L 20 RJ 418/96

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 9 Ar 265/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 418/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zum Berufsschutz als Kraftfahrer: Die langjährige Verrichtung von Ausfahrertätigkeiten (Kundenbelieferung) durch einen Versicherten, der lediglich den Führerschein der Klasse 3 besitzt und die nach § 2 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Berufskraftfahrer vorgeschriebene Ausbildung nicht durchlaufen hat, rechtfertigt auch dann nicht die Zubilligung des Berufsschutzes als Kraftfahrer, wenn der Versicherte zwar in eine Facharbeiterlohngruppe (hier nach dem Tarifvertrag für den Bayer. Groß- und Außenhandel) eingestuft ist, diese Einstufung aber ausschließlich auf einem Bewährungsaufstieg nach langjähriger Betriebszugehörigkeit beruht.

2. Keine Benennungspflicht für das Vorhandensein zustandsangemessener Arbeitsplätze, da der Zugang zum Arbeitsmarkt weder durch eine "gravierende Einzelbehinderung" noch durch die "Summierung einer Vielzahl krankheitsbedingter Leistungseinschränkungen" besonders erschwert ist. Zu den Kriterien solcher "außergewöhlichen (betriebsunüblichen) Arbeitsplatzanforderungen" im Lichte der neueren Rechtssprechung des 13. Senats des BSG (vgl. Urteile vom 19./20.08.1997 - 13 RJ 39/96 u.a. -).
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 8. August 1996 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtlichhe Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Versichertenrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der am ...1938 geborene Kläger hat keine Berufsausbildung durchlaufen. Nach seinen Angaben hat er von 1952 bis 1964 verschiedene ungelernte Berufstätigkeiten verrichtet. Von 1965 bis 1993 war er als Kraftfahrer und Lagerarbeiter bei der Firma ... GmbH in Marktredwitz versicherungspflichtig beschäftigt. Laut Auskunft dieser Firma vom 29.05.1996 hat es sich bei den vom Kläger verrichteten Arbeiten nicht um solche gehandelt, die üblicherweise von Berufskraftfahrern mit Abschlußprüfung durchgeführt werden. Der Kläger war mit dem Ausliefern von Waren an Kunden beschäftigt, daneben wurde er teilweise zu Lagerarbeiten herangezogen. Die tarifliche Einstufung des Klägers habe der eines Facharbeiters entsprochen.

Am 22.06.1994 beantragte der Kläger die Gewährung von Versichertenrente unter Vorlage eines Attestes des Orthopäden Dr ... Die Beklagte ließ ihn durch den Chirurgen Dr ... untersuchen, der in seinem Gutachten vom 30.11.1994 den Kläger für fähig erachtete, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten im Wechselrhythmus vollschichtig auszuüben. Bei der Arbeit sollte kein besonderer Zeitdruck auftreten, ferner keine überwiegend einseitige Körperhaltung und kein häufiges Bücken verlangt werden; außerdem sollte der Kläger vor Witterungseinflüssen oder Lärm weitgehend geschützt sein. Für seine letzte Berufstätigkeit als LKW-Fahrer mit Be- und Entladetätigkeit sei er nicht mehr einsetzbar.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 02.01.1995 ab: Der Kläger sei noch in der Lage, leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig zu verrichten; mit diesem Leistungsvermögen sei er weder berufs- noch erwerbsunfähig.

Dagegen legte der Kläger am 31.01.1995 Widerspruch ein und ließ durch seinen Bevollmächtigten vorbringen, er leide insbesondere unter massiven Wirbelsäulenschäden, einem Zustand nach Nukleotomie, unter Lumboischialgie, ferner Taubheit links, Schwerhörigkeit rechts und Coxarthrose beidseits. Die letzte Kurmaßnahme vom 12.01. bis 23.02.1994 in der Klinik Bavaria in Schaufling habe keine nachhaltige Besserung seiner Beschwerden erbracht. Er habe seitdem noch zwei Arbeitsversuche bei seinem bisherigen Arbeitgeber unternommen, aber trotz verkürzter Arbeitszeit (4 Stunden pro Tag) selbst leichte Lagereitätigkeiten ohne körperliche Belastung nicht verrichten können. Eine vollschichtige Erwerbstätigkeit auf Dauer und in Regelmäßigkeit könne er keinesfalls mehr durchführen. Zur weiteren Begründung des Rechtsbehelfs verwies der Kläger auf ein (seinem Widerspruchsschreiben beigefügtes) sozialmedizinisches Gutachten des Dr ... vom 05.05.1994. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 18.04.1995 zurück: Den derzeitigen gesundheitlichen Einbußen des Klägers sei mit der Begrenzung auf leichte Arbeiten unter Beachtung weiterer Funktionseinschränkungen hinreichend Rechnung getragen. Auch wenn der Kläger seinen Beruf als Kraftfahrer nicht mehr ausüben könne, sei er nicht berufsunfähig. Nach Auskunft des Arbeitgebers habe er keine Facharbeit, sondern Anlerntätigkeiten verrichtet. Als angelernter Arbeiter sei er auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes - ausgenommen solche einfachster Art - verweisbar. Als geeignete Berufe kämen für ihn die Tätigkeiten eines Montierers, Sortierers, Etikettierers oder Stanzers in Betracht.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 09.05.1995 Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben und im wesentlichen sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren wiederholt. Das Sozialgericht hat über den Kläger Befundberichte des Orthopäden Dr ... und des Allgemeinarztes Dr ... eingeholt und die Krankenblätter der Klinik Hohe Warte in Bayreuth zum Verfahren beigenommen. Ferner hat es die bereits erwähnte Auskunft der Firma ... vom 29.05.1996 eingeholt. Der zum gerichtlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Prof.Dr ... hat den Kläger vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 08.08.1996 untersucht und in seinem Gutachten vom selben Tage folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: 1. Behinderte Beugefähigkeit des unteren Wirbelsäulen-Abschnittes nach Bandscheibenoperation L4/L5 bei Seitbiegung des unteren Wirbelsäulen-Abschnittes mit L4/L5/S1-Syndrom. 2. Endgradig behinderte Hebebewegung des rechten Fußes und des Fußrandes und endgradig behinderte Zehenstreckung als Restfolgen nach Bandscheiben-Operation. 3. Endgradige Bewegungseinschränkung im rechten Hüftgelenk. 4. Verschleißzeichen an den Wirbelkörpern der Brustwirbelsäule. 5. Schwerhörigkeit beidseits. 6. Leistenbruch links. 7. Computertomographisch nachgewiesene Narbenbildung im ehemaligen Operationsgebiet an der Lendenwirbelsäule und Bandscheibenvorwölbungen bei L2 bis L4. Trotz dieser Störungen seien dem Kläger unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses noch leichte Arbeiten im Wechselrhythmus vollschichtig zuzumuten mit der Einschränkung, daß Heben und Tragen schwererer Lasten sowie häufiges Bücken und Zwangshaltungen vermieden werden müßten. Auch Arbeiten unter Einwirkung von Kälte, Nässe und Zugluft sollten unterbleiben, desgleichen Tätigkeiten unter Zeitdruck oder in Nacht- und Wechselschicht.

Mit Urteil vom 08.08.1996 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, als "Hauptberuf" sei der des Berufskraftfahrers anzunehmen, da der Kläger - bei entsprechender tariflichen Einstufung - langjährig in diesem Beruf gearbeitet habe. Auch wenn er danach Berufsschutz wie ein Facharbeiter genieße, verfüge er gleichwohl noch über ein Leistungsvermögen, das Tätigkeiten als Lagerverwalter, Ersatzteillagerist, Verkäufer für Autozubehör sowie als Werkzeug- oder Materialausgeber mit gewissen gesundheitlichen Einschränkungen ermögliche. Die genannten Tätigkeiten könne der Kläger auch vollschichtig verrichten.

Dagegen richtet sich die am 18.09.1996 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers. Dieser macht unverändert den Anspruch auf Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit geltend, da er im Gegensatz zu dem vom Sozialgericht angehörten Sachverständigen nach wie vor der Auffassung sei, daß er weder leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch die genannten Verweisungstätigkeiten vollschichtig ausüben könne. Zur Bestätigung seiner Auffassung hat der Kläger einen Arztbrief des Orthopäden Dr ... vom 11.10.1996 vorgelegt, in dem aktuelle Röntgenbefunde der gesamten Wirbelsäule (HWS, BWS, LWS) beschrieben sind. Die Beklagte hat einen Versicherungsverlauf des Klägers übersandt und ausgeführt, der Kläger sei - abweichend von der Beurteilung des Sozialgerichts - lediglich der Gruppe angelernter Arbeitnehmer zuzuordnen und demnach auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verweisen. Berufsunfähigkeit läge beim Kläger aber selbst bei Anerkennung des Berufsschutzes als Facharbeiter nicht vor, da aus medizinischer Sicht noch die im Urteil des Sozialgerichts genannten Verweisungstätigkeiten verrichtet werden könnten. Der Kläger hat mitgeteilt, daß er bis 06.04.1997 Krankengeld bezogen hat. Derzeit bezieht er Arbeitslosenhilfe in Höhe von 1.238,70 DM monatlich. Der Senat hat Befundberichte über den Kläger angefordert von der Allgemeinärztin ... und dem Orthopäden Dr ... Frau ... hat ausgeführt, daß die Beschwerden des Klägers seit Juli 1996 (Beginn ihrer hausärztlichen Betreuung nach Übernahme der Praxis von Dr ...) gleichgeblieben seien. Bei Dr ... hatte sich der Kläger nur einmalig vorgestellt.

Der Senat hat den Orthopäden Dr ... zum ärztlichen Sachverständigen ernannt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 29.12.1997 folgende Gesundheitsstörungen des Klägers beschrieben: 1. Leichte Funktionseinschränkung der Halswirbelsäule bei Bandscheibendegeneration C5/C7, klinisch kein Anhalt für cervikalspinale Wurzelläsion, 2. Funktionseinschränkung der Brust- und Lendenwirbelsäule bei leichter Kyphoskoliose und Zustand nach Bandscheibenoperation L4/L5 mit Instabilität in diesem Segment (Beweglichkeit der Wirbelsäule in allen Ebenen mittelgradig eingeschränkt - insbesondere bei Vorwärtsneigung), 3. endgradige Beugebehinderung rechte Hüfte bei beginnender Hüftarthrose und Coxa vara beidseits, Chondropathia patellae (Kniescheibenknorpelschaden) beidseits mit endgradig eingeschränkter Hocke, 4. eingeschränktes Hörvermögen beidseits (Schwerhörigkeit beidseits, rechts stärker als links), 5. Rezidiv-Leistenbruch rechts bei Zustand nach Operation, Zustand nach laparoskopischer Hernioplastik links.

Dem Kläger seien noch leichte Arbeiten kontinuierlich zumutbar, unter rückenschonender Technik gelegentlich auch mittelschwere Arbeiten (jedoch nur kurzfristig); was die Körper- und Gliedmaßenbewegung betreffe, sollte eine Tätigkeit ausgeübt werden, die abwechselnd im Sitzen, Stehen und Gehen durchgeführt werden kann. Pro Arbeitsschicht sollte der Anteil der sitzenden Tätigkeit nicht mehr als 50 % betragen. Tätigkeiten mit häufigem Bücken sowie Heben und Tragen schwerer Lasten seien zu vermeiden. Tätigkeiten im Knien und in Hockstellung seien nur eingeschränkt zumutbar; Hand- und Fingergeschicklichkeit bestehe.

Aufgrund des eingeschränkten Hörvermögens beidseits seien keine Arbeiten möglich, bei denen es zu einer erhöhten Belastungsgefährdung komme. Was die Umwelteinflüsse betreffe, müsse die Einwirkung von Nässe, Hitze, Kälte und Zugluft am Arbeitsplatz vermieden werden; zu empfehlen seien deshalb Tätigkeiten in geschlossenen und gut temperierten Räumen. Hinsichtlich der Bewältigung beruflicher Streßsituationen sei der Kläger nur eingeschränkt belastbar; aus diesem Grunde sollten ihm keine Akkordarbeiten übertragen werden. Unter Beachtung dieser Voraussetzungen sei dem Kläger noch eine vollschichtige Erwerbstätigkeit zumutbar. Ortsübliche Fußwege könne er bei jedem Wetter zurücklegen. Besondere Pausenregelungen seien nicht erforderlich. Umgangssprache werde vom Kläger verstanden.

Der Kläger hat ausgeführt, die Summierung der von Dr ... genannten Leistungseinschränkungen lasse darauf schließen, daß der allgemeine Arbeitsmarkt allein aus gesundheitlichen Gründen verschlossen sei. Seine Beschwerden im Leistenbereich und auch im rechten Kniegelenk hätten sich nach der Begutachtung vom 03.09.1997 weiter verschlechtert, was durch die Atteste des Orthopäden Dr ... und der Allgemeinärztin ... vom 28.01. bzw. 11.02.1998 bestätigt werde. Auch das Arbeitsamt Hof vertrete die Meinung, seine Leistungsfähigkeit sei soweit gemindert, daß er unter betriebsüblichen Bedingungen nicht mehr vollschichtig arbeiten könne.

Auch in Kenntnis des von Dr ... erstatteten Gutachtens und der vom Arbeitsamt Hof übersandten ärztlichen Unterlagen vertritt die Beklagte weiterhin die Auffassung, der Kläger könne noch in Vollschicht erwerbstätig sein.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 08.08.1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 02.01.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.04.1995 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt zu gewähren.

Hilfsweise beantragt er die Einholung eines berufskundlichen Gutachtens zur Frage seiner Einsatzfähigkeit in Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Dem Senat haben neben der Verwaltungsakte der Beklagten und der Prozeßakte des Sozialgerichts Bayreuth die Leistungsakte des Arbeitsamtes Hof und die Schwerbehinderten-Akte des Versorgungsamtes Bayreuth vorgelegen (GdB nach dem Schwerbehinderten-Gesetz = 40, Bescheid vom 18.02.1994). Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und auch im übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich als nicht begründet.

Im Ergebnis zutreffend hat das Sozialgericht entschieden, daß dem Kläger weder Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gem. § 44 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) noch wegen Berufsunfähigkeit gem. § 43 Abs. 2 SGB VI zusteht. Zur Überzeugung des Senats kann der Kläger noch einer zumutbaren Erwerbstätigkeit zu den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes in Vollschicht nachgehen. Nach den überzeugenden Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen Dr ... ist der Kläger wie bisher auch weiterhin in der Lage, leichte Arbeiten kontinuierlich, d.h. im Rahmen einer regelmäßigen Arbeitszeit von täglich 8 Stunden, und mittelschwere Arbeiten kurzzeitig unter Beachtung gewisser, einem betriebsüblichen Arbeitseinsatz nicht entgegenstehender Einschränkungen zu verrichten. Was die Körperhaltung und Bewegung betrifft, sollten nach Möglichkeit Tätigkeiten ausgeübt werden, die einen Wechsel der Arbeitsposition zwischen Sitzen, Stehen und Gehen zulassen, wobei der Anteil der sitzenden Tätigkeit pro Arbeitsschicht nicht mehr als 50 % betragen sollte. Arbeiten mit häufigem Bücken sowie Heben und Tragen schwerer und mittelschwerer Lasten sollen vermieden werden; kniende Tätigkeiten und solche in Hockstellung sind, soweit sie im Verlauf eines Arbeitstages gelegentlich notwendig werden, nicht ausgeschlossen, insgesamt aber nur eingeschränkt möglich. Die Hand- und Fingergeschicklichkeit ist erhalten. Aufgrund seines eingeschränkten Hörvermögens sind dem Kläger keine Arbeiten zumutbar, bei denen es zu einer erhöhten Belastungsgefährdung kommt (z.B. durch Geräusche und Lärm je nach Stärke, Dauer und Häufigkeit); außerdem sind Arbeitsbereiche zu vermeiden, bei denen im Rahmen des Unfallschutzes akustische Warnsignale üblich sind. Ansonsten kommt der verminderten Hörfähigkeit des Klägers für seine Verwendbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine gesteigerte Bedeutung zu. Nach den fachübergreifenden Feststellungen des orthopädischen Sachverständigen Dr ... war der Kläger in der Untersuchungssituation (offenbar ohne erwähnenswerte Vorbehalte) in der Lage, normallaute Umgangssprache zu verstehen. Davon konnte sich auch der Senat in der mündlichen Verhandlung überzeugen, da der Kläger trotz der erschwerten Verständigungsmöglichkeiten in dem weiträumigen Sitzungssaal keine größeren Schwierigkeiten hatte, der mündlichen Verhandlung zu folgen. Damit scheidet der Kläger (neben den Konsequenzen, die aus den von Dr ... formulierten arbeitsmedizinischen Vorbehalten zu ziehen sind) zwar für Tätigkeiten aus, die gutes Hörvermögen voraussetzen; bei der Vielzahl von Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, insbesondere solchen, bei denen die sprachliche Kommunikation eine untergeordnete Rolle spielt, wird er dagegen durch die festgestellte Hörminderung nicht oder nur geringfügig behindert. Hinsichtlich der Arbeitsumwelteinflüsse sollten Einwirkungen von Nässe, Hitze, Kälte und Zugluft vermieden werden, weshalb sich Tätigkeiten in geschlossenen, temperierten Räumen empfehlen. Unter Beachtung dieser Erfordernisse ist dem Kläger nach Auffassung des ärztlichen Sachverständigen und auch zur Überzeugung des Senats noch eine vollschichtige Erwerbstätigkeit zumutbar. Der Kläger kann auch ortsübliche Fußwege bei jedem Wetter zum Arbeitsplatz oder zu den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel zurücklegen.

Auf der Grundlage dieser Leistungsbeurteilung könnte sich die Notwendigkeit zum Nachweis einer zustandsangemessenen (regelmäßig tariflich erfaßten) Tätigkeit nur bei außergewöhnlichen (betriebsunüblichen) Arbeitsplatzanforderungen ergeben (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 75, 117, 176; SozR 3-2200 § 1247 Nr. 8). Abgesehen davon, daß der Senat den Kläger noch für fähig und geeignet hält, beispielsweise Tätigkeiten als Sortierer und Verpacker leichterer Gegenstände, als Elektroprüfer (einfache Funktionsprüfungen an elektrischen Teilen), Gerätezusammensetzer (die Geräte werden entweder von Hand oder mit Hilfe kleinerer maschineller Werkzeuge - z.B. Elektroschrauber - zusammengesetzt) oder Tätigkeiten in der "Sicht- und Lehrenkontrolle" an einfachen Teilen (Tarifbeispiel Nr. 14 zu § 15 des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer der Bayer. Metallindustrie) vollschichtig auszuüben, ist vorliegend eine derartige Benennungspflicht unter keinem Blickwinkel gegeben. Denn bei den von Dr ... zusammenfassend bezeichneten Einsatzbedingungen, die zum Schutz des Klägers vor unzumutbaren Belastungen am Arbeitsplatz eingehalten werden müssen, handelt es sich zur Überzeugung des Senats nicht um Einschränkungen, die entweder als "gravierende Einzelbehindertung" (z.B. Einarmigkeit oder einseitige Erblindung bei zusätzlicher Funktionsstörung des anderen Auges) oder durch außergewöhnliche "Summierung einer Vielzahl krankheitsbedingter Leistungseinschränkungen" einen denkbaren Arbeitseinsatz auf so wenige Gelegenheiten reduzieren, daß diese wegen Geringfügigkeit außer Betracht zu bleiben hätten. Ein Ausnahmetatbestand, der abweichend vom Regelfall auch bei vollschichtig Erwerbsfähigen die Prüfung erforderlich macht, ob ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann, liegt beim Kläger jedenfalls nicht vor. Solange er imstande ist, unter betriebsüblichen Bedingungen noch vollschichtig und regelmäßig Erwerbsarbeit zu leisten, besteht grundsätzlich keine Pflicht der Verwaltung und Gerichte, konkrete Arbeitsplätze oder Verweisungstätigkeiten mit im einzelnen nachprüfbaren Belastungselementen zu benennen; vielmehr ist in solchen Fällen von einer ausreichenden Zahl von Arbeitsplätzen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszugehen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 90).

Die qualitativen Leistungseinschränkungen, wie sie von Dr ... zusammenfassend nach Art und Schwere dargestellt wurden, sind auch nach der neueren Rechtsprechung des 13. Senats beim BSG (Urteile vom 19./20.08.1997 - 13 RJ 39/96 u.a. -) nicht geeignet, den Kreis körperlich leichterer Arbeiten wesentlich einzuengen. Vielmehr ist in diesen Urteilen (die zudem an den Grundsätzen gemessen werden müssen, wie sie der Große Senat des BSG in seinem Beschluss vom 19.12.1996 - SozR 3-2600 § 44 Nr. 8 - aufgestellt hat) ausgesprochen, daß zusätzliche Leistungseinschränkungen vorliegen müssen, die deutlich über den Rahmen dessen hinausgehen, was durch den Begriff "leichte körperliche Tätigkeiten" umschrieben wird. Diese Voraussetzung könnte dann erfüllt sein, wenn zusätzlich z.B. häufige oder stärkere Schwindelattacken (13 RJ 1/94), der dauernde Belastungsverlust eines Beines (13 RJ 73/93), eine gravierende Hörminderung (13 RJ 55/96), die Unzumutbarkeit "besonderer geistiger Beanspruchung" oder "erhöhter Verantwortung" (13 RJ 95/96) oder der Ausschluß besonderer Anforderungen an die Fingerfertigkeit (13 RJ 71/93) vorlägen. Ein solcher Fall, bei dem das Restleistungsvermögen insgesamt gesehen in einem Grenzbereich liegt, der sich mit den bisherigen Kriterien nicht klar beurteilen läßt, ist vorliegend nicht gegeben. Darauf wurde bezüglich der Einschränkung des Hörvermögens bereits hingewiesen. Eine gravierende Einzelbehinderung ergibt sich auch nicht aus der von Dr ... unter arbeitsmedizinischen Aspekten ausgesprochenen Empfehlung, daß dem Kläger im Arbeitseinsatz die Möglichkeit wechselnder Körperhaltung eingeräumt werden soll. Diesbezüglich geht der Senat davon aus, daß an einer Vielzahl von Arbeitsplätzen, die regelmäßig durch eine sitzende Arbeitshaltung geprägt sind, die Möglichkeit besteht, einen größeren Teil der anfallenden Arbeitsverrichtungen im Stehen auszuführen und - in den Arbeitsablauf eingebunden - immer wieder kürzere Wegstrecken zurückzulegen.

Zutreffend hat das Sozialgericht auch den - hilfsweise zu prüfenden - Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit verneint. Innerhalb der Beitragsleistung zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung ist für die versicherungsrechtliche Beurteilung der Verweisbarkeit regelmäßig auf die zuletzt nicht nur vorübergehend ausgeübte Beschäftigung abzustellen. Aufgrund der abschließenden sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung durch Dr ... geht auch der Senat (in Übereinstimmung mit der Beklagten und dem Sozialgericht) davon aus, daß der Kläger seine letzte Berufstätigkeit als Kraftfahrer im Bereich der Kundenbelieferung nicht mehr verrichten kann und darüber hinaus allgemein für einen beruflichen Einsatz als "Fahrer" nicht mehr die gesundheitliche Eignung besitzt. Diese Feststellung ist jedoch nicht gleichbedeutend mit dem Vorliegen von Berufsunfähigkeit. Ob sie gegeben ist, hängt vielmehr davon ab, welche seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechenden Tätigkeiten dem Kläger - unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit - zugemutet werden können. Hiernach stehen die sog. Verweisungstätigkeiten in einer Wechselbeziehung zum "bisherigen Beruf" (Hauptberuf). Von ihm aus bestimmt sich, welche Verweisungstätigkeiten als zumutbar in Betracht kommen. Es muß deshalb zunächst der Hauptberuf ermittelt und - da die Verweisbarkeit von seiner Qualität abhängt - nach den vorgenannten Kriterien des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI bewertet werden. Hierzu hat die Rechtsprechung des BSG ein - nicht starr anzuwendendes - Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe u.a. in Gruppen mit Leitberufen "Facharbeiter, sonstiger Ausbildungsberuf und ungelernte Arbeiter" unterteilt (ständige Rechtsprechung des BSG). Innerhalb dieses Rahmens muß sich ein Versicherter grundsätzlich auf die nächst- niedrigere Gruppe verweisen lassen, soweit ihn die danach in Betracht kommenden Tätigkeiten weder hinsichtlich seines beruflichen Könnens und Wissens noch bzgl. seiner gesundheitlichen Kräfte überfordern (BSG in SozR Nr. 103 und SozR 2200 Nrn. 17, 21 je zu § 1246 RVO).

Der vom Sozialgericht Bayreuth im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung, daß der Kläger als Facharbeiter zu beurteilen ist, vermag sich der Senat allerdings nicht anzuschließen. Zunächst hat die Kammer im Zusammenhang mit der Frage des Berufsschutzes mit Recht auf den Umstand hingewiesen, daß der Kläger den Aufgabenbereich eines Fahrers bei der Firma ... GmbH langjährig ausgeübt hat. Dadurch mag er sich zwar eine gewisse Berufserfahrung als Kraftfahrer erworben haben; diese reicht jedoch nicht aus, ihn als qualifizierten Facharbeiter zu beurteilen oder einem solchen wenigstens gleichzustellen. Den Ausbildungsberuf eines "Kraftfahrers" hat der Kläger nicht erlernt. Dieser Umstand allein schließt die Zubilligung des Berufsschutzes nicht aus, wenn sich der Kläger im Rahmen einer langjährigen Tätigkeit im Fachberuf die Kenntnisse und Fähigkeiten angeeignet hat, die von einem Berufskraftfahrer regelmäßig erwartet werden. Auch diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht, da er während seiner gesamten Beschäftigungszeit bei der Firma ... keine Arbeiten verrichtet hat, die sich mit der qualifizierten Tätigkeit eines Berufskraftfahrers decken. Dies hat der letzte Arbeitgeber des Klägers sowohl gegenüber der Beklagten als auch gegenüber dem Sozialgericht bestätigt. Der Kläger hat bei der Firma ... keine Arbeiten verrichtet, die üblicherweise von Berufskraftfahrern mit Abschlußprüfung geleistet werden. Seine Tätigkeiten beschränkten sich auf das Ausliefern von Waren an Kunden. Teilweise ist er außerhalb der Fahrzeiten zu Lagerarbeiten herangezogen worden. Entscheidend für die Frage der Facharbeiterqualifikation fällt aber ins Gewicht, daß der Kläger niemals im Besitz des Führerscheins der Klasse 2 gewesen ist. Er hat dementsprechend keine Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 7,5 t bzw. mit mehr als drei Achsen geführt. Sein beruflicher Aufgabenkreis entsprach damit dem gesamten Gepräge nach im wesentlichen einer - ungelernten - Ausfahrertätigkeit im Nahverkehr. Eine gewisse Anlernzeit (um die regelmäßigen Fahrtrouten und den Kundenstamm kennenzulernen) schließt die Bewertung als ungelernte oder kurzfristig angelernte Tätigkeit nicht aus. Wenn der Kläger dennoch in Anlehnung an den Tarifabschluß 1994 des Landesverbandes des Bayer. Groß- und Außenhandels nach Lohngruppe 4 bezahlt worden ist, begründet dies keinen Berufsschutz als Facharbeiter, denn die Entlohnung ist, wie der Arbeitgeber mitgeteilt hat, ausschließlich auf einen Bewährungsaufstieg aufgrund langjähriger Betriebszugehörigkeit zurückzuführen. Im übrigen umfaßt die Lohngruppe 4 des vorbezeichneten Tarifvertrags grundsätzlich Arbeiten, die nach einer Anlernzeit mit langjähriger praktischer Tätigkeit und mit umfangreichen Warenkenntnissen oder entsprechender Prüfung ausgeübt werden, während erst die Lohngruppen 5 und 6 eine abgeschlossene Facharbeiterausbildung oder eine abgeschlossene Ausbildung als Handwerker voraussetzen. Dementsprechend ist der Kläger nach dem Berufsgruppenschema des BSG lediglich dem unteren Bereich eines Arbeitnehmers mit einem "sonstigen Ausbildungsberuf" zuzuordnen. Als solcher ist er auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes verweisbar, soweit diese nicht einfachster Art oder von gänzlich untergeordneter Bedeutung sind. Die Benennung einer konkreten Berufstätigkeit ist dabei entbehrlich, wie bereits im Zusammenhang mit dem in erster Linie verfolgten Klageanspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ausgeführt wurde. Deshalb wurde auch dem weiteren Hilfsantrag des Klägers auf Einholung einer berufskundlichen Stellungnahme der Arbeitsverwaltung nicht stattzugeben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth ist zurückzuweisen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten, § 193 SGG.

Gründe, die Revision gem. § 160 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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