L 9 R 1338/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 958/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1338/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. März 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1962 geborene Kläger hat den Beruf des Kfz-Mechanikers erlernt und war im erlernten Beruf bis 2002 versicherungspflichtig beschäftigt. Seither stand er mit kurzen Unterbrechungen durch versicherungspflichtige Beschäftigungen im Bezug von Krankengeld und Arbeitslosengeld. Seit April 2008 bezieht er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Am 11.12.2014 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Beklagte veranlasste Begutachtungen des Klägers durch den Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Priv.-Doz. Dr. S. und durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. In seinem Gutachten vom 28.04.2015 diagnostizierte Priv.-Doz. Dr. S. ein schmerzhaftes LWS-Syndrom auf der Basis degenerativer Veränderungen der unteren LWS mit pseudoradikulären Beschwerden im linken Bein und ein HWS-Syndrom mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung auf der Basis degenerativer Veränderungen nach der Fusion von C4/5 mit radikulären sensiblen Störungen im linken Arm. Die Leistungsfähigkeit des Klägers sei für den Bewegungsapparat gemindert. Er sei nur noch in der Lage, eine leichte körperliche Tätigkeit in überwiegend sitzender, zeitweise gehender und zeitweise stehender Arbeitshaltung über sechs Stunden und mehr zu verrichten. Dr. S. gab in seinem Gutachten vom 26.05.2015 zusammenfassend die Diagnosen ständige Kreuzschmerzen bei mäßigem Verschleiß mit Beinausstrahlung links, wiederkehrende Schulter-Nacken-Schmerzen nach Versteifungs-OP bei HWK 4/5 im Jahr 2001, chronische Schmerzstörung mit körperlichen und seelischen Faktoren, chronische Verstimmungen (Dysthymia), Alkoholabhängigkeit (derzeit abstinent), medikamentös eingestellter Bluthochdruck und Schwerhörigkeit beidseits an. Für leichte körperliche Arbeiten bestehe ein über sechsstündiges Leistungsvermögen.

Mit Bescheid vom 10.06.2015 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Die Einschränkungen, die sich aus den bei dem Kläger vorliegenden Krankheiten oder Behinderungen ergeben, führten nicht zu einem Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte Befundberichte der behandelnden Ärzte bei und veranlasste eine Begutachtung des Klägers durch die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Neurologie Dr. B., die in ihrem Gutachten vom 28.12.2015 die Diagnosen rezidivierende depressive Episoden, gegenwärtig leichte bis mittelgradige depressive Episode, somatoforme Schmerzstörung, funktionell leichtgradig, Alkoholabhängigkeit, gegenwärtig abstinent, und chronische S1-Radikulopathie mit sensiblen Funktionsstörungen angab. Aus nervenärztlicher Sicht könne der Kläger leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche ausüben. Zu beachten seien qualitative Einschränkungen hinsichtlich der geistig/psychischen Belastbarkeit, des Bewegungs- und Haltungsapparates und Gefährdungs- und Belastungsfaktoren. Nach Einholung der gutachterlichen Stellungnahme der Fachärztin für Augenheilkunde/Sozialmedizin Dr. H. vom 22.01.2016 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2016 zurück. Grundlage für die Entscheidung sei die Aussage des Sozialmedizinischen Dienstes, der sämtliche vorliegenden Unterlagen gewürdigt habe und zu der Einschätzung gelangt sei, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers mit seinem Leistungsvermögen nicht auf weniger als sechs Stunden eines vergleichbaren gesunden Versicherten gesunken sei.

Hiergegen hat der Kläger am 22.03.2016 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben.

Das SG hat im Rahmen der Beweisaufnahme zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Der Facharzt für Chirurgie und Orthopädie Dr. L. hat in seiner Auskunft vom 07.06.2016 über eine einmalige Behandlung am 23.05.2015 wegen Chondropathia patellae rechts und Genu varum berichtet. Aufgrund der Kniegelenksbeschwerden bei Vorstellung bestehe keine Minderung der Leistungsfähigkeit in rentenberechtigendem Ausmaß. Unter dem 13.06.2016 hat der Facharzt für Orthopädie Dr. M. über eine einmalige Behandlung am 14.03.2016 berichtet, bei der er eine Lumboischialgie links, eine Protrusion L5/S1 und den Zustand nach einer Bandscheiben-OP C4/C5 diagnostizierte. Der Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. E. hat unter dem 24.06.2016 über zweimalige Behandlungen wegen einer Innenohrschwerhörigkeit beidseits mit Tinnitus beidseits und den Ausschluss eines Schlafapnoe-Syndroms berichtet. Der Facharzt für Neurochirurgie Dr. V. hat in seiner Stellungnahme vom 04.07.2016 eine rezidivierende Lumbalgie mit Radikulopathien S1 links bei bestehenden degenerativen Veränderungen der LWS und HWS und ein ISG-Syndrom rechts angegeben und sich der Leistungsbeurteilung von Priv.-Doz. Dr. S. angeschlossen. Die Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie E. hat in ihrer sachverständigen Zeugenauskunft vom 12.07.2016 als Diagnosen eine chronische mittelschwere depressive Störung, eine Bipolar-II-Depression, eine somatisierte Depression und eine somatoforme Schmerzstörung mitgeteilt. Außerdem sei von einer Alkoholabhängigkeit auszugehen. Die Leistungsfähigkeit könne sie nicht beurteilen, der Kläger habe bei geringem Besserungsgrad keine Termine mehr wahrgenommen. Eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bis zu maximal sechs Stunden täglich wirke sich am ehesten als Ablenkfaktor, somit beschwerdebessernd und wohl nicht nachteilig aus.

Vom 10.11.2016 bis 06.12.2016 hat die Beklagte dem Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der H. Klinik am S. gewährt. Im dortigen Entlassungsbericht vom 28.12.2016 werden die Diagnosen rezidivierende depressive Episode, gegenwärtig mittelgradig, dekompensierter Tinnitus aurium beidseits, mittel- bis hochgradige Innenohrschwerhörigkeit im Mittel- und Hochfrequenzbereich beidseits, Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung und chronifiziertes Wirbelsäulenschmerzsyndrom zervikal und lumbal, aktuell ohne Nachweis, angegeben. Aufgrund des vorgefundenen organischen und psychologischen Befundes werde der Kläger arbeitsfähig für leichte bis mittelschwere Arbeiten in einem zeitlichen Umfang von mehr als drei, jedoch unter sechs Stunden entlassen.

Das SG hat dann den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 02.01.2018 hat er ausgeführt, auf neurologischem Fachgebiet beklage der Kläger Sensibilitätsstörungen im Bereich des linken Armes und des linken Beines, aus denen sich keine überdauernden funktionellen Leistungseinschränkungen ergeben. Paresen oder Muskelatrophien ließen sich nicht nachweisen, das Gangbild sei sicher und flüssig gewesen. Ein umschriebenes neurologisches Krankheitsbild zeige sich letztlich nicht. Auf psychiatrischem Fachgebiet seien die Kriterien für das Vorliegen einer leichten depressiven Episode erfüllt. Ein phasenhafter Krankheitsverlauf im Sinne einer rezidivierenden depressiven Störung lasse sich nicht herausarbeiten. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer bipolaren Störung hätten sich nicht ergeben. Die Kriterien für das Vorliegen einer Angsterkrankung seien nicht erfüllt. Es ließen sich keine auf eine posttraumatische Belastungsstörung beziehbaren Symptome, keine Erkrankung aus dem Spektrum der somatoformen Störungen, keine wahnhafte Störung oder eine psychotische Erkrankung feststellen. Im Rahmen der Untersuchung habe sich eine Atemalkoholkonzentration von 0,0 ‰ gezeigt, Entzugssymptome seien nicht fassbar gewesen. Der Kläger sei noch in der Lage, eine Tätigkeit in seinem zuletzt ausgeübten Beruf sowie leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, wenn qualitative Einschränkungen beachtet werden. Eine Überforderung durch Akkordarbeit, Nachtarbeit oder durch Arbeiten unter besonderem Zeitdruck müsse vermieden werden. Dies gelte gleichermaßen für besonders hohe Ansprüche an Auffassung und Konzentration sowie für eine besonders hohe Verantwortung und eine besonders hohe geistige Beanspruchung. Im Übrigen sollten Arbeiten vermieden werden, die mit einer Alkoholexposition einhergingen.

Nach vorheriger Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19.03.2018 abgewiesen. Die näher dargelegten Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung seien nicht erfüllt. Der Kläger sei, wie sich zuletzt aus dem Gutachten des Dr. H. ergebe, noch in der Lage, eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Gefährdung seiner Gesundheit mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.

Gegen den ihm am 20.03.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13.04.2018 Berufung eingelegt und zur Begründung sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Er sei sicher, aufgrund der bei ihm vorherrschenden Krankheiten, die immer gravierender würden, nicht mehr arbeiten zu können. Er könne öfter aufgrund der Krankheiten die Wohnung nicht verlassen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. März 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Februar 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bezogen auf eine Antragstellung am 11. Dezember 2014 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die erstinstanzliche Entscheidung sowie ihr Vorbringen im Klage- und Berufungsverfahren.

Im Rahmen der Beweisaufnahme hat der Senat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen gehört und den Chefarzt der Kliniken für Neurologie und Geriatrie, Ärztlichen Direktor der St. R.-Kliniken, Facharzt für Neurologie und Facharzt für Psychiatrie Prof. Dr. R. mit der Erstattung eines Gutachtens sowie den Facharzt für Orthopädie-Rheumatologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin Priv.-Doz. Dr. R. mit der Erstattung eines Zusatzgutachtens beauftragt.

Der Radiologe Dr. B. hat unter dem 06.08.2018 mitgeteilt, der Kläger habe sich am 10.05.2017 zu einer Kernspin-Untersuchung der Lendenwirbelsäule und danach sechs Mal zu einer Schmerztherapie vorgestellt. In seiner Auskunft vom 14.08.2018 hat der Facharzt für Neurologie und Facharzt für Psychiatrie Dr. K. über Behandlungstermine seit 10.08.2016 berichtet. Er habe eine mittelgradige depressive Episode festgestellt, die depressive Störung ziehe sich durch alle Untersuchungsbefunde. Zwischenzeitlich sei noch eine Dekompensation mit Alkoholproblematik erfolgt, weshalb der Kläger im August 2018 zum Entzug in die Landesklinik C. eingewiesen worden sei. Die depressive Grundstimmung und der vom Kläger geschilderte Tinnitus wirkten sich erheblich auf dessen Konzentrationsfähigkeit aus. Die Fachärztin für Anästhesie S. hat am 22.08.2018 über die Behandlung seit 01.02.2017 berichtet und ausgeführt, es sei eine medikamentöse Therapie nach WHO-Stufenplan eingeleitet und zusätzlich eine Infiltrationstherapie (Facettenblockaden) als Serienbehandlung verordnet worden. Der Kläger könne aufgrund der starken Schmerzen nicht zuverlässig seiner alltäglichen Verpflichtung nachkommen; dies gelte auch für ggf. berufliche Aufgaben. Er klage über Konzentrationsstörungen, eine eingeschränkte Gehstrecke und schmerzbedingte Bewegungseinschränkungen.

Priv.-Doz. Dr. R. hat in seinem Zusatzgutachten vom 10.04.2019 nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 10.12.2018 ausgeführt, bei dem Kläger bestünden Dorsolumbalgien mit pseudoradikulärer Ausstrahlung in das linke Bein bei geringen bis mäßigen degenerativen Veränderungen der Bandscheibenfächer der Brustwirbelsäule und der Lendenwirbelsäule, insbesondere bei LWK 4/5 und LWK 5/SWK 1, leichte Arthrosen der Wirbelzwischengelenke LWK 4 bis SWK 1 mit möglicher Enge der Neuroforamina und im Wirbelkanal, eine leichte Skoliose der LWS, multisegmentale Osteochondrosen und Bandscheibenvorfälle mit Pelottierung der Nervenwurzel L 3 links und verschmälertem Spinalkanal. Darüber hinaus bestünden Zervicobrachialgien links bei Zustand nach Bandscheibenoperation C 4/5 im Jahr 2001, mäßige degenerative Veränderungen der Bandscheibenfächer HWK 5/6 und HWK 6/7, schmerzhafte Muskelverspannungen, geringe bis mäßige nachweisbare Einschränkungen der Bewegungs- und Belastungsfunktion der Halswirbelsäule und der linken Schulter, eine Gefühlsstörung der linken Hand ohne sichere radikuläre Zuordnung und degenerative Veränderungen der Rotatorenmanschette bei einem leichten Impingement der linken Schulter. Darüber hinaus liegen eine geringe medial beginnende Arthrose beider Hüftgelenke und beider Kniegelenke bei geringfügigem Genu varum (O-Bein) jeweils ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkungen und geringe Arthrosen der Großzehengrundgelenke beidseits, ein mäßiger Senkfuß und ein leichter Spreizfuß beidseits ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkung vor. Noch möglich seien unter Berücksichtigung näher dargelegter qualitativer Einschränkungen aus orthopädisch-rheumatologischer Sicht leichte körperliche Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich. Die Gehfähigkeit des Klägers sei aus orthopädischer Sicht nicht sozialmedizinisch relevant eingeschränkt.

Prof. Dr. R. hat in seinem Gutachten vom 13.05.2019 nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 10.12.2018 ausgeführt, auf neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinischem Fachgebiet finde sich eine leichtgradige, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Dysthymia, ein leichter Nervenwurzelschaden S1 links und ein schädlicher Gebrauch von Alkohol. Ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit sei es dem Kläger aus neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinischer Sicht noch möglich, leichte körperliche Arbeiten ohne Akkord- oder Fließbandtätigkeiten durchzuführen. Der Kläger sollte keine Lasten mehr mit einem Gewicht von mehr als 6 bis 8 kg heben bzw. tragen. Diese Einschätzung decke sich mit der Auffassung von Priv.-Doz. Dr. R. in seinem Zusatzgutachten. Die Tätigkeiten sollten vorzugsweise im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen ausgeführt werden. Falls der wünschenswerte Positionswechsel berufsbedingt nicht möglich sein sollte, könne es dem Kläger noch auferlegt werden, überwiegend zu sitzen, zeitweise zu stehen oder zeitweise zu gehen. Zwangshaltungen der Wirbelsäule, wie dies z.B. beim Bücken oder bei knienden Tätigkeiten der Fall sei, sollten vermieden werden, Arbeiten auf Leitern oder auf Gerüsten seien angesichts der Schmerzsymptomatik und des angegebenen Schwindels, aber auch wegen der degenerativen Veränderungen des Skelettsystems nicht mehr leidensgerecht. Gelegentliches Treppensteigen sei jedoch noch zumutbar. Arbeiten unter der Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe sollten vermieden werden, während Tätigkeiten im Freien unter günstigen Witterungsbedingungen nicht grundsätzlich auszuschließen seien. Arbeiten an Büromaschinen, an Schalttafeln, Tastengeräten, Schreibmaschinen oder Personalcomputern könnten noch verrichtet werden. Tätigkeiten in der Früh- bzw. in der Spätschicht kämen noch in Frage, während Nachtschichten aufgrund der Gefahr eine Verschlimmerung der beschriebenen Schlafstörungen zu vermeiden seien. Wegen der Hörminderung beidseits sollte der Kläger nicht mehr an lärmbelastenden Arbeitsplätzen eingesetzt werden. Eine durchschnittliche Beanspruchung des Sehvermögens sei leidensgerecht, Publikumsverkehr sei noch zumutbar. Eine besondere geistige Beanspruchung mit höherer oder hoher Verantwortung, wie dies z.B. beim Anleiten oder beim Beaufsichtigen mehrerer Personen bzw. beim Überwachen komplexer oder laufender Maschinen der Fall sei, könnten dem Kläger noch auferlegt werden. Akkord- und Fließbandtätigkeiten sowie Arbeiten, die mit einer Alkoholexposition verbunden seien, seien dem Kläger nicht mehr zumutbar. Die noch zumutbaren Arbeiten könne der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten. In Übereinstimmung mit Priv.-Doz. Dr. R. bestehe der jetzt festgestellte Gesundheitszustand mindestens seit dem Rentenantrag. Im Laufe des Verfahrens habe sich die Leistungsfähigkeit nicht wesentlich geändert. Angesichts der bereits eingetretenen Chronifzierung der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und der Dysthymia sei eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes nicht wahrscheinlich.

Zu den Gutachten hat der Kläger mit am 29.07.2019 eingegangenen Schreiben ausführlich Stellung genommen und sich zugleich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 12.07.2019 ebenfalls ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe gemäß § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) mit Gerichtsbescheid vom 19.03.2018 zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 10.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.02.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, da er in der Lage ist, zumindest leichten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden arbeitstäglich nachzugehen.

Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie voll oder teilweise erwerbsgemindert sind (jeweils Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (jeweils Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (jeweils Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe konnte sich der Senat nicht von einer Erwerbsminderung des Klägers, d.h. einem Herabsinken seines zeitlichen Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden arbeitstäglich, überzeugen.

Für das Leistungsvermögen relevant bestehen bei dem Kläger eine leichtgradige, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Dysthymia, ein leichter Nervenwurzelschaden S1 links sowie ein schädlicher Gebrauch von Alkohol, ein dekompensierter Tinnitus aurium beidseits, eine mittel- bis hochgradige Innenohrschwerhörigkeit im Mittel- und Hochfrequenzbereich beidseits, Dorsolumbalgien mit pseudoradikulärer Ausstrahlung in das linke Bein bei geringen bis mäßigen degenerativen Veränderungen der Bandscheibenfächer der Brustwirbelsäule und der Lendenwirbelsäule, insbesondere bei LWK 4/5 und LWK 5/SWK 1, leichte Arthrosen der Wirbelzwischengelenke LWK 4 bis SWK 1 mit möglicher Enge der Neuroforamina und im Wirbelkanal, eine leichte Skoliose der LWS, multisegmentale Osteochondrosen und Bandscheibenvorfälle mit Pelottierung der Nervenwurzel L 3 links und verschmälertem Spinalkanal. Darüber hinaus bestehen Zervikobrachialgien links bei Zustand nach Bandscheibenoperation C 4/5 im Jahr 2001, mäßige degenerative Veränderungen der Bandscheibenfächer HWK 5/6 und HWK 6/7, schmerzhafte Muskelverspannungen, geringe bis mäßige nachweisbare Einschränkungen der Bewegungs- und Belastungsfunktion der Halswirbelsäule und der linken Schulter, eine Gefühlsstörung der linken Hand ohne sichere radikuläre Zuordnung und degenerative Veränderungen der Rotatorenmanschette bei einem leichten Impingement der linken Schulter. Zudem liegen eine geringe medial beginnende Arthrose beider Hüftgelenke und beider Kniegelenke bei geringfügigem Genu varum (O-Bein) jeweils ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkungen und geringe Arthrosen der Großzehengrundgelenke beidseits, ein mäßiger Senkfuß und ein leichter Spreizfuß beidseits ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkung vor.

Der Kläger ist trotz dieser Gesundheitsstörungen noch in der Lage, zumindest leichten Tätigkeiten mindestens sechs Stunden arbeitstäglich nachzugehen. Dies ergibt sich aus den im Gerichtsverfahren erstatteten Gutachten von Prof. Dr. R., Priv.-Doz. Dr. R. und Dr. H. sowie den im Verwaltungsverfahren durch Dr. S., Priv.-Doz. Dr. S. und Dr. B. erstatteten Gutachten, die der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwerten konnte (vgl. u.a. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 14.11.2013 - B 9 SB 10/13 B -, Juris, Rdnr. 6; BSG, Urteil vom 05.02.2008 - B 2 U 8/07 R -, Juris, Rdnr. 51). Nicht anzuschließen vermochte sich der Senat hingegen der durch die behandelnden Ärzte, insbesondere durch die Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie E., und den Entlassungsbericht der H.-Klinik angenommenen Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden arbeitstäglich.

Für den Senat überzeugend sind die Gutachter im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren übereinstimmend zu der Einschätzung gelangt, dass aufgrund der bei dem Kläger festzustellenden Gesundheitsstörungen zwar qualitative Einschränkungen, aber keine rentenrechtlich relevante zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens anzunehmen ist.

Hinsichtlich der Erkrankungen auf neurologisch-psychiatrisch-schmerzmedizinischem Fachgebiet folgt der Senat der Einschätzung von Prof. Dr. R. Der Gutachter hat ausführlich unter Einschluss testpsychologischer Untersuchungen Befunde erhoben und sich mit der Krankheitsgeschichte unter Berücksichtigung der umfangreich vorliegenden Befundberichte und sachverständigen Zeugenaussagen auseinandergesetzt und schlüssig und nachvollziehbar eine leichtgradige, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Dysthymia, einen leichten Nervenwurzelschaden S1 links und den schädlichen Gebrauch von Alkohol diagnostiziert. Diese Diagnosen werden für den Senat schlüssig und nachvollziehbar aus den durch den Gutachter erhobenen Befunden abgeleitet. Charakteristisch für eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung ist ein andauernder und als schwer empfundener Schmerz, der durch einen in Verbindung mit einer körperlichen Störung stehenden physiologischen Prozess nicht oder nicht vollständig geklärt werden kann. Dies trifft bei dem Kläger mit Blick auf die noch näher darzulegenden orthopädischen Erkrankungen zu. Für die leichtgradige Ausprägung der somatoformen Schmerzstörung und das Vorliegen einer Dysthymia spricht, wie der Gutachter nachvollziehbar darlegt, der nur leichtgradig gestörte psychische Befund. Der Gutachter beschreibt den Kläger im psychischen Befund als bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten orientiert. Auffassungsgabe, Konzentration und Aufmerksamkeit ließen auch im Verlauf der mehrstündigen Begutachtung nicht nach. Die Antriebslage war unauffällig, Hinweise für eine äußerlich erkennbare, innere Unruhe fanden sich nicht. Hinsichtlich der Stimmungslage war der Kläger überwiegend subdepressiv, aber auflockerbar. Die affektive Modulationsfähigkeit war nicht eingeschränkt. Der Gedankengang war streckenweise weitschweifig und um die körperlichen Beschwerden kreisend, insgesamt aber war der Kläger auch in der Lage, abstrakten gedanklichen Anforderungen zu genügen. Hinweise auf paranoide Ideen, Halluzinationen, Ich-Störungen, Zwangsideen oder -gedanken fanden sich nicht. Soweit der Gutachter ausführt, es sei nicht auszuschließen, dass bei dem Kläger eine sog. duale Depression bestehe, also neben der Dysthymia auch eine rezidivierende episodische Depression vorliegt, ist dies für den Senat anhand der vorliegenden Befundberichte nachvollziehbar. Zu berücksichtigen ist aber, dass bei den eingeholten Gutachten keine schwere depressive Episode nachgewiesen werden konnte. Dr. S. beschreibt am 26.05.2015 eine Dysthymia, Dr. B. am 28.12.2015 eine rezidivierende depressive Episode, gegenwärtig leicht bis mittelgradig, Dr. H. am 02.01.2018 eine leichte depressive Episode. Die von der behandelnden Neurologin und Psychiaterin E. angegebene chronische mittelschwere depressive Störung sowie eine Bipolar-II-Störung ist für den Senat anhand der vorliegenden Gutachten nicht nachvollziehbar. Auch bei einem schwankenden Verlauf mit auch leichten bis mittelschweren depressiven Episoden ist im Längsschnitt keine mittelschwere bis schwere depressive Störung anzunehmen, die eine überdauernde auch zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens rechtfertigen würde. Um die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die Leistungsfähigkeit beurteilen zu können, hat Prof. Dr. R. auch die Alltagsaktivitäten des Klägers erfragt. Er hat berichtet, noch in der Lage zu sein, zu duschen, sich das Frühstück zu richten, das Geschirr von Hand zu spülen, die Wäsche zu machen, sich das Mittag- und Abendessen vorzubereiten, ein Kraftfahrzeug zu führen, einzukaufen, in dem sozialen Netzwerk "WhatsApp" aktiv zu sein, sich am Computer zu beschäftigen, an einer Wasserkrankengymnastik teilzunehmen, Spaziergänge zu machen und sich um seine Fische im Aquarium zu kümmern. Auch diese Alltagsaktivitäten sprechen gegen eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Hinsichtlich des schädlichen Gebrauchs von Alkohol, der zuletzt, wie Dr. K. ausführt, im August 2018 zu einem Entzug in der Landesklinik C. geführt hat, führt Prof. Dr. R. für den Senat überzeugend aus, dass unabhängig davon, ob man einen schädlichen Gebrauch oder eine Abhängigkeit von Alkohol annimmt, beide Krankheitsbilder nur leichtgradig ausgeprägt sind und nicht zu einer zeitlichen Leistungseinschränkung führen. Dies ist für den Senat auch insoweit nachvollziehbar, als in den vorliegenden Stellungnahmen der behandelnden Ärzte und in den eingeholten Gutachten die Alkoholerkrankung nicht im Vordergrund steht. Auch Dr. H. hatte über einen Alkoholabusus berichtet, aber keine Entzugssymptome feststellen können.

Nicht nachvollziehbar ist für den Senat die Leistungseinschätzung der H.-Klinik, die von einem auf drei- bis unter sechsstündigen Leistungsvermögen ausgegangen ist. Die Leistungseinschätzung leidet insbesondere unter dem Umstand, dass die dort mitgeteilten Diagnosen nicht nachvollziehbar sind. Diagnostiziert wird u.a. eine posttraumatische Belastungsstörung, die durch Prof. Dr. R. nicht bestätigt werden konnte, da die typischen Merkmale einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht festzustellen waren; insbesondere beschrieb der Kläger bei der Begutachtung weder Flashbacks noch Intrusionen. Die Leistungseinschränkung der H.-Klinik wird weder durch einen ausführlichen psychiatrischen Befund noch durch eine Analyse der noch möglichen Alltagsaktivitäten begründet, so dass die Leistungseinschätzung, wie Prof. Dr. R. ausführt, letztlich nicht nachvollziehbar ist.

Auf orthopädischem Fachgebiet folgt der Senat der Leistungsbeurteilung des Priv.-Doz. Dr. R. in seinem Gutachten vom 10.04.2019. Nach ausführlicher und gründlicher eigener Befunderhebung und Auswertung der ihm vorliegenden medizinischen Unterlagen hat er nachvollziehbar ausgeführt, dass bei dem Kläger Dorsolumbalgien mit pseudoradikulärer Ausstrahlung in das linke Bein bei geringen bis mäßigen degenerativen Veränderungen der Bandscheibenfächer der Brustwirbelsäule und der Lendenwirbelsäule, insbesondere bei LWK 4/5 und LWK 5/SWK 1, leichte Arthrosen der Wirbelzwischengelenke LWK 4 bis SWK 1 mit möglicher Enge der Neuroforamina und im Wirbelkanal, eine leichte Skoliose der LWS, multisegmentale Osteochondrosen und Bandscheibenvorfälle mit Pelottierung der Nervenwurzel L 3 links und verschmälertem Spinalkanal bestehen. Darüber hinaus leidet der Kläger unter Zervikobrachialgien links bei Zustand nach Bandscheibenoperation C 4/5 im Jahr 2001, mäßigen degenerativen Veränderungen der Bandscheibenfächer HWK 5/6 und HWK 6/7, schmerzhaften Muskelverspannungen, geringen bis mäßigen nachweisbaren Einschränkungen der Bewegungs- und Belastungsfunktion der Halswirbelsäule und der linken Schulter, einer Gefühlsstörung der linken Hand ohne sichere radikuläre Zuordnung und degenerativen Veränderungen der Rotatorenmanschette bei einem leichten Impingement der linken Schulter sowie einer geringen medial beginnenden Arthrose beider Hüftgelenke und beider Kniegelenke bei geringfügigem Genu varum (O-Bein) jeweils ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkungen und geringen Arthrosen der Großzehengrundgelenke beidseits, einem mäßigen Senkfuß und einem leichten Spreizfuß beidseits ohne wesentliche nachweisbare Funktionseinschränkung. Hinsichtlich der wesentlichen Befunde und Diagnosen sowie deren Auswirkungen auf das berufliche Leistungsvermögen stimmt Priv.-Doz. Dr. R. mit dem auf orthopädischem Fachgebiet vorliegenden Gutachten von Priv.-Doz. Dr. S. sowie den Aussagen der behandelnden Ärzte Dr. L., Dr. M. und Dr. V. überein. Die von Priv.-Doz. Dr. R. getroffene Leistungseinschätzung, wonach dem Kläger leichte Tätigkeiten noch mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zugemutet werden können, ist daher für den Senat schlüssig und nachvollziehbar begründet.

Zu keiner zeitlichen Einschränkung des Leistungsvermögens führen zur Überzeugung des Senats der dekompensierte Tinnitus aurium sowie die mittel- bis hochgradige Innenohrschwerhörigkeit im Mittel- und Hochfrequenzbereich beidseits. Dass der Kläger unter diesen Gesundheitsstörungen leidet, ist aktenkundig und insbesondere der sachverständigen Zeugenaussage des Dr. E. zu entnehmen. Trotz der Innenohrschwerhörigkeit ist eine Kommunikation mit dem Kläger unproblematisch möglich, was allen eingeholten Gutachten zu entnehmen ist und auch im Rahmen eines durch die Berichterstatterin am 13.07.2018 durchgeführten Termins zur Erörterung des Sachverhalts festzustellen war. Der Tinnitus wirkt sich auf das Leistungsvermögen insbesondere durch damit einhergehende psychovegetative und psychosomatische Beschwerden, wie Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Erschöpfungssymptome und auch Ängste und depressive Verstimmung auf das Leistungsvermögen aus (vgl. Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung, 7. Aufl., 2011, S. 486). Entsprechende Auswirkungen wurden durch Prof. Dr. R. in seinem Gutachten zwar nicht konkret bezogen auf den bei dem Kläger vorliegenden Tinnitus, aber hinsichtlich der psychovegetativen und psychosomatischen Gesundheitsstörungen ausführlich gewürdigt; eine zeitliche Leistungseinschränkung folgt hieraus nicht. Entgegen der Auffassung des Klägers erwähnt Prof. Dr. R. im Zusammenhang mit der Beschwerdeschilderung auch den Tinnitus und die Angaben des Klägers hierzu, leitet hieraus aber keine über die aufgrund der psychiatrischen Erkrankung hinausgehenden weiteren Einschränkungen des Leistungsvermögens ab.

Der Kläger ist zur Überzeugung des Senats unter Berücksichtigung der festgestellten Gesundheitsstörungen damit grundsätzlich in der Lage, in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden im Rahmen einer Fünftagewoche zumindest körperlich leichte Arbeiten zu verrichten. Da er noch mindestens sechs Stunden täglich leistungsfähig ist, muss ihm weder eine konkrete Tätigkeit benannt werden, noch die Frage geprüft werden, ob es genügend Arbeitsplätze gibt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für in diesem Umfang leistungsfähige Ungelernte und Angelernte des unteren Bereiches geeignete Arbeitsplätze in ausreichender Zahl vorhanden sind (Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996, u. a. SozR 3-2600 § 44 Nr. 8, Juris). Dies stimmt mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers überein, der durch § 43 Abs. 3 SGB VI klargestellt hat, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.

Allerdings ist die Frage, ob es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausreichend Arbeitsplätze gibt, immer dann zu klären, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSG, Urteile vom 30.11.1982 - 4 RJ 1/82 -, Juris) oder Versicherte nur noch auf solchen Arbeitsplätzen einsetzbar sind, bei denen wegen ihrer Seltenheit die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes besteht, also z. B. noch in Betracht kommende Tätigkeiten nur unter betriebsunüblichen Bedingungen ausgeübt werden können oder entsprechende Arbeitsplätze auf Grund gesundheitlicher Beeinträchtigungen von der Wohnung aus nicht erreichbar sind oder nur vereinzelt vorkommen (BSG, Urteile vom 06.06.1986 - 5b RJ 42/85 -, vom 25.06.1986 - 4a RJ 55/84 -, vom 09.09.1986 - 5b RJ 50/84 -, vom 19.03.1981 - 4 RJ 19/80 -, vom 13.07.1988 - 5/4a RJ 57/87 -, vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 - und vom 31.03.1993 - 13 RJ 65/91 -, Juris). Für die Prüfung, ob eine schwere spezifische Leistungsbehinderung – oder im Übrigen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen – vorliegt, gibt es keinen konkreten Beurteilungsmaßstab; sie richtet sich vielmehr nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls (vgl. BSG, Urteile vom 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R - und vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R -, Juris). Maßgeblich sind vor allem Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Einschränkungen und die damit verbundene Frage, inwieweit diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten zu versperren (BSG, Urteile vom 09.05.2012 und 19.10.2011, a.a.O.). Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können vor allem besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R -, Juris, Rdnr. 28 unter Verweis auf BSG, Urteil vom 30.11.1982 - 4 RJ 1/82 -, Juris). Unter den üblichen Bedingungen ist das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, d.h. unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt. Dazu gehören neben rechtlichen Bedingungen (Dauer und Verteilung der Arbeitszeit etc.) auch tatsächliche Umstände, wie z.B. die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistiger Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz, also kognitive Grundfähigkeiten, die krankheitsbedingt herabgesetzt sein können (BSG, Urteile vom 09.05.2012 und 19.10.2011, a. a. O.).

Zur Überzeugung des Senats sind bei dem Kläger aufgrund der vorliegenden Gesundheitsstörungen die durch Prof. Dr. R. zusammenfassend dargestellten qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen. Danach sind dem Kläger schwere und mittelschwere körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten von mehr als 6 bis 8 kg, Arbeiten mit Zwangshaltungen der Wirbelsäule, insbesondere Arbeiten im Bücken oder kniende Tätigkeiten, Arbeiten auf Leitern oder auf Gerüsten, Arbeiten unter der Exposition von Kälte, Wärme, Staub, Gasen, Dämpfen oder Nässe, Akkord- und Fließbandtätigkeiten, Tätigkeiten in Nachtschicht, an lärmbelastenden Arbeitsplätzen sowie Arbeiten, die mit einer Alkoholexposition verbunden sind, nicht mehr zumutbar. Diese Einschränkungen decken sich im Wesentlichen mit den bereits in den Vorgutachten angegebenen. Ergänzend sind, wie sich aus dem Gutachten von Dr. H. ergibt, Arbeiten unter besonderem Zeitdruck und Arbeiten mit besonders hohen Ansprüchen an Auffassung und Konzentration sowie besonders hoher Verantwortung und besonders hoher geistiger Beanspruchung ausgeschlossen. Aus den Gutachten von Priv.-Doz. Dr. S. und Dr. S. ergibt sich darüber hinaus, dass auch keine Überkopfarbeiten und keine Tätigkeiten mit Vibrationsexposition zumutbar sind.

Ausgehend von den genannten Grundsätzen und trotz der beim Kläger zu berücksichtigenden Einschränkungen liegt bei ihm weder eine schwere spezifische Leistungseinschränkung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Die qualitativen Beeinträchtigungen schränken zwar das Spektrum der für den Kläger in Betracht kommenden Tätigkeiten ein, führen aber nicht dazu, dass er unter den üblichen Bedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr einsetzbar ist. Denn dem Versicherten ist es mit dem umschriebenen Leistungsvermögen in der Regel noch möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in meist ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden (z. B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw., vgl. BSG, Urteile vom 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R -, 19.12.1996 - GS 2/95 -, 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R -, Juris). Einschränkungen hinsichtlich der Gebrauchsfähigkeit der Hände sind aus den vorliegenden Gutachten nicht abzuleiten. Auch wenn die Tätigkeiten trotz entsprechender Hilfsmittel, etwa eines höhenverstellbaren Tisches, nicht im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen ausgeübt werden können, wäre es dem Kläger, wie Prof. Dr. R. darlegt, noch möglich, eine Tätigkeit überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und zeitweise im Sitzen auszuführen. Er kann Lasten von 6 bis 8 kg und damit über 5 kg heben und tragen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 14.09.1995 - 5 RJ 50/94 -, Juris). Ausgeschlossen sind aufgrund der psychiatrischen Erkrankung lediglich Tätigkeiten mit besonderer geistiger Beanspruchung, mit hoher oder höherer Verantwortung, wie etwa dem Anleiten oder Beaufsichtigen mehrerer Personen, dem Überwachen komplexer oder laufender Maschinen oder der Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge. Die durch das BSG beispielhaft genannten Tätigkeitsbereiche stellen diese Anforderungen nicht. Darüber hinaus sind dem Kläger noch Arbeiten an Büromaschinen, an Schalttafeln, Tastengeräten, Schreibmaschinen oder Personalcomputern sowie Tätigkeiten mit Publikumsverkehr zumutbar, so dass ihm ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten eröffnet ist, keine Summierung ungewöhnlicher oder eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vorliegt und keine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden muss.

Schließlich ist auch die sog. Wegefähigkeit des Klägers nicht eingeschränkt. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG ein abstrakter Maßstab anzuwenden. Ein Katalogfall liegt nicht vor, soweit ein Versicherter täglich viermal Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (BSG, Urteile vom 12.12.2011 - B 13 R 21/10 R - und - B 13 R 79/11 R -, vom 30.01.2002 - B 5 RJ 36/01 R -, Juris m.w.N., vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, a.a.O.). Dazu gehört z.B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (vgl. BSG, Urteile vom 14.03.2002 - B 13 RJ 25/01 R - und vom 30.11.1965 - 4 RJ 101/62 -, Juris). Der Senat konnte sich von einer rentenrechtlich relevanten Einschränkung der Wegefähigkeit nicht überzeugen. In Übereinstimmung mit den als sachverständigen Zeugen gehörten Dr. M. und Dr. V. sowie den Gutachtern Priv.-Doz. Dr. S., Dr. H. und Prof. Dr. R. gelangte zuletzt für den Senat schlüssig und überzeugend Priv.-Doz. Dr. R. zu der Einschätzung, dass der Kläger trotz der bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen in der Lage ist, ggf. unter Verwendung von Gehhilfen 500 Meter in 20 Minuten zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Anhand der objektiven orthopädischen Befunde und Funktionseinschränkungen ist die durch den Kläger demonstrierte Einschränkung der Gehfähigkeit nicht hinreichend nachvollziehbar. Die Angaben des Klägers, er könne nur 100 Meter oder 10 Minuten mit Gehhilfen gehen, müsse einen Rollator oder zwei Unterarmgehstützen verwenden, der Abbruch des begleiteten Spaziergangs bereits nach 77 Metern und das demonstrierte Gangbild mit wechselhaftem Hinken sind nach der Beurteilung von Priv.-Doz. Dr. R. durch objektive Befunde bei der orthopädischen Ganganalyse, der körperlichen und radiologischen Untersuchung und die nachweisbaren objektiven Funktionseinschränkungen nicht hinreichend erklärbar. Nach der Verabschiedung von dem Gutachter hat der Kläger das Untersuchungszimmer mit dem Rollator, der nur hälftig entfaltet war und dementsprechend keine stabile Gehhilfe darstellte, verlassen. Am Rollator hingen ein Rucksack und ein Handstock, der Rollator wurde links geführt, so dass kaum eine Gewichtsentlastung auf den Rollator übertragen wurde. In der rechten Hand trug der Kläger beide Unterarmgehstützen. Das Gangbild wird durch den Gutachter als aufrecht mit mittlerer Schrittlänge, ohne eindeutiges Hinken oder Schwanken und ohne Gangunsicherheiten beschrieben. Eine nachweisbare Einschränkung der Gehfähigkeit lässt sich hieraus, wie Priv.-Doz. Dr. R. überzeugend darlegt, nicht ableiten. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit folgt, wie Prof. Dr. R. darlegt, auch nicht aus den Einschränkungen auf psychiatrischem Fachgebiet. Die Gehfähigkeit des Klägers ist daher nicht eingeschränkt und eine Einschränkung der Wegefähigkeit nicht zu begründen. Zudem verfügt der Kläger nach seinen Angaben bei Prof. Dr. R. über ein Kfz und einen Führerschein.

Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung besteht bei dem Kläger daher nicht.

Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved