L 11 KR 1393/19 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 835/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 1393/19 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Gegen das Vollstreckungsersuchen einer Krankenkasse nach § 15a LVwVG BW ist eine auf Unterlassung der weiteren Zwangsvollstreckung gerichtete Leistungsklage nur in eingeschränktem Umfang statthaft. Mit einer solchen Unterlassungsklage bzw einer einstweiligen Anordnung kann gerügt werden, dass der im Vollstreckungsersuchen als zu vollstreckender Bescheid bezeichnete Verwaltungsakt mangels Bekanntgabe nicht wirksam geworden ist. Beiträge und Säumniszuschläge, die mit Hilfe eines Vollstreckungsersuchens nach § 15a LVwVG beigetrieben werden sollen, müssen zuvor in der Höhe, in der die Vollstreckung betrieben wird, durch Verwaltungsakt festgesetzt worden sein. Lediglich die ansonsten für die Zwangsvollstreckung geforderte vollstreckbare Ausfertigung des Leistungsbescheids und deren Zustellung wird durch das Vollstreckungsersuchen nach § 15a LVwVG BW ersetzt.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.03.2019 aufgehoben.

Die Antragsgegnerinnen werden im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Zwangsvollstreckung von Beitragsrückständen des Antragstellers bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache einstweilen zu unterlassen.

Die Antragsgegnerinnen tragen die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung die Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen rückständiger Beitragsforderungen.

Der Antragsteller ist bei den Antragsgegnerinnen aufgrund einer selbständigen Tätigkeit freiwillig krankenversichert und in der Pflegeversicherung pflichtversichert.

Die Antragsgegnerinnen stellten mit Bescheid vom 17.01.2008 den Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag für die Zeit ab 01.01.2008 mit 624,60 EUR monatlich neu fest. Mit Schreiben vom 23.09.2008 baten die Antragsgegnerinnen den Antragsteller, den offenen Betrag iHv 642,60 EUR bis zum 10.10.2008 zu überweisen, seine Bank habe die Lastschrift für den Beitrag für August 2008 nicht eingelöst. Eine weitere Mahnung der zwischenzeitlich offenen Krankenversicherungsbeiträge iHv 1.312,20 EUR erfolgte mit Schreiben vom 28.10.2008 unter Hinweis auf die Folgen bei weiterhin bestehenden Rückständen.

Mit Bescheid vom 26.09.2008 hoben die Antragsgegnerinnen den Beitragssatz ab Oktober 2008 auf 655,20 EUR monatlich wegen gestiegener Arzneimittel- und Krankenhauskosten an. Eine Neufestsetzung erfolgte mit Bescheid vom 19.12.2008 für die Zeit ab 01.01.2009 mit 628,43 EUR monatlich. Dieser Bescheid wurde dem Antragsteller mit Postzustellungsurkunde am 21.02.2009 zugestellt. Weitere Neufestsetzungen erfolgten mit Bescheiden vom 19.06.2009 (ab Juli 2009 iHv 606,38 EUR monatlich), 11.12.2009 (ab Januar 2010 iHv 618,75 EUR monatlich) und 20.10.2010 (ab Januar 2011 iHv 634,84 EUR monatlich).

Am 24.11.2010 gingen der Einkommensteuerbescheid des Antragstellers für das Jahr 2008 sowie ein Einkommensfragebogen bei den Antragsgegnerinnen ein. Mit einem weiteren Bescheid vom 29.12.2010 senkten die Antragsgegnerinnen den Beitrag aufgrund der Einreichung von Einkommensnachweisen ab Dezember 2010 auf 496,77 EUR monatlich ab.

Mit Bescheid vom 15.12.2011 wurde der Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag für die Zeit ab Januar 2012 mangels Einreichung des Einkommensfragebogens auf 654,08 EUR monatlich angehoben. Nachdem im Januar 2010 der Einkommensfragebogen sowie die erste Seite des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2009 bei den Antragsgegnerinnen eingegangen waren, wurde der Antragsteller erfolglos mit Schreiben vom 24.01.2012, 08.03.2012 und 04.09.2012 zur Einreichung der zweiten Seite aufgefordert.

Die Antragsgegnerinnen setzten die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge anschließend jährlich neu fest (Bescheid vom 17.12.2012 ab Januar 2013 iHv 677,25 EUR, Bescheid vom 12.12.2013 ab Januar 2014 iHv 696,61 EUR, Bescheid vom 29.12.2014 ab Januar 2015 iHv 721,88 EUR, Bescheid vom 28.12.2015 ab Januar 2016 iHv 745,81 EUR, Bescheid vom 15.12.2016 ab Januar 2017 iHv 774,30 EUR).

Auf der am 14.08.2017 eingegangenen Einkommenserklärung gab der Antragsteller an, sein Einkommen im Jahr 2017 werde voraussichtlich 600 EUR monatlich betragen. Eine weitere Erklärung mit demselben Inhalt erfolgte am 26.09.2017. Beigefügt war eine Gewerbeabmeldung zum 31.10.2017. Hierauf setzten die Antragsgegnerinnen mit Schreiben vom 13.12.2017 den Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag für die Zeit ab September 2017 auf 397,17 EUR und mit Bescheid vom 14.12.2017 ab Januar 2018 auf 406,52 EUR monatlich fest.

Mit Schreiben vom 04.12.2017 mahnten die Antragsgegnerinnen einen Beitragsrückstand im Zeitraum vom 01.11.2012 bis 31.10.2017 iHv 28.811,66 EUR an, setzten Säumniszuschläge iHv 10.401,47 EUR fest und forderten den Antragsteller zur Zahlung von insgesamt 39.213,13 EUR bis zum 18.12.2017 auf.

Am 20.12.2017 ordneten die Antragsgegnerinnen die Vollstreckung einer Beitragsforderung iHv 38.856,04 EUR an. Mit Schreiben vom 21.12.2017 wurde der Antragsteller an die Zahlung des Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrages für November 2017 erinnert.

Mit Schreiben vom 27.12.2017 mahnten die Antragsgegnerinnen einen Beitragsrückstand im Zeitraum vom 01.11.2012 bis 30.11.2017 iHv 28.454,57 EUR an und erhoben Säumniszuschläge iHv 10.401,47 EUR. Mit Schreiben vom 01.08.2018 machten sie für den Zeitraum vom 01.11.2012 bis 30.06.2018 Beitragsrückstände iHv 31.290,86 EUR geltend und setzten Säumniszuschläge iHv 12.504,97 EUR sowie Gebühren iHv 5,65 EUR fest.

Mit Bescheid vom 05.01.2018 setzten die Antragsgegnerinnen den monatlichen Beitrag des Antragstellers ab Januar 2018 auf 406,52 EUR monatlich neu fest.

Die Antragsgegnerinnen unternahmen mit Pfändung- und Einziehungsverfügung vom 22.08.2018 erstmals einen Vollstreckungsversuch in Form der Kontopfändung.

Am 04.10.2018 gingen ein Nachtrag zum Dienstvertrag der P. & R. GmbH mit dem Antragsteller ein, wonach dieser beginnend ab dem 01.04.2015 ein monatliches Festgehalt von 600 EUR erhalte. Beigefügt waren seine Lohn- und Gehaltsabrechnungen für Mai 2017, Juni 2017 und Juli 2017, die ein Gehalt als Gesellschafter-Geschäftsführer von 600 EUR brutto monatlich auswiesen, sowie Lohn- und Gehaltsabrechnungen für die Monate Oktober bis Dezember 2014 mit jeweils 2.500 EUR monatlich brutto. Mit Schreiben vom 10.10.2018 forderten die Antragsgegnerinnen den Antragsteller zur Vorlage des ausgefüllten Einkommensfragebogens auf, woran sie unter dem 31.10.2018 erinnerten. Sie wiesen darauf hin, andernfalls den Beitrag anhand der Beitragsbemessungsgrenze zu berechnen.

Mit Bescheid vom 26.11.2018 wurde der Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag für die Zeit ab Dezember 2018 auf 787,65 EUR festgesetzt.

Am 26.11.2018 stellten die Antragsgegnerinnen beim Amtsgericht B. einen Antrag auf Einleitung des Verfahrens zur Abnahme der Vermögensauskunft nach den §§ 802c, 802f Zivilprozessordnung (ZPO).

Am 20.02.2019 hat der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG; Az: S 8 KR 834/19) erhoben und zugleich einen Antrag auf einstweilige Einstellung aus dem Vollstreckungsersuchen der Antragsgegnerinnen nach § 15a Verwaltungsvollstreckungsgesetz für Baden-Württemberg (LVwVG BW) vom 26.11.2018 bis zum Erlass des Urteils in vorgenannten Sache gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Antragsgegnerinnen beriefen sich bei der Vollstreckung auf einen Beitragsbescheid vom 05.01.2018. Dem Antragsteller sei der Bescheid vom 05.01.2018 nicht zugegangen. Lediglich die im Vollstreckungsersuchen vom 26.11.2018 bezeichnete Mahnung habe er zu einem nicht mehr erinnerlichen Zeitpunkt erhalten. Diese Mahnung verweise mit keinem Wort auf einen externen Beitragsbescheid. Es mangele deshalb bereits an einer formalen Voraussetzung der Zwangsvollstreckung.

Die Antragsgegnerinnen haben ausgeführt, der Beitragsrückstand betrage derzeit 49.762,06 EUR. Die letzte Zahlung datiere vom 29.05.2017 iHv 8,60 EUR. Das Beitragskonto sei am 15.08.2008 das letzte Mal ausgeglichen gewesen. Der Beitragsrückstand ergebe sich aus den fehlenden monatlichen Beitragszahlungen sowie der Beitragseinstufung in der Höchststufe, da die Einkommensanfragen aus den Jahren 2008, 2010 und 2012 bis 2017 unbeantwortet geblieben seien. Der Antragsteller sei fortlaufend über den Beitragsrückstand schriftlich informiert worden. Zusätzlich hätten am 19.03.2013, am 14.08.2017 und am 10.01.2018 persönliche Kontakte stattgefunden.

Das SG hat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 19.03.2019 abgelehnt, da ein Anordnungsanspruch nicht vorliege. Die Antragsgegnerinnen könnten aus den bestandskräftigen Bescheiden vom 15.12.2011, 13.12.2017, 17.12.2017, 12.12.2013, 29.12.2014, 28.12.2015, 15.12.2016 und 14.12.2017 vollstrecken. Deren Zugang habe der Antragsteller nicht bestritten. Die fehlende Benennung der Bescheide im Vollstreckungsersuchen vom 26.11.2018 sei unschädlich, da sich aus dem Passus "Beiträge vom 01.11.2012 bis 31.10.2018" hinreichend bestimmt ergebe, um welche Forderungen es sich handele. Diese Bescheide seien nicht angegriffen worden und zwischenzeitlich zwischen den Beteiligten bindend. Soweit der Antragsteller geltend mache, den Beitragsbescheid vom 05.01.2018 nicht erhalten zu haben, folge hieraus lediglich, dass die Antragsgegnerinnen gegebenenfalls nicht aus diesem Beitragsbescheid, sondern nur aus den zuvor ergangenen Bescheiden vollstrecken könnten. Die Beitragsbescheide entsprächen nach summarischer Prüfung den gesetzlichen Vorgaben. Insbesondere hätten die Antragsgegnerinnen den Antragsteller regelmäßig darauf hingewiesen, dass sich die Beitragshöhe nach seinen Einnahmen richte und ihn zur Vorlage von Nachweisen aufgefordert. Die zum Teil eingereichten Nachweise seien dann bei der Beitragshöhe auch entsprechend für die Zukunft berücksichtigt worden. Eine unbillige Härte sei nicht geltend gemacht worden.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 20.03.2019 per Fax übermittelten und am 28.03.2019 mit Empfangsbekenntnis zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 23.04.2019 Beschwerde eingelegt.

Mit Schreiben vom 09.05.2019 ist der Antragsteller an die Vorlage der Beschwerdebegründung und Rückgabe der zur Einsicht überlassenen Akten erinnert worden. Mit Schreiben vom 06.06.2019 ist eine Frist zur Beschwerdebegründung bis 14.06.2019 gesetzt worden mit dem Hinweis, dass weitere Erinnerungen nicht erfolgen. Mit Schriftsatz vom 07.06.2019 hat der Antragsteller mitgeteilt, die Beschwerdebegründung bis zum 17.06.2019 vorzulegen. Diese ist jedoch nicht eingegangen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsakte Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg.

Der Senat entscheidet durch Beschluss (§ 176 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Eine mündliche Verhandlung wird nicht für erforderlich gehalten (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 3 SGG). Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) und auch ansonsten nach § 172 SGG statthafte Beschwerde ist zulässig und auch begründet.

Der Antrag des Antragstellers ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung iSv § 86 Abs 2 SGG auszulegen mit dem Ziel, die Antragsgegnerinnen zur Unterlassung von Vollstreckungsmaßnahmen in Bezug auf rückständige Beitragsforderungen zu verurteilen. Nach § 123 SGG iVm § 153 Abs 1 SGG hat der Senat über die vom Antragsteller erhobenen Ansprüche zu entscheiden, ohne an die Fassung des Antrages gebunden zu sein. Dem Antragsteller geht es der Sache nach um die Abwendung der Zwangsvollstreckung. Dies kann der Antragsteller vor den Sozialgerichten nur durch einen Antrag auf einstweilige Unterlassung der Zwangsvollstreckung erreichen.

Es handelt sich vorliegend nicht um einen Fall der vorläufigen Einstellung der Zwangsvollstreckung, da ein Fall des § 769 ZPO nicht vorliegt. Nach § 769 Abs 1 Satz 1 ZPO kann das Prozessgericht auf Antrag anordnen, dass bis zum Erlass des Urteils über die in den §§ 767, 768 ZPO bezeichneten Einwendungen die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung eingestellt oder nur gegen Sicherheitsleistung fortgesetzt werde und dass Vollstreckungsmaßregeln gegen Sicherheitsleistung aufzuheben seien. Die in der Hauptsache erhobene Klage stellt keine Vollstreckungsgegenklage im Sinne der §§ 767, 768 ZPO dar, da es nicht um Einwendungen geht, die erst nach Erlass der zu vollstreckenden Bescheide bzw Widerspruchsbescheide entstanden sind. Nur solche Einwendungen können jedoch Gegenstand der Vollstreckungsgegenklage sein (vgl § 767 Abs 2 ZPO). Auch geht es in der Hauptsache nicht um eine Klage gegen eine Vollstreckungsklausel iSv § 768 ZPO, da eine solche bei der hier vorliegenden Vollstreckung nach dem LVwVG BW nicht erforderlich ist. Gleichfalls liegt auch kein Fall des § 86b Abs 1 SGG vor, der dem Rechtsschutz des § 86b Abs 2 SGG vorginge (vgl § 86b Abs 2 Satz 1, 1. HS SGG). Denn einstweiliger Rechtsschutz nach § 86b Abs 1 SGG setzt voraus, dass in der Hauptsache eine Anfechtungsklage oder ein Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erhoben wurde. Das Vollstreckungsersuchen an den Gerichtsvollzieher nach § 15a LVwVG BW stellt jedoch keinen Verwaltungsakt dar, der mit Widerspruch oder Anfechtungsklage angegriffen werden könnte, da es an einer Regelungswirkung fehlt (vgl § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X). Richtige Klageart in der Hauptsache ist die auf Unterlassung der (weiteren) Zwangsvollstreckung gerichtete Leistungsklage.

Nach § 86b Abs 2 Satz 1 kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen (Regelungsanordnung). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 der Zivilprozessordnung).

Der für den Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung erforderliche Anordnungsgrund ist bei drohenden Vollstreckungsmaßnahmen stets zu bejahen.

Auch ein Anordnungsanspruch liegt vor. Die auf Unterlassung der (weiteren) Zwangsvollstreckung gerichtete Klage hat aller Voraussicht nach Erfolg.

Einer Krankenkasse und einer Pflegekasse stehen gemäß § 66 SGB X zwei Vollstreckungsmöglichkeiten zur Verfügung. Sie kann die Vollstreckung gemäß § 66 SGB X nach den jeweils einschlägigen Verwaltungsvollstreckungsgesetzen des Bundes und der Länder oder nach § 66 Abs 4 Satz 1 SGB X in entsprechender Anwendung der Vorschriften der Zivilprozessordnung vornehmen. Für die Vollstreckung zugunsten der landesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts gelten die jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften über das Verwaltungsvollstreckungsverfahren (§ 66 Abs 3 Satz 1 SGB X). Die Antragsgengerinnen sind landesunmittelbare Körperschaft, die nach dem LVwVG BW vollstrecken, da sie nach ihrer Satzung (nur) das Gebiet des Landes Baden-Württemberg umfassen.

Verwaltungsakte, die zu einer Geldleistung verpflichten, werden durch Beitreibung vollstreckt (§ 13 Abs 1 LVwVG BW). Die Beitreibung kann durch die Vollstreckungsbehörde selbst oder durch eigene Vollstreckungsbeamte erfolgen (Vollstreckung nach § 15 LVwVG BW). Die Vollstreckungsbehörden - dies sind gemäß § 4 Abs 1 LVwVG BW die Antragsgegnerinnen - können auch die Gerichtsvollzieher um Beitreibung ersuchen (Vollstreckung nach § 15a LVwVG BW). Diesen Weg haben die Antragsgegnerinnen beschritten.

Für die Beitreibung von Geldforderungen durch den Gerichtsvollzieher des Amtsgerichts auf Ersuchen der Vollstreckungsbehörde gelten die in § 15a Abs 3 LVwVG BW geregelten Vollstreckungsvoraussetzungen (BGH 11.06.2015, I ZB 64/14, MMR 2016, 105 = juris Rn 27 zur Vollstreckung von Rundfunkbeiträgen in Baden-Württemberg). Danach finden die Vorschriften des Achten Buches der Zivilprozessordnung (§§ 704 ff ZPO) Anwendung (§ 15a Abs 3 Satz 1 LVwVG BW). An die Stelle der vollstreckbaren Ausfertigung des Schuldtitels tritt das schriftliche Vollstreckungsersuchen der Vollstreckungsbehörde; einer Zustellung des Vollstreckungsersuchens bedarf es nicht (§ 15a Abs 3 Satz 2 LVwVG BW; vgl auch BGH 05.10.2017, I ZB 78/16, MDR 2018, 489 = juris Rn 12; 27.04.2017, I ZB 91/16, juris Rn 19).

Welche Konsequenzen sich hieraus für den Rechtsschutz des Versicherten im Verfahren der Zwangsvollstreckung ergeben, ist nicht eindeutig. Nach Ansicht des BGH findet die rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit oder Wirksamkeit des Verwaltungsaktes durch den Gerichtsvollzieher und das Vollstreckungsgericht im Vollstreckungsverfahren gerade nicht statt. Grundlage der Zwangsvollstreckungsmaßnahme gemäß § 15a Abs 3 Satz 2 LVwVG BW BW ist nicht der Gebühren- oder Beitragsbescheid, sondern das schriftliche Vollstreckungsersuchen der Vollstreckungsbehörde. Für den Einwand, die Zwangsvollstreckung von Beitragsbescheiden sei unzulässig, weil die Bescheide rechtswidrig oder unwirksam seien, steht dem Beitragsschuldner nach dieser Auffassung daher allein der Rechtsweg zu den Verwaltungs- oder Sozialgerichten offen (vgl BGH 27.04.2017, I ZB 91/16, MDR 2017, 822 = juris Rn 22; ebenso LG Stuttgart 09.08.2018, 19 T 227/18, juris Rn 21). Demgegenüber ist nach Auffassung des LG Tübingen auch im Verfahren der Zwangsvollstreckung zu prüfen, ob der Verwaltungsakt, der vollstreckt werden soll, nicht nur bekannt gegeben, sondern wirksam zugestellt worden ist (LG Tübingen 07.05.2019, 5 T 127/18, juris Rn 6).

Aus dieser unterschiedlichen Sichtweise in Bezug auf den Umfang der von den Zivilgerichten vorzunehmenden Prüfungsdichte erwächst bei der Vollstreckung von Beitragsforderungen der Krankenkassen und der Pflegekassen nach § 15a LVwVG BW die Gefahr eines Rechtsschutzdefizits. Der Gerichtsvollzieher und das Vollstreckungsgericht prüfen in dem streng formalisierten Vollstreckungsverfahren (vgl LG Stuttgart 27.12.2017, 19 T 477/17, juris Rn 25 zur Vollstreckung der Rundfunkgebühr) entweder auf die Erinnerung (§ 766 ZPO) des Schuldners nur die Art und Weise der Vollstreckung (zB die formalen Anforderungen an das Vollstreckungsersuchen) oder auf die Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) nur solche (materiell-rechtlichen) Einwendungen, die nach Erlass des zu vollstreckenden Verwaltungsakts entstanden sind. Nicht geprüft wird möglicherweise - je nachdem, welcher Rechtsauffassung das Zivilgericht zuneigt - die inhaltliche Richtigkeit des Vollstreckungsersuchens, also zB die Frage, ob der im Vollstreckungsersuchen "bezeichnete" Verwaltungsakt auch tatsächlich ergangen bzw wirksam geworden ist.

Aus Art 19 Abs 4 GG erwächst deshalb die Verpflichtung (vgl BVerfG 12.03.2019, 2 BvR 2255/17, juris Rn 20 mwN), dem Antragsteller (Schuldner) in eingeschränktem Umfang auch die auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung gerichtete Leistungsklage einzuräumen, mit der allerdings nur geltend gemacht werden kann, dass die (ggf vollständigen) Angaben im Vollstreckungsersuchen nach § 15a LVwVG BW inhaltlich nicht zutreffen. Zulässiger Gegenstand der Leistungsklage ist vor allem der Einwand, dass der als zu vollstreckender Verwaltungsakt bezeichnete Bescheid gar nicht existiert, dh nicht wirksam geworden ist. Nicht zulässiger Gegenstand der auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung gerichteten Leistungsklage kann sein: • die inhaltliche Richtigkeit eines (tatsächlich existierenden) Beitragsbescheides • die Art und Weise der Vollstreckung (§ 766 ZPO) • inhaltliche Einwendungen, die auf einem Sachverhalt beruhen, der erst nach Erlass des zu vollstreckenden Bescheides eingetreten ist (§ 767 ZPO).

Diese Form der hier statthaften Unterlassungsklage ist nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage begründet. Der von den Antragsgegnerinnen im Vollstreckungsersuchen genannte Bescheid vom 05.01.2018 wurde dem Antragsteller nicht bekannt gegeben. Dieser Bescheid ist dem Antragsteller seinen Angaben zufolge nicht zugegangen. Der Bescheid ist daher nicht wirksam, denn nach § 39 Abs 1 Satz 1 SGB X wird ein Verwaltungsakt demjenigen gegenüber, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Eine solche Bekanntgabe ist nicht nachgewiesen. Aus den vorliegenden Unterlagen ist eine Bekanntgabe jedenfalls nicht zu entnehmen. Ein Abdruck des Bescheides befindet sich schon nicht in den Verwaltungsakten der Antragsgegnerinnen und wurde erst auf besondere Anforderung des SG vorgelegt. Ein Nachweis über die Bekanntgabe fehlt. Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass der Bescheid während des gerichtlichen Verfahrens bekanntgegeben worden ist, hätte der Antragsteller gleichwohl einen Anspruch auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung. Denn der Bescheid, der vollstreckt werden soll, muss bereits rechtlich existiert haben, bevor die Vollstreckung eingeleitet wurde.

Die Antragsgegnerinnen betreiben überdies der Sache nach die Zwangsvollstreckung der Beitragsforderungen für die Zeit von 01.11.2012 bis 31.10.2018 nebst Säumniszuschlägen. Diese Beiträge und insbesondere die Säumniszuschläge sind jedoch nicht Gegenstand des Bescheides vom 05.01.2018, denn dieser setzt lediglich die Höhe der ab dem 01.01.2018 zu zahlenden monatlichen Beiträge fest. Zu den Beiträgen für die Vergangenheit verhält sich der Bescheid nicht. Die rückständigen Beiträge, die offensichtlich den weit überwiegenden Teil der zu vollstreckenden Forderung ausmachen, sind in dem Bescheid vom 05.01.2018 nicht einmal erwähnt. Gleiches gilt für die Säumniszuschläge, für die jedenfalls eine Festsetzung durch Verwaltungsakt erforderlich ist (Udsching in: Hauck/Noftz, SGB, 04/18, § 24 SGB IV, Rn 7). Dass die Forderung möglicherweise auf anderen Bescheiden beruht, hat dabei außer Betracht zu bleiben, da die Antragsgegnerinnen ausweislich des Vollstreckungsersuchens die Vollstreckung aus dem Bescheid vom 05.01.2018 betreiben. Daher ist im vorliegenden Verfahren auch nur dieser Bescheid zu betrachten. Ungeachtet dessen ist aber ohnehin kein Bescheid ersichtlich, der die rückständigen Beiträge nebst Säumniszuschläge festsetzt.

Da auch nach dem LVwVG BW nur Verwaltungsakte vollstreckt werden können (§ 2 LVwVG BW), müssen die Beiträge, die mit Hilfe eines Vollstreckungsersuchens nach § 15a LVwVG BW beigetrieben werden sollen, in der Höhe, in der die Vollstreckung betrieben wird, zuvor durch einen Verwaltungsakt festgesetzt worden sein. Der Verwaltungsakt muss die Höhe der Beitragsforderung, die sich ggf nach Verrechnung der bereits festgesetzten Beiträge zuzüglich der erstmals festgesetzten Säumniszuschläge ergibt, regeln. Lediglich die ansonsten für die Zwangsvollstreckung geforderte vollstreckbare Ausfertigung des Leistungsbescheids und deren Zustellung wird durch das Vollstreckungsersuchen nach § 15a LVwVG BW ersetzt (vgl BGH 05.10.2017, I ZB 78/16, juris Rn 12).

Selbst wenn man die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit für die Prüfung der Wirksamkeit des einem Vollstreckungsersuchen zugrundeliegenden Bescheides verneinte, hätte der Senat vorliegend darüber zu befinden. Das SG hat den Rechtsweg zu den Sozialgerichten bejaht. Nach § 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ist es einem höheren Gericht verwehrt, über die Statthaftigkeit des beschrittenen Rechtswegs zu entscheiden, wenn sich diese Frage im Rahmen eines Rechtsmittels gegen eine "Entscheidung in der Hauptsache", also auch im Zuge einer Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl Lückemann in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl 2018, § 17a GVG, Rn 18), stellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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