L 10 U 2953/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 3953/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 2953/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 20.06.2017 aufgehoben.

Der Bescheid vom 02.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2016 wird aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, das Ereignis vom 26.07.2016 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls.

Der am 1966 geborene Kläger ist als Industrieelektroniker bei der A. AG - einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten - beschäftigt und stemmte sich am 26.07.2016 gegen 10 Uhr mit dem rechten Fuß gegen eine Halterung am Boden, um im Rahmen einer Störungsbeseitigung ein Regalbediengerät (auf einem Regal auf Stahlrollen, mit einem Gewicht von 16,9 t) zur Seite zu schieben (Unfallanzeige, Bl. 39 VA; Dokumentation, Bl. 21 ff. LSG-Akte). Nach seinen Angaben im D-Arztbericht (Bl. 13 VA) verspürte er danach einen einschießenden Schmerz im rechten Unterschenkel, beendete die Arbeit und begab sich in ärztliche Behandlung (Befund: Kniegelenk und oberes Sprunggelenk frei beweglich, kein Erguss, "kein Hinweis auf Meniskus", OSG-Band stabil, Druckschmerz medialer Gastrocnemius, Wade weich, Thompsontest im Seitenvergleich rechts abgeschwächt; Sono-Ergebnis: Flüssigkeitssaum rechte Achillessehne und mittleres Wadendrittel; Diagnose: Verdacht auf Achillessehnenruptur rechts).

In der Magnetresonanztomografie (MRT) am 29.07.2016 zeigten sich eine schräg verlaufende komplette Ruptur der Achillessehne am muskulotendinösen Übergang, eine marginale Retraktion der Achillessehne, eine deutliche Tendinose und Tendinitis sowie eine leichte Insertionstendopathie (Bericht der Radiologie F. , Bl. 8 VA). Auf Grund der Diagnose einer proximalen Achillessehnenruptur rechts erfolgte die operative Versorgung durch eine minimal-invasive Achillessehnennaht rechts am 09.08.2016 (Entlassungsbericht der V. -Klinik, Bl. 15 ff. VA).

Auf Anfrage der Beklagten führte der Facharzt für Orthopädie, Unfall- und Allgemeinchirurgie Dr. F. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme (Bl. 31 VA) aus, dass das angeschuldigte Ereignis nicht die Kriterien eines Unfalls erfülle. Im MRT hätten sich neben einer Ansatztendinitis auch deutliche Zeichen einer chronischen Tendinose und Tendinitis der Achillessehne gezeigt. Man dürfe also davon ausgehen, dass die deutlich vorentzündete Sehne durch das (alltägliche) Schieben gerissen sei. Es handele sich um eine Gelegenheitsursache.

Mit Bescheid vom 02.09.2016 (Bl. 41 f. VA) lehnte die Beklagte sinngemäß die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab und führte aus, dass das Ereignis vom 26.07.2016 nach Art und Schwere nicht geeignet gewesen sei, den diagnostizierten Gesundheitserstschaden der Achillessehnenruptur rechts rechtlich wesentlich hervorzurufen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2016 (Bl. 81 ff. VA) wies die Beklagte den dagegen erhobenen Widerspruch zurück und ergänzte, dass es sich nicht um ein von außen einwirkendes, plötzliches Ereignis gehandelt habe, sondern um einen willentlich gesteuerten Vorgang einer Kraftentfaltung zur Bewegung eines Gegenstandes, was den Tatbestand eines Unfalls nicht erfülle.

Die dagegen am 15.12.2016 zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobene Klage hat das SG mit Urteil vom 20.06.2017 abgeW. n. Nach dem in der mündlichen Verhandlung geschilderten Ablauf, wonach der Kläger ein defektes, mehrere Tonnen schweres Gerät auf Stahlrollen habe verschieben wollen und sich dazu beim Verschieben mit dem Fuß schräg abgestützt habe, liege ein von ihm kontrollierter Ablauf vor, auf den er sich voll habe konzentrieren können, sodass keine plötzliche, ungewollte Einwirkung von außen aufgetreten und mithin ein Unfall nicht gegeben sei.

Gegen das seinen Bevollmächtigten am 03.07.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27.07.2017 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Die Einwirkung von außen sei in der Widerstandskraft des Geräts zu sehen, das der Kläger habe verschieben wollen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 20.06.2017 und den Bescheid vom 02.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2016 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, das Ereignis vom 26.07.2016 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend. Auch unter der Annahme, beim Verschieben eines schweren Gegenstandes handele es sich um eine Einwirkung von außen, fehle es bereits an der physiologisch-naturwissenschaftlichen Kausalität, weil bei dem geschilderten Hergang ein physiologischer und gewollter motorischer Ablauf vorliege. Außerdem habe das MRT vom 29.07.2016 neben einer Ansatztendinitis bereits deutliche Zeichen einer chronischen Tendinose und Tendinitis der Achillessehne gezeigt, was eine Vorschädigung sei, die als weitere (nicht alleinige) Ursache zu berücksichtigen sei.

Der Senat hat u.a. den Operationsbericht der V. -Klinik vom 09.08.2016 beigezogen (Bl. 19 LSG-Akte) und den Hausarzt des Klägers, den Allgemeinmediziner Dr. W. , schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat angegeben (Bl. 35 LSG-Akte), dass sich der Kläger, der sich bei ihm seit Juli 1993 in Behandlung befinde, vor dem 26.07.2016 nie wegen Achillessehnenbeschwerden vorgestellt habe.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet.

Das SG hätte die Klage nicht abweisen dürfen. Denn der Bescheid vom 02.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil die Beklagte zu Unrecht entschied, dass das Ereignis vom 26.07.2016 kein Arbeitsunfall war.

Die hier vorliegende kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, gerichtet auf Anerkennung des Ereignisses vom 26.07.2016 als Arbeitsunfall, ist zulässig. Mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG begehrt der Kläger die Aufhebung der die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnenden Entscheidungen und die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung des Ereignisses vom 26.07.2016 als Arbeitsunfall. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann der Versicherte an Stelle gerichtlicher Feststellung (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, vgl. hierzu u.a. BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 46/03 R, zitiert - wie alle nachfolgenden höchstrichterlichen Entscheidungen - nach juris) auch die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls als Element eines jeglichen Leistungsanspruchs im Wege der Verpflichtungsklage verlangen (BSG, Urteil vom 05.07.2011, B 2 U 17/10 R mit weiteren Ausführungen zur Anspruchsgrundlage; speziell zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls BSG, Urteil vom 15.05.2012, B 2 U 8/11 R).

Diese Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist auch begründet. Denn die Beklagte lehnte das Vorliegen eines Arbeitsunfalls zu Unrecht ab. Das Ereignis vom 26.07.2016 war ein Unfall und, weil es in Ausübung einer versicherten Verrichtung eintrat, ein Arbeitsunfall, der von der Beklagten entsprechend dem Begehren des Klägers und der o.g. Rechtsprechung als solcher anzuerkennen ist (vgl. zum Ganzen bereits Urteil des Senats vom 23.04.2015, L 10 U 5600/15, in juris, "Werkstattuhr").

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3, 6 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII (zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt) ist danach in der Regel erforderlich (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R), dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen auf Grund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente.

Die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung müssen erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R auch zum Nachfolgenden). Diese liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Es genügt nicht, wenn der Ursachenzusammenhang nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Dabei ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Denn es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Es reicht daher zur Begründung des ursächlichen Zusammenhangs nicht aus, gegen diesen Zusammenhang sprechende Umstände auszuschließen.

Hier stand der Kläger am 26.07.2016 während der Störungsbeseitigung als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, weil diese Arbeit der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist.

Bei dieser versicherten Tätigkeit kam es zu einem von außen auf den Körper des Klägers, nämlich den rechten Unterschenkel, einwirkenden Ereignis. Für das von außen auf den Körper einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignis ist kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich. Alltägliche Vorgänge wie Stolpern usw. genügen. Es dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden auf Grund von inneren Ursachen, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R). Zwar ist dem Unfallbegriff die Unfreiwilligkeit der Einwirkung bei dem, den das Geschehen betrifft, immanent, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspricht. Hiervon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten Einwirkung (vgl. z.B. den Sägewerker, der - insoweit durchaus willentlich - nicht nur ein Stück Holz absägt, sondern auch - unbeabsichtigt - seinen Daumen). Dem entsprechend schließt der Umstand, dass der Kläger - seiner vorgefassten Absicht entsprechend - das Regalbediengerät verschieben wollte und sich dazu mit dem rechten Fuß schräg abstützte, also Bewegungen im Rahmen eines willentlich gesteuerten Bewegungsablaufs ausführte, die Annahme eines Unfalls nicht aus. Wie im vom BSG im o.g. Urteil entschiedenen Fall (Anheben eines Steines) kam es, als der Kläger den Schiebevorgang ausführte, zu einer äußeren Krafteinwirkung, weil der Kläger gegen das Gewicht des Regalbediengeräts (16,9 t) arbeiten musste. In dieser (unsichtbaren) Kraft, die die Schwere des Geräts dem Kläger entgegensetzte (Drittes Newtonsche Gesetz über die gleiche Größe der Gegenwirkung, s. BSG, a.a.O.), liegt die äußere Einwirkung (BSG, a.a.O.). Das beabsichtigte Verschieben eines Gegenstandes und die damit einhergehende Kraftanstrengung auf Grund der mit ihr verbundenen Gegenkräfte stellt somit nach der Rechtsprechung des BSG eine zeitlich begrenzte, äußere Einwirkung auf den Körper dar.

Als durch diese Einwirkung verursachter Gesundheitserstschaden (Primärschädigung) kommt die zeitnah objektivierte Ruptur der Achillessehne in Betracht. Damit kommt es für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls maßgeblich darauf an, ob die Ruptur der Achillessehne in ursächlichem Zusammenhang mit dem Schiebevorgang stand. Dies bejaht der Senat.

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Andernfalls ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob neben der versicherten Ursache weitere Ursachen im naturwissenschaftlichen Sinn (erste Stufe) zum Gesundheitsschaden beitrugen. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine überwiegende oder auch nur gleichwertige Bedeutung der versicherten gegenüber der konkurrierenden Ursache ist damit für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht Voraussetzung.

Hier bestehen keinerlei Zweifel daran, dass es ohne die Kraftanstrengungen bei dem Schiebevorgang nicht zur Ruptur der Achillessehne gekommen wäre. Der Umstand, dass der Kläger im Zusammenhang mit dem Schiebevorgang einen einschießenden Schmerz im rechten Unterschenkel verspürte, der unmittelbar danach vom D-Arzt erhobene Befund eines im Seitenvergleich rechts abgeschwächten Thompsontests sowie sonografisch ein Flüssigkeitssaum an der rechten Achillessehne und im mittleren Wadendrittel und die bereits drei Tage später kernspintomografisch gestellte Diagnose einer schräg verlaufenden kompletten Ruptur der Achillessehne am muskulotendinösen Übergang lassen hieran keinen Zweifel.

Entgegen der Auffassung der Beklagten war der Schiebevorgang für die Ruptur der Achillessehne auch wesentlich.

Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, auch zum gesamten Nachfolgenden). Sozialrechtlich ist allein relevant, ob (auch) das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. Wesentlich ist nicht gleichzusetzen mit gleichwertig oder annähernd gleichwertig. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange keine andere Ursache überragende Bedeutung hat. Ist jedoch eine Ursache gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist nur die erstgenannte Ursache wesentlich und damit Ursache im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als wesentlich anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als Gelegenheitsursache oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen Krankheitsanlage (egal, ob bislang stumm oder als Vorschaden manifest) zu vergleichen und abzuwägen ist (Problem der inneren Ursache), ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" (im Falle eines Vorschadens weiterer) akuter Erscheinungen aus ihr durch das Unfallereignis nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Gleiches gilt selbstverständlich, wenn die Erscheinung zu derselben Zeit ohne jede äußere Einwirkung aufgetreten wäre (siehe BSG, Urteil vom 02.02.1999, B 2 U 6/98 R). Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen.

Für die Prüfung auf dieser zweiten Stufe der Kausalitätsprüfung ist zunächst zu klären (vgl. BSG, Urteil vom 15.05.2012, B 2 U 31/11 R), ob es - neben der versicherten Tätigkeit - noch andere Ursachen im naturwissenschaftlichen Sinne für den Eintritt des Primärschadens gibt (z.B. Vorerkrankungen, Anlagen, nicht versicherte Betätigungen oder Verhaltensweisen). Erst wenn sowohl die versicherte Einwirkung als auch andere Umstände als Ursachen des Gesundheitsschadens feststehen, ist auf der zweiten Prüfungsstufe rechtlich wertend zu entscheiden, welche der positiv festzustellenden Ursachen für die Gesundheitsstörung die rechtlich "wesentliche" ist.

Als weitere Ursache für die Ruptur der Achillessehne kommt zur Überzeugung des Senats neben der versicherten Tätigkeit allein eine Vorschädigung der Achillessehne und damit eine innere Ursache in Betracht, worauf sich die Beklagte auch berufen hat. Andere, weitere Ursachen sind nicht erkennbar.

Die innere Ursache muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, die bloße Möglichkeit einer inneren Ursache genügt nicht (BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 34/03 R). Dies gilt auch für das Ausmaß der inneren Ursache (BSG, Urteil vom 06.12.1989, 2 RU 7/89). Ist eine erhebliche Vorschädigung der durch den Unfall betroffenen Körperstelle, die eine Schädigung durch ein alltägliches Ereignis ermöglicht hätte oder ohne äußere Einwirkung zu der in Rede stehenden strukturellen Schädigung geführt hätte, nicht nachgewiesen, geht dies nach dem im Sozialrecht geltenden, oben dargelegten Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Beklagten (BSG, Urteil vom 30.01.2007, B 2 U 23/05 R).

Auf Grund der Auskunft von Dr. W. , bei dem der Kläger seit 1993 in hausärztlicher Behandlung ist, steht fest, dass vor dem Ereignis vom 26.07.2016 keine Behandlungen in Bezug auf Beschwerden oder gar Funktionseinschränkungen hinsichtlich der rechten Achillessehne erfolgten. Als Beleg für eine strukturelle Vorschädigung der rechten Achillessehne im Sinne einer Schadensanlage kommt somit allein das MRT-Ergebnis vom 29.07.2016 in Betracht, worin sich neben der schräg verlaufenden kompletten Ruptur der Achillessehne am muskulotendinösen Übergang und einer marginalen Retraktion der Achillessehne eine deutliche Tendinose und Tendinitis sowie eine leichte Insertionstendopathie zeigten (Bl. 8 VA). Dies bewertete Dr. F. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme für die Beklagte so, dass sich neben einer Ansatztendinitis auch deutliche Zeichen einer chronischen Tendinose und Tendinitis der Achillessehne gezeigt hätten (Bl. 31 VA). Die kurzen Ausführungen von Dr. Falck, die über diese bloße Feststellung hinaus keinerlei Begründung enthalten, lassen jegliche Ausführung zum konkreten Ausmaß dieser angeblichen Vorschädigung - zu der keinerlei Vorbehandlung stattfand - vermissen. Nachdem auch der vom Senat noch beigezogene Operationsbericht über die Achillessehnennaht vom 09.08.2016 keine weiteren Beobachtungen hinsichtlich Art und Ausmaß etwaiger vorbestehender Gewebeschädigungen enthält und eine histologische Untersuchung danach nicht eingeleitet worden ist, liegen keine hinreichenden Beweismittel vor, die den Senat von einer erheblichen Vorschädigung der rechten Achillessehne überzeugen. Dies geht, wie dargestellt, zu Lasten der Beklagten.

Selbst wenn man jedoch davon ausginge, dass eine Vorschädigung des Sehnengewebes im naturwissenschaftlichen Sinn eine unversicherte (Mit )Ursache beim Entstehen der Ruptur der Achillessehne am 26.07.2016 war, wäre dennoch im Rahmen der Kausalitätsprüfung auf der zweiten Stufe festzustellen, dass trotz dieser unfallunabhängigen Ursache die versicherte Ursache - der Schiebevorgang - wesentlich war.

Bei der Prüfung der Wesentlichkeit - und damit auch bei der im Rahmen dieser Prüfung zu beantwortenden Frage, ob ein alltägliches Ereignis die in Rede stehende Schädigung ebenfalls herbeigeführt hätte (s.o.) - ist eine wertende Entscheidung zu treffen (BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R und Urteil vom 31.07.1985, 2 RU 74/84), mit der zugleich die Reichweite des Unfallversicherungsschutzes bestimmt wird (BSG, a.a.O.). Eben weil mit der Frage nach dem alltäglichen Ereignis die beschriebene Wertung verbunden ist, kann diese Frage nicht nach Vorkommen oder Häufigkeit bestimmter Ereignisse im alltäglichen Leben beantwortet werden. Es kommt daher nicht darauf an, inwieweit ein Versicherter altersentsprechend üblicherweise mit einer gewissen Regelmäßigkeit Geschehensabläufe bewältigt. Denn die gesetzliche Unfallversicherung schützt den Versicherten in dem Zustand, in dem er den Versicherungstatbestand erfüllt, also einschließlich vorhandener Krankheitsanlagen (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O.; Urteil vom 05.09.2006, B 2 U 25/05 R, in SozR 4-2700 § 56 Nr. 2). Es gibt keine Risikoausschlüsse. Es wäre daher unangemessen, auch schwerste, schwere und mittelschwere Belastungen als alltägliche Ereignisse im o.g. Sinne (und damit mit der Folge eines Ausschlusses der Haftung der Unfallversicherungsträger) zu erachten, nur weil sie - allgemein im Erwerbsleben oder im Beruf des Versicherten - jeden Tag vorkommen, ohne bei Gesunden zu Schädigungen zu führen. Nichts anderes gilt für den Aspekt eines für den Kläger betriebsüblichen Vorganges. Andernfalls würden selbst schwerste betriebliche Belastungen, nur weil üblicherweise oder jedenfalls immer wieder vom Versicherten zu bewältigen, vom Versicherungsschutz ausgenommen und die Grenze des Unfallversicherungsschutzes würde für jeden Versicherten entsprechend der von ihm abverlangten betrieblichen Belastungen und damit unterschiedlich gezogen. Die Reichweite des Unfallversicherungsschutzes muss aber für alle Versicherten gleich sein (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes). Entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob ein alltägliches Ereignis die in Rede stehende Schädigung ebenfalls herbeigeführt hätte (oder die Schädigung auch ohne Einwirkung zu derselben Zeit aufgetreten wäre), ist somit die Schwere der Erkrankung unmittelbar vor dem Ereignis und die verbliebene individuelle Belastbarkeit (BSG, Urteil vom 04.12.1991, 2 RU 14/91 und Urteil vom 18.03.1997, 2 RU 8/96).

Vor diesem Hintergrund ist zunächst festzustellen, dass das Ereignis vom 26.07.2016 selbst kein alltägliches Ereignis im oben genannten Sinn darstellt. Denn das Verschieben eines Geräts auf Stahlrollen, das nach den vorgelegten technischen Daten ein Eigengewicht von 16,9 t hat, ist unter keinem der dargestellten Blickwinkel alltäglich. Die darüber hinausgehende Prüfung und Beurteilung setzt die Feststellung nicht nur der Tatsache einer vorbestehenden Schädigung, sondern - wie bereits ausgeführt - auch die Feststellung ihres Ausmaßes voraus, weil nur so deren Schwere abgeschätzt und die verbliebene Belastbarkeit beurteilt werden kann. Eine derartige Quantifizierung einer etwaigen strukturellen Vorschädigung der Achillessehne des Klägers ist aber, wie dargelegt, nicht möglich, was, wie ebenfalls bereits dargelegt, zu Lasten der Beklagten geht. Die - gerade nicht näher belegten - Ausführungen von Dr. F. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme für die Beklagte, dass man davon ausgehen dürfe, dass die "deutlich vorentzündete" Sehne durch das (alltägliche) Schieben gerissen sei und es sich um eine Gelegenheitsursache handele (Bl. 31 VA), sind somit zum einen schlicht falsch - der Schiebevorgang war wie ausgeführt keineswegs alltäglich - sowie spekulativ, da hinsichtlich Art und Ausmaß der angenommenen Vorschädigung durch keinerlei Fakten untermauert, und zum anderen bestätigen sie gerade im Gegenteil, dass die Sehne jedenfalls durch das Schieben gerissen ist.

Somit steht fest, dass der versicherte Schiebevorgang wahrscheinlich zu dem Riss der Achillessehne im naturwissenschaftlichen Sinn führte. Dabei kann schon mangels Nachweises eines erheblichen strukturellen Vorschadens der Achillessehne, jedenfalls aber mangels erkennbaren Ausmaßes einer etwaigen vorbestehenden verminderten Belastbarkeit nicht davon ausgegangen werden, dass Letzterer eine überragende Bedeutung im Verhältnis zum versicherten Schiebevorgang zukommt.

Die von der Beklagten angeführte Literatur (insbes. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 420 ff.) beachtet die dargelegten rechtlichen Vorgaben nicht, sondern vermischt Kriterien des naturwissenschaftlichen Zusammenhangs mit Fragen der Wesentlichkeit. Insbesondere die Annahme, Schieben und Entgegenstemmen könne die Sehne nicht gefährden (a.a.O., S. 423), ist durch den vorliegend festgestellten Unfallverlauf widerlegt. Soweit die Beklagte ausführt, kontrollierte Bewegungen könnten altersentsprechende Sehnen nicht zerreißen, gilt Gleiches.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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