L 5 KR 743/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 18 KR 1756/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 743/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.01.2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Genehmigung der Behandlung ihrer Multiplen Sklerose-(MS) Erkrankung in der Sch. sowie die Erstattung hierfür verauslager Kosten.

Die im Jahr 1972 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin leidet an MS (Erstdiagnose 2013). Im Januar 2015 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und bat - sinngemäß - um die Ausstellung eines Formulars E 112 zur Behandlung in einem anderen Mitgliedsstaat. Unter dem 25.01.2015 führte sie hierzu aus, es gebe in der Nähe ihres Wohnorts keinen Arzt, der zur Behandlung ihrer Erkrankung eine komplementärmedizinische Therapie (spezielle Infusionstherapie) durchführe. Per E-Mail vom 26.01.2015 führte sie aus, es handele sich um eine myelinschichtreparierende Infusionstherapie, die sie anlässlich eines Aufenthalts in der Sch. kennengelernt habe. Durch deren Anwendung hätte im letzten Sommer, d.h. im Jahr 2014, bei einem Krankheitsschub ein Krankenhausaufenthalt vermieden werden können.

Mit Schreiben vom 30.01.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass aus den bisher eingereichten Unterlagen nicht eindeutig ersichtlich sei, welche ärztliche Leistung die Klägerin in der Sch. begehre. Es werde daher darum gebeten, konkrete ärztliche Unterlagen vorzulegen, die sodann dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung vorgelegt werden könnten.

Nachdem die Klägerin auch im Rahmen des weiteren E-Mail Kontakts keine medizinischen Unterlagen beigebracht hatte, bat die Klägerin - anwaltlich vertreten - unter dem 15.07.2015 erneut um die Überlassung eines Formulars E 112. Die Beklagte entgegnete hierauf mit Schreiben vom 21.07.2015, dass ein Formular E 112 nach der Verordnung (EG) 883/04 nur dann auszustellen sei, wenn die beantragte Leistung auch in Deutschland - als eine vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) anerkannte Behandlungsmethode - zur Verfügung stehe, diese jedoch nicht in einem medizinisch vertretbaren Zeitraum gewährt werden könne. Bei der geplanten Myelin-Therapie in der Sch. handele es sich jedoch nicht um eine anerkannte Behandlungsmethode, die Therapie werde aktuell nur im Rahmen von Forschungsversuchen angewandt. Überdies fehlten bis heute ärztliche Unterlagen, aus denen ersichtlich werde, welche konkreten Behandlungsmaßnahmen, durch welchen behandelnden Arzt durchgeführt werden sollten.

Nachdem auch im weiteren Fortgang keine medizinischen Unterlagen beigebracht worden sind, klägerseits jedoch eingewandt worden ist, dass für den Anspruch auf Ausstellung des Formulars E 112 maßgeblich auf das Leistungsspektrum im Behandlungsstaat abzustellen sei, schaltete die Beklagte sodann unter dem 08.09.2015 den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) ein, für den Dr. Sch. unter dem 10.09.2015 ausführte, dass nach einer Internet-Recherche davon auszugehen sei, dass es sich bei der begehrten Behandlung wohl um eine Therapie mit Myelin-gekoppelten Zellen handele, die sich im Anfangsstadium der Erprobung befinde; eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf könne nicht angenommen werden. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass der Klägerin eine dem medizinischen Standard entsprechende Therapie zur Behandlung der bestehenden, nicht regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung nicht zur Verfügung stehe.

Mit Bescheid vom 21.09.2015 entschied die Beklagte, dass der Kostenübernahme für die begehrte Myelin-Therapie nicht zugestimmt werden könne, da es sich hierbei nicht um eine vom GBA anerkannte Behandlungsmethode handele. Aus diesem Grund könne auch ein Formular E 112 nicht ausgestellt werden.

Hiergegen erhob die Klägerin am 22.10.2015 ohne Begründung Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2016 zurückwies. Zur Begründung ihrer Entscheidung führte sie aus, nach § 16 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ruhe der Anspruch der Versicherten, solange sich diese im Ausland aufhielten, soweit nicht Abweichendes bestimmt sei. Die VO (EG) 883/04 bestimme insofern, dass, wenn der Aufenthalt zum Zwecke der Behandlung erfolge, die erforderliche Zustimmung zu erteilen sei, wenn die begehrte Behandlung Teil des Sachleistungssystems des zuständigen Trägers sei. Da indes die Myelin-Therapie in Deutschland keine anerkannte Behandlungsmethode sei, scheide auch eine Kostenübernahme für eine Leistungserbringung in der Sch. aus.

Gegen den am 24.02.2016 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 23.03.2016 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben, zu deren Begründung sie im Dezember 2016 vorgebracht hat, die Ausstellung des Formulars E 112 beurteile sich ausschließlich nach dem Leistungsspektrum im Behandlungsstaat, vorliegend der Sch ... Die von Dr. S., bei dem sie bereits zu Zeiten, als dieser noch in Deutschland praktiziert habe, behandelt worden sei, angewandte Myelin-Therapie, die sie privat vorfinanziert habe und die in der Sch. zu den Kassenleistungen rechne, habe zu einer erheblichen Besserung ihres Gesundheitszustandes geführt, wohingegen sie nach schulmedizinischen Grundsätzen als austherapiert gelte. Im Rahmen eines Termins zur Erörterung des Sachverhalts am 15.02.2017 hat die Klägerin ferner ausgeführt, ihr (damals noch in Deutschland praktizierender) Hausarzt Dr. S. habe ihr zur Behandlung der Erkrankung eine Infusionstherapie mit Gluthation, L-Carnitin, Alpha-Liponsäure, Vitaminen B 3, B 6 und B 12 sowie mit Cholin vorgeschlagen. Die Behandlung sei, so die Klägerin unter Berufung auf die Ausführungen von Dr. S. ihr gegenüber, bei anderen Patienten erfolgreich gewesen. Die Infusionsbehandlung sei im Frühjahr 2014 in der Sch. begonnen worden. Sie werde abhängig von der jeweiligen gesundheitlichen Situation alle 2 – 3 Monate, ggf. auch in kürzeren Abständen durchgeführt. Sie hat hierzu Rechnungen vom 17.03.2016 (Rechnungsbetrag: 1.408,70 CHF betr. die Behandlung vom 23.01. – 20.02.2016 und i.H.v. 1.281,80 CHF betr. die Behandlung vom 01.08. – 27.11.2015) vorgelegt und (fortan) auch beantragt, die Beklagte zur Erstattung der Rechnungsbeträge zu verurteilen.

Das SG hat sodann Dr. S. schriftlich als sachverständigen Zeugen einvernommen. Dieser hat unter dem 25.06.2017 mitgeteilt, die Klägerin seit 15 Jahren zu behandeln. Die von ihm diagnostizierte encephalitis disseminata zeige seit 2014 einen stabilen Befund ohne neurocranielle Entzündungszeichen. Er behandele die Erkrankung im Wege einer antiinflammatorischen, neurogenerativen Therapie unter Ansatz einer orthomolekularen Infusions- und Phytotherapie. Schulmedizinisch werde hingegen eine Vielzahl von verschiedenen Medikamenten eingesetzt, die oft schlecht vertragen würden und die die Symptome und Schubhäufigkeit nicht überzeugend reduzierten. Orthomolekular habe man hingegen die Pathomechanismen der MS erkannt und eine Therapie entwickelt. Diese führe er in der Sch. seit fünf Jahren durch. Die Therapie sei effektiv und nebenwirkungsarm. Die Krankenkassen in der Sch. erstatteten die Kosten hierfür. Mit seiner Stellungnahme hat Dr. S. u.a. ein Therapieschema vorgelegt, in dem die für die Therapie der MS eingesetzten Wirkstoffe einschließlich der Dosierung aufgeführt sind, nach dem die Wirkstoffe Cholin (-citrat/-chlorid), NaCl und Colamin, jeweils als Infusion, "im Wechsel mit" den Vitaminen C, B 1, B 6 und B 12 sowie mit NaCl, Selen und Zink sowie zusätzlich alpha-Liponsäure und Gluthadion genutzt werden. Die beiden Infusionen sollten nach der beschriebenen Vorgehensweise, jeweils 2-4x/Woche über mehrere Wochen zur Anwendung kommen. Das Cholin solle hierbei langsam über 45 min. im Liegen und Ruhen nach Infusion infundieren.

Die Beklagte ist der Klage unter Verweis auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbescheides entgegengetreten. Sie hat ferner ein für den MDK erstelltes sozialmedizinisches Gutachten der Dr. Sch. vom 26.09.2017 vorgelegt, in dem diese die Einschätzung vertreten hat, dass eine begründete Aussicht darauf, dass die Therapie zum Behandlungserfolg führe, nicht angenommen werden könne. Es stehe insb. eine dem allgemeinen medizinischen Standard entsprechende, leitliniengerechte Therapie zur Behandlung der MS zur Verfügung. Weder für die bei der Klägerin durch Dr. S. durchgeführte Behandlung noch für die im Off-Label-Use eingesetzten, rezeptpflichtigen Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Zink und Selen könnten wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit identifiziert werden. Die Verordnung der Vitamine, Spurenelemente, Nahrungsergänzungsmittel und der homöopathischen bzw. nicht rezeptpflichtigen Arzneimittel erfülle nicht die Vorgaben des SGB V bzw. der Arzneimittelrichtlinie. Es sei daher, so Dr. Sch., zu schlussfolgern, dass es zu dieser Therapie als Gesamtkonzept keinen wissenschaftlichen Konsens gebe.

Mit Gerichtsbescheid vom 22.01.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Myelin-Therapie unterfalle nicht dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, weswegen die Klägerin die beantragte Erstattung der verauslagten Kosten nicht beanspruchen könne. Die Krankenkassen schuldeten nur die Versorgung mit den für die Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln, wobei nur solche Arzneimittel verordnet werden könnten, die zweckmäßig und wirtschaftlich seien und die im Hinblick auf Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprächen. Für die Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit seien zwei Verfahren vorgesehen, die Überprüfung des Arzneimittels durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nach dem Arzneimittelgesetz (AMG), zum anderen für die Behandlungs- und Untersuchungsmethode die Überprüfung durch den GBA. Sei ein Arzneimittel bereits im Rahmen der arzneimittelrechtlichen Zulassung überprüft worden, sei eine Überprüfung durch den GBA entbehrlich. Vor diesem Hintergrund seien die Cholin-Infusionen als nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V von der Verordnungsfähigkeit ausgenommen. Überdies liege keine positive Empfehlung des GBA vor. Bei Cholincitrat oder -chlorid handele es sich um ein Rezepturarzneimittel, für das eine arzneimittelrechtliche Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nicht erfolgt sei. Da auch der GBA die Cholin-Infusionen zum Einsatz innerhalb einer sog. Myelin-Therapie bisher nicht überprüft habe, dürfe die Methode im vertragsärztlichen Bereich nicht erbracht und die entsprechenden Cholincitrate oder -chloride auch nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden. Ein Ausnahmefall, in dem trotz fehlenden Votums des GBA eine neuartige Therapie als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen sei, liege nicht vor. Selen und Zink seien verschreibungspflichtig und damit grundsätzlich erstattungsfähig, jedoch erfolge die Nutzung im Rahmen der Myelin-Therapie außerhalb der Zulassung. Die Voraussetzungen eines zulässigen off-label-uses seien nicht erfüllt, da zum einen Standard-Therapien zur Verfügung stünden, zum anderen keine Daten vorlägen, die die begründete Aussicht stützten, dass mit Zink und Selen ein Behandlungserfolg bei MS erzielt werden könnte. Bei den Vitaminen und der Alpha-Liponsäure handele es sich um nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel, die nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgenommen seien. Gluthation und Omega-3-Fettsäuren seien als Nahrungsergänzungsmittel durch die Arzneimittelrichtlinien generell von der Versorgung durch gesetzliche Krankenkassen ausgeschlossen. Eine Leistungspflicht der Beklagten folge vorliegend auch nicht aus einer verfassungskonfomen Auslegung der Bestimmungen des Krankenversicherungsrechts, da die Klägerin nicht an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leide, noch die bestehende Erkrankung einer solchen gleich zu erachten sei. Die begehrte Kostenerstattung könne auch nicht auf europäisches Recht gestützt werden, da hierdurch der Leistungskatalog nicht erweitert würde. Ein Anspruch auf Erstattung der verauslagten Kosten bestehe daher nicht. Die Klägerin könne auch die Ausstellung des begehrten S 2-Formulars (früher E 112) nicht beanspruchen. Nach Art. 20 der VO Nr. 883/2004 sei zur Inanspruchnahme von Sachleistungen im Ausland eine Genehmigung erforderlich, wozu die Ausstellung des S 2-Formulars beantragt werden könne. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 20 der VO Nr. 883/2004 bestehe ein Anspruch auf die Erteilung der Genehmigung. Da die Genehmigung jedoch an einen Leistungsanspruch im Wohnsitzstaat gebunden sei, ein solcher jedoch nicht bestehe, sei der Klägerin das Formular zu Recht nicht erteilt worden.

Gegen den ihr am 01.02.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 26.02.2018 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zu deren Begründung trägt sie vor, die Behandlung durch Dr. S. habe zu einer deutlichen Reduzierung der Symptome geführt, wohingegen die deutschen Ärzte davon ausgegangen seien, dass sie austherapiert gewesen sei und keine Behandlungsalternativen mehr gesehen hätten. Die Behandlung durch Dr. S. sei daher medizinisch notwendig gewesen. Die Annahme des MDK, es handle sich um eine experimentelle Therapie, könnten die positiven Auswirkungen nicht in Abrede stellen. Ein schriftsätzlich gestellter Antrag, die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, wurde (schriftsätzlich) wieder zurückgenommen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.01.2018 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2016 zu verurteilen, ihr die antiinflammatorische, neurogenerative Therapie unter Ansatz orthomolekularer Infusions- und Phythotherapie in der Sch. durch Aushändigung des Formulars S 2 zu genehmigen und die Kosten der ambulanten Behandlung durch Dr. S. i.H.v. insg. 2.690,50 CHF zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Gerichtsbescheid des SG sei nicht zu beanstanden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die bei der Beklagten geführte Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 22.01.2020 geworden sind, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.01.2020 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, da der nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes von 750,- EUR mit der geltend gemachten Erstattungsforderung von 2.690,50 CHF (umgerechnet ca. 2.486,40 EUR) überschritten ist, und auch im Übrigen zulässig.

Die Berufung führt für die Klägerin nicht zum Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Streitgegenständlich ist vorliegend der Bescheid der Beklagten vom 21.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.02.2016, mit dem die Beklagte entschieden hat, dass die Kostenübernahme für die begehrte Myelin-Therapie nicht erteilt und ein Formular E 112 nicht ausgestellt werden könne. Nachdem die Klägerin (noch) im erstinstanzlichen Verfahren ihr Klagebegehren dahingehend umgestellt hat, die Beklagte zur Erstattung der von ihr für die durchgeführten Behandlungen verauslagten Kosten zu erstatten, ist vorliegend nur darüber zu befinden, ob die beklagte Krankenkasse verpflichtet ist, die von der Klägerin für die Behandlung bei Dr. S. verauslagten 2.690,50 CHF zu erstatten und ob die Beklagte verpflichtet ist, ihr das Formular S 2 auszuhändigen. Nachdem der zwischenzeitlich gestellte Antrag, die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, (schriftsätzlich) wieder zurückgenommen worden ist, ist hierüber nicht zu befinden.

Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihr die verauslagten Kosten zu erstatten hat.

Die Behandlung der Klägerin im Wege der, so Dr. S., antiinflammatorischen, neurogenerativen Therapie (unter Ansatz einer orthomolekularer Infusions- und Phytotherapie) hat an dessen Praxissitz in 4 ... L. in der Sch. und damit außerhalb des Geltungsbereichs des SGB V stattgefunden. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V bestimmt hierzu, dass der Anspruch auf Leistungen ruht, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkranken, soweit in diesem Gesetzbuch nichts Abweichendes bestimmt ist. Ausnahmen i.d.S. finden sich u.a. in § 13 Abs. 4 – 6 SGB V. Nach § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Sch. anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Hierbei dürfen nach § 13 Abs. 4 Satz 2 SGB V nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte (§ 13 Abs. 4 Satz 3 SGB V).

§ 13 Abs. 4 SGB V setzt, wie auch die Abs. 5 und 6 des § 13 SGB V, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum freien Waren- und Dienstleistungsverkehr (Art. 23 ff., 49 ff. des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft; seit Dezember 2009: Art. 28 ff., 56 ff. des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union) in das nationale Recht um. Aus diesen Vorschriften hat der EuGH im Sinne einer passiven Freiheit das Recht abgeleitet, Gesundheitsleistungen grenzüberschreitend diskriminierungsfrei in Anspruch nehmen zu können. In Anpassung des deutschen Krankenversicherungsrechts an europarechtliche Vorgaben wird den Versicherten das Recht eingeräumt, unter näher bestimmten Voraussetzungen Leistungserbringer in allen EU- und EWR-Staaten in Anspruch zu nehmen. Mangels Integration der ausländischen Leistungserbringer in das deutsche Leistungserbringungssystem geschieht dies grundsätzlich im Wege der Kostenerstattung.

Das Recht, ausländische Leistungserbringer im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, zu dem alle (gesetzlich) Versicherten berechtigt sind, besteht für ambulante Behandlungen (stationäre Behandlungen werden von § 13 Abs. 5 SGB V erfasst) in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), in den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und in der Sch ... Die Sch. gehört zwar weder der EU noch dem EWR an, jedoch wurde durch das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Sch. Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 07.11.2001 (BGBl II 2001, 810) die Geltung der VO (EWG) 1408/71 und 574/72 vereinbart, weswegen sie, die Sch., in den räumlichen Anwendungsbereich einbezogen ist.

Das Unionsrecht führt im Rahmen der EU-Auslandskrankenbehandlung jedoch nicht zu einer sachlichen Erweiterung der dem Versicherten nach innerstaatlichem Recht zustehenden Rechte. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat insofern in der Rechtssache M.-F./van R. (Urteil vom 13.05.2003 - C-385/99 -) klargestellt, dass es allein Sache der Mitgliedstaaten sei, den Umfang des Krankenversicherungsschutzes für die Versicherten zu bestimmen. Versicherte könnten deshalb, wenn sie sich ohne vorherige Genehmigung zur Versorgung in einen anderen Mitgliedstaat als den der Niederlassung ihrer Krankenkasse begeben, die Übernahme der Kosten auch für ihre ambulante ärztliche Versorgung nur insoweit verlangen, als das Krankenversicherungssystem des Mitgliedstaats der Versicherungszugehörigkeit eine Deckung garantiere (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 27.09.2005 - B 1 KR 28/03 R -, in juris, dort Rn. 31). Der Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs. 4 SGB V setzt daher, wie der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V, einen konkreten Sach- oder Dienstleistungsanspruch (Primäranspruch) voraus (BSG, Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 19/08 R -, in juris; vgl. auch BT-Drs. 15/1525 S.80). Das wird bereits aus dem Wortlaut des § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V und die dortige Formulierung "anstelle" deutlich.

Die Abhängigkeit des Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs. 4 SGB V von einem Sachleistungsanspruch bedeutet, dass dessen sachlich-rechtlichen und sonstigen Leistungsvoraussetzungen erfüllt gewesen sein müssen. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, da die Klägerin keinen Sachleistungsanspruch auf Durchführung einer antiinflammatorischen, neurogenerativen Therapie unter Ansatz orthomolekularer Infusions- und Phytotherapie zur Behandlung der bestehenden MS hat.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Anspruch umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V auch die Versorgung mit Arzneimitteln. Der in § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und § 31 Abs. 1 SGB V normierte Anspruch des Versicherten auf Bereitstellung der für die Krankenbehandlung benötigten Arzneimittel unterliegt den Einschränkungen aus § 2 Abs. 1 Satz 3 und § 12 Abs. 1 SGB V. Der Versorgungsanspruch besteht nur für solche Pharmakotherapien, die sich bei dem vorhandenen Krankheitsbild als zweckmäßig und wirtschaftlich erwiesen haben und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Diese Anforderungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht erfüllt, wenn das verabreichte Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedarf, aber nicht zugelassen ist. Das Krankenversicherungsrecht verzichtet bei der Arzneimittelversorgung, anders als bei den übrigen Leistungen der Krankenbehandlung (siehe dazu §§ 135 bis 139 SGB V), weitgehend auf eigene Vorschriften zur Qualitätssicherung. Es knüpft insoweit an das Arzneimittelrecht an, das für Fertigarzneimittel eine staatliche Zulassung vorschreibt und deren Erteilung vom Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medikaments abhängig macht (§ 21 Abs. 2 AMG). Da dies dieselben Kriterien sind, an denen die Leistungen der Krankenversicherung gemessen werden, kann bei Vorliegen der arzneimittelrechtlichen Zulassung davon ausgegangen werden, dass damit zugleich die Mindeststandards einer wirtschaftlichen und zweckmäßigen Arzneimittelversorgung im Sinne des Krankenversicherungsrechts erfüllt sind (BSG, Urteil vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R - in juris).

Der Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V, nachdem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung nur dann erbracht werden dürfen, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat, ist für Arzneitherapien daneben dann zu beachten, wenn diese als Untersuchungs- und Behandlungsmethode anzusehen ist, d.h. wenn ihnen ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zu Grunde liegt und die eingesetzten Arzneimittel - als Rezepturarzneimittel - nach dem AMG zulassungsfrei sind oder wenn die bestimmungsgemäße Anwendung eines Fertigarzneimittels eines besonderen medizinisch-technischen Verfahrens eines Arztes erfordert, dem ein ebenso großes Gewicht wie der eingebrachte Stoff selbst zukommt (BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R -, in juris, dort Rn. 20; Urteil des erkennenden Senats vom 31.01.2018 - L 5 KR 2399/16 - n.v.; vgl. Nolte in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Bd. 2, Stand Dez. 2018, § 31 SGB V, Rn. 25 f.). Ist dieses Verfahren im Rahmen eines Zusammenspiels von ärztlicher Kunst und Arzneimittelgabe ebenso wichtig wie das Wirkprinzip des in den Körper eingebrachten Stoffes, liegt in jedem Fall eine über die schlichte Gabe eines Arzneimittels im Rahmen der (reinen) Pharmakotherapie hinausgehende ärztliche Behandlungsmethode vor. Demgegenüber stellt die (bloße) Gabe eines Arzneimittels, etwa zur Einnahme durch den Patienten, aber auch durch Injektion oder Infusion in den Körper (bei Infusion auch mit vorausgegangener Blutentnahme, ärztlicher Beratung und Überwachung), eine (reine) Pharmakotherapie dar (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2016, - B 1 KR 1/16 R -, in juris, dort Rn. 23 m.w.N.).

Nach dem Behandlungskonzept, wie es sich dem Senat nach der Stellungnahme des Dr. S. gegenüber dem SG vermittelt, besteht die "antiinflammatorische, neurogenerative Therapie unter Ansatz orthomolekularer Infusions- und Phytotherapie" zur Behandlung der bei der Klägerin bestehenden MS-Erkrankung darin, den Patienten verschiedene Wirkstoffe auf unterschiedlichem Darreichungsweg zu verabreichen. Da hierbei nach dem Dosierungsplan weder Fertigarzneimittel verwendet werden und der Senat in dem beschriebenen Vorgehen kein Behandlungskonzept zu erblicken vermag, dem ein ebenso großes Gewicht beizumessen ist wie den Wirkstoffen, beurteilt sich die Frage, ob ein Sachleistungsanspruch der Klägerin besteht, ausschließlich nach den Kriterien betr. die Arzneimittel nach § 31 SGB V.

Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit diese nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V bestimmt insofern, dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen sind, wobei der GBA in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V festlegt, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V). In der hierzu ergangenen Arzneimittel- Richtlinie (AM-RL) werden in § 12 die Ausnahmen (abschließend: vgl. § 12 Abs. 4 und 5 der AM-RL) u.a. dahingehend benannt, als in der Anlage 1 zu § 12 AM-RL die zugelassenen Ausnahmen zum gesetzlichen Versorgungsausschluss nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V aufgeführt werden.

Nach den dortigen Vorgaben besteht jedoch kein Versorgungsanspruch mit den von Dr. S. genutzten Arzneimitteln Cholin (-citrat/-chlorid), NaCl und Colamin, den Vitaminen C, B 1, B 6 und B 12 sowie mit NaCl, Selen, Zink sowie alpha-Liponsäure und Gluthadion.

Nach den nachvollziehbaren Ausführung der Dr. Sch. in deren sozialmedizinischem Gutachten vom 26.09.2017 handelt es sich bei Cholincitrat und Colamin um ein zwar apothekenpflichtiges jedoch nicht verschreibungspflichtiges homöopathisches Arzneimittel, die Vitamine C, B 1, B 6 und B 12 und die Alpha-Liponsäure sind gleichfalls apothekenpflichtig, aber nicht verschreibungspflichtig. Da auch weder das Cholincitrat als homöopathisches Arzneimittel als Arzneimittel, das ausnahmsweise verordnet werden kann, in der Anlage 1 aufgeführt ist, die Vitamine, die Alpha-Liponsäure und die Nahrungsergänzungsmittel Omega -3- Fettsäuren und Gluthadion gleichfalls dort nicht gelistet sind, konnten diese Stoffe der Klägerin nicht zu Lasten der Beklagten verordnet werden (zur Verfassungsmäßigkeit des Leistungsausschusses etwa BSG, Urteil vom 15.12.2015 - B 1 KR 30/15 R -, in juris).

Die Spurenelemente Zink und Selen sind zwar rezeptpflichtige Arzneimittel, sie besitzen jedoch nur eine Zulassung für die Behandlung eines Zink- bzw. Selenmangels, der bei der Klägerin nicht besteht. Dem Arzneimittelbegriff der gesetzlichen Krankenversicherung ist jedoch eine Anwendungsbezogenheit immanent. Diese dokumentiert sich darin, dass ein Arzneimittel für ein bestimmtes Anwendungsgebiet zugelassen wird. Soll ein Präparat jenseits dieses Anwendungsbereichs eingesetzt werden (sog. [richterrechtlicher] Off-Label-Use), setzt dies voraus (vgl. BSG, Urteil vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R -, in juris), dass es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, keine andere Therapie verfügbar ist und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSG, Urteil vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R -, in juris). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Es bestehen vielmehr andere Therapiemöglichkeiten zur Behandlung der MS, einer chronischen, i.d.R. schubweise verlaufenden Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. Für Patienten mit schubförmiger MS steht im Rahmen der "Stufentherapie" bei einem akuten MS-Schub die Behandlung mit Glukokortikoiden als etablierter Therapiestandard zur Verfügung. Die Basistherapie erfolgt i.d.R. durch die Gabe von Interferon-Präparaten. Leiden Patienten trotzdem an häufigen Schüben, können Antikörperpräparate oder ein Chemotherapeutikum (zur Schub- oder Dauerbehandlung) eingesetzt werden (vgl. die bis zum 11.04.2017 und damit im Zeitraum der dem Erstattungsbegehren zu Grunde liegenden Behandlung gültigen Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie - Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose - der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, vgl. auch www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/woran-wir forschen/dauerbehandlung-multiple-sklerose).

Mithin konnten die von Dr. S. genutzten Arzneimittel auch nicht nach den Grundsätzen des Off-label-use auf Kostenlast der Beklagten verordnet werden. Ein Sachleistungsanspruch der Klägerin auf Versorgung mit den von Dr. S. genutzten Wirkstoffen bestand mithin nicht.

Selbst wenn die Behandlung durch Dr. S. dem Regime des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V unterfallen würde, hätte die Klägerin keinen Sachleistungsanspruch. Nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zulasten der Krankenkasse nur erbracht werden und gehören auch nur dann zu den, den Versicherten von der Krankenkasse geschuldeten Leistungen, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinischer Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (BSG, Urteile vom 07.11.2006 - B 1 KR 24/06 R -, 16.12.2008 - B 1 KR 11/08 R -, 03.07. 2012 - B 1 KR 6/11 R - und 07.05.2013 - B 1 KR 44/12 R -, alle in juris), ohne befürwortende Entscheidung des GBA kommt eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht in Betracht. An die Entscheidungen des GBA sind Krankenkassen und Gerichte gebunden (BSG, Urteil vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/05 R -, in juris). Da indes der GBA zur "antiinflammatorischen, neurogenerativen Therapie unter Ansatz orthomolekularer Infusions- und Phytotherapie" keine positive Empfehlung des GBA abgegeben hat, unterliegt diese Therapie dem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V und darf im vertragsärztlichen Bereich nicht erbracht werden. Anhaltspunkte dafür, dass insofern ein Systemversagen vorliegt, liegen nicht vor. Da die MS auch keine seltene Erkrankung darstellt, greifen auch insofern keine Ausnahmen vom Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ein.

Ein Sachleistungsanspruch der Klägerin auf die begehrte Leistung folgt vorliegend auch nicht aus § 2 Abs. 1a SGB V, der mit Wirkung vom 01.01.2012 durch Art. 1 Nr. 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 2983) eingefügt worden ist und der in Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht (BVerfG; Beschluss vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 - in juris) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG (z.B. Urteile vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/04 R - und - B 1 KR 7/05 R - und Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KR 11/08 R - alle in juris) gesetzlich normiert, dass Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung (und damit eine Leistung, deren Qualität und Wirksamkeit entsprechend dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse noch nicht feststeht) beanspruchen können, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Ungeachtet davon, dass die bei der Klägerin bestehende Erkrankung bereits keine Erkrankung ist, die mit einer regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung wertungsmäßig vergleichbar ist, stehen, wie oben ausgeführt, andere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, sodass auch nach § 2 Abs. 1a SGB V ein Sachleistungsanspruch nicht besteht.

Die Klägerin hat mithin keinen materiell-rechtlichen (Sachleistungs-) Anspruch auf die Übernahme der Kosten einer "antiinflammatorischen, neurogenerativen Therapie unter Ansatz orthomolekularer Infusions- und Phytotherapie" zur Behandlung der bestehenden multiplen Sklerose, weswegen eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 4 SGB V ausscheidet.

Da im Anwendungsbereich des § 13 Abs. 4 SGB V ein Rückgriff auf die Regelung des § 13 Abs. 3 SGB V ausgeschlossen ist (BSG, Urteil vom 30.06.2009 - B 1 KR 22/08 R -, in juris, dort Rn. 44) kommt ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V nicht in Betracht.

Schließlich vermögen auch fiktionsrechtliche Gesichtspunkte dem Begehren der Klägerin nicht zum Durchbruch zu verhelfen. Die Krankenkasse hat nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V i.d.F. des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.02.2013 (BGBl. I S.277) über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang, oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insb. des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Hält die Krankenkasse eine gutachterliche Stellungnahme für erforderlich, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V). Damit eine Leistung überhaupt als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags; der Antrag muss hierbei so bestimmt gestellt sein, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits i.S.d. § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch hinreichend bestimmt ist. Ein Verwaltungsakt ist - zusammengefasst - inhaltlich hinreichend bestimmt, wenn sein Adressat objektiv in der Lage ist, den Regelungsgehalt des Verfügungssatzes zu erkennen und der Verfügungssatz ggf. eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bildet (BSG, Urteil vom 27.08.2019 - B 1 KR 1/19 R -, in juris dort Rn. 16). Da jedoch aus den von der Klägerin im Januar 2015 übersandten Unterlagen bereits nicht ersichtlich war, welche konkrete Behandlung begehrt wird, ein über die Ausstellung des Formulars E 112 hinausgehendes, konkretes Begehren klägerseits zu keinem Zeitpunkt des Verwaltungsverfahrens benannt worden ist, die Beklagte vielmehr – zu Recht – lediglich nach einer Internetrecherche vermuten konnte, dass eine Myelin-Therapie begehrt wurde, lag zu keinem Zeitpunkt des Verwaltungsverfahrens ein fiktionsfähiger Antrag vor, weswegen ein Leistungsanspruch unter den Grundsätzen der Genehmigungsfiktion ausscheidet.

Die Klägerin hat mithin unter keinem Gesichtspunkt Anspruch darauf, dass ihr die verauslagten 2.690,50 CHF von der Beklagten zu erstatten sind.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Ausstellung des S 2-Formulars. Mit dem S 2-Formular nach der VO (EG) Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 wird für geplante Behandlungen im Ausland bescheinigt, dass der Versicherte Anspruch auf eine bestimmte Behandlung im Ausland hat. Nach Art. 20 Abs. 1 (Reisen zur Inanspruchnahme von Sachleistungen) der VO (EG) 987/2009 vom 20.04.2004 muss ein Versicherter, der sich zur Inanspruchnahme von Sachleistungen in einen anderen Mitgliedsstaat begibt, die Genehmigung des zuständigen Trägers einholen. Die Genehmigung wird nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 der VO erteilt, wenn die betreffende Behandlung Teil der Leistung ist, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzmitgliedstaats der betreffenden Person vorgesehen ist, und ihr diese Behandlung nicht innerhalb eines in Anbetracht ihres derzeitigen Gesundheitszustandes und des voraussichtlichen Verlaufs der Krankheit medizinisch vertretbaren Zeitraums gewährt werden kann. Da jedoch die begehrte Behandlung nicht Teil des Leistungsspektrums der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung ist, besteht vorliegend kein Anspruch auf Ausstellung der mit dem Formular S 2 zu erteilenden Genehmigung.

Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 22.01.2018 ist daher nicht zu beanstanden, weswegen die Berufung der Klägerin zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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