L 13 AL 485/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AL 215/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 485/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten und die (selbstständige) Anschlussberufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 19. Januar 2016 werden zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger 1/10 der außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht die Höhe des dem Kläger bewilligten Arbeitslosengeldes (Alg) im Streit.

Der 1956 geborene Kläger war vom 1. Juli 1990 bis 31. Oktober 2014 in F.-W. in der Schweiz bei der Firma M.-M. als Werkzeugvoreinsteller bzw. Fräser tätig. Sein Arbeitseinkommen betrug im Jahr 2012 80.645,45 CHF, im Jahr 2013 72.800,- CHF und im Zeitraum 1. Januar 2014 bis 31. Oktober 2014 83.086,20 CHF. Der Kläger ist während seiner Tätigkeit in der Schweiz täglich von seinem Wohnort zu seinem Arbeitsplatz gependelt.

Bereits am 4. Februar 2014 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er zum 31. Mai 2014 gekündigt worden sei und meldete sich arbeitsuchend. In einem Erstgespräch am 14. Februar 2014 führte er aus, dass er aufgrund einer Betriebsschließung zum 31. Mai 2014 gekündigt worden sei. Er suche eine Stelle in Vollzeit in RT., S., K., Grenzgebiet Schweiz als Fräser und bewerbe sich bereits aktiv. Zwischen dem Kläger und der Beklagten wurde eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen. Am 12. Mai 2014 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass sein Arbeitsverhältnis bis 31. August 2014 verlängert worden sei. Am 6. August 2014 teilte er eine weitere Verlängerung des Arbeitsverhältnisses bis zum 31. Oktober 2014 mit. Die Beteiligten schlossen daraufhin eine neue Eingliederungsvereinbarung ab. Am 20. Oktober 2014 meldete sich eine Mitarbeiterin der XYZ Präzisionstechnik GmbH L. bei der Beklagten und teilte mit, dass sie den Kläger gerne einstellen möchten. Sie erkundigte sich nach Fördermöglichkeiten. Am 24. Oktober 2014 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er eine vielversprechende Bewerbung bei der XYZ Präzisionstechnik GmbH am L. habe. Am selben Tag schlossen die Beteiligten nochmals eine Eingliederungsvereinbarung ab. Am 24. tober 2014 meldete sich der Kläger außerdem arbeitslos für die Zeit ab 1. November 2014. Am 30. Oktober 2014 teilte der Kläger der Beklagten sodann mit, dass er ab 1. November 2014 eine Tätigkeit bei der XYZ Präzisionstechnik GmbH aufnehmen werde. Seine Arbeitslosmeldung zum 1 November 2014 wurde daraufhin wieder gelöscht.

Vom 1. November 2014 bis 24. November 2014 war der Kläger sodann bei der Firma XYZ in L. als Werkzeugvoreinsteller tätig. Das Arbeitsverhältnis wurde durch Kündigung des Arbeitgebers am 10. November 2014 in der Probezeit zum 24. November 2014 beendet. Der Kläger wurde sofort freigestellt. Dem Kläger wurde für diese Tätigkeit ausweislich der Lohn- und Gehaltsabrechnung ein Arbeitsentgelt in Höhe von 2.232,77 EUR ausgezahlt.

Am 10. November 2014 meldete sich der Kläger wieder arbeitslos und stellte einen Antrag auf Bewilligung von Alg. Mit Bescheid vom 2. Januar 2015 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg für den Zeitraum 25. November 2014 bis 24. November 2016 (720 Tage) in Höhe von täglich 29,48 EUR (monatlich 884,40 EUR, Bemessungsentgelt täglich 73,73 EUR, Lohnsteuerklasse I).

Gegen den Bewilligungsbescheid erhob der Kläger am 13. Januar 2015 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass die Höhe des Alg nicht korrekt sei. Er habe über 24 Jahr lang in der Schweiz gearbeitet und lediglich über eine Woche in Deutschland. Daher sehe er nicht ein, dass sein Schweizer Gehalt nicht als Grundlage für die Berechnung diene. Mit der jetzigen Höhe des Arbeitslosengeldes könne er seine Raten nicht mehr zahlen, könne Insolvenz anmelden und sein Auto verkaufen. Wäre ihm bewusst gewesen, dass er im Nachhinein bestraft werde, dass er die Tätigkeit in Deutschland aufgenommen habe, hätte er keine Arbeit in Deutschland aufgenommen.

Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2015 zurückgewiesen. Nach Art. 62 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (GVO, Grundverordnung) bestimme, dass der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften bei der Berechnung der Leistungen die Höhe des früheren Entgelts oder Erwerbseinkommens zugrunde zu legen sei, ausschließlich das Entgelt oder Einkommen berücksichtige, das die betreffende Person während ihrer letzten Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit nach diesen Rechtsvorschriften erhalten habe. Dies gelte auch, wenn nach den für den zuständigen Träger geltenden Rechtsvorschriften ein bestimmter Bezugszeitraum für die Ermittlung des als Berechnungsgrundlage für die Leistungen heranzuziehenden Entgelts vorgesehen sei und die betreffende Person während dieses Zeitraums oder eines Teils davon den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats unterlegen sei. Der Bemessungsrahmen umfasse gem. § 150 SGB III ein Jahr. Da der Kläger zuletzt in Deutschland tätig gewesen sei, sei für die Bemessung des Alg ausschließlich das zuletzt in Deutschland erzielte Arbeitsentgelt zu berücksichtigen. Der Bemessungsrahmen umfasse die Zeit 25. November 13 bis 24. November 2014. Er werde gem. § 150 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB III auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalte. Dies sei beim Kläger der Fall, so dass der Bemessungsrahmen auf die Zeit vom 25. November 2012 bis 24. November 2014 verlängert werde. Bemessungsentgelt sei gem. § 151 Abs. 1 SGB III das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe. Könne ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, sei gem. § 152 SGB III als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen. Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts sei der Kläger einer Qualifikationsgruppe zuzuordnen. Der Kläger sei gem. § 152 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB III der Qualifikationsgruppe 3 zuzuordnen. Auch im erweiterten Bemessungsrahmen vom 25. November 2012 bis 24. November 2014 seien keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt festzustellen. Die Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) betrage jährlich 33.180,- EUR. Für die Qualifikationsgruppe 3 ergebe sich danach ein tägliches Bemessungsentgelt in Höhe von 73,73 EUR. Maßgeblich sei die Lohnsteuerklasse I. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge ergebe sich ein Leistungsentgelt in Höhe von 49,14 EUR. Das Alg betrage 60 % vom Leistungsentgelt und somit 29,48 EUR.

Am 28. Januar 2015 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Beschäftigung in der Schweiz hinsichtlich der Anwartschaftszeit nach Art. 61 VO (EG) Nr. 883/2004, Art. 42 AEUV und nach Art. 8 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits zu berücksichtigen sei. Alle Zeiten seien zusammenzurechnen, so dass auch das vom Kläger in der Schweiz verdiente Arbeitsentgelt bei der Berechnung des Alg Berücksichtigung finden müsse. Aufgrund des Lebensalters des Klägers und seiner Schwerbehinderung sei eine Vermittlung in ein neues Arbeitsverhältnis als problematisch anzusehen. Eine Nichtberücksichtigung stelle für ihn eine besondere Härte dar. Darüber hinaus sei er von der Beklagten erst im Nachhinein darüber aufgeklärt worden, dass die Aufnahme einer Beschäftigung in Deutschland zu erheblichen Nachteilen bei der Berechnung seiner Arbeitslosengeldansprüche führen könne.

Die Beklagte hat ausgeführt, dass das vom Kläger im Zeitraum 1. November 2014 bis 24. November erzielte Arbeitsentgelt gem. § 150 Abs. 1 S. 1 SGB III nicht bei der Bemessung des Alg berücksichtigt werden konnte, da es beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis noch nicht abgerechnet gewesen sei. Ausweislich der eingereichten Monatsübersicht 11/2014 sei das Arbeitsentgelt erst am 11. Dezember 2014 abgerechnet worden. Damit habe auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des BSG vom 17. März 2015 eine fiktive Bemessung nach § 152 SGB III zu erfolgen. Mit Bescheid vom 25. Juni 2015 ist die Bewilligung von Alg ab dem 1. Juli 2015 aufgehoben worden, da der Kläger ab diesem Zeitpunkt eine versicherungspflichtige Beschäftigung bei der Firma YYY Sch. aufgenommen hat.

Mit Urteil vom 19. Januar 2016 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 2. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2015 verurteilt, das Alg des Klägers nach einem Bemessungsentgelt von 93,03 EUR zu bemessen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, das Alg für Arbeitslose ohne Kinder betrage 60 % des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergebe, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe (Bemessungsentgelt). Bemessungsentgelt sei gem. § 151 SGB III das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe. Der Bemessungszeitraum umfasse die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiten der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasse ein Jahr; er ende mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs, § 150 Abs. 1 S. 2 SGB III. Er werde gem. § 150 Abs. 3 S. 1 Nr. 1SGB III auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalte. Sofern ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden könne, sei als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, § 152 Abs. 1 SGB III. Die Höhe des fiktiven Arbeitsentgelts ergebe sich aus verschiedenen Qualifikationsgruppen, § 152 Abs. 2 SGB III. Beim Bemessungszeitraum könnten nur solche Zeiten berücksichtigt werden, für die beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis bereits Entgeltabrechnungen vorgelegen hätten. Aufgrund der klägerischen Tätigkeit in der Schweiz sei über das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 in der Fassung des Beschlusses 1/12 des Gemischten Ausschusses vom 31. März 2012 auch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherzeit anzuwenden. Nach Art. 62 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 883/2004 könne es im vorliegenden Fall nicht zur Berücksichtigung des vom Kläger in der Schweiz erzielten Entgeltes kommen. Es könne lediglich das Einkommen berücksichtigt werden, das zuletzt in dem Mitgliedsstaat erzielt worden sei, in dem auch der Wohnsitz des Arbeitslosen liege und in dem Arbeitslosengeld begehrt werde. Dies sei für den Kläger Deutschland. Auch ergebe sich aus Abs. 3 der Regelung nichts anderes, da der Kläger unmittelbar vor Beginn der Arbeitslosigkeit gerade kein Grenzgänger mehr gewesen sei. Art. 62 VO (EG) Nr. 883/2004 verdränge im Anwendungsbereich der Verordnung die deutschen Normen des SGB III unmittelbar und verbindlich (vgl. Art. 288 EUV). Dies sei auch durch das BSG in seinem Urteil vom 17. März 2015 (B 11 AL 12/14 R; vgl. auch: LSG Baden-Württemberg U. v. 22. März 2013 – L 8 AL 1225/11) bestätigt worden. Allerdings sei das Alg des Klägers nicht fiktiv nach Qualifikationsstsufe 3 gem. § 152 SGB III zu berechnen gewesen. Zwar fänden sich beim Kläger in einem auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen (25. November 2012 bis 24. November 2014) keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland, jedoch könne aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts in einem solchen Fall nicht hilfsweise eine fiktive Bemessung erfolgen. Eine solche Bemessung sehe die Verordnung gerade nicht vor. Eine Regelung zur fiktiven Bemessung sei noch in Art. 68 VO (EWG) Nr. 1408/71, welche durch die VO (EG) Nr. 883/2004 abgelöst worden sei, enthalten gewesen. Der gänzliche Verzicht auf die Möglichkeit einer fiktiven Bemessung in der neuen Verordnung verbiete damit eine fiktive Bemessung für kurze Beschäftigungsverhältnisse nach nationalem Recht. Es bleibe vielmehr grundsätzlich dabei, dass ausschließlich das Entgelt der letzten Beschäftigung als Bemessungsgrundlage heranzuziehen sei. Eine fiktive Berechnung könne auch nicht deshalb erfolgen, weil nach den Regelungen des SGB III gar kein Entgelt des Klägers habe berücksichtigt werden können. Das SGB III verlange für die Berücksichtigung von Arbeitsentgelt, dass dieses bei Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis bereits durch den Arbeitgeber abgerechnet worden sei. Das Entgelt für die Tätigkeit des Klägers bei der Firma XYZ sei nach der vorgelegten Stundenübersicht aber erst am 11. Dezember 2014 abgerechnet worden. Das Beschäftigungsverhältnis sei jedoch bereits am 7. November 2014 beendet worden, da der Kläger danach freigestellt worden sei. Der deutsche Wortlaut des Art. 62 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 verlange, dass das Entgelt zu berücksichtigen sei, das die betreffende Person während ihrer letzten Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit nach diesen Rechtsvorschriften erhalten habe. Entgegen des deutschen Wortlauts sei jedoch ein Zufluss des Entgelts noch während der Beschäftigung nicht erforderlich. Es reiche aus, wenn der Betroffene einen rechtlichen Anspruch auf Entgelt habe und dieses ggf. erst nach Eintritt der Arbeitslosigkeit dem Betroffenen abgerechnet werde und zufließe. Diese Auslegung werde auch durch andere Sprachfassungen des Art. 62 VO (EG) Nr. 883/2004 - bspw. die englische, die französische, die italienische und die niederländische - bestätigt. Ausschlaggebend sei danach immer das Arbeitsentgelt, das für die letzte Tätigkeit bezahlt worden sei. Daher errechne sich das Alg des Klägers nach einem täglichen Bemessungsentgelt von 93,03 EUR (2.232,77 EUR für 24 Tage). Ein höheres Alg orientiert am Einkommen des Klägers in der Schweiz komme nicht in Betracht. Die Beklagte habe – entgegen des klägerischen Vortrags – auch nicht ihre Beratungspflicht, die zu einem Alg unter Berücksichtigung des Entgelts in der Schweiz führen könnte, verletzt. Es sei weder ersichtlich gewesen noch vorgetragen worden, dass der Kläger an die Beklagte ausdrücklich mit einem Beratungsbegehren bezüglich des hier problematischen Sachverhalts herangetreten sei und eine fehlerhafte Beratung erhalten habe. Für die Beklagte habe auch keine Pflicht bestanden, bei früheren Grenzgängern ohne konkreten Beratungsanlass darauf hinzuweisen, in Deutschland besser zunächst keine neue Tätigkeit aufzunehmen, da die Gefahr bestehe, in der Probezeit gekündigt zu werden, was zu einem niedrigeren Alg führen könnte. Ziel des Klägers und auch der Beklagten sei schließlich die Verhinderung von Arbeitslosigkeit bzw. die Vermittlung in eine unmittelbare Anschlussbeschäftigung gewesen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 5. Februar 2016 Berufung eingelegt. Die Beklagte habe das Bemessungsentgelt des Klägers zu Recht fiktiv festgesetzt. Ausgangspunkt sei vorliegend nicht das sog. "Zufluss"-Prinzip nach § 151 Abs. 1 S. 2 SGB III, sondern vielmehr die Festlegung des Bemessungszeitraumes nach § 150 Abs. 1 S. 1 SGB III. Dieser bestimme, dass der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume umfasse. Bemessungsentgelt sei sodann das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe, § 151 Abs. 1 S. 1 SGB III. Das Arbeitsverhältnis des Klägers sei am 10. November 2014 zum 24. November 2014 unter Freistellung des Klägers gekündigt worden. Beim Ausscheiden des Klägers aus dem Beschäftigungsverhältnis sei der (einzige) Entgeltabrechnungszeitraum November 2014 noch nicht abgerechnet gewesen. Der Bemessungszeitraum umfasse daher nach § 150 Abs. 1 S. 1 SGB III den Monat November 2014 nicht. Die Frage nach dem Zufluss stelle sich daher nicht, da das "Zufluss"-Prinzip nur die Entgelte erfasse, die innerhalb des Bemessungszeitraumes lägen. Beim Entgelt des Klägers sei dies nicht der Fall. Es bestehe kein Anlass, Art. 62 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 soweit auszulegen, dass schon allein der rechtliche Anspruch auf Arbeitsentgelt – unabhängig von dessen Abrechnung und Auszahlung – ausreiche, um dieses der Bemessung des Arbeitslosengeldes zugrunde zu legen. § 150 Abs. 1 S. 1 SGB III ermögliche es der Beklagten, das Arbeitslosengeld schnellstmöglich zu berechnen und zur Auszahlung zu bringen. Sofern dies dazu führe, dass überhaupt kein berücksichtigungsfähiges Arbeitsentgelt festgestellt werden könne, so könne nur noch eine fiktive Bemessung erfolgen. Die Koordinierungs- und Harmonisierungsfunktion europäischen Rechts verbiete dies nicht. Es gelte nach wie vor der Grundsatz, dass die einzelnen Mitgliedstaaten ihre Sozialsysteme inhaltlich selbst ausgestalten können. Darüber hinaus sei es zweckmäßig, als allgemeine Regel die Anwendung der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates vorzusehen, in dem die betreffende Person eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübe, um die Gleichbehandlung aller im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erwerbstätigen Personen am besten zu gewährleisten. Mit der Auslegung des SG würde diesem Gleichbehandlungsgebot widersprochen. Danach wäre die Berücksichtigung kurzer Beschäftigungen, deren Entgelt beim Ausscheiden noch nicht abgerechnet gewesen sei, allein davon abhängig, ob der Arbeitnehmer zuvor in einem anderen Mitgliedsstaat oder in Deutschland beschäftigt gewesen sei. Dies würde zu einer nicht gerechtfertigten Benachteiligung inländischer Arbeitnehmer führen. Die Angelegenheit habe grundsätzliche Bedeutung und sei höchstrichterlich noch nicht entschieden.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Konstanz vom 19. Januar 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten das Urteil des SG Konstanz vom 19. Januar 2016 sowie den Bescheid vom 2. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2015 in der Fassung des Aufhebungsbescheides vom 25. Juni 2015 teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld für die Zeit vom 25. November 2014 bis 30. Juni 2015 unter Berücksichtigung des erzielten Einkommens in der Schweiz zu gewähren.

Am 11. März 2016 hat der Kläger gleichfalls Berufung gegen das am 13. Februar 2013 zugestellte Urteil erhoben. Zur Bemessung des Alg des Klägers sei das in der Schweiz erzielte Einkommen heranzuziehen. Diese Ansprüche seien unstreitig abgerechnet und ausbezahlt gewesen. Die Zugrundelegung eines fiktiven Arbeitsentgelts diskriminiere den Kläger. Es liege auch nicht im Machtbereich des Arbeitnehmers, wann der Arbeitgeber über seine Ansprüche abrechne.

Am 21. November 2016 ist ein Termin zur Erörterung des Sachverhalts durchgeführt worden, in dem die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erteilt haben.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie der erst- und zweitinstanzlichen Prozessakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die gem. den §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und zulässige Berufung der Beklagten ist ebenso unbegründet, wie die (selbständige) Anschlussberufung des Klägers.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bewilligungsbescheid vom 2. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2015 in der Fassung des Aufhebungsbescheides vom 25. Juni 2015 und damit die Höhe des Alg für die Zeit vom 25. November 2014 bis zum 30. Juni 2015. Der Aufhebungsbescheid vom 25. Juni 2015, der das dem Kläger bewilligte Arbeitslosengeld ab dem 1. Juli 2015 aufgrund der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der Firma YYY. Sch. aufhebt, ändert den Bewilligungsbescheid vom 2. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2015 während des erstinstanzlichen Klageverfahrens ab. Der Aufhebungsbescheid wurde folglich gem. § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Rn 4). Streitig ist somit der Zeitraum 25. November 2014 bis 30. Juni 2015. Wie das SG – auf dessen zutreffende Ausführungen der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt – dargelegt hat, hat der Kläger im Zeitraum 25. November 2014 bis 30. Juni 2015 Anspruch auf Gewährung von Alg. Nach § 136 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit (Nr. 1) oder bei beruflicher Weiterbildung (Nr. 2). Anspruch auf Alg hat nach § 137 Abs. 1 SGB III, wer arbeitslos ist (Nr. 1), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (Nr. 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt hat (Nr. 3). Arbeitslos ist nach § 138 Abs. 1 SGB III, wer Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ist und nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit - Nr. 1), sich bemüht, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen - Nr. 2), und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit - Nr. 3). Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer innerhalb der zweijährigen Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat, §§ 142 Abs. 1 S. 1, 143 SGB III. Nach Art. 61 Abs. 1 EG (VO) 883/2004 sind hierbei auch Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen, die der Arbeitslose nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates zurückgelegt hat. Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ist über das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 (in Kraft getreten am 1. Februar 2002, zuletzt geändert mit Beschluss vom 4. März 2016) auch auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist seitens der Firma XYZ Präzisionstechnik GmbH zum 24. November 2014 gekündigt worden. Er war somit jedenfalls ab dem 25. November 2014 beschäftigungslos. Er bemühte sich auch, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden und stand den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung. Am 10. November 2014 meldete er sich zudem bei der Beklagten arbeitslos und stellte einen Antrag auf Gewährung von Alg. Der Senat konnte folglich feststellen, dass der Kläger ab dem 25. November 2014 arbeitslos gewesen ist und sich bei der Beklagten arbeitslos gemeldet hatte. Zudem hat der Kläger durch die im Zeitraum 1. Juli 1990 bis 31. Oktober 2014 in der Schweiz ausgeübte Beschäftigung die Anwartschaftszeit und somit alle Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg erfüllt. Streitig ist allein, in welcher Höhe er Alg beanspruchen kann.

Das Alg beträgt für kinderlose unverheiratete Arbeitslose 60 % des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt), § 149 Nr. 2 SGB III. Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen, § 150 Abs. 1 S. 2 SGB III. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr. Er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs, § 150 Abs. 1 S. 2 SGB III. Nach § 150 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB III wird der Bemessungsrahmen auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält. Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, § 152 Abs. 1 S. 1 SGB III. Die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts erfolgt durch die Einstufung in Qualifikationsgruppen, § 152 Abs. 2 SGB III.

Das versicherungspflichtige Arbeitsverhältnis bei der XYZ Präzisionstechnik GmbH wurde zum 24. November 2014 gekündigt. Folglich umfasst der einjährige Bemessungsrahmen zunächst den Zeitraum 25. November 2013 bis 24. November 2014. Da der Kläger jedoch bereits ab dem 11. November 2014 freigestellt war, ist er bereits ab diesem Tag aus dem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden (Brand, SGB III, 7. Aufl., 2015, § 150 Rn 2 b). Am 10. November 2014 ist das vom Kläger für den Monat November 2014 zu beanspruchende Arbeitsentgelt jedoch noch nicht abgerechnet gewesen. Laut der Monatsübersicht für Dezember 2014 wurde das dem Kläger für seine im November 2014 erbrachte Tätigkeit seitens der Firma XYZ Präzisionstechnik GmbH erst am 11. Dezember 2014 abgerechnet. Somit wird der Monat November vom Bezugszeitraum nicht umfasst. Dieser endet zum 31. Oktober 2014. In dem sich hiernach ergebenden Bemessungszeitraum vom 25. November 2013 bis 31. Oktober 2014 liegen keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt aus einer in Deutschland ausgeübten Beschäftigung. Der Bemessungsrahmen erweitert sich daher gem. § 150 Abs. 3 Nr. 1 SGB II auf zwei Jahre und erstreckt sich auf den Zeitraum 25. November 2012 bis 24. November 2014. Auch in dem sich nunmehr ergebenden Bemessungszeitraum vom 25. November 2012 bis 31. Oktober 2014 liegen keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt aus einer deutschen Beschäftigung, da der Kläger in diesem Zeitraum ausschließlich in der Schweiz beschäftigt war. Rechtsfolge hiernach wäre grundsätzlich, dass ein fiktives Bemessungsentgelt zugrunde zu legen ist, § 152 Abs. 1 S. 1 SGB II.

Allerdings werden nach Überzeugung des Senats die nationalen Vorschriften zur Bestimmung des Bemessungsentgelts (§§ 149 ff. SGB III) durch Art. 62 EG (VO) Nr. 883/2004 überlagert (BSG U. v. 17. März 2015 – B 11 AL 12/14 R - juris Rn 22; LSG Baden-Württemberg U. v. 22. März 2013 – L 8 AL 1225/11 - juris Rn 28). Art. 62 EG (VO) Nr. 883/2004 lautet in der deutschen Fassung wie folgt:

(1) Der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften bei der Berechnung der Leistungen die Höhe des früheren Entgelts oder Erwerbseinkommens zugrunde zu legen ist, berücksichtigt ausschließlich das Entgelt oder Erwerbseinkommen, das die betreffende Person während ihrer letzten Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit nach diesen Rechtsvorschriften erhalten hat. (2) Absatz 1 findet auch Anwendung, wenn nach den für den zuständigen Träger geltenden Rechtsvorschriften ein bestimmter Bezugszeitraum für die Ermittlung des als Berechnungsgrundlage für die Leistungen heranzuziehenden Entgelts vorgesehen ist und die betreffende Person während dieses Zeitraums oder eines Teils davon den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats unterlag. (3) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 berücksichtigt der Träger des Wohnorts im Falle von Grenzgängern, auf die Artikel 65 Abs. 5 Buchstabe a anzuwenden ist, nach Maßgabe der Durchführungsverordnung das Entgelt oder Erwerbseinkommen, das die betreffende Person in dem Mitgliedstaat erhalten hat, dessen Rechtsvorschriften für sie während ihrer letzten Beschäftigung der selbständigen Erwerbstätigkeit galten.

Eine Einbeziehung des vom Kläger in der Schweiz erzielten Arbeitsentgelts bei der Berechnung des Alg kommt danach nicht in Betracht. Art. 62 Abs. 1 EG (VO) Nr. 883/2004 bestimmt ausdrücklich, dass der zuständige Mitgliedstaat, nach dessen Rechtsvorschriften bei der Berechnung der Leistungen die Höhe des früheren Entgelts oder Erwerbseinkommens zugrunde zu legen ist, dasjenige Entgelt oder Erwerbseinkommen, das die betreffende Person während ihrer letzten Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit nach diesen Rechtsvorschriften – also den Rechtsvorschriften des zuständigen Trägers des Mitgliedstaates – erhalten hat, zu berücksichtigen ist. Da der Kläger unmittelbar vor Eintritt der Arbeitslosigkeit am 11. November 2014 versicherungspflichtig in Deutschland beschäftigt gewesen ist, ist gem. Art. 62 Abs. 1 EG (VO) Nr. 883/2004 auch ausschließlich das von ihm im Rahmen dieser Tätigkeit erzielte Entgelt bei der Berechnung des Alg zu berücksichtigen. Das im Rahmen seiner Tätigkeit im Ausland erzielte Entgelt – selbst wenn es in den Bezugszeitraum fällt – wird bei der Berechnung grundsätzlich nicht berücksichtigt. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 17. März 2015 ausdrücklich bestätigt (B 11 AL 12/14 R – juris Rn 23). Das zuletzt nach deutschen Rechtsvorschriften erhaltene Arbeitsentgelt ist auch dann der Festsetzung des Bemessungsentgelts zugrunde zu legen, wenn im Bezugszeitraum keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt nach deutschen Vorschriften vorliegen. Eine fiktive Bemessung des klägerischen Bemessungsentgelts gem. § 152 Abs. 1 und 2 SGB III durfte nicht erfolgen. Eine solche sieht Art. 62 Abs. 1 EG (VO) Nr. 883/2004 im Gegensatz zu seiner Vorgängerregelung Art. 68 Abs. 1 S. 1 EG (VO) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 nämlich nicht vor. In Art. 68 Abs. 1 S. 2 EG (VO) Nr. 1408/71 war in Fällen, in denen die letzte Beschäftigung im zuständigen Staat weniger als vier Wochen gedauert hat, eine fiktive Bemessung vorgesehen. Die Leistungen wurden dann auf der Grundlage des Entgelts berechnet, das am Wohnort oder Aufenthaltsort des Arbeitslosen für eine Beschäftigung üblich war, die der Beschäftigung, die er zuletzt im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaats ausgeübt hatte, gleichwertig oder gleichartig war. Diese Ausnahmeregelung einer fiktiven Bemessung wurde in die EG (VO) Nr. 883/2004 jedoch gerade nicht übernommen. Der vollständige Verzicht auf eine fiktive Bemessung in der neuen EG (VO) Nr. 883/2004 verbietet daher auch eine fiktive Bemessung nach nationalem Recht. Es verbleibt bei dem Grundsatz, dass ausschließlich das Entgelt der letzten Beschäftigung als Bemessungsgrundlage heranzuziehen ist (BSG U. v. 17. März 2015 – B 11 AL 12/14 - juris Rn 24; Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB, 09/15, § 152 SGB III, Rn 62 f.; Gagel/Rolfs, SGB II/SGB III, 64. EL, Dezember 2016, § 150 SGB III, Rn 63a).

Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Kläger während des nach deutschen Vorschriften festzulegenden Bemessungszeitraums vom 25. November 2012 bis 31. Oktober 2014 ausschließlich in der Schweiz versicherungspflichtig beschäftigt war und kein Arbeitsentgelt nach deutschen Rechtsvorschriften erhalten hat. Art. 62 Abs. 2 EG (VO) Nr. 883/2004 bestimmt insofern ausdrücklich, dass Abs. 1 auch dann Anwendung findet, wenn nach den für den zuständigen Träger geltenden Rechtsvorschriften ein bestimmter Bezugszeitraum für die Ermittlung des als Berechnungsgrundlage für die Leistungen heranzuziehenden Entgelts - wie nach deutschem Recht - vorgesehen ist und die betreffende Person während dieses Zeitraums oder eines Teils davon den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats unterlag. Art. 62 Abs. 2 EG (VO) Nr. 883/2004 regelt somit ausdrücklich auch den Fall, dass der Arbeitslose während des Bemessungszeitraums ausschließlich - anderenfalls wäre die Einschränkung "oder eines Teils davon" nicht erforderlich - den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates unterlegen ist. In diesem Fall kann jedoch ein Arbeitsentgelt nach deutschen Rechtsvorschriften nicht erzielt worden sein. Das bedeutet vorliegend, dass es für die Festsetzung des Bemessungsentgelts unschädlich ist, dass der Kläger im Bemessungszeitraum kein Arbeitsentgelt nach deutschen Rechtsvorschriften erwirtschaftet hat. Eine fiktive Bemessung des Arbeitsentgelts kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn im Bemessungsrahmen überhaupt kein Arbeitseinkommen nach dem Recht des Trägerstaates erzielt worden ist (s. LSG Baden-Württemberg U. v. 22. Juli 2016 – L 8 AL 15/16 – juris).

Einer Berücksichtigung des vom Kläger nach deutschen Rechtsvorschriften erhaltenen Arbeitsentgelts steht auch nicht entgegen, dass dieses erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, nämlich am 11. Dezember 2014, abgerechnet und ausbezahlt worden ist. Zwar stellt der Wortlaut von Art. 62 Abs. 1 EG (VO) Nr. 883/2004 auf ein Erhalten "während" der letzten Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit ab. Der Senat stimmt dem SG jedoch darin überein, dass es hierbei nicht notwendigerweise auf den tatsächlichen Zufluss des Gehaltsbestandteils bis zur Antragstellung ankommt. Es ist ausreichend, wenn der Betroffene einen rechtlichen Anspruch auf das Arbeitsentgelt hat und der Gehaltsbestandteil ggfs. erst nach Eintritt der Arbeitslosigkeit dem Betroffenen zufließt (Kador in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, Art. 62 VO (EG) 883/2004, Rn 15; Otting in: Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, EL 6, VII/15, Art. 62 Rn 7; Greiser in: Eicher/Schlegel, Arbeitsförderungsrecht, 147. EL, August 2016, Art. 62 Rn 10 f.). Verzögerungen hinsichtlich der Abrechnung und Auszahlung von Arbeitsentgelt können, da nicht in seinem Machtbereich liegend, nicht zu Lasten des Betroffenen gehen. Diese Auslegung wird auch - wie vom SG zutreffend ausgeführt - durch andere Sprachfassungen des Art. 62 VO (EG) Nr. 883/2004 bestätigt. Weder nach der englischen (" shall take into account exclusively the salary or professional income received by the person concerned in respect of his/her last activity as an employed or self-employed person "), der französischen (" tient compte exclusivement du salaire ou du revenu professionnel percu par l’intéressé pour la dernière acitivité salariée ou non salariée "), der italienischen (" tiene conto exclusivamente della retribuzione o del reddito professionale percepito dall’interessato per l’ultima attività subordinata o attività lavorativa autonoma ") noch der niederländischen (" houdt uitsluitend rekening met het loon of het beroepsinkomen dat betrokkene heeft genoten voor de laatste werkzaamheden, al dan niet in loondienst ") Sprachfassung muss der Arbeitslose das Arbeitsentgelt "während" der zuletzt ausgeübten Tätigkeit "erhalten haben". Es reicht jeweils aus, wenn er dieses "für" diese Tätigkeit erhalten hat. Eine Inländerdiskriminierung vermag der Senat hierin nicht zu erkennen. Zwar führt Art. 62 Abs. 2 EG (VO) Nr. 883/2004 dazu, dass auch noch nicht abgerechnete Entgeltabrechnungszeiträume zur Berechnung des Bemessungsentgelts herangezogen werden. Bei Inländern hingegen wird das von ihnen tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt im Bezugszeitraum berücksichtigt, worauf sich wiederum Arbeitslose die dem Anwendungsbereich des Art. 62 Abs. 1 und 2 EG (VO) Nr. 883/2004 unterliegen, nicht berufen können. Für den Senat ist auch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen Art. 62 Abs. 1 und 2 EG (VO) Nr. 883/2004 die nationalen Vorschriften nicht auch hinsichtlich der Abrechnung und Auszahlung überlagern sollten.

Dem SG folgend hat die Beklagte nicht die Beratungspflicht verletzt, die zu einem Alg Den Beschwerdegegnern Ziffer 1, 3 und 4 ist schon unabhängig von der Frage der Erfolgsaussicht Prozesskostenhilfe zu gewähren (§73 a SGG i. V. m. §§ 114 Abs. 1 Satz 1, 119 Abs. 1 Satz 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). unter Berücksichtigung des Entgelts in der Schweiz (Art. 62 Abs. 3 EG (VO) Nr. 883/2004) führen könnte. Dies wäre dann der Fall, wenn keine Zwischenbeschäftigung in Deutschland stattgefunden hätte. Ziel der Arbeitsvermittlung ist die lückenlose, eine Arbeitslosigkeit vermeidende Aufnahme einer Beschäftigung. Vor diesem Hintergrund ist die Beklagte nicht – insbesondere dann nicht, wenn eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit konkret besteht – verpflichtet, einen ehemaligen Grenzgänger darauf hinzuweisen, zunächst arbeitslos zu werden, um sich einen höheren Arbeitslosengeldanspruch für den Fall einer vorzeitigen Kündigung in der Probezeit zu sichern.

Der Kläger hat folglich im Zeitraum 11. November 2014 bis 30. Juni 2015 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld in Höhe eines täglichen Bemessungsentgelts von 93,03 EUR (2.232,77 EUR für 24 Tage). Da der Kläger am 1. Juli 2015 eine versicherungspflichtige Beschäftigung bei der Firma YYY Sch. aufgenommen hat, endet sein Anspruch am 30. Juni 2015.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung nur teilweise obsiegt hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 193 SGG Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 SGG zugelassen, da er der Sache grundsätzliche Bedeutung beimisst. Das BSG hat in der Entscheidung vom 17. März 2015 (B 11 AL 12/14 R - juris Rn 27) ausdrücklich offen gelassen, ob nach Art. 62 Abs. 1 EG (VO) Nr. 883/2004 das "strenge Zuflussprinzip" zugrunde zu legen ist und "folglich nur die Entgelte zu berücksichtigen sind, die vor Beendigung der letzten Beschäftigung gezahlt worden sind".
Rechtskraft
Aus
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