5 und Bandscheibenschäden L5/S1 und C6/C7 vorlägen. Vor dem Hintergrund dieser Diagnosen hielt sie ihn noch für in der Lage, mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne erhöhten Zeitdruck und Akkord vollschichtig zu verrichten.

Am 19.04.2016 beantragte der Kläger die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Zur Begründung gab er an, wegen einer Depression, Panikattacken, Bandscheibenvorfall, Schulter- und Rückenproblemen, Schwerhörigkeit und Atemnot seit dem 20.01.2006 nur noch leichte Arbeiten ohne Stress in einem zeitlichen Umfang von drei Stunden täglich verrichten zu können.

Die Beklagte zog Befundberichte bei und ließ den Kläger begutachten. Dr. B. (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) diagnostizierte in seinem Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 22.06.2016 eine Agoraphobie mit Panikattacken, eine Dysthymia, Aggravationstendenzen, ein HWS-Syndrom und ein LWS-Syndrom und hielt den Kläger für vollschichtig leistungsfähig für mittelschwere körperliche Tätigkeiten in überwiegend stehender, gehender und sitzender Arbeitshaltung, ohne häufiges Bücken, Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten sowie Heben und Tragen schwerer Lasten, häufige Überkopfarbeiten, Nässe, Zugluft, Lärm, Erschütterungen und Vibrationen sowie nicht in Nachtschicht. Die subjektiven Klagen hätten sich so wenig objektivieren lassen, dass die Beeinträchtigungen durch die schon lange bestehende Angsterkrankung im Alltag wohl kaum in dem Maße vorlägen, wie es der Kläger glauben machen wolle. Vielmehr habe die derzeitige Situation einen deutlichen sekundären Krankheitsgewinn für den Kläger, woher sein zum Teil deutliches Aggravationsverhalten herrühre. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 27.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.1017 ab.

Hiergegen hat der Kläger beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage erhoben, das zunächst seine behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen schriftlich befragt hat. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. A. hat mitgeteilt, dass der Kläger unter einer Antriebsschwäche, vermehrter Müdigkeit und gedrückter Stimmung leide. Er sei nicht in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten (Bl. 27 SG-Akte). Dr. R. (Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Oberärztin der Psychiatrischen Institutsambulanz des Klinikums C. ) hat ausgeführt, dass beim Kläger eine schwere chronifizierte Anststörung vorliege und er keine sechs Stunden mehr arbeiten könne. Bereits in seinem Alltag sei er mit vielen Handlungen überfordert (Bl. 16 SG-Akte). Das SG hat sodann das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. K. eingeholt. Dieser hat nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 25.10.2017 eine generalisierte Angststörung mit gelegentlichen Panikattacken diagnostiziert (Bl. 56 SG-Akte). Es bestehe eine ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstruktur, es handele sich aber nicht um eine leistungsbeeinträchtigende Persönlichkeitsstörung. Eine tiefgreifende Depressivität sei nicht nachzuvollziehen (B. 55 SG-Akte). Der Kläger sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt täglich sechs Stunden und mehr zu verrichten. Zu vermeiden seien angesichts der Ängstlichkeit Arbeiten mit Zeitdruck und erhöhten Anforderungen an Arbeitstempo und Umstellungsfähigkeit sowie Arbeiten in belastenden Gruppensituationen (Bl. 57 SG-Akte).

Mit Urteil vom 21.03.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Nach Darstellung der rechtlichen Grundlagen für die begehrte Rente hat es ausgeführt, dass der Kläger diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil er zumindest noch leichte Tätigkeiten unter Beachtung der von Dr. K. angeführten qualitativen Leistungseinschränkungen ausüben könne. Es hat sich dabei dessen Leistungsbeurteilung angeschlossen. Die gegenteiligen Einschätzungen der behandelnden Ärzte könnten diese nicht widerlegen. Der Kläger habe Verdeutlichungstendenzen gezeigt und widersprüchliche Angaben gemacht. So habe er angegeben, nicht alleine sein und nichts ohne seine Ehefrau machen zu können (Bl. 45 SG-Akte). Dennoch sei er in der Lage, mit dem Fahrrad u.a. zur Behandlung in das C. zu fahren (Bl. 45 SG-Akte) und Spaziergänge zu machen (Bl. 48 SG-Akte).

Gegen das dem Kläger am 01.04.2019 zugestellte Urteil hat dieser am 23.04.2019 Berufung eingelegt. Die Panikattacken seien nicht simuliert. Auch seine Persönlichkeitsstruktur weise darauf hin, dass er auf Grund von Überforderungen bereits bei alltäglichen Situationen in Panik gerate. Eine berufliche Tätigkeit sei daher nicht denkbar.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 21.03.2019 und den Bescheid vom 27.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2017 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 27.07.2016 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 06.03.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger ist im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Ihm steht daher weder Rente wegen voller noch teilweiser Erwerbsminderung zu.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 und 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI -), dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine solche Rente nicht erfüllt, weil er zumindest leichte Tätigkeiten mit den näher aufgeführten qualitativen Einschränkungen sechs Stunden und mehr ausüben kann. Es hat sich dabei der Beurteilung von Dr. K. im Hinblick auf die im Vordergrund stehenden psychiatrischen Gesundheitsstörungen angeschlossen. Dass und aus welchen Gründen der abweichenden Beurteilung der behandelnden Ärzte - insbesondere des C. s - nicht gefolgt werden kann, hat das SG dargelegt. So hat es zu Recht auf Verdeutlichungstendenzen des Klägers hingewiesen und Widersprüche in dessen Angaben aufgezeigt. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ob der Vortrag des Klägers zutrifft, dass seine Panikattacken nicht simuliert seien, kann dabei letztlich dahinstehen. Denn für einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente müsste eine Beeinträchtigung seines quantitativen Leistungsvermögens feststehen. Dies ist nach dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. K. aber gerade nicht der Fall, und zwar trotz der auch von ihm diagnostizierten - Panikstörung. Dass die Persönlichkeitsstruktur des Klägers tatsächlich zu Panikattacken bereits in alltäglichen Situationen führt, hat sich danach - unabhängig von einer etwaigen Simulation oder Aggravation - schlicht nicht bestätigt. Weitere Ermittlungen sind daher nicht veranlasst und auch für das Abwarten weiterer Befundberichte des C. s, wie vom Kläger angekündigt, besteht vor diesem Hintergrund kein Anlass.

Zu Gunsten des Klägers legt der Senat die von Dr. B. und Dr. K. formulierten qualitativen Einschränkungen zu Grunde, unter deren Beachtung der Kläger zumindest noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden täglich ausüben kann, weshalb er nicht erwerbsgemindert ist. Dabei ist es unerheblich, ob ein dem Leistungsvermögen entsprechender Arbeitsplatz vermittelt werden kann, weil nach § 43 Abs. 3 zweiter Halbsatz SGB VI die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist in einem solchen Fall regelmäßig nicht erforderlich (BSG, Urteil vom 14.09.1995, 5 RJ 50/94, auch zum Nachfolgenden). Denn nach der Rechtsprechung des BSG steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist. Nur ausnahmsweise ist für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten wie den Kläger mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind bestimmte Fälle anerkannt (z.B. Einarmigkeit, vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.), zu denen der vorliegende Fall aber nicht gehört. Vielmehr braucht eine Verweisungstätigkeit erst benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG, a.a.O.; Urteil vom 27.04.1982, 1 RJ 132/80). Denn ein Teil dieser Einschränkungen stimmt bereits mit den Tätigkeitsmerkmalen einer körperlich leichten Arbeit überein; dies gilt insbesondere für die geminderten Fähigkeiten, Lasten zu bewältigen und die geringe Belastbarkeit der Wirbelsäule (BSG, Urteil vom 14.09.1995, a.a.O.) mit den hierauf beruhenden Einschränkungen. Nicht anders liegt der Fall des Klägers. Auch bei ihm wird den qualitativen Einschränkungen im Wesentlichen bereits dadurch Rechnung getragen, dass ihm nur noch leichte Arbeiten zugemutet werden.

Soweit der Kläger auf seine schlechten Deutschkenntnisse verweist, vermag auch dies einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente nicht zu begründen. Denn mangelhafte Kenntnisse der deutschen Sprache sind im Hinblick auf die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ohne Bedeutung (vgl. BSG, Urteil vom 23.04.1989, 4 RJ 29/79).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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