L 4 KR 101/97

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 Kr 88/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 101/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zum Kostenerstattungsanspruch bei privat(zahn)ärztlicher Behandlung.
2. Art.2 Abs.1, 2 GG gibt keinen verfassungsrechtlichen Anspruch gegen die gesetzlichen Krankenkassen auf Bereitstellung und Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen.
i. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24. Juli 1997 wird zurückgewiesen.
ii. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
iii. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Kostenerstattung für privat(zahn)ärztliche Behandlungen.

Der 1940 geborene und bei der Beklagten pflichtversicherte Kläger leidet nach ärztlichen Feststellungen u.a. an multiplen körperlichen Beschwerden und einer Allergie auf Palladium- und Goldverbindungen. Er befand sich in der Zeit von April 1995 bis Oktober 1996 in privater Behandlung bei dem Zahnarzt Dr. der ihn u.a. nach der Elektroakupunktur nach Voll (EAV) behandelte. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 16.06.1995 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) eine Kostenübernahme bzw. -beteiligung an der privatzahnärztlichen Behandlung ab. Auf den erneut gestellten Antrag vom 24.06.1995 erging am 21.09.1995 ein weiterer Bescheid (ohne Rechtsbehelfsbelehrung), mit dem die Beklagte wieder Kostenerstattung bzw. -beteiligung ablehnte. Der Kläger beantragte am 24.04.1996 wieder Kostenübernahme der weiteren Behandlung durch Dr. und ließ am 17.05.1996 gegen den Bescheid vom 21.09.1995 Widerspruch einlegen. Mit Schreiben vom 20.05.1996 beantragte er ferner die Erstattung der Fahrkosten sowie der ärztlichen Attestgebühren. Außerdem ließ er am 29.10.1996 schon teilweise früher vorgelegte Rechnungsbelege von Dr., der Firma (), Privatrezepte sowie Quittungen von Dr. und Dr.Dr. (ohne Datum) mit einem Gesamtbetrag von über 2.000,- DM einreichen.

Auf die beim Sozialgericht Landshut (SG) am 25.09.1996 erhobene Untätigkeitsklage hat die Beklagte mit Bescheid vom 11.12.1996 den Widerspruch mit der Begründung zurückgewiesen, die EAV entspreche nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse; die Wirksamkeit der Therapie sei nicht erwiesen. Der Kläger hat am 07.02.1997 erneut Klage erhoben und für die durchgeführte Behandlung bei Dr. Kostenerstattung in Höhe von 2.805,66 DM geltend gemacht; er hat mit Schreiben vom 10.04.1997 diese Klage zurückgenommen (S 10 Kr 16/97). Das SG hat mit Urteil vom 24.07.1997 die erste Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe einen Sachleistungsanspruch auf Krankenbehandlung durch zugelassene Zahnärzte. Ein Notfall habe nicht vorgelegen und die Erstattung der Kosten für die EAV sei nach den sog. NUB-Richtlinien ausgeschlossen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 23.09.1997, mit der er, nachdem die Bevollmächtigten das Mandat niedergelegt haben, unter Vorlage eines Attestes von Dr. wieder geltend macht, es habe ein Notfall bestanden und nach der operativen Sanierung durch Dr., der ihm letztlich das Leben gerettet habe, gehe es ihm subjektiv besser. Die Ablehnung der Kostenerstattung verletze ihn in seinem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf Leben.

Der Kläger beantragt,

das Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 24.07.1997 und die zugrundeliegenden Bescheide der Beklagten vom 16.06.1995 und 21.09.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.12.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Behandlung bei Dr. und die von ihm verordneten Medikamentenkosten mit insgesamt DM 2.760,- zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24.07.1997 zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG, auf deren Inhalt im übrigen Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig; der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 1.000,- DM (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG).

Die Berufung ist unbegründet.

Das SG hat zu Recht einen Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs.3 Sozialgesetzbuch V (SGB V), der nach Lage des Falles allein in Betracht kommt, verneint. Nach dieser gesetzlichen Bestimmung hat die Krankenkasse Kosten zu erstatten, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Beide Alternativen dieser Bestimmung sind nicht erfüllt.

Die von April 1995 bis Oktober 1996 dauernde privatzahnärztliche Behandlung ist keine unaufschiebbare Leistung gewesen. Zu diesen Leistungen gehören vor allem Notfälle im Sinne des § 76 Abs.1 Satz 2 SGB V sowie andere dringliche Bedarfslagen, wie z.B. Systemstörungen oder Versorgungslücken. Ein Notfall im genannten Sinne liegt vor, wenn eine dringende Behandlungsbedürftigkeit besteht und ein an der Versorgung teilnahmeberechtigter Arzt nicht rechtzeitig zur Verfügung steht. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn ohne eine sofortige Behandlung durch einen Nichtvertragsarzt Gefahren für Leib und Leben entstehen oder heftige Schmerzen unzumutbar lange andauern würden (KassKomm - Höfler, § 13 SGB V, Rdnr.8; KassKomm - Hess, § 76 SGB V Rdnr.12 mwN). Ein Notfall oder andere dringliche Bedarfslagen im rechtlichen Sinne haben nicht bestanden, da der Kläger einen zugelassenen Zahnarzt aufgesucht hat und mit ihm privatärztliche Behandlungsverträge geschlossen hat. Damit fehlt es am zweiten Merkmal eines krankenversicherungsrechtlichen Notfalls. Systemstörungen liegen nicht vor, wenn sich aus dem Versicherungsverhältnis selbst - wie noch ausgeführt wird - Leistungsbeschränkungen ergeben.

Die Beklagte hat eine Erstattung der Kosten der zahnärztlichen Behandlung auch nicht zu Unrecht abgelehnt. Denn der Kläger hat einen Anspruch auf zahnärztliche Behandlung im Wege der Sachleistungen, so daß er nicht gezwungen war, Behandlungsverträge mit dem Zahnarzt abzuschließen. Nach §§ 27 Abs.1, 28 Abs.2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die zahnärztliche Behandlung umfaßt die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Dieser Anspruch wird von den Krankenkassen im Wege der Sachleistung erfüllt. Nach § 2 Abs.1, 2 SGB V stellen die Krankenkassen dem Versicherten die Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung, soweit die Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Der Leistungsanspruch erstreckt sich auch auf die Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen, deren Wirksamkeit anerkannt ist. Dieses Sachleistungsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung schließt umgekehrt eine Kostenerstattung für Leistungen durch nicht zugelassene Ärzte bzw. für private Behandlungsverträge mit zugelassenen Ärzten aus.

Dies gilt auch für die Erstattung von Kosten für Arznei- und Heilmittel, die auf Privatrezept verordnet werden. Nach §§ 31, 32 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln bzw. Heilmitteln, soweit sie nicht ausgeschlossen sind.

Bei dem Rechtsanspruch auf Arzneimittel bzw. Heilmittel handelt es sich um ein sog. Rahmenrecht, das durch die vertragsärztliche Verordnung konkretisiert wird. Das heißt, eine Leistungspflicht der Krankenkasse entsteht in der Regel durch die Verordnung eines Vertragsarztes auf Kassenrezept. Damit ergibt sich umgekehrt keine Leistungspflicht der Krankenkasse für privatärztlich verordnete Arznei- und Heilmittel.

Schließlich kommt mangels ärztlicher Verordnung auch eine Erstattung der Kosten für die von der Firma bezogenen Massebildner und Reinigungsmittel nicht in Frage, ohne daß in diesem Zusammenhang noch auf andere rechtliche Hindernisse einzugehen ist.

Das SG hat auch zu Recht eine Erstattung der Kosten für die Behandlung nach der Elektroakkupunktur nach Voll (EAV) abgelehnt. Denn es handelt sich hierbei nicht um eine Behandlungsmethode, die Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung ist. Nach Nr.1 der Anlage 2 zu den NUB-Richtlinien (Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen nicht als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden anerkannt hat) ist der diagnostische und/oder therapeutische Nutzen der EAV nicht gegeben, so daß ohne weiteres eine Leistungsverpflichtung der Beklagten zu verneinen ist. Bei diesen Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen handelt sich um untergesetzliche Rechtsnormen, die in Verbindung mit § 135 Abs.1 SGB V (Qualitätssicherung der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung) verbindlich festlegen, welche neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden Gegenstand der Leistungspflicht der Krankenkassen sind (BSG, Urteil vom 16.09.1997, 1 RK 32/95 zur Veröffentlichung vorgesehen). Diese Richtlinien haben die Aufgabe, die gesetzgeberische Verpflichtung umzusetzen, daß Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben (§ 2 Abs.1 Satz 3 SGB V) und daß die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen (§ 12 Abs.1 SGB V). Überdies sieht § 135 Abs.1 SGB V idF des Gesetzes vom 21.12.1992 (BGBl.I S.2266) vor, daß neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden, wenn die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen Empfehlungen über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben haben.

Aus den genannten gesetzlichen Vorschriften ergibt sich für den vorliegenden Fall, daß diagnostische bzw. therapeutische Methoden, deren Wirksamkeit nicht ausreichend nachgewiesen ist, zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht abgerechnet werden können. Sie sind damit nicht nur als Sachleistungen, sondern auch über die Kostenerstattung ausgeschlossen.

Zu Unrecht rügt der Kläger eine Verletzung des in Art.2 Abs.1, 2 GG geregelten Schutzes von Leben und Gesundheit. Denn diese Rechtsgüter werden durch die og Bestimmungen und die Bescheide der Beklagten nicht beeinträchtigt. Aus Art.2 Abs.1, 2 GG ergibt sich kein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen die Krankenkassen auf Bereitstellung und Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen. Der Umfang des Krankenbehandlungsanspruchs ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung vielmehr durch die Leistungsgesetze bestimmt und begrenzt (Bundesverfassungsgericht vom 05.03.1997, NJW 1997, 3085; Bundessozialgericht vom 16.09.1997, 1 RK 17/95, 1 RK 23/95, 1 RK 30/95, 1 RK 32/95, 1 RK 14/96).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGB V).
Rechtskraft
Aus
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