L 5 KA 3180/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 KA 5439/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KA 3180/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Landessozialgericht Baden-Württemberg

L 5 KA 3180/17

S 20 KA 5439/14

Im Namen des Volkes Urteil

Der 5. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 20.11.2019 für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.06.2017 abgeändert und der korrigierte Bescheid der Beklagten vom 12.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.09.2014 mit der Maßgabe aufgehoben, dass die Beklagte über die Höhe des Rückforderungsbetrags wegen sachlich-rechnerischer Berichtigung der Honorarbescheide für die Quartale III/2008 bis IV/2012 aufgrund Nichteinlesens der Krankenversichertenkarte in Vertretungsfällen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden hat. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beteiligten tragen jeweils zur Hälfte die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Widerspruchsverfahrens, welche die Beklagte zu tragen hat. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird endgültig auf 225.685,37 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist die sachlich-rechnerische Richtigstellung der vertragsärztlichen Abrechnungen der Klägerin für die Quartale III/2008 bis IV/2012.

Die Klägerin ist als Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und betreibt in H. eine Einzelpraxis.

Bereits für die Quartale IV/2005 bis IV/2007 hatte die Beklagte eine Plausibilitätsprüfung durchgeführt und die Abrechnungen mit (bestandskräftigem) Bescheid vom 16.06.2010 hinsichtlich einzelner (vorliegend nicht streitiger) Gebührenordnungspositionen (GOP) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM) berichtigt. Im Rahmen dieser Prüfung wurde die Klägerin bei einem Gespräch am 06.07.2009 von der Beklagten auf die Reglungen des Bundesmantelvertrags für Ärzte (BMV-Ä) zum Einlesen der Krankenversichertenkarte hingewiesen, weil in zahlreichen Behandlungsfällen aufgefallen war, dass das Einlesedatum nicht bei den ersten Kontakten, sondern erst später im Quartal gelegen hatte.

Mit Schreiben vom 15.05.2012 informierte die Beklagte die Klägerin über die Durchführung einer Plausibilitätsprüfung für das Quartal IV/2011 und forderte Behandlungsunterlagen für 55 im einzelnen benannte Behandlungsfälle für die zurückliegenden zwei Kalenderjahre ab I/2010 an, die am 12.07.2012 bei der Beklagten eingingen.

Mit Bescheid vom 12.06.2013 hob die Beklagte die Honorarbescheide der Quartale III/2008 bis IV/2012 auf, setzte das Honorar neu fest und forderte Honorar in Höhe von insgesamt (zunächst) 571.309,08 EUR zurück. Sie entnahm sämtliche Vertretungsfälle, bei denen die Krankenversichertenkarte nicht eingelesen wurde. Die Korrektur erfolgte mit dem jeweiligen Fallwert des entsprechenden Quartals.

Zur Begründung gab die Beklagte an, eine Plausibilitätsprüfung, die zur Überprüfung der bereits mit Bescheid vom 16.06.2010 beanstandeten Sachverhalte durchgeführt worden sei, habe folgende Auffälligkeiten ergeben: Abrechnung der GOP 01850 EBM (Beratung wegen Sterilisation) bei Patientinnen unter 30 Jahren, weit überdurchschnittlicher Ansatz der GOP 01100 und 01102 EBM (unvorhergesehene Inanspruchnahme und Inanspruchnahme an Samstagen), die Abrechnung von GOP 01820 EBM (Rezepte, Überweisungen, Befundübermittlung) am selben Tag unter Angabe verschiedener Uhrzeiten, überdurchschnittlich hohe Fallzahlen, die sich insbesondere aus einer extrem hohen Anzahl von Krankheits-/Vertreterscheinen ergebe und häufiges Fehlen des Einlesedatums der Krankenversichertenkarte. Die Durchsicht der von der Klägerin vorgelegten Behandlungsunterlagen und Prüfung der Abrechnungen habe ergeben, dass ab dem Quartal III/2009 auffallend viele Vertretungsfälle zu finden seien. Die Anzahl sei kontinuierlich angestiegen, bis zu einem Spitzenwert von 818 Fällen (= 42% der Gesamtfallzahl) im Quartal IV/2012. Bei einer Vielzahl der Behandlungsfälle sei lediglich eine telefonische Beratung durchgeführt worden. Die Kontakte erstreckten sich zum großen Teil über mehrere Quartale, teilweise sogar über Jahre. Es sei in diesen Fällen nie zu einem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt gekommen. Des Weiteren fehlten in durchschnittlich fast 50% der Behandlungsfälle die Einlesedaten (ELD) der Krankenversichertenkarte. Die Auswertung habe Folgendes ergeben:

Ein Vertretungsarzt sei verpflichtet, den Hausarzt oder einen weiterbehandelnden Arzt jedes Patienten, den er im Vertretungsfall versorgt habe, über seine ärztliche Behandlung durch Übersendung oder Mitgabe der Zweitschrift des von ihm auszustellenden Muster 19 zu informieren. In keiner der vorgelegten Dokumentationen habe sich die Ausfertigung des Musters 19c/E für den vertretenden Arzt befunden. Zwar seien Angaben über die weiterbehandelnden Ärzte zu finden. Nach stichprobenhafter Überprüfung der Urlaubsmeldungen einiger von der Klägerin benannten Kollegen sei sie aber in keiner dieser Meldungen als Vertretung aufgeführt bzw. hätten die von ihr in der Abrechnung aufgeführten Kollegen in diesem Zeitraum ihre Praxen nicht geschlossen. Die Patientinnen, die über längere Zeiträume lediglich telefonischen Kontakt mit der Klägerin gehabt hätten, seien nie persönlich in der Praxis erschienen, obwohl auf Grund der Diagnoseangaben eine unmittelbare persönliche Untersuchung nahegelegen hätte. Beispielhaft seien nachstehende Erkrankungen von der Klägerin fernmündlich diagnostiziert worden: Bakterielle Infektion, Kandidose, fester Hymenalring, ovarielle Dysfunktion, Uterusprolaps usw. In mehreren Fällen sei lediglich ein telefonischer Kontakt mit Familienangehörigen dokumentiert worden. Ebenso seien telefonisch Therapieempfehlungen ausgesprochen worden, teilweise auch Rezepte erstellt, die dann laut Dokumentation wiederum nicht abgeholt worden seien. Die Empfehlung einen Termin zu vereinbaren, sei von den Patientinnen ebenfalls nicht wahrgenommen worden, stattdessen seien auch hier weitere ausschließlich telefonische Beratungen in den Folgequartalen erfolgt. Bei einem stichprobenartigen Abgleich der Diagnoseangaben mit denen der behandelnden Gynäkologen hätten sich z.T. erhebliche Abweichungen gezeigt. So sei z.B. im Behandlungsfall T., S., eine telefonische Überwachung bei medikamentöser Kontrazeption am 11.11.2011 erfolgt, während laut Abrechnung des behandelnden Gynäkologen am 04.10.2011 eine Gravidität bis mindestens 19.12.2011 dokumentiert gewesen sei. Im Behandlungsfall St., J., sei beispielsweise eine telefonische Überwachung bei medikamentöser Kontrazeption durch die Klägerin am 06.10.2011 erfolgt, während der behandelnde Gynäkologe ebenfalls am 06.10.11 eine Krebsvorsorgeuntersuchung sowie eine Beratung im Rahmen der Empfängnisregelung zur Abrechnung gebracht habe. Diskrepanzen im Zusammenhang mit den gestellten Diagnosen der Klägerin sowie den Diagnoseangaben der behandelnden Gynäkologen fänden sich insbesondere in den Fällen, in denen lediglich eine telefonische Betreuung erfolgt sei. Allerdings hätten sich selbst in Behandlungsfällen, die laut abgerechneten Leistungen bei der Klägerin mehrfach zur ambulanten Behandlung vorstellig gewesen seien, unterschiedliche Diagnoseangaben gefunden. Zum Beispiel: Behandlungsfall D., Y.: Behandlung vom 10.10.11 bis 15.10.11 Überwachung medikamentöse Kontrazeption etc. (keine Angabe zu einer bestehenden Gravidität); laut behandelndem Gynäkologen ambulant vom 10.10.11 bis 29.12.11 (laufende Mutterschaftsvorsorge, Entbindungstermin 18.04.12).

Aufgrund der Feststellungen bei der Überprüfung der Abrechnungen unter Einbeziehung der vorgelegten Patientendokumentationen gehe sie, die Beklagte, davon aus, dass die Klägerin vorsätzlich Behandlungsfälle durch das Ausstellen von Urlaubs- bzw. Krankheitsvertretungsscheinen generiert habe, die Patienten/innen also in keiner Weise mit ihr in Kontakt getreten seien. Sie sehe deshalb ihre abgegebenen Sammelabrechnungserklärungen als entkräftet an. In den Quartalen III/2008 bis IV/2012 seien Fälle und Leistungen zunächst entgegen den Vorgaben in den §§ 13, 19 BMV-Ä/ §§ 7, 23 EKV-Ä i. V. m. Anlage 4 und 4a BMV-Ä / EKV-Ä abgerechnet worden. Danach sei der Arzt grundsätzlich verpflichtet, die Daten der Krankenversichertenkarte auf alle relevanten Vordrucke maschinell unter Verwendung eines zertifizierten Lese- und Druckgerätes zu übertragen. Dies gelte auch für Patienten, die den Arzt ausschließlich telefonisch in Anspruch nehmen. Diese müssten aufgefordert werden, die Krankenversichertenkarte in der Praxis zum Einlesen vorbeizubringen oder bringen zu lassen. Komme der Patient dieser Aufforderung nicht nach, sei die telefonische Konsultation privat liquidierbar. Hinzu komme, dass in den zu korrigierenden Quartalen auch eine telefonische Inanspruchnahme die Zahlung der Praxisgebühr ausgelöst habe. Auch bei einer telefonischen Konsultation hätte der Versicherte hierzu aufgefordert werden müssen. Die Patientinnen, die über längere Zeiträume lediglich telefonischen Kontakt mit der Klägerin hatten, seien nie persönlich in der Praxis erschienen, obwohl auf Grund der oben dargestellten Diagnoseangaben ein unmittelbarer Arzt-Patienten-Kontakt unabdingbar gewesen wäre. Eine Leistung oder ein Leistungsmerkmal sei nur berechnungsfähig, wenn der Leistungsinhalt vollständig erbracht worden sei. Ihre, der Beklagten, Berechtigung die Honorare neu festzusetzen ergebe sich aus der Tatsache, dass in einer Vielzahl der eingereichten Behandlungsfälle, hier insbesondere im Zusammenhang mit Vertretungsfällen, die Krankenversichertenkarte nicht eingelesen worden sei. Aufgrund der strikten Verpflichtung zur Einlesung könne hier davon ausgegangen werden, dass die Klägerin die Angaben vorsätzlich bzw. zumindest aber grob fahrlässig gemacht habe. Der Berechnung des Korrekturbetrags sei das Ergebnis der Überprüfung der Quartale III/2008 bis IV/2012 zugrunde gelegt worden, insbes. unter Berücksichtigung der auffallend vielen Behandlungsfälle, die nach Angaben der Klägerin im Vertretungsfall erbracht worden sein sollen und in denen kein Einlesedatum angegeben gewesen sei. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass diese Fälle nicht korrekt abgerechnet worden seien. Sie, die Beklagte, habe daher beschlossen, im Rahmen ihrer Befugnis, ggf. pauschal zu berichtigen, zumindest diese Fälle zu korrigieren. Auf eine Befragung der Patientinnen sei zunächst verzichtet worden. Der Klägerin stünde jedoch der Nachweis der Korrektheit der Fälle offen. Im Einzelnen ergebe sich der Korrekturbetrag wie folgt:

Mit Schreiben vom 11.09.2013 berichtigte die Beklagte den Bescheid vom 12.06.2013 wegen eines Rechenfehlers. Sie fügte dem Schreiben eine korrigierte Fassung des Bescheids vom 12.06.2013 bei. Der Neufestsetzung sollte eine Berichtigung der Vertretungsfälle zugrunde liegen, bei denen die Krankenversichertenkarte nicht eingelesen wurde. Die Schadensberechnung berücksichtige unrichtigerweise sämtliche Behandlungsfälle ohne Einlesedatum. Die Rückforderungssumme reduziere sich damit auf einen Betrag in Höhe von 225.685,37 EUR. Die Berechnung sei richtigerweise wie folgt vorzunehmen:

Hiergegen legte die Klägerin am 11.07.2013 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, weil sie vor Erlass des Verwaltungsaktes nicht angehört worden sei. Es liege auch keine relevante Pflichtverletzung vor. Selbst wenn sie Vertretungsfälle abgerechnet hätte, ohne die Daten der Krankenversichertenkarte einzulesen und ohne eine Ausfertigung des Musters 19c/E, folge hieraus keine Pflichtverletzung, die einen Honorarregress rechtfertige, da kein Schaden eingetreten sei. Nach § 291 Abs. l Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) dürfe die Krankenversichertenkarte grundsätzlich "nur für den Nachweis der Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung sowie für die Abrechnung mit den Leistungserbringern verwendet werden". Das Nähere bestimme gem. § 291 Abs. 3 SGB V der BMV-Ä, der ebenfalls darauf abstelle, dass die Krankenversichertenkarte zum Nachweis der Anspruchsberechtigung diene (vgl. §§ 13, 19 BMV-Ä). Die Verwendung der Krankenversichertenkarte bezwecke also vornehmlich den Nachweis für die Berechtigung zur Inanspruchnahme vertragsärztlicher Leistungen. Hiermit solle verhindert werden, dass auf Kosten der Krankenkassen Patienten behandelt werden, die gesetzlich gar nicht krankenversichert seien. Dieser gesetzgeberische Zweck sei vorliegend nicht verletzt worden. Denn sie, so begründet die Klägerin weiter, habe im streitgegenständlichen Zeitraum keine Leistungen gegenüber der Beklagten für Patienten abgerechnet, die nicht gesetzlich krankenversichert waren. Gegenteiliges werde im Bescheid auch nicht behauptet. Es sei daher durch ein etwaiges Nichteinlesen der Versicherungskarte kein Schaden durch ihre Abrechnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung eingetreten. Die Muster 19 der Vordruckvereinbarung dienten vornehmlich – wie die Beklagte selber hervorhebe – Informationszwecken. Soweit sie diese Muster nicht verwendet haben sollte, käme sie also allenfalls ihren Informationspflichten nicht nach. Hierdurch sei jedoch ebenfalls kein Schaden entstanden, weil sie in den Vertretungsfällen Leistungen gegenüber gesetzlich krankenversicherten Patienten erbracht und diese abgerechnet habe. Unabhängig davon könne aus einem etwaigen Fehlen des Musters 19 c/E der Vordruckvereinbarung – entgegen der Unterstellung der Beklagten – nicht geschlossen werden, dass sie in den Vertretungsfällen "in keiner Weise" Kontakt zu den/Patienten/innen gehabt habe. Für diese Mutmaßung bleibe die Beklagte jeglichen Nachweis schuldig. Dessen ungeachtet sei klarzustellen, dass sie insbesondere anlässlich der abgerechneten Vertretungsfälle Patientenkontakt gehabt habe. Hinsichtlich der namentlich genannten Patientenfälle (T., S., St., J. und D., Y.) bestünden die im Bescheid genannten Diskrepanzen hinsichtlich der Diagnoseangaben tatsächlich nicht (im Einzelnen ausführend). Selbst wenn ein relevanter Pflichtverstoß ihrerseits gegeben wäre, lasse sich hierauf der geltend gemachte Regress nicht stützen. Der Bescheid leide an einem Begründungsdefizit. Es fehle eine substantielle Darlegung der beanstandeten Behandlungsfälle und des Regressbetrags. Im Bescheid würden zwar für jedes streitbefangene Quartal mehrere Behandlungsfälle behauptet, in welchen ein Einlesedatum fehle. Es gehe aus dem Bescheid aber nicht hervor, welche konkreten Behandlungsfälle betroffen seien. Auch die Ermittlung des Regressbetrags werde nicht hinreichend begründet. Es fehle die Erläuterung, warum für jedes Quartal ein voneinander abweichender Fallwert zugrunde gelegt wurde. Hinzu komme, dass der Ansatz des Fallwertes nicht gerechtfertigt sei. Sie habe in den beanstandeten Vertretungsfällen ohne angebliches Einlesedatum ausschließlich die GOP 01430 EBM (Verwaltungskomplex: obligater Leistungsinhalt – Ausstellung von Wiederholungsrezepten ohne persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt und/oder – Ausstellung von Überweisungsscheinen ohne persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt und/oder – Übermittlung von Befunden oder ärztlichen Anordnungen an den Patienten im Auftrag des Arztes durch das Praxispersonal) abgerechnet. Diese GOP sei nach EBM in den streitbefangenen Quartalen jeweils nur mit 35 Punkten bzw. 1,23 EUR bewertet gewesen. Es sei daher verfehlt, dass die Beklagte die um ein Vielfaches höheren Fallwerte von über 30,00 EUR pro Quartal ansetzte. Dies belege auch eine Vergleichsberechnung, in der die im (korrigierten) Bescheid vom 12.06.2013 für jedes Quartal monierten Vertretungsfallzahlen nicht mit dem besagten Fallwert, sondern mit dem Wert der GOP 01430 EBM multipliziert werden. Hiernach betrage ein etwaiger Regress maximal 8.194,26 EUR. Der festgesetzte Regress für die Quartale III/2008 bis IV/2012 sei mit der bei Honorarregressen zu beachtenden vierjährigen Ausschlussfrist unvereinbar, da der Honorarbescheid für das Quartal III/2008 am 15.01.2009 und der Honorarbescheid für das Quartal IV/2008 am 15.04.2009 ergangen sei. Die vierjährige Ausschlussfrist für diese Quartale ende daher vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids vom 12.06.2013.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2014 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und führte zu den Einwänden der Klägerin aus, der Mangel der Anhörung sei dadurch geheilt, dass der Klägerin durch die in dem angefochtenen Bescheid enthaltenen Hinweise auf die wesentlichen entscheidungserheblichen Gesichtspunkte Gelegenheit gegeben worden sei, sich im Widerspruchsverfahren sachgerecht zu äußern. Hinsichtlich der Verpflichtung zum Einlesen der Krankenversichertenkarte und der Notwendigkeit des Musters 19c/E werde auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen. Nicht das Fehlen des Dokuments sei ausschlaggebend für die Honorarkorrekturen. Dies sei lediglich ein weiteres Indiz für die fehlerhafte Abrechnung gewesen. Soweit im angefochtenen Bescheid ausgeführt worden sei, dass die Klägerin vorsätzlich Behandlungsfälle generiert habe, habe sich dieser Verdacht nach Überprüfung der Abrechnungsunterlagen sowie der vorgelegten Dokumentation erhärtet. Aufgrund der Ausführungen der Klägerin seien die Abrechnungen der beispielhaft genannten Behandlungsfälle T., St. und D. nochmals in den Vorquartalen überprüft worden. Im Fall T. habe in den Quartalen I/2009 bis IV/2012 jeweils eine telefonische Beratung im Quartal stattgefunden. Die Abrechnung sei auf Vertreterschein ohne Einlesedatum, u.a. mit Diagnoseangabe Harnwegsinfekt, der Krankenversichertenkarte erfolgt. Im Fall St. habe in den Quartalen I bis III/2011 und IV/2012 jeweils eine telefonische Beratung stattgefunden. Die Abrechnung sei auf Vertreterschein ohne Einlesedatum der Krankenversichertenkarte, u.a. mit der Diagnose Kandidose, erfolgt. Im Fall D. hätten in den Quartalen III/2011 bis IV/2012 mehrfache Arzt-Patientenkontakte pro Quartal bei wiederholter Diagnoseangabe Krankheit der Mamma, Überwachung bei medikamentöser Kontrazeption, stattgefunden, obwohl die Patientin bereits seit III/2011 bis II/2012 im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge bei einem anderen Gynäkologen in Behandlung gewesen sei. Auch hier sei die Abrechnung auf Vertreterschein ohne Einlesedatum der Krankenversichertenkarte erfolgt. Die Liste solcher Fälle lasse sich beliebig erweitern. Fernmündliche Beratungsgespräche seien zwar durchaus nicht unüblich, in dieser Vielzahl aber nicht plausibel, zumal die Diagnosestellung per Telefon äußerst fragwürdig erscheine. Aufgrund der von der Klägerin angegebenen Diagnosen wäre in den meisten Fällen mindestens ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt unabdingbar gewesen. Insgesamt seien in jedem streitgegenständlichen Quartal Behandlungsfälle nicht entsprechend den Regelungen des Vertragsarztrechts abgerechnet. Die Benennung jedes einzelnen Falls sei nicht notwendig, zumal die Klägerin ohne größere Schwierigkeiten die Fälle selbst anhand ihres EDV-Systems nachvollziehen könne. Hinsichtlich des Regressbetrags habe sie, so die Beklagte weiter, zur Ermittlung des Fallwertes das GKV-Honorar durch die GKV-Fälle des jeweiligen Quartals geteilt. Die Berechnung der Klägerin berücksichtige nicht den Wirtschaftlichkeitsbonus, der je Behandlungsfall mit ausbezahlt worden sei. Außerdem spiele die Anzahl der tatsächlichen Behandlungsfälle zur Ermittlung des Honorars eine nicht unerhebliche Rolle. Sollte die Regelleistungsvolumen(RLV)-relevante Fallzahl durch unrechtmäßiges Generieren von Behandlungsfällen angehoben werden, habe dies ebenfalls Auswirkungen auf das Gesamthonorar. Ihr stünde ein umfassendes und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbares Schätzungsermessen zu mit der Folge, dass sie sich auf eine pauschalierte Schätzung beschränken könne, wenn die Abrechnungen Rückschlüsse auf Unrichtigkeiten zuließen. Zudem seien die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 SGB X erfüllt, weil die Klägerin zumindest die Rechtwidrigkeit der Honorarbescheide gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe.

Am 07.10.2014 hat die Klägerin beim Sozialgericht Stuttgart (SG) gegen den ihr am 09.09.2014 zugestellten Widerspruchsbescheid Klage erhoben und zur Begründung ihre Argumentation aus dem Vorverfahren wiederholt. Zur relevanten Pflichtverletzung hat die Klägerin ergänzend vorgetragen, die Unterstellung der Beklagten, sie habe bewusst Behandlungsfälle durch das Ausstellen von Vertreterscheinen generiert, sei unsubstantiiert und unzutreffend. Einen konkreten Nachweis habe die Beklagte hierfür nicht erbracht. Zur Regresshöhe hat die Klägerin ergänzend vorgetragen, diese verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG)). Hieran ändere auch ein etwaiges Schätzungsermessen der Beklagten nichts, das entgegen der Auffassung der Beklagten der uneingeschränkten Gerichtskontrolle unterliege. Unangemessenheit zeige sich schon daran, dass die Beklagte zu deren Berechnung auf einen Fallwert abhebt, der um ein Vielfaches (über 2.600 %) den Wert der von ihr beanstandeten Leistungen der Klägerin übersteige. Die Unangemessenheit der Regresshöhe sei selbst dann gegeben, wenn – wie die Beklagte im Bescheid vom 05.09.2014 pauschal einwende – einerseits der Wirtschaftlichkeitsbonus und andererseits Auswirkungen auf das RLV zu berücksichtigen wären. Der je Behandlungsfall ausbezahlte Wirtschaftlichkeitsbonus bewege sich – ausweislich der Berechnungen zur Vergütung des Wirtschaftlichkeitsbonus – in den streitbefangenen Quartalen jeweils zwischen 1.500,00 EUR und 2.200,00 EUR. Eine etwaige anteilige Kürzung des Wirtschaftlichkeitsbonus würde daher den festgesetzten Regress nicht rechtfertigen. Ebenso wenig seien etwaige Auswirkungen auf das RLV geeignet, die Regresshöhe zu rechtfertigen. Aus den eigenen aufgestellten Berechnungen ergebe sich, dass ein etwaiger Regress wegen der von der Beklagten reklamierten Auswirkungen auf das RLV im Quartal IV/2010 allenfalls rund 650,00 EUR betrage. Denn zu berücksichtigen wäre nur der Kürzungsbetrag des RLV-relevanten Honorars in Höhe von 612,54 EUR und der Betrag, um den das bereinigte RLV-relevante Honorar (31.903,06 EUR) die bereinigte RLV-/QZV-Obergrenze (31.866,11 EUR) überschreitet (36,95 EUR), wobei dieser Überschreitungsbetrag nicht in voller Höhe anzusetzen wäre, da hierfür nur eine quotale Vergütung erfolge. Demgegenüber setze die Beklagte ausweislich des Bescheides vom 12.06.2013 für das Quartal IV/2010 einen Regress über 16.737,78 EUR fest. Dieser Betrag übersteige einen etwaigen Regress wegen der von der Beklagten reklamierten Auswirkungen auf das RLV für das Quartal IV/2010 also um über 16.000,00 EUR bzw. um mehr als 2.461 %. Ein vergleichbares Missverhältnis bestehe auch in den anderen streitbefangenen Quartalen. Die Berechnung ergebe, dass im Quartal IV/2011 der Regress allenfalls rund 5.400,00 EUR und nicht wie von der Beklagten gefordert 19.920,43 EUR und im Quartal IV/2012 allenfalls rund 7.600,00 EUR und nicht 18.537,74 betragen könne. Zur vierjährigen Ausschlussfrist hat die Klägerin ergänzend vorgetragen, nach Ablauf der Frist komme zwar noch eine Richtigstellung nach Maßgabe der Vertrauensausschlusstatbestände des § 45 Abs. 2 SGB X in Betracht. Allerdings seien die Voraussetzungen hierfür weder gegeben noch von der Beklagten substantiiert dargelegt, geschweige denn nachgewiesen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden Bezug genommen. Ergänzend hat sie darauf hingewiesen, dass ihr Vorwurf dahingehe, dass die Klägerin bewusst Behandlungsfälle durch das Ausstellen von Vertreterscheinen generiert habe. Dies werde belegt durch die Abrechnung auf Vertreterschein in extrem hoher und stetig wachsender Anzahl (bis zu 818 Fälle im Quartal IV/2012) verbunden mit dem häufigen Fehlen des Einlesedatums der Krankenversichertenkarte (bis zu 672 Fälle im Quartal I/2012), dies wiederum verbunden mit der Tatsache, dass die Ärzte, die die Klägerin vertreten haben will, die Vertretung durch die Klägerin gar nicht angegeben hätten bzw. gar nicht in Urlaub gewesen seien, damit korrespondierend sich auch das Muster 19c/E in keiner der vorgelegten Dokumentationen befunden habe, weiter dass vielfach nur (angebliche) telefonische Kontakte erfolgt seien, die sich dazu zum großen Teil noch über mehrere Quartale erstreckt hätten, obwohl sich weiter anhand der Diagnoseangaben ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt aufgedrängt habe und sich weiter bei einem stichprobenhaften Abgleich mit den Diagnosen der behandelnden Gynäkologen erhebliche sogar widersprüchliche Abweichungen ergeben hätten. Hinsichtlich der Höhe des Regresses hat die Beklagte ergänzend ausgeführt, eine Festsetzung anhand des Wertes der GOP 01430 EBM greife zu kurz. Denn sie, die Beklagte, dürfe im Rahmen ihres Schätzungsermessens auch die weiteren Auswirkungen auf das Honorar wie etwa den Wirtschaftlichkeitsbonus und vor allem die RLV-Höhe berücksichtigen. Durch ihr Verhalten habe die Klägerin künstlich RLV-Fälle generiert. Die Auswirkungen mögen im von der Klägerin angeführten Beispielsquartal IV/2010 nicht immens sein. In den anderen Quartalen zeige sich jedoch ein anderes Bild. Im Quartal IV/2011 würde die Überschreitung nun 6.829,08 EUR und im Quartal IV/2012 bei vorheriger Unterschreitung nun 4.824,80 EUR betragen. Hierauf komme es jedoch nicht an. Denn sie, die Beklagte, sei berechtigt, zur Ermittlung der Berichtigungssumme pauschalierend den individuellen eigenen GKV-Fallwert der Klägerin heranzuziehen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei es zulässig, dem Arzt ein Honorar z.B. in Höhe des Fachgruppendurchschnitts zuzuerkennen. Dieser habe vorliegend sogar deutlich über den eigenen GKV-Fallwerten der Klägerin gelegen.

In der mündlichen Verhandlung beim SG hat die Beklagte beispielhaft anhand des Quartals III/2008 erläutert, dass in diesem Quartal insgesamt 1.909 Fälle zur Abrechnung gebracht worden seien, davon insgesamt 853 Fälle ohne Einlesedatum. Hiervon wiederum hätten 828 Fälle die Gebührenziffer 01430 EBM (Verwaltungskomplex) betroffen. Von den 1.909 Fällen seien 63 Fälle sog. Vertreterfälle gewesen. Hiervon seien 51 ohne Einlesedatum erfolgt. Von diesen 51 Vertreterfällen ohne Einlesedatum seien 47 Fälle mit der GOP 01430 EBM zur Abrechnung gelangt. Die Beklagte hat ergänzend eine Tabelle über die Anzahl der Fälle mit GOP 01430 EBM im Rahmen der Krankheits-/Urlaubsvertretung vorgelegt.

Mit Urteil vom 13.06.2017 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Richtigstellungsbescheid sei zunächst formell rechtmäßig. Ein Begründungsmangel liege nicht vor. Der Bescheid enthalte die für die Korrektur maßgeblichen Faktoren. Es habe keine Notwendigkeit bestanden im Rahmen der Widerspruchsentscheidung alle beanstandeten Vertreterfällen nochmals einzeln aufzugreifen und zu benennen. Dies gelte umso mehr, als die betreffenden Fälle in den Verwaltungsakten der Beklagten nachzulesen seien und der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Akteneinsicht erhalten habe. Die Beklagte sei auch zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung. Die Prüfung erstrecke sich auch auf die Frage, ob die abgerechneten Leistungen ordnungsgemäß – somit ohne Verstoß gegen gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebotes – erbracht worden sind. Hierzu gehörten nicht nur rechnerische und gebührenordnungsmäßige Fehler, sondern auch Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet habe. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine nachträgliche sachlich-rechnerische Richtigstellung der Abrechnungen der Klägerin für den Zeitraum III/2008 bis IV/2012 seien erfüllt. Entgegen der Anforderungen der § 13 Abs. l und 19 Abs. l BMV-Ä und §§ 7, 23 EKV-Ä hätten die Versicherten der Klägerin in nahezu der Hälfte aller pro Quartal abgerechneten Fälle nicht ihre Krankenversichertenkarte vorgelegt. Lediglich in wenigen, bundesmantelvertraglich normierten Fällen bestehe die Möglichkeit der Abrechenbarkeit vertragsärztlicher Leistungen über das sog. Ersatzverfahren. Das seien Notfälle (Ziffer 2.1 des Anhangs l zur Anlage 4a zum BMV-Ä) und die in Ziffer 2.4. des Anhangs l zur Anlage 4a zum BMV-Ä genannten Situationen, insbesondere Fälle, in denen die Krankenversichertenkarte aus technischen Gründen nicht verwendet werden könne. Die von der Klägerin im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Gesichtspunkte, weshalb eine relevante Pflichtverletzung nicht vorgelegen hätte, beträfen diese Fälle nicht. Es mangele auch an schlüssigen Erklärungen der Klägerin, weshalb sie jedes Quartal Patienten in großer Zahl ohne Vorlage der Krankenversichertenkarte behandelt habe (bspw. im Quartal II/2010: 1.132 Patienten). Unbeschadet dessen habe jedenfalls gemäß Ziffer 2.5. und 2.6. des Anhangs l zur Anlage 4a zum BMV-Ä auch im Ersatzverfahren der Versicherte durch seine Unterschrift das Bestehen der Mitgliedschaft auf dem Abrechnungsschein zu bestätigen. An diesen Unterschriften fehle es ebenfalls in allen beanstandeten Abrechnungsfällen. Die Beklagte habe im Weiteren zu Recht darauf hingewiesen, dass für die Rechtmäßigkeit der Abrechnung ärztlicher Leistungen als Voraussetzung eines Vergütungsanspruchs gelte, dass die Abrechnung von Leistungen (im Zweifelsfall) schlüssig gemacht werden müsse. Unschlüssigkeiten, Unplausibilitäten, Unvollständigkeiten bei der Abrechnung gingen zu Lasten desjenigen, der daraus eine Vergütung beanspruche, also zu Lasten der Klägerin. Dies gelte selbstredend vor allem dann, wenn der Vorwurf des Abrechnungsbetruges im Räume stehe. Den Nachweis habe die Klägerin aber zu keinem Zeitpunkt erbringen können. Die Beklagte habe zunächst zutreffend auf die Abrechnung auf Vertreterscheinen in extrem hoher und stetig wachsender Zahl hingewiesen. Hinzu komme das außergewöhnlich häufige Fehlen des Einlesedatums der Krankenversichertenkarte. Zudem habe sich das Muster 19c/E in keiner der vorgelegten Dokumentationen der Klägerin befunden. Vielfach seien nur (angeblich) telefonische Kontakte erfolgt. Diese Verdachtsmomente mögen zwar im strafrechtlichen Sinne (noch) nicht ausreichend sein, um zu belegen, dass diese Patienten nicht in der Praxis der Klägerin gewesen bzw. behandelt worden seien. Sie begründeten jedoch erhebliche Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Abrechnungserklärungen. In einem solchen Zweifelsfall habe der Arzt die Leistungserbringung mittels seiner Dokumentationen nachvollziehbar und in sich schlüssig nachzuweisen. Dem sei die Klägerin bis zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nicht nachgekommen. Aus den vorgelegten Dokumentationen ergäben sich vielmehr weitere Fragen an die Klägerin. Nicht nachvollziehbar sei, weshalb Patientinnen, die über längere Zeiträume lediglich telefonischen Kontakt mit der Klägerin gehabt hätten, nie persönlich in der Praxis erschienen seien, obwohl auf Grund der Diagnoseangaben eine unmittelbare persönliche Untersuchung nahe gelegen hätte. Auch seien Erkrankungen von der Klägerin fernmündlich diagnostiziert worden, die Fragen aufwerfen würden (z.B.: bakterielle Infektion, Kandidose, fester Hymenalring, ovarielle Dysfunktion, Uterusprolaps usw). In mehreren Fällen sei zudem lediglich ein telefonischer Kontakt mit Familienangehörigen dokumentiert worden. Ebenso seien telefonisch Therapieempfehlungen ausgesprochen, teilweise auch Rezepte erstellt worden, die dann laut Dokumentation wiederum nicht abgeholt worden seien. Die Empfehlung einen Termin zu vereinbaren, sei von den Patientinnen ebenfalls nicht wahrgenommen worden, stattdessen seien auch hier weitere ausschließlich telefonische Beratungen in den Folgequartalen erfolgt. In einer solchen Situation reiche es nicht mehr aus, die Ermittlungsergebnisse der Beklagten anzuzweifeln und einen Nachweis der Pflichtverletzung zu fordern. Aufgrund dieser Umstände sei die Kammer zur Überzeugung gelangt, dass die Klägerin Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung erbracht und abgerechnet habe, was die Befugnis zur Richtigstellung durch die Beklagte ohne Weiteres begründe. Infolge des ihr zustehenden Schätzungsermessens habe die Beklagte auch den Regressbetrag der Höhe nach zutreffend ermittelt. Bei der Schätzung bestehe kein der Gerichtskontrolle entzogener Beurteilungsspielraum. Das Gericht habe sie deshalb selbst vorzunehmen bzw. jedenfalls selbst nachzuvollziehen. Dass die Beklagte die Neufestsetzung des Honorars unter Herausnahme der Vertreterfälle, in denen das Einlesedatum im jeweiligen Quartal gefehlt habe, vornehme, könne grundsätzlich nicht beanstandet werden. Die Klägerin habe dabei (nur vordergründig zu Recht) darauf hingewiesen, dass in der weit überwiegenden Mehrheit der beanstandeten Vertreterfallen ohne Einlesedatum ausschließlich die GOP 01430 EBM zur Abrechnung gekommen sei. Diese GOP sei ausweislich des EBM in den streitbefangenen Quartalen jeweils nur mit 35 Punkten bzw. 1,23 EUR bewertet gewesen. Der von der Beklagten zugrunde gelegte Durchschnittsfallwert der klägerischen Fachgruppe der Gynäkologen (zwischen 30,34 EUR und 40,51 EUR) bewege sich ein Vielfaches über diesem Wert, sodass der festgesetzte Regress den Wert der abgerechneten Leistungen - bei dieser Sichtweise - um 217.491,11 EUR übersteige. Dem sei jedoch entgegenzuhalten, dass der Vertragsarzt, der grob fahrlässige Falschabrechnungen und damit die Abgabe einer unrichtigen Sammelerklärung zu verantworten habe, gerade keine möglichst genaue Alternativberechnung beanspruchen könne, sondern sich als Folge seines gravierenden Fehlverhaltens auf eine mehr oder weniger grobe Schätzung verweisen lassen müsse. Aufgrund des systematischen Ansatzes von Fällen ohne Einlesedatum (zwischen 853 Fälle im Quartal III/2008 bis 1.132 Fälle im Quartal II/2010) sei die Beklagte hier berechtigt gewesen das Honorar für die Quartale III/2008 bis IV/2012 aufzuheben. Gegenstand der sachlich-rechnerischen Richtigstellung seien demnach nicht allein die Korrektur der Vertreterfälle betreffend die GOP 01430 EBM, sondern alle Behandlungsfälle ohne Einlesedatum. Demzufolge habe die Beklagte in Ziffer l des Bescheides vom 12.06.2012 (richtig 2013) nicht eine bloße Richtigstellung im Hinblick auf eine einzelne GOP (01430 EBM), sondern eine komplette Aufhebung der Honorarbescheide für die Quartale III/2008 bis IV/2012 verfügt. Die sodann erklärte Entnahme der Vertreterfälle multipliziert mit dem jeweiligen Fallwert des entsprechenden Quartals (Ziffer 2 des Tenors) stelle sich als bloßer Rechenweg für die (geschätzte) Neufestsetzung der Quartalshonorare dar. Hiernach sei es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte anstelle aller Behandlungsfälle ohne Einlesedaten (circa 50 % der Gesamtfallzahlen!) zu Gunsten der Klägerin nur die Vertreterfälle ohne Einlesedaten herausnehme und diese zugleich - grob pauschalierend - mit dem durchschnittlichen Fallwert der Fachgruppe der Gynäkologen multipliziere. Dass dieser Rechenweg nicht unverhältnismäßig sei, zeige dass eine ebenso mögliche pauschale Kürzung des Honorars um die Hälfte der Klägerin nachteiliger gekommen wäre. Eine wie von der Klägerin geforderte Neufestsetzung des Honorars unter Herausnahme der Vertreterfälle ohne Einlesedatum multipliziert mit dem Fallwert von nur 1,23 EUR gehe angesichts des Vorwurfs der Implausibilität der Hälfte aller Behandlungsfälle offenkundig weit an der Sache vorbei. Es bestünden auch keine Bedenken unter Vertrauensschutzgesichtspunkten. Der Vertrauensschutzausschlusstatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X liege vor. Nach dieser Vorschrift könne sich der Betroffene auf Vertrauen nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe; grobe Fahrlässigkeit liege vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt. Als Vertragsarzt habe die Klägerin die Notwendigkeit der Vorlage einer Krankenversichertenkarte kennen müssen. Sie habe Wissen müssen, dass die systematische Erbringung und Abrechnung vom Leistungen im vertragsärztlichen System - ohne das ordnungsgemäße Einlesen der Krankenversichertenkarte - nicht zulässig sei. Der Befugnis der Beklagten zur nachträglichen Korrektur der Quartale III/2008 und IV/2012 stünde auch nicht die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X entgegen. Die Kammer gehe nach Abwägung aller Umstände davon aus, dass die Beklagte alle für die Richtigstellungsentscheidung relevanten objektiv maßgeblichen Umstände frühestens mit Empfang der angeforderten Patientendokumentationen am 12.07.2012 gehabt habe, sodass die Richtigstellung vom 12.06.2013 rechtzeitig erlassen worden sei. Der Bescheid sei auch nicht deswegen rechtswidrig, weil die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hätte.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigen am 12.07.2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14.08.2017, einem Montag, Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung den bisherigen Vortrag wiederholt. Ergänzend führt sie aus, entgegen der Auffassung des SG seien die Tatbestandsvoraussetzungen für eine sachlich-rechnerische Richtigstellung nicht erfüllt, weil keine Pflichtverletzung vorliege, die einen Regress rechtfertige. Das Fehlen der Ausfertigung des Musters 19c/E und des Einlesens der Krankenversichertenkarte seien keine Fallgestaltungen, die zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung berechtigten. Entsprechendes habe jedenfalls das BSG bislang nicht entschieden. Der gesetzgeberische Zweck sei vorliegend jeweils gewahrt, weil sie, die Klägerin, keine Leistungen gegenüber nicht gesetzlich Krankenversicherten erbracht habe. Sie habe allenfalls ihre Informationspflichten nicht erfüllt. Durch die Abrechnungen sei aber kein Schaden entstanden. Aus dem Fehlen des Musters 19c/E könne auch nicht geschlossen werden, dass sie keinen Kontakt zu den Patientinnen gehabt habe. Für diese Mutmaßung bleibe die Beklagte jeglichen Nachweis schuldig. Sie habe anlässlich der abgerechneten Vertretungsfälle sehr wohl Patientenkontakt gehabt. Die angefochtenen Bescheide litten zudem an einem Begründungsmangel, weil die betroffenen Vertretungsfälle nicht namentlich benannt seien. Es sei nicht ihre Aufgabe die Grundlagen des angefochtenen Bescheids selbst zu ermitteln. Ein Begründungsdefizit bestünde aber jedenfalls insoweit, als die Beklagte nicht zumindest eine unrichtige Abrechnung in der Abrechnungssammelerklärung für jedes Quartal nachgewiesen habe. Die aktuelle Rechtsprechung des BSG bestätige dieses Erfordernis (unter Verweis auf Urteil vom 15.05.2019 – B 6 KA 63/17 R). Schließlich sei die Regresshöhe unangemessen, weil sie den Wert der beanstandeten Leistungen um ein Vielfaches übersteige (in Wiederholung des bisherigen Vortrags weiter ausführend). Die Klägerin müsse mehr Honorar erstatten, als sie für die Leistungen erhalten habe. Entgegen der Annahme des SG erstrecke sich die sachlich-rechnerische Richtigstellung nicht auf eine Korrektur aller Behandlungsfälle ohne Einlesedatum. Im Tenor des Bescheids vom 12.06.2013 heiße es ausdrücklich: "Entnahme sämtlicher Vertretungsfälle, bei denen die Krankenversichertenkarte nicht eingelesen wurde". Dies gehe auch aus dem Korrekturschreiben vom 11.09.2013 hervor, wonach der Neufestsetzung eine Berichtigung der Vertretungsfälle, bei denen die Krankenversichertenkarte nicht eingelesen worden sei, zugrunde liege solle. Dabei spiele es keine Rolle, dass die Beklagte die komplette Aufhebung der Honorarbescheide verfügt habe. Auch dem "Ergebnis des Plausibilitätsausschusses vom 04.02.2013", das dem Ausgangsbescheid zugrunde liege, sei zu entnehmen, dass lediglich die Vertretungsfälle, bei denen die Krankenversichertenkarte nicht eingelesen wurde, korrigiert werden sollten. Die Unangemessenheit des Regressbetrags wäre auch gegeben, wenn – wie die Beklagte einwende – der Wirtschaftlichkeitsbonus und die Auswirkungen auf das RLV berücksichtigt würden (in Wiederholung des bisherigen Vortrags weiter ausführend). Im streitgegenständlichen Bescheid werde zudem beides überhaupt nicht angesprochen. Das BSG habe im Urteil vom 15.05.2019 (B 6 KA 63/17 R) außerdem nochmals bekräftigt, dass die KV bei der Schätzung des Umfangs einer erforderlichen Richtigstellung nicht völlig frei sei. Entgegen der Annahme des SG lägen die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X nicht vor. Sie, die Klägerin, habe nicht wissen können, dass die Abrechnung der Leistungen ohne Einlesedatum der Krankenversichertenkarte zu einem rechtswidrigen Honorarbescheid führen würde. Jedenfalls habe die Beklagte die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X nicht eingehalten. Sie habe spätestens bereits seit April/Mai 2012 Kenntnis von den für die Rücknahme notwendigen Tatsachen gehabt. In der Verwaltungsakte befänden sich patientenbezogene "Einzelfall-Nachweise", die den von der Beklagten reklamierten Regressgrund explizit auswiesen und am 16.04.2012 bzw. 09.05.2012 von einer Mitarbeiterin der Beklagten erstellt worden seien. Schließlich habe die Beklagte kein Ermessen ausgeübt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.06.2017 und den korrigierten Bescheid der Beklagten vom 12.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.09.2014 aufzuheben,

hilfsweise das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.06.2017 abzuändern und den korrigierten Bescheid der Beklagten vom 12.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.09.2014 mit der Maßgabe aufzuheben, dass die Beklagte über die sachlich-rechnerische Berichtigung in den Quartalen III/2008 bis IV/2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und ihre Bescheide für zutreffend. Zur Begründung wiederholt sie ihre bisherige Argumentation. Ergänzend führt sie aus, der angefochtene Bescheid leide nicht an einem Begründungsmangel. Die wesentlichen tatsächlichen Verhältnisse seien der Klägerin bekannt gemacht worden. Die Klägerin übersehe zudem, dass sie, die Beklagte, wegen Wegfalls der Garantiewirkung der jeweiligen Abrechnungssammelerklärungen die betreffenden Honorarbescheide komplett aufgehoben habe. In einem solche Fall sei es nicht erforderlich, dass sie der Klägerin in jedem Einzelfall eine Falschabrechnung konkret nachweise. An der Pflichtverletzung der Klägerin bestünden keine Zweifel. Sie habe in nahezu der Hälfte aller pro Quartal abgerechneten Fälle die Krankenversichertenkarte nicht eingelesen. Eine schlüssige Erklärung habe sie hierfür nicht liefern können. Auch im Übrigen habe sie die erheblichen Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Abrechnung nicht ausräumen können. Dies gehe zu Lasten der Klägerin. Auch die Regresshöhe sei nicht zu beanstanden. Es liege hier kein Fall einer "normalen" sachlich-rechnerischen Berichtigung vor, in dessen Rahmen sie dann nur die GOP 01430 EBM in den Vertreterfällen ohne Einlesedatum hätte streichen dürfen. Aufgrund des Wegfalls der Garantiewirkung habe sie die gesamten Honorarbescheide aufheben dürfen. Im Rahmen der Honorarneufestsetzung hätte sie, die Beklagte, ohne Weiteres alle Behandlungsfälle ohne Einlesedatum der Krankenversichertenkarte entnehmen dürfen. Wenn sie nun aber im Wege der Schadensberechnung nur die Vertreterfälle ohne Einlesedatum der Krankenversichertenkarte und diese dann aber mit dem eigenen GKV-Fallwert der Klägerin multipliziert entnommen habe, stehe die Klägerin bei dieser Art der Schadensberechnung deutlich günstiger. Die Klägerin hätte auch die Notwendigkeit der Vorlage der Krankenversichertenkarte kennen müssen und dass die systematische Erbringung und Abrechnung von Leistungen im vertragsärztlichen System ohne das ordnungsgemäße Einlesen der Krankenversichertenkarte nicht zulässig ist. Ermessen habe sie nach der Rechtsprechung nicht ausüben müssen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die bei der Beklagten geführte Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 20.11.2019 geworden sind, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.11.2019 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet über die Berufung in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Vertragsärzte und Psychotherapeuten, da eine Angelegenheit der Vertragsärzte i.S.d. § 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegenständlich ist.

Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, da der nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes von 750,00 EUR überschritten wird, und auch im Übrigen zulässig.

Die Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Das SG hat zu Unrecht die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Der korrigierte Bescheid der Beklagten vom 12.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.09.2014 ist rechtwidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Leistungen in den Quartalen III/2008 und IV/2012 zwar unrechtmäßig abgerechnet, sodass die sachlich-rechnerische Richtigstellung im Grundsatz zu Recht erfolgt ist. Die Honorarberichtigung ist jedoch der Höhe nach zu beanstanden. Deshalb wird die Beklagte über die Richtigstellung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden haben.

1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Die Begründung des angefochtenen Rückforderungsbescheides genügt den Anforderungen des § 35 Abs. 1 SGB X. Die Vorschrift verlangt nicht, schriftliche Verwaltungsakte in allen Einzelheiten zu begründen. Vielmehr sind nach § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X dem Betroffenen nur die wesentlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Dabei richten sich Inhalt und Umfang der notwendigen Begründung nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets und nach den Umständen des einzelnen Falles. Die Begründung braucht sich nicht ausdrücklich mit allen in Betracht kommenden Umständen und Einzelüberlegungen auseinanderzusetzen. Es reicht aus, wenn dem Betroffenen die Gründe der Entscheidung in solcher Weise und in solchem Umfang bekannt gegeben werden, dass er seine Rechte sachgemäß wahrnehmen kann (BSG, Urteil vom 11.09.2019 – B 6 KA 13/18 R –, in juris, m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die Begründung des angefochtenen Bescheides. Die Beklagte war entgegen der Auffassung der Klägerin nicht verpflichtet, alle von der sachlich-rechnerischen Richtigstellung betroffenen Fälle im Einzelnen namentlich zu benennen. Es genügt, wenn die Fälle – wie vorliegend – in der Weise abstrakt umschrieben werden (alle Behandlungs-/Vertretungsfälle ohne Einlesedatum der Krankenversichertenkarte), dass der Klägerin anhand ihrer Praxissoftware eine Identifizierung möglich ist. Die Beklagte musste auch nicht die Berechnung des individuellen Fallwertes erläutern, weil die Berechnungsgrundlagen (GKV-Honorar und Fallzahl des jeweiligen Quartals) der Klägerin bekannt und zudem im Richtigstellungsbescheid tabellarisch aufgeführt sind.

Allerdings hat die Beklagte die Klägerin vor Erlass des Richtigstellungsbescheids vom 12.06.2013 nicht – wie erforderlich (§ 24 Abs. 1 SGB X) – angehört. Dieser Verfahrensmangel führt an sich zur Aufhebung des Bescheids (§ 42 Satz 2 SGB X), ist hier aber unbeachtlich, weil die Anhörung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wirksam nachgeholt worden ist (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 SGB X). Die Heilung eines Anhörungsmangels kann während des Widerspruchsverfahrens erfolgen, wenn dem Betroffenen hinreichende Gelegenheit gegeben wird, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (BSG, Urteil vom 29.11.2017 – B 6 KA 33/16 R –, in juris). Das war hier der Fall. Die Beklagte hatte in dem Bescheid vom 12.06.2013 alle entscheidungserheblichen Tatsachen mitgeteilt. Die Klägerin hat im Rahmen des Widerspruchsverfahrens damit ausreichend Gelegenheit gehabt, vor einer abschließenden Verwaltungsentscheidung hierzu sachgerecht Stellung zu nehmen.

2. Der Richtigstellungsbescheid ist allerdings materiell rechtswidrig.

a) Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung ist § 106a SGB V (hier noch i.d.F des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl. I 2190 (a.F.); heute § 106d Abs. 2 SGB V). Diese Vorschrift verdrängt als bereichsspezifische Sondervorschrift des zweiten Abschnitts des vierten Kapitels des SGB V (Vertragsarztrecht) gemäß § 37 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) die allgemeine Regelung in § 45 SGB X zur nachträglichen Korrektur rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte. Dies gilt auch, soweit – wie teilweise hier (s.u.) – Honorarbescheide nach Ablauf der Ausschlussfrist berichtigt werden (BSG, Urteil vom 24.10.2018 – B 6 KA 34/17 R –, in juris). Die Berichtigung bereits erlassener Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung) stellt im Umfang der vorgenommenen Korrekturen zugleich eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheids dar und bewirkt, dass überzahltes Honorar gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zurückzuzahlen ist (BSG, Urteil vom 28.08.2013 - B 6 KA 50/12 R -, in juris).

Gem. § 106a Abs. 1 SGB V a.F. stellt die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität und die Prüfung der abgerechneten Sachkosten (§ 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F.). Einzelheiten der Plausibilitätsprüfung ergeben sich aus den "Richtlinien gem. § 106a SGB V" (RL § 106a SGB V, hier in der Fassung vom 01.07.2008, Deutsches Ärzteblatt 2008, A1925), die die Partner der Bundesmantelverträge auf Grundlage des § 106a Abs. 6 SGB V a.F. vereinbart haben. Nach § 5 Abs. 1 RL § 106a SGB V stellt die Plausibilitätsprüfung ein Verfahren dar, mit dessen Hilfe auf Grund bestimmter Anhaltspunkte und vergleichender Betrachtungen die rechtliche Fehlerhaftigkeit ärztlicher Abrechnungen vermutet werden kann. Anhaltspunkte für eine solche Vermutung sind Abrechnungsauffälligkeiten. Diese sind durch die Anwendung von Aufgreifkriterien mit sonstigen Erkenntnissen aus Art und Menge der abgerechneten ärztlichen Leistungen zu gewinnende Indizien, die es wahrscheinlich machen, dass eine fehlerhafte Leistungserbringung zu Grunde liegt. Nach § 7 Abs. 1 RL § 106a SGB V werden Plausibilitätsprüfungen von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) als regelhafte Prüfungen (§ 7 Abs. 2 RL § 106a SGB V) durchgeführt, die sich auf die Feststellung von Abrechnungsauffälligkeiten (§ 5 Abs. 1 Satz 3 RL § 106a SGB V) erstreckt. Wenn die KV auf Grund der Plausibilitätsprüfung allein oder in Verbindung mit weiteren Feststellungen zu dem Ergebnis kommt, dass die Leistungen fehlerhaft abgerechnet worden sind, führt die KV ein Verfahren der sachlich-rechnerischen Richtigstellung durch (§ 5 Abs. 2 Satz 1 RL § 106a SGB V); die auf Grund einer Plausibilitätsprüfung festgestellten Abrechnungsfehler führen in vollem Umfang zur Abrechnungskorrektur (Hess in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand Dezember 2016, § 106a SGB V, Rn. 6).

Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts – mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots –, erbracht und abgerechnet worden sind (BSG, Urteil vom 16.05.2018 - B 6 KA 16/17 R -, in juris). Solche Verstöße können darin liegen, dass Leistungen zur Abrechnung kommen, die in einer nicht der Gebührenordnung entsprechenden Weise oder überhaupt nicht erbracht wurden. Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honoraranforderung erfasst auch Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet hat (BSG, Urteil vom 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R -, in juris; vgl. auch § 3 Abs. 1 RL § 106a SGB V). Dementsprechend erfolgt eine sachlich-rechnerische Richtigstellung z.B. bei der Abrechnung fachfremder Leistungen oder qualitativ mangelhafter Leistungen, aber auch bei Leistungen eines nicht genehmigten Assistenten sowie bei der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs mit Hilfe eines Assistenten, bei der Abrechnung von Leistungen, die nach stationärer Aufnahme erbracht werden, bei der Nichtbeachtung der bereichsspezifischen Vorschriften zur Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung im Rahmen der vertragsärztlichen Abrechnung und bei einem Missbrauch vertragsarztrechtlicher Kooperationsformen (vgl. BSG, Urteil vom 23.06.2010 - B 6 KA 7/09 R -, in juris). Auch die Nichtbeachtung der Vorschriften zur Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung stellt einen Verstoß gegen formale Voraussetzungen der Leistungserbringung dar, der eine sachlich-rechnerische Richtigstellung rechtfertigt (BSG, Urteil vom 10.12.2008 - B 6 KA 37/07 R -, in juris). Zu solchen Fallgestaltungen gehört z.B. auch die Missachtung der Vorgaben für die Dokumentation (Urteil des Senats vom 25.09.2013 - L 5 KA 3347/11 -, in juris).

b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine sachlich-rechnerische Richtstellung der Honorarbescheide für die Quartale III/2008 bis IV/2012 liegen vor.

aa) Zwar kann die Beklagte die sachlich-rechnerische Berichtigung nicht darauf stützen, dass die Klägerin "Behandlungsfälle durch das Ausstellen von Urlaubs- bzw. Krankheitsvertretungen vorsätzlich generiert hat, die Patientinnen also in keiner Weise mit ihr in Kontakt getreten sind". Dass die Klägerin Leistungen abgerechnet hat, die sie tatsächlich nicht erbracht hat, ist nicht in hinreichendem Maße nachgewiesen. Der stetige Anstieg der Vertretungsfälle, die prozentuale Abweichung von der Fachgruppe und der Rückgang der (bis Ende 2012 erhobenen) Praxisgebühr bei gleichzeitigem Anstieg der Fallzahlen sind zunächst nur Auffälligkeiten, die im Rahmen der Plausibilitätsprüfung von der Beklagten festgestellt wurden. Die fehlende Plausibilität rechtfertigt für sich noch keine sachlich-rechnerische Richtigstellung. Die Richtigstellung setzt vielmehr die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abrechnung voraus. Die von der Beklagten angeführten Indizien deuten zwar in ihrer Gesamtheit darauf hin, dass die Klägerin Leistungen abgerechnet hat, obwohl sie diese tatsächlich nicht erbracht hat. Das Nichteinlesen der Krankenversichertenkarte, das Fehlen der Ausfertigung des Musters 19c/E, die Abweichungen von den Urlaubsmeldungen der vertretenen Ärzte, die Abweichungen von den Diagnoseangaben der vertretenen Ärzte und die fernmündlichen Diagnosen, zu deren Erstattung ein persönlicher Kontakt erforderlich ist, sprechen insgesamt für die Annahme, dass in den betroffenen Fällen ein Arzt-Patienten-Kontakt nicht stattgefunden hat. Die Klägerin ist diesen Annahmen auch nicht durch schlüssige Erklärungen entgegengetreten. Die Beklagte hat aber nicht für jedes von der Richtigstellung betroffene Quartal zumindest in einem Fall nachgewiesen, dass tatsächlich kein Arzt-Patienten-Kontakt stattfand, oder zumindest einen Fall benannt, bei dem sämtliche der aufgeführten Indizien vorlagen. Die benannten Fälle T., St. und D. betreffen alle das Quartal IV/2011 und wurden von der Beklagten auch lediglich hinsichtlich des Abgleichs der Diagnoseangaben mit denen der vertretenen Ärzte angeführt.

bb) Die Beklagte konnte die sachlich-rechnerische Richtigstellung aber darauf stützen, dass die Klägerin in den Quartalen III/2008 bis IV/2012 jeweils Leistungen, bei denen entgegen den bundesmantelvertraglichen Vorgaben der §§ 13, 19 BMV-Ä/§§ 7, 23 EKV-Ä i.V.m. Anlagen 4 und 4a BMV-Ä/EKV-Ä (jeweils in den für die streitgegenständlichen Quartale geltenden Fassungen) die Einlesedaten der Krankenversichertenkarte fehlten, abgerechnet hat. Damit stehen die Abrechnungen nicht im Einklang mit den vertraglichen Bestimmungen des Vertragsarztrechts und sind rechtswidrig.

Die Klägerin war grundsätzlich verpflichtet in jedem Behandlungsfall, auch bei nur telefonischem Arzt-Patienten-Kontakt die Krankenversichertenkarte (ggf. nachträglich) einzulesen. Dies ergibt sich aus den auf Grundlage des § 82 Abs. 1 SGB V zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vereinbarten Regelungen des BMV-Ä (bzw. des damals noch geltenden EKV-Ä zwischen den Ersatzkassen und den Vertragsärzten). Nach § 19 Abs. 2 BMV-Ä in der Fassung vom 01.07.2008 bzw. § 23 Abs. 2 EKV-Ä war der Versicherte – solange die elektronische Gesundheitskarte noch nicht an den Versicherten ausgegeben war – verpflichtet, zum Nachweis der Anspruchsberechtigung die Krankenversichertenkarte gemäß § 291 Abs. 2 SGB V vorzulegen. Für diesen Fall regelte Anlage 4 des BMV-Ä bzw. EKV-Ä das Nähere zur Gestaltung und zum Inhalt der Krankenversichertenkarte sowie zu einem Ersatzverfahren. Die 1. Ergänzung der Anlage 4 des BMV-Ä/EKV-Ä ("Vereinbarung zur Gestaltung und zum Inhalt der Krankenversichertenkarte") in der Fassung vom 01.07.2002 regelte in § 6 Abs. 5, dass der Arzt grundsätzlich verpflichtet ist, die Daten der Krankenversichertenkarte auf alle relevanten Vordrucke maschinell unter Verwendung eines zertifizierten Lese- und Druckgeräts zu übertragen. Dies galt nach § 6 Abs. 5 Satz 2 auch für die Ausstellung eines Abrechnungsscheins (Muster 5) für manuell abrechnende Ärzte, wobei dann der Berechtigte das Bestehen des speziellen Kostenübernahmeanspruchs gegenüber der jeweiligen Krankenkasse durch Unterschrift auf dem Abrechnungsschein zu bestätigen hatte, es sei denn er hatte einen gesetzlichen Vertreter oder war zur Unterschrift nicht in der Lage (§ 6 Abs. 5 Satz 3 und 4 der 1. Ergänzung der Anlage 4). Ärzte, die – wie die Klägerin – mit Hilfe einer genehmigten Praxis-EDV abrechnen, konnten nach § 6 Abs. 6 von der KV von der Ausstellung eines Abrechnungsscheins befreit werden, wenn ein nicht veränderbares Einlesedatum der Krankenversichertenkarte im jeweiligen Quartal festgehalten und Bestandteil der in der Abrechnung zu prüfenden Daten wurde. Nach damals geltender Rechtslage musste daher der Patient bei telefonischer Inanspruchnahme des Arztes, die Krankenversichertenkarte zum Einlesen in die Praxis vorbeibringen oder vorbeibringen lassen (anders jetzt für die elektronische Gesundheitskarte in Ziff. 4 des Anhangs 1 zur Anlage 4a BMV-Ä, gültig seit 01.07.2017, DÄBl. 2017, S. A-1147, wonach der Arzt berechtigt ist, die Versichertenstammdaten auf der Grundlage der Patientendatei zu übertragen). Kam der Patient einer entsprechenden Aufforderung nicht nach, konnte die telefonische Konsultation nicht als GKV-Leistung, sondern nur privat liquidiert werden (vgl. § 5 Abs. 3 der 1. Ergänzung der Anlage 4 des BMV-Ä/EKV-Ä). Das in § 20 BMV-Ä bzw. § 24 EKV-Ä in der Fassung vom 01.07.2004 geregelte Ersatzverfahren enthielt der hier einschlägige BMV-Ä in der Fassung vom 01.07.2008 nicht mehr ("§ 20 gestrichen", entsprechend für § 24 EKV-Ä).

In fast 50% der Behandlungsfälle fehlt das Einlesedatum der Krankenversichertenkarte in den Abrechnungen. Das entnimmt der Senat der Aufstellung der Beklagten im Bescheid vom 13.06.2013, aus der sich die konkrete Anzahl der betroffenen Fälle des jeweiligen Quartals ergibt. Aus den tabellarischen Übersichten und den Dokumentationen in der Verwaltungsakte ergibt sich des Weiteren die konkrete Anzahl von Vertreterfällen, in denen das Einlesedatum der Krankenversichertenkarte fehlt. Es sind keine Gründe ersichtlich, an der Richtigkeit der Aufstellungen zu zweifeln, zumal die Klägerin insoweit auch nichts einwendet. Sie hat insbesondere auch nicht geltend gemacht und aufgezeigt, dass in den betroffenen Fällen Ausnahmesituationen vorlagen, weshalb sie von einem Einlesen der Krankenversichertenkarte hätte absehen können.

Der Senat ist somit der Überzeugung, dass die Klägerin in dem von der Beklagten festgestellten Umfang Leistungen unter Verstoß gegen vertragliche Bestimmungen des Vertragsarztrechts zur Abrechnung gebracht hat; die Abrechnungen und Honorarbescheide sind damit insoweit rechtswidrig. Die Bestimmungen über das Einlesen der Krankenversichertenkarte sind formale Bestimmungen, die eine sachlich-rechnerische Richtigstellung rechtfertigen. Sie dienen der Sicherstellung der Anspruchsberechtigung der Patienten gegenüber der Krankenkasse und sind damit wesentlicher Bestandteil einer funktionierenden Versorgung gesetzlich Versicherter. Dass sich dieser Gesetzeszweck vorliegend nicht verwirklicht hat, weil die Patientinnen tatsächlich versichert waren, ändert entgegen der Auffassung der Klägerin hieran nichts. Zumal die Verpflichtung zur Verwendung der Krankenversichertenkarte auch dazu dient, missbräuchliches Verhalten von Ärzten aufzudecken, das etwa in einer unzulässigen Kooperation mit anderen Praxen, Doppelabrechnungen und künstlichen Fallzahlmehrungen liegen kann. Einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen über das Einlesen der Krankenversichertenkarte steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin die Leistungen im Übrigen – möglicherweise – ordnungsgemäß erbracht hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG haben Bestimmungen, die die Vergütung ärztlicher Leistungen von der Erfüllung bestimmter formaler oder inhaltlicher Voraussetzungen abhängig machen, innerhalb dieses Systems die Funktion, zu gewährleisten, dass sich die Leistungserbringung nach den für die vertragsärztliche Versorgung geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollzieht. Das wird dadurch erreicht, dass dem Vertragsarzt für Leistungen, die unter Verstoß gegen derartige Vorschriften bewirkt werden, auch dann keine Vergütung zusteht, wenn die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht wurden (BSG, Urteil vom 23.06.2010 – B 6 KA 7/09 R –, in juris, m.w.N.).

c) Die Beklagte durfte die Honorarbescheide der Quartale III/2008 bis IV/2012 in vollem Umfang aufheben.

Weist eine Honorarabrechnung auch nur einen Fehlansatz auf, bei dem dem Arzt grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, so erfüllt die der Abrechnung beigefügte Abrechnungssammelerklärung nicht mehr ihre Garantiefunktion; dies zieht die Rechtswidrigkeit des auf ihr beruhenden Honorarbescheides insgesamt nach sich (BSG, Urteil vom 17.09.1997 – 6 RKa 86/95 –, in juris). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X).

Die Klägerin hat in den Quartalen III/2008 bis IV/2012 jeweils grob fahrlässig unrichtige Abrechnungssammelerklärungen abgegeben. Die Notwendigkeit des Einlesens der Krankenversichertenkarte muss jedem Vertragsarzt, auch der Klägerin, einleuchten. Hinzu kommt, dass sie im Rahmen des letzten Richtigstellungsverfahren bei einem Gespräch am 06.07.2009 auf die Einhaltung der Regelungen des BMV-Ä zum Einlesen der Krankenversichertenkarte sogar ausdrücklich hingewiesen wurde. Dennoch verstieß sie weiter gegen die Regelungen. Bei einem Umfang von fast 50 % der Behandlungsfälle, in denen das Einlesedatum fehlt, ist von einem bewussten und systematischen Ignorieren der für sie verbindlichen Bestimmungen auszugehen. Das Fehlverhalten der Klägerin ist besonders gravierend.

Dem steht der Einwand der Klägerin, ihr sei keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer sachlich-rechnerischen Berichtigung wegen fehlenden Einlesens der Krankenversichertenkarte bekannt gewesen, nicht entgegen. Der Umstand, dass ein vertragsärztlicher Pflichtenverstoß begangen wurde, verliert nicht dadurch an Bedeutung, dass der Betroffene in Unkenntnis war oder sich in einem Irrtum über die Rechtslage befand bzw. dass zur Zulässigkeit einer konkreten Verhaltensweise noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorlag (BSG, Urteil vom 30.11.2016 – B 6 KA 38/15 R –, in juris, m.w.N.).

d) Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen der nachträglichen Korrektur der Honorarbescheide nicht entgegen.

Der Vertragsarzt kann auf den Bestand eines vor einer endgültigen Prüfung auf Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit erteilten Honorarbescheides grundsätzlich nicht vertrauen. Die Rechtsprechung hat jedoch Fallgruppen herausgearbeitet, in denen die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung aus Gründen des Vertrauensschutzes begrenzt ist (im Einzelnen BSG, Urteil vom 28.08.2013 – B 6 KA 50/12 R –; BSG, Urteil vom 14.12.2005 – B 6 KA 17/05 R –; beide in juris). Ein solcher Ausnahmefall kann etwa angenommen werden, wenn die Kassenärztliche Vereinigung bei Erlass des Honorarbescheids auf ihr bekannte Ungewissheiten hinsichtlich der Grundlagen der Honorarverteilung nicht hingewiesen und dadurch schutzwürdiges Vertrauen bei den Vertragsärzten hervorgerufen hat oder wenn die Fehlerhaftigkeit des Honorarbescheids aus Umständen herrührt, die die besonderen Funktionsbedingungen des Systems vertragsärztlicher Honorierung nicht konkret berühren (BSG, Urteil vom 28.08.2013 – B 6 KA 50/12 R –; BSG, Urteil vom 16.12.2015 – B 6 KA 39/15 R –; alle in juris). Einer der genannten Fälle ist vorliegend nicht gegeben. Auch sonstige Vertrauensgesichtspunkte, auf die sich die Klägerin stützen könnte, sind nicht ersichtlich.

Der Honorarrückforderung der Beklagten steht für die streitbefangenen Quartale auch nicht der Ablauf der Ausschlussfrist entgegen. Das Recht (und die Pflicht) der KV zur Berichtigung bereits erlassener Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung) unterliegt nicht der Verjährung. Allerdings gilt für die nachgehende Richtigstellung eine (an das Verjährungsrecht angelehnte) Ausschlussfrist von vier Jahren (vgl. etwa BSG Urteil vom 12.12.2012 - B 6 KA 35/12 R -, in juris, m. w. N.). Daran hat sich durch die Einfügung eines neuen § 106d Abs. 5 Satz 3 SGB V mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vom 06.05.2019 (BGBl. I 646) nichts geändert. Die am 11.05.2019 in Kraft getretene Neuregelung bestimmt, dass die Maßnahmen, die aus den Prüfungen nach § 106d Abs. 2 bis 4 SGB V folgen, innerhalb von zwei Jahren "ab Erlass" des Honorarbescheides festgesetzt werden müssen. Diese Verkürzung der Ausschlussfrist greift hier indes nicht ein, weil sie nicht für Prüfzeiträume gilt, die vor dem Inkrafttreten von Gesetzesneufassungen abgeschlossen waren (BSG, Urteil vom 15.05.2019 – B 6 KA 63/17 R –, in juris).

Die Ausschlussfrist war vorliegend für die Quartale III/2008 und IV/2008 zwar abgelaufen, weil die Honorarbescheide am 15.01.2009 bzw. 15.04.2009 erlassen worden waren. Der Rückforderungsbescheid vom 12.06.2013 ist damit nach mehr als vier Jahren wirksam geworden. Rechtshandlungen, die eine Hemmung der Ausschlussfrist bewirkt haben könnten, sind nicht ersichtlich (vgl. dazu BSG, Urteil vom 20.03.2013 - B 6 KA 17/12 R -, in juris).

Auch nach Ablauf der Ausschlussfrist kommt aber eine Richtigstellung von Honorarbescheiden auf der Grundlage von § 106a Abs. 2 SGB V a.F. weiterhin in Betracht, wenn einer der Vertrauensausschlusstatbestände des § 45 Abs. 2 S 3 i.V.m. Abs. 4 S 1 SGB X erfüllt ist. Dies ist vorliegend der Fall. Die Klägerin hat grob fahrlässig verkannt, dass ihre Abrechnungen hinsichtlich der Behandlungsfälle ohne Einlesen der Krankenversichertenkarte rechtswidrig sind und ihr hierfür kein Honorar zusteht.

e) Die Beklagte hat mit dem Erlass des Richtigstellungsbescheids vom 12.06.2013 auch die Jahresfrist zur Rücknahme der Honorarbescheide gewahrt. Nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, der auch bei sachlich-rechnerischen Richtigstellungen im Vertragsarztrecht nach Ablauf der Ausschlussfrist entsprechend anwendbar ist (BSG, Urteil vom 21.03.2018 - B 6 KA 47/16 R –, in juris, m.w.N.), muss die Aufhebung eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgen, welche die Rücknahme rechtfertigen. Die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis ist anzunehmen, wenn die Behörde mangels vernünftiger objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen hat (BSG, Urteil vom 21.03.2018 – B 6 KA 47/16 R –, in juris). Die Beklagte verfügte zur Überzeugung des Senats vorliegend frühestens nach Eingang der von der Klägerin angeforderten Behandlungsunterlagen am 12.07.2012 über die für eine Rücknahme der Honorarbescheide notwendige Tatsachenkenntnis. Der Ausdruck von Einzelfallnachweisen rechtfertigt allein nicht die Annahme, dass die Beklagte Kenntnis von allen Tatsachen hatte, die für die Rücknahme der Honorarbescheide erforderlich waren. Denn zu diesen Tatsachen gehören auch die besonderen Rücknahmevoraussetzungen, wie z.B. ein fehlender Vertrauensschutz (BSG, Urteil vom 24.10.2018 – B 6 KA 34/17 R –, in juris). Der Richtigstellungsbescheid vom 12.06.2013 ist damit noch vor Ablauf der Jahresfrist ergangen.

f) Ermessen musste die Beklagte bei Erlass des Richtigstellungsbescheids nicht ausüben (BSG, Urteil vom 24.10.2018 – B 6 KA 34/17 R –, in juris).

g) Die Beklagte hat allerdings den Rückforderungsbetrag fehlerhaft ermittelt.

Bei einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung ist im Grundsatz die Ermittlung des zu Unrecht gezahlten Honorars anhand der konkret unrechtmäßig abgerechneten Leistungen geboten (BSG, Urteil vom 19.8.2015 – B 6 KA 36/14 R –, in juris). Im Falle grob fahrlässiger Falschabrechnungen, die zum Wegfall der Garantiefunktion der Abrechnungs-Sammelerklärung führen, ist die Neufestsetzung des Honorars auch im Wege einer pauschalierenden Schätzung statthaft (BSG, Urteil vom 29.11.2017 – B 6 KA 33/16 R –, in juris, m.w.N.). Die Schätzung kann sich am Fachgruppendurchschnitt orientieren (BSG, Urteil vom 17.09.1997 – 6 RKa 86/95 –, in juris). Der KV kommt dabei insoweit das für jede Schätzung kennzeichnende Ermessen zu Gute (BSG, Urteil vom 24.10.2018 – B 6 KA 44/17 R –, in juris).

Für eine Schätzung ist indes vorliegend kein Raum. Zunächst steht der Umfang der rechtswidrigen Abrechnungen fest. Die Beklagte hat sowohl die Anzahl der Behandlungsfälle ohne Einlesedatum insgesamt als auch die Anzahl des Ansatzes der GOP 01430 EBM ohne Einlesedatum und die Anzahl der Vertretungsfälle ohne Einlesedatum ermittelt. Berichtigt hat sie allerdings ausdrücklich nur die Vertretungsfälle ohne Einlesedatum (vgl. Schreiben der Beklagten vom 11.09.2013). Nur diese Fälle können Grundlage der Berechnung der Rückforderungssumme sein. Die Beklagte kann deshalb mit ihrem Argument, die Abrechnungen der Klägerin seien in einem weit größeren Umfang rechtswidrig und sie hätte deshalb eine noch höhere Rückforderungssumme festsetzen können, nicht durchdringen.

Es besteht des Weiteren keine Veranlassung, den Wert der betroffenen Vertreterfälle durch Ansatz des individuellen (durchschnittlichen) Fallwerts pauschalierend zu schätzen. Es ist ohne unzumutbaren Aufwand möglich, das Honorar der Klägerin unter Streichung der betroffenen Vertretungsfälle neu zu berechnen. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat sie dabei allerdings nicht nur die GOP 01430 EBM zu streichen. Nicht alle Vertreterfälle ohne Einlesedatum sind mit der GOP 01430 EBM zur Abrechnung gelangt, wie sich aus den Darlegungen der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung beim SG ergibt. Darüber hinaus sind die Abrechnungen der Klägerin nicht wegen des fehlerhaften Ansatzes der GOP 01430 EBM rechtswidrig. Aufgrund des Verstoßes gegen die Bestimmungen über das Einlesen der Krankenversichertenkarte sind diese Behandlungsfälle vielmehr in ihrer Gesamtheit rechtswidrig zur Abrechnung gebracht worden. Die bloße Streichung der GOP ließe die Auswirkungen des Wegfalls der Fälle auf das Gesamthonorar unberücksichtigt. Die Streichung der Behandlungsfälle wird dann auch Auswirkungen auf das Regelleistungsvolumen der Klägerin haben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und berücksichtigt das anteilige Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten sowie den Umstand, dass der Widerspruch der Klägerin nur deshalb keinen Erfolg gehabt hat, weil die Verletzung des Anhörungsmangels nach § 41 SGB X unbeachtlich ist (BSG, Urteil vom 24.10.2018 – B 6 KA 34/17 R –, in juris, Rn. 37).

4. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.

5. Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved