L 10 U 511/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 162/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 511/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 11.01.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Heilbehandlung wegen einer depressiven Störung streitig.

Der am 1962 geborene Kläger ist t. Staatsangehöriger und steht seit 21.05.1991 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis als Arbeiter, insbesondere Gabelstaplerfahrer, bei der Firma S. in H. (Sägewerk und Holzhandlung). Am 12.10.2012 erlitt er einen Wegeunfall, als er nach Verlassen des Hauses auf dem Weg zu seinem Auto, mit dem er zur Arbeit fahren wollte, auf dem Gehweg stolperte und mit dem linken Fuß auf der Bordsteinkante aufkam (Bl. 30 und 56 VwA). Dabei zog er sich eine Prellung des oberen Sprunggelenks links sowie eine Fersenbeinfraktur links zu, die konservativ mit einer Fersenentlastungsschiene, Lymphdrainage und Elektrotherapie behandelt wurde (Durchgangsarztbericht Dr. S. , Bl. 1 VwA, Nachschaubericht Dr. S. vom 15.10.2012, Bl. 3 VwA). Wegen vom Kläger angegebener Scherzzustände kam es nicht mehr zur Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit.

Der Kläger führte und führt im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall vom 12.10.2012 eine Vielzahl von Verfahren, u. a. wegen der Gewährung von Verletztengeld und Teilhabemaßnahmen (die Berufung des Klägers wurde mit Urteil des Senats vom 13.12.2018 zurückgewiesen, L 10 U 877/15), wegen der Versorgung mit orthopädischen Schuhen (die Berufung des Klägers hat der Senat mit Urteil vom heutigen Tag zurückgewiesen, L 10 U 501/19) und wegen der Gewährung einer Verletztenrente (L 10 U 4081/18). Diese Berufung des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 17.09.2019 zurückgewiesen. Im dortigen erstinstanzlichen Verfahren (S 13 U 3219/15) ist von Amts wegen ein Gutachten bei dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Chefarzt der Abteilung Allgemeine Psychiatrie I im Zentrum für Psychiatrie N. Prof. Dr. S. (Untersuchungstag 21.07.2017, Bl. 263 ff. SG-Akte S 13 U 3219/15) und auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ein Gutachten bei dem Neurologen und Psychiater Dr. B. (Bl. 345 ff. SG-Akte S 13 U 3219/15) eingeholt worden. Prof. Dr. S. hat eine leichte depressive Episode und eine Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen diagnostiziert (Bl. 318 SG-Akte S 13 U 3219/15), die jedoch keine Unfallfolgen seien (Bl. 322 SG-Akte S 13 U 3219/15). Dr. B. ist in seinem Gutachten (Untersuchung im Juli 2018) zu dem Ergebnis gelangt, dass wegen ausgeprägter Aggravations- und Simulationsneigung bei dem Kläger keine exakten wissenschaftlichen Diagnosen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet zu stellen seien (Bl. 376 SG-Akte S 13 U 3219/15) und Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nicht nur nicht objektivierbar, sondern auch in keiner Weise plausibel nachvollziehbar seien (Bl. 378 SG-Akte S 13 U 3219/15). Außerdem ist beim Senat ein Verfahren des Klägers wegen der Gewährung höherer Verletztenrente anlässlich eines Arbeitsunfalls vom 16.07.1993 (L 10 U 1595/19), wegen der Anerkennung einer Berufskrankheit (L 10 U 3047/17) und wegen der Gewährung von Erwerbsminderungsrente (L 10 R 2688/17) anhängig.

Der den Kläger ab dem 04.02.2013 behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. B. diagnostizierte im Februar 2014 eine Überforderungssituation mit Schmerzen, Depressivität und Rückzugsneigung mit zunehmenden Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit und Lebensqualität und empfahl Schonung und Abschirmung mit Medikation sowie individuelle Mobilisation (Bl. 449 VwA). Im Juni 2014 stellte sich der Kläger zusätzlich bei dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychoanalyse Dr. H. vor. Dr. H. beschrieb eine gedrückte, unruhige Stimmung, Vitalgefühlsstörungen, kognitive Einschränkungen, Einbußen im dynamischen Bereich und diagnostizierte eine depressive Entwicklung, eine somatoforme Schmerzstörung und Insomnie (Bl. 627 VwA).

Mit Schreiben vom 02.07.2015 (Bl. 916 VwA) teilte die Beklagte dem behandelnden Neurologen und Psychiater Dr. B. sinngemäß mit, dass als Folge des Unfalls vom 12.10.2012 allein ein in korrekter Stellung knöchern verheilter Bruch des linken Fersenbeins ohne funktionelle Beeinträchtigungen vorliege (so das von der Beklagten eingeholte Gutachten des Orthopäden Prof. Dr. S. vom Universitätsklinikum H. ), nicht hingegen eine depressive Störung. Die durchgeführte Behandlung der depressiven Störung sei daher zu Lasten der klägerischen Krankenkasse durchzuführen. Eine Kopie dieses Schreibens übersandte die Beklagte dem Kläger mit Schriftsatz vom 06.07.2015 (Bl. 917 VwA). Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte zurück (Bl. 1024 VwA) und verwies auf die Begründung im ablehnenden Rentenbescheid vom 25.03.2015 (Bl. 834 VwA) in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.10.2015 (Bl. 970 VwA), wo sie in der Begründung ausgeführt hatte, dass der (folgenlos) verheilte Bruch des Fersenbeins bei der MdE zu berücksichtigten sei (weniger als 20 v.H.), nicht aber die sonstigen Gesundheitsstörungen, u.a. die depressive Störung, weil diese unabhängig vom Arbeitsunfall vorlägen.

Gegen die Ablehnung der begehrten Heilbehandlung hat der Kläger am 07.03.2016 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Nach Beiziehung der Gutachten des Prof. Dr. S. und Dr. B. aus dem Verfahren S 13 U 3219/15 hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11.01.2019 und der Begründung abgewiesen, eine depressive Erkrankung sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folge des Arbeitsunfalls.

Am 13.02.2019 hat der Kläger gegen den ihm am 17.01.2019 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung eingelegt und ausgeführt, dass er sich gegen Simulations- und Aggravationsvorwürfe verwahre. Es genüge überdies wesentliche Mitursächlichkeit, was das SG nicht beachtet habe.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 11.01.2019 sowie den Bescheid vom 06.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen die Heilbehandlung wegen der depressiven Störung fortzuführen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren und den Inhalt der Verwaltungsakten.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die vorgelegten Verwaltungsakten sowie die Verfahrensakten der weiteren Gerichtsverfahren verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des SGG zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 06.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.02.2016 mit dem die Beklagte die Gewährung von psychiatrischer Heilbehandlung wegen einer depressiven Störung ablehnte. Zwar verfügte die Beklagte gegenüber dem Kläger nicht ausdrücklich die Ablehnung der Heilbehandlung. Allerdings übersandte sie mit ihrem Schreiben vom 06.07.2015 ausdrücklich das an Dr. B. am 02.07.2015 adressierte Schreiben, in dem sie diesem mitteilte, dass beim Kläger keine psychischen Unfallfolgen anlässlich des Arbeitsunfalls vom 12.10.2012 entstanden seien und er demzufolge die weitere Behandlung nicht zu ihren Lasten durchführen solle. Damit brachte die Beklagte auch gegenüber dem Kläger unmissverständlich zum Ausdruck, dass sie keine Heilbehandlung wegen psychischer Störungen erbringen werde. Das Schreiben vom 06.07.2015 stellt somit einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) dar (vgl. BSG, Urteil vom 26.02.2014, B 2 U 17/13 R), was von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2016 bestätigt worden ist (zur Gestaltungswirkung des Widerspruchsbescheides vgl. Urteil des Senats vom 22.01.2015, L 10 U 739/13, in juris).

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf die begehrte Heilbehandlung

Zwar ist die generelle Zuständigkeit der Beklagten als Leistungserbringer gegenüber dem Kläger gegeben. Denn der Kläger erlitt am 12.10.2012, als er frühmorgens auf dem Weg zu seinem Kfz, mit dem er zu seiner Arbeitsstelle fahren wollte, auf dem Gehweg stolperte und sich eine Fersenbeinfraktur zuzog, einen versicherten Wegeunfall im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Grundsätzlich hat der Kläger somit nach § 26 Abs. 1 SGB VII u.a. Anspruch auf Heilbehandlung, die nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII auch ärztliche Behandlung umfasst.

Der Kläger kann die beantragte Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Heilbehandlung für seine psychischen Störungen durch Dr. B. aber schon deshalb nicht verlangen, weil ihm diese Heilbehandlung zuteil geworden ist.

Auch nach Erlass der streitbefangenen Bescheide und Ablehnung dieser Heilbehandlung hat der Kläger in psychiatrischer Behandlung u.a. durch Dr. B. gestanden. Dies ergibt sich aus dessen sachverständiger Zeugenauskunft vom 19.07.2016 gegenüber dem SG im Verfahren S 2 U 3219/18 (dort Bl. 88: zuletzt am 19.07.2016 den Kläger untersucht; Angaben des Klägers gegenüber Dr. B. im Juli 2018, Bl. 358 SG-Akte S 2 U 3219/18: er habe Termine beim Nervenarzt), wobei der Kläger selbst insoweit mit keinen Kosten belastet gewesen ist (Angaben des Klägers gegenüber Prof. Dr. S. , S. 21 seines Gutachtens = Bl. 283 SG-Akte S 2 U 3219/18), diese Behandlung also durch die Krankenkasse erbracht worden ist. Daneben hat der Kläger - ebenfalls ohne Kostenbelastung (a.a.O.) - auch in Behandlung durch Dr. H. gestanden (s. dessen sachverständige Zeugenaussage vom 07.06.2016, Bl. 55 SG-Akte S 2 U 3219/18: zuletzt am 04.04.2016 den Kläger behandelt; Angaben des Klägers gegenüber Dr. B. im Juli 2018, Bl. 358 SG-Akte S 2 U 3219/18: er habe Termine beim Psychiater H. ). Damit wurde dem Kläger von seiner Krankenkasse die gewünschte Heilbehandlung erbracht.

Sollte es sich bei diesen psychischen Störungen um Folgen des in Rede stehenden Arbeitsunfalls gehandelt haben, hätte die Krankenkasse nach § 105 Abs. 1 SGB X gegen die Beklagte einen Erstattungsanspruch, weil für die Heilbehandlung von Unfallfolgen die Beklagte der zuständige Leistungsträger (§§ 26, 27 SGB VII) ist und gegen die Krankenkasse kein Anspruch besteht (§ 11 Abs. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch). In diesem Fall gilt der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte nach der ausdrücklichen Regelung des § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt. Wenn aber der Anspruch auf Heilbehandlung - sollte er gegen die Beklagte bestehen - durch die gewährte Sachleistung der Krankenkasse als erfüllt gilt, steht dies einer Verurteilung der Beklagten entgegen. Denn durch die Deckung des Behandlungsbedarfs des Klägers durch die Krankenkasse, erlischt auch eine ggf. bestehende identische Verpflichtung eines weiteren Leistungsträgers (hier möglicherweise der Beklagten), denn der tatsächliche Bedarf besteht nicht mehr (BSG, Urteil vom 11.09.2018, B 1 KR 7/18 R).

Im Übrigen hat der Senat im Verfahren des Klägers L 10 U 4081/18 (Streitgegenstand: Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung von Verletztenrente wegen des in Rede stehenden Wegeunfalles) mit Beschluss vom 10.09.2019 entschieden, dass - sofern psychische Störungen beim Kläger vorliegen sollten - diese nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sind. Auf diese Ausführungen im zwischen den Beteiligten ergangenen Beschluss (Abdruck Bl. 16 ff. der Senatsakte des vorliegenden Rechtsstreits) nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen in vollem Umfang Bezug. In Ermangelung psychischer Unfallfolgen besteht somit von vornherein kein Anspruch auf Gewährung von Heilbehandlung für psychische Störungen durch die Beklagte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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