L 2 R 1915/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 2442/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 1915/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 8. Mai 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Klägers sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger in seiner Beschäftigung als Leiter der Immobilienentwicklung bei der M. P. in M. /Australien vom 1. März 2017 bis zum 31. Mai 2018 von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist.

Der 1968 geborene Kläger ist seit dem 14. März 2005 als Rechtsanwalt bei der K. O. beschäftigt. Im Rahmen einer Entsendevereinbarung wurde der Kläger ab dem 1. März 2017 zunächst zeitlich befristet bis zum 28. Februar 2018 zur M. P. Nach M. /Australien entsandt. Die zeitlich befristete Tätigkeit des Klägers im Rahmen von Projekttätigkeiten in M. /Australien dauerte bis zum 31. Mai 2018 an.

Ausweislich einer Mitteilung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Land Hessen vom 5. April 2005 ist der Kläger seit dem 24. Januar 2000 kraft Gesetzes Mitglied des Versorgungswerkes und hat im Rahmen der Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) einkommensbezogene Pflichtbeiträge analog §§ 157 ff. SGB VI zu zahlen.

Mit Bescheid vom 25. Januar 2006 hatte die Beklagte den Kläger für die Tätigkeit als Rechtsanwalt bei der K. O. von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Eingangsdatum des Befreiungsantrages sei der 5. April 2005, Beginn des Beschäftigungsverhältnisses bzw. Versicherungspflicht als Selbstständiger sei der 14. März 2005, Beginn der Pflichtmitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung und der Berufskammer sei der 1. Februar 2000, Beginn der Befreiung sei der 14. März 2005.

Am 20. Juli 2017 beantragte der Kläger die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung im Wege einer Befreiung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI) für die im Voraus zeitlich begrenzte Tätigkeit als Leiter der Immobilienentwicklung der M. P. In M. /Australien; Beginn der Beschäftigung sei der 1. März 2017.

Mit Bescheid vom 23. November 2017 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht vom 20. Juli 2017 für die vom 1. März 2017 bis 28. Februar 2018 befristete berufsfremde Beschäftigung als Leiter der Immobilienentwicklung der M. P. In M. /Australien ab. Der Kläger habe seine zeitlich befristete berufsfremde Beschäftigung am 1. März 2017 aufgenommen. Der Antrag auf Befreiung von Versicherungspflicht sei jedoch erst am 20. Juli 2017 beim Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg als zur Annahme von Befreiungsanträgen berechtigten Stelle eingegangen. Erfolge eine Ablösung des Kammerberufes durch eine zeitlich befristete berufsfremde Beschäftigung oder Tätigkeit, könne eine Erstreckung der Befreiung nicht ausgesprochen werden, wenn der Antrag nicht fristgerecht gestellt worden sei. Dies sei vorliegend der Fall.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 23. November 2017 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, grundsätzlich sei eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI auf die jeweilige berufsgruppenspezifische, also kammerberufliche Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit beschränkt. In Erweiterung des Tätigkeitsbezuges könne sie aber nach § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI ausnahmsweise dann auf eine andere (berufsfremde) versicherungspflichtige Beschäftigung erstreckt werden, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder zeitlich im Voraus begrenzt sei und die Versorgungseinrichtung auch während der Ausübung dieser Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleiste. Damit solle erreicht werden, dass die kurzfristige und vorübergehende Ausübung einer anderen – unter Umständen auch berufsfremden – Tätigkeit den Betroffenen nicht zu einem Wechsel seines Systems der sozialen Sicherung zwinge. Der Gesetzeszweck sei dann erfüllt, wenn zuletzt vor der Aufnahme der neuen Beschäftigung, für die die Erstreckung begehrt werde, keine Zugehörigkeit zum System der gesetzlichen Rentenversicherung begründet worden sei. Sei eine Zugehörigkeit zur gesetzlichen Rentenversicherung gegeben, sei die Unterbrechung der Versorgung im berufsständischen Versorgungswerk nicht auf die berufsfremde Beschäftigung, sondern auf andere vorliegende Versicherungstatbestände zurückzuführen und eine Erstreckung ausgeschlossen. Die Erstreckung stelle keinen eigenständigen Befreiungstatbestand dar, sondern setze eine nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erteilte ursprüngliche Befreiung voraus und knüpfe unmittelbar an diese an. Die zu beurteilende zeitlich befristete berufsfremde Beschäftigung als Leiter der Immobilienentwicklung bei M. P. M. /Australien habe der Kläger am 1. März 2017 aufgenommen. Der Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht sei jedoch erst am 20. Juli 2017 beim Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg als zur Annahme von Befreiungsanträgen berechtigten Stelle eingegangen. Die Befreiung von der Versicherungspflicht im Sinne der vorgenannten Vorschrift sei an eine Antragstellung gebunden. Danach wirke die Befreiung ab dem Beginn des kummulativen Vorliegens der Befreiungsvoraussetzungen, wenn sie innerhalb von drei Monaten danach beantragt werde, sonst vom Antragseingang an. Erfolge eine Ablösung des Kammerberufs durch eine zeitlich befristete berufsfremde Beschäftigung oder Tätigkeit, könne eine Erstreckung der Befreiung nicht ausgesprochen werden, wenn der Antrag nicht fristgerecht gestellt worden sei. Durch die verspätete Antragstellung am 20. Juli 2017 unterläge der Kläger der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ab 1. März 2017; ein Wechsel der Alterssicherungssysteme habe bereits stattgefunden, sodass eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 2 SGB VI ausgeschlossen sei.

Hiergegen hat der Kläger am 6. August 2018 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, mit Bescheid vom 25. Januar 2006 sei die Befreiung für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt für die K. O. mit Wirkung zum 14. März 2005 ausgesprochen worden. Ab dem 1. März 2017 sei er zunächst befristet für ein Jahr von seinem Arbeitgeber in Australien eingesetzt worden; während dieser Zeit sei der deutsche Arbeitsvertrag bestehen geblieben und sei um eine befristete Entsendevereinbarung ergänzt worden. Er habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er in Australien nicht als Rechtsanwalt, sondern als Projektplaner tätig werde. Die von vornherein befristete Tätigkeit des Klägers in Australien habe sich bis zum 31. Mai 2018 verlängert, bevor er nach Deutschland zurückgekehrt und seine Tätigkeit für den vorherigen Arbeitgeber wieder aufgenommen habe. Dafür, dass die Antragsfrist des § 6 Abs. 4 Satz 1 STGB VI auch für die Feststellung der Erstreckung gemäß § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI analog anwendbar sei, fände sich weder im Gesetz noch in der Rechtsprechung ein Beleg, vielmehr sprächen Wortlaut, Systematik als auch Sinn und Zweck der Regelung des § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI dafür, dass eine solche Auslegung gegen das Gesetz erfolgen würde. Der Wortlaut des § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI knüpfe unmittelbar an den Wortlaut des § 6 Abs. 2 SGB VI an. Auch in den übrigen vorausgehenden Absätzen werde das Wort Befreiung immer in Verbindung mit den Tatbeständen der Befreiung des § 6 Abs. 1 SGB VI benutzt. Dem Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI nach handele es sich dort nicht um eine weitere Befreiung, sondern um die Erstreckung einer bereits erteilten Befreiung, sodass die Vorschrift des § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI diesen Tatbestand vom Wortlaut her nicht erfasse. Auch die systematische Stellung im Abs. 5 hinter der in Abs. 4 geregelten Frist spreche dagegen, dass die Frist auf diesen Tatbestand anzuwenden sei. Aus Sinn und Zweck ergebe sich nichts anderes, denn es solle kein eigenständiger Befreiungstatbestand geschaffen werden, sondern es handele sich bei Tätigkeiten der dort betriebenen Art nur um eine Erweiterung einer bestehenden Befreiung für einen befristeten Zeitraum.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen.

Mit Urteil vom 8. Mai 2019 hat das SG den Bescheid vom 23. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juli 2018 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die mit Bescheid vom 25. Januar 2006 ausgesprochene Befreiung von der Rentenversicherungspflicht auf die zeitlich vom 1. März 2017 bis zum 31. Mai 2018 befristete Beschäftigung des Klägers als Leiter der Immobilienentwicklung bei der M. P. in M. /Australien zu erstrecken. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe den Kläger, der seit dem 24. Januar 2000 Mitglied des Versorgungswerkes sei, mit Bescheid vom 25. Januar 2006 für die Tätigkeit als Rechtsanwalt bei der K. O. von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Diese Befreiung erstrecke sich auch auf die vertraglich im Voraus zeitlich begrenzte Tätigkeit des Klägers vom 1. März 2017 bis zum 31. Mai 2018 bei der M. P. in Australien. Das Antragserfordernis des § 6 Abs. 4 SGB VI finde auf die in § 6 Abs. 5 Satz 2 normierte Erstreckung der Befreiung von der Versicherungspflicht keine Anwendung. Das Bundessozialgericht (BSG) habe dies in seinem Urteil vom 31. Oktober 2012 (B 12 R 8/10 R) offengelassen. Zwar habe es ausgeführt, für das Erfordernis eines vorherigen Antrages könne sprechen, dass nach der Systematik des Befreiungsrechts gegebenenfalls auch die Erstreckung auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit in der Dispositionsfreiheit des Versicherungspflichtigen liegen müsse. Gegen das Erfordernis eines Antrages spreche jedoch nach Auffassung des Gerichts (SG) bereits der Wortlaut und die Systematik des Gesetzes. Nach § 6 Abs. 4 SGB VI wirke die Befreiung vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt werde, sonst vom Eingang des Antrags an. Dem Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI folgend erfolge die Erstreckung der Versicherungsfreiheit ipso iure. Die Ansicht, dass die Versicherungsbefreiung von einem Willensakt des Antragsberechtigten abhängig sei und damit vom Grundsatz der Dispositionsfreiheit beherrscht werde, stehe nicht mit dem Wortlaut des Gesetzes in Einklang. Auch die systematische Stellung des § 6 Abs. 5 SGB VI nach dem in § 6 Abs. 4 SGB VI normierten Antragserfordernis spreche dafür, dass ein Antrag für die in § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI normierte Erstreckung der bereits erteilten Befreiung nicht erforderlich sei. Auch Sinn und Zweck der Regelung sprächen gegen das Antragserfordernis. Grundgedanke der Befreiung von der Versicherungspflicht sei, dem Einzelnen die Entscheidung darüber zu überlassen, ob er selber für die Wechselfälle des Lebens vorsorgen wolle oder ob er den Schutz der Solidargemeinschaft in Anspruch nehmen wolle. Die Vorschrift des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGBVI diene dem sozialen Schutz des Betroffenen, indem sie einen unnötigen Wechsel der – durch Mobilitätsregelungen nur unzureichend koordinierten – Sicherungssysteme vermeide. Im Falle des Klägers sei die Unterbrechung seiner bisherigen Tätigkeit als Rechtsanwalt von vornherein zeitlich begrenzt gewesen. Ein unnötiger Wechsel der Sicherungssysteme werde durch die Erstreckung der Versicherungsfreiheit ipso iure vermieden.

Gegen das der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 20. Mai 2019 zugestellte Urteil hat sie am 11. Juni 2019 schriftlich beim Landessozialgericht (LSG) Berufung erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, das SG habe rechtsfehlerhaft die Befreiung von der Versicherung für die befristete Tätigkeit des Klägers ausgesprochen. Durch die Regelung des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI solle sichergestellt werden, dass die kurzfristige und vorübergehende Ausübung einer anderen, berufsfremden Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit den Betroffenen nicht zu einem Wechsel seines Alterssicherungssystems zwinge. Die Vorschrift setze dabei nach ihrem Wortlaut, ihrer systematischen Stellung und ihrem Sinn und Zweck das Vorliegen einer Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI voraus, welche sodann auf eine andere versicherungspflichtige und zeitlich begrenzte Tätigkeit "erstreckt" werden könne. Die Befreiung von der Versicherungspflicht könne sich nur dann auf eine infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzte andere, berufsfremde Beschäftigung erstrecken, wenn diese die Beschäftigung, für die der Beschäftigte von der Versicherungspflicht befreit werde, unterbreche. Denn ausschließlich in solchen Fällen könne es zu einem Wechsel in den Alterssicherungssystemen kommen. Ein "Wechsel" liege nur vor, wenn ein Alterssicherungssystem verlassen werde und der Eintritt in ein anderes Alterssicherungssystem erfolge. Entgegen der Auffassung des SG träte die Befreiungswirkung einer Erstreckung nicht ipso iure, also kraft Gesetzes von selbst ein. Für die Befreiung aufgrund einer Erstreckung sei ein Antrag notwendig, über den – ebenso wie über die ursprüngliche Befreiung selbst - vom Rentenversicherungsträger durch Verwaltungsakt entschieden werden müsse. Die Erstreckung trete bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen nicht automatisch von Gesetzes wegen ein. Hiergegen sprächen sowohl Gründe der Rechtssicherheit als auch die grundsätzliche Dispositionsfreiheit des Versicherungspflichtigen. Sinn und Zweck der Regelung des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI sei es nicht, jede Doppelmitgliedschaft in gesetzlicher Rentenversicherung und berufsständischem Versorgungswerk, sondern besonderen Aufwand für ersichtlich nur vorübergehende Veränderungen zu vermeiden. Einen allgemeinen Grundsatz der Vermeidung von Doppelversicherungen kenne das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung nicht. Wenn ein Antrag gemäß § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI nach Ablauf der Drei-Monats-Frist des § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI gestellt sei, finde die Regelung des § 6 Abs. 4 Satz 1 2. Halbsatz SGB VI keine Anwendung. Die "Erstreckung" der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht könne dann nicht ab Antragstellung erteilt werden. Durch die Regelung des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI solle sichergestellt werden, dass die kurzfristige und vorübergehende Ausübung einer anderen, berufsfremden Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit den Betroffenen nicht zu einem Wechsel seines Alterssicherungssystems zwinge. Ein Wechsel liege nur dann vor, wenn ein Alterssicherungssystem verlassen werde und der Eintritt in ein anderes Alterssicherungssystem erfolge. Dieser Gesetzeszweck sei nur dann erfüllt, wenn zuletzt keine Zugehörigkeit zum System der gesetzlichen Rentenversicherung begründet worden sei. Sei eine Zugehörigkeit zur gesetzlichen Rentenversicherung gegeben, sei die Unterbrechung der Versorgung im berufsständischen Versorgungswerk nicht auf die berufsfremde Beschäftigung, sondern auf andere vorliegende Versicherungstatbestände zurückzuführen; eine Erstreckung sei dann ausgeschlossen. Der Kläger habe durch die Versäumung der Antragsfrist bereits den Wechsel des Alterssicherungssystems vollzogen. Da der Kläger die Antragsfrist versäumt habe und er selbst bei unterstellter Anwendung des § 6 Abs. 4 Satz 1 2. Halbsatz SGB VI erst ab Antragsdatum befreit werden könnte, verbleibe es im Zeitraum von der Aufnahme der Tätigkeit am 1. März 2017 bis zum Antragsdatum 20. Juli 2017 bei der Zugehörigkeit zur gesetzlichen Rentenversicherung; eine Befreiung für diesen Zeitraum bleibe ausgeschlossen. Damit habe der Kläger den Wechsel der Alterssicherungssysteme unwiderruflich vollzogen und eine Anwendung des § 6 Abs. 4 Satz 1 2. Halbsatz SGB VI schließe sich damit aus.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 8. Mai 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ab Antragstellung am 20. Juli 2017 bis 31. Mai 2018 festzustellen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Zur Begründung führt er im Weiteren aus, der Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI mit "erstreckte sich" stehe der Ansicht entgegen, dass die Erstreckung durch einen anderen, nämlich durch den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung im Wege eines konstitutiven Verwaltungsakts erfolge. Wenn eine Entscheidung durch Verwaltungsakt über die Erstreckung der Befreiung allein aus dem Grund der "Dispositionsfreiheit des Versicherungspflichtigen" gefordert werde, stehe dies dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes entgegen, wie auch, eine Antragstellung durch den Versicherungspflichtigen für eine Erstreckung nach § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI zu fordern. Ein Verwaltungsakt könne auch von Amts wegen ergehen und setze nicht zwingend das Erfordernis eines Antrages voraus. Unzutreffend sei es auch, das "Antragserfordernis" der Frist des § 6 Abs. 4 Satz 1 SGBVI zu unterwerfen. § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI spreche weder direkt von der "Erstreckung der Befreiung" noch verweise die Vorschrift an irgendeiner Stelle auf den Befreiungstatbestand des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI noch werde dort in irgendeiner Form auf § 6 Abs. 4 SGB VI verwiesen. Wenn die Begründung für ein Antragserfordernis bezüglich § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI die Dispositionsfreiheit des Versicherungspflichtigen sei, würden dadurch, dass gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI diese Dispositionsfreiheit (Antragstellung) nur in einem eingeschränkten Zeitraum ausgeübt werden könne, zum Schutz der Dispositionsfreiheit Hürden errichtet, die die Ausübung der Disposition doch eher unfrei erscheinen ließen.

Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten am 25. Juli 2019 die Sach- und Rechtslage erörtert.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Akte des SG sowie der Verfahrensakte des LSG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) zulässig.

Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids vom 23. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juli 2018 und auf Verpflichtung der Beklagten, die mit Bescheid vom 25. Januar 2006 ausgesprochene Befreiung des Klägers von der Rentenversicherungspflicht für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt der K. O. auf die vom 1. März 2017 bis zum 31. Mai 2018 zeitlich befristete Tätigkeit als Leiter der Immobilienentwicklung bei der M. P. in M. /Australien zu erstrecken.

Die Klage des Klägers ist als Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) verbunden mit einer Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) zulässig. Eine isolierte Anfechtungsklage würde seinem Begehren nur unzureichend Rechnung tragen. Der Kläger begehrt nämlich die Verpflichtung der Beklagten, die ihm mit Bescheid vom 25. Januar 2006 erteilte Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht auf die vom 1. März 2017 bis zum 31. Mai 2018 von vornherein zeitlich befristete Tätigkeit als Leiter der Immobilienentwicklung bei der M. P. in M. /Australien zu erstrecken.

Als Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers kommt § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI in Betracht. Gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI ist die Befreiung auf die jeweilige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit beschränkt. Gemäß § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI erstreckt sie sich in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 und 2 auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet.

Zunächst verlangt die Anwendung des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI, dass ununterbrochene Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, also die Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer. Dies folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift, ihrer systematischen Stellung und ihrem Sinn und Zweck (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 12 R 8/10 R -, veröffentlicht in Juris). Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger während des gesamten Zeitraumes seiner Tätigkeit in Australien vom 1. März 2017 bis 31. Mai 2018.

Allerdings ist die Beklagte nicht verpflichtet, die ursprüngliche Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (Bescheid vom 25. Januar 2006) auf die im streitigen Zeitraum ausgeübte Beschäftigung als andere versicherungspflichtige Tätigkeit nach § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI zu "erstrecken". Denn die Erstreckung der Versicherungsbefreiung erfolgt (nur) aufgrund eines Verwaltungsakts des Rentenversicherungsträgers, der einen entsprechenden Antrag des in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherungspflichtigen voraussetzt. Zwar könnte der Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGBVI " ... erstreckt sich ..." so verstanden werden, dass die Erstreckung der Versicherungsbefreiung "ipso iure" eintritt. Hiergegen spricht jedoch, dass die Versicherungsbefreiung von einem Willensakt des Antragsberechtigten abhängig ist und damit vom Grundsatz der Dispositionsfreiheit beherrscht wird. So wie die Versicherungsbefreiung im Ermessen des Antragsberechtigten steht, steht auch die Erstreckung im Ermessen des Antragsberechtigten und ist von einem Antrag sowie einer hierauf ergehenden positiven Entscheidung des Rentenversicherungsträgers abhängig; diese Auffassung entspricht dem Interesse an Klarheit und Rechtssicherheit im Zusammenhang mit der Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (so auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31. Januar 2018 – L 16 R 945/16 -, veröffentlicht in Juris; Fichte in Hauck-Nofz, SGB VI, § 6 Rdnr. 136; Gemeinschaftskommentar SGB VI, § 6 Rdnr. 248; Segebrecht in Kreikebohm, SGB VI, § 6 Rdnr. 120; letztlich offengelassen von BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 12 R 8/10 R – allerdings versehen mit einem (deutlichen) Hinweis auf das Erfordernisses eines vorherigen Antrages für die Erstreckung gemäß § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI).

Hiervon ausgehend fehlt es zwar grundsätzlich nicht an dem Antrag des Klägers für die Erstreckung der ihm erteilten Befreiung von der Rentenversicherungspflicht auf seine Tätigkeit in Australien in dem Zeitraum 1. März 2017 bis 31. Mai 2018; diesen Antrag hat der Kläger am 20. Juli 2017 beim Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg als zur Annahme von Befreiungsanträgen berechtigten Stelle gestellt. Allerdings wirkt gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI die Befreiung vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an. Die Drei-Monats-Frist hat der Kläger ausgehend von der Aufnahme seiner grundsätzlich versicherungspflichtigen Tätigkeit in Australien am 1. März 2017 mit der Antragstellung am 20. Juli 2017 nicht gewahrt. Die Folge davon ist, dass dann eine Erstreckung der Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die im Streit stehende Tätigkeit nicht – auch nicht ab Antragstellung am 20. Juli 2017 bis zum Ende der Beschäftigung am 31. Mai 2018 – erfolgen kann. Der Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI ist die Sicherstellung, dass die kurzfristige und vorübergehende Ausübung einer anderen, berufsfremden Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit den Betroffenen nicht zu einem Wechsel seines Alterssicherungssystems zwingt. Zutreffend geht diesbezüglich die Beklagte davon aus, dass ein Wechsel nur dann vorliegt, wenn ein Alterssicherungssystem verlassen wird und der Eintritt in ein anderes Alterssicherungssystem erfolgt. Dieser Gesetzeszweck kann nur dann erreicht werden, wenn zuletzt keine Zugehörigkeit zum System der gesetzlichen Rentenversicherung begründet wurde. Der Kläger hat aber durch die Versäumung der Antragsfrist gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI bereits den Wechsel des Alterssicherungssystems hinein in die gesetzliche Rentenversicherung vollzogen. Durch die Aufnahme der (grundsätzlich) versicherungspflichtigen Beschäftigung am 1. März 2017 in Australien entsteht die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Da bei einer (unterstellten) Anwendung des § 6 Abs. 4 Satz 1 2. Halbsatz SGB VI eine Befreiung von der Versicherungspflicht erst ab dem 20. Juli 2017 vorliegen könnte, ist die bereits eingetretene Zugehörigkeit des Klägers zur gesetzlichen Rentenversicherung in dem Zeitraum 1. März 2017 bis 19. Juli 2017 unumgänglich gegeben. Für eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für diesen Zeitraum gäbe es keine Rechtsgrundlage. Damit hat der Kläger jedoch den Wechsel der Alterssicherungssysteme schon unwiderruflich vollzogen. Der Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI, genau diesen Wechsel der Alterssicherungssysteme für eine von vornherein zeitlich befristete, dem Grundsatz nach versicherungspflichtige Beschäftigung in der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu verhindern, kann somit nicht mehr eintreten. Damit kann sich der Kläger für sein Begehren nicht auf § 6 Abs. 5 Satz 2 SGBVI berufen und damit ist auch der Hilfsantrag des Klägers unbegründet.

Dieser Auslegung des § 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI steht nicht entgegen, dass § 6 Abs. 1 SGB VI eine doppelte Beitragsbelastung aufgrund der Zugehörigkeit zu zwei Altersversicherungssystemen vermeiden soll. § 6 Abs. 1 SGB VI ermöglicht bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nur, wenn die Ausübung einer Tätigkeit die Mitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und auch Versicherungspflichten der gesetzlichen Rentenversicherung begründet. Die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung beschränkt sich auf die ihr zugrunde liegende "jeweilige" Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit. Wird darüber hinaus eine andere Tätigkeit ausgeübt, ist deren versicherungsrechtlicher Status selbstständig zu beurteilen und es kann daher zulässigerweise zu Mehrfachversicherungen und mehrfacher Beitragspflicht kommen (vgl. BSG, Urteil vom 3. April 2014 – B 5 RE 13/14 R = SozR 4-2600 § 6 Nr. 12 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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