L 18 U 122/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 135/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 122/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 08.02.2001 und der Bescheid des Beklagten vom 18.01.1999 idF des Widerspruchsbescheides vom 25.03.1999 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, bei der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nr 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen und Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vH ab 25.04.1997 zu gewähren.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob bei der Klägerin eine Berufskrankheit (BK) Nr 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung - BKV - (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule - LWS -) anzuerkennen und zu entschädigen ist.

Die am 1947 geborene Klägerin war von 1961 bis 1964 als Haushaltslehrling, von 1964 bis 1971 als Hausgehilfin und nach einer Ausbildung zur Altenpflegerin in diesem Beruf von 1972 bis 1981 und nach einer weiteren Ausbildung zur Krankenschwester von 1981 bis 1984 als Krankenschwester bis 1988 beschäftigt. 1988 absolvierte sie einen Stationsleiter-Lehrgang und war bis 1995 Stationsleiterin in der gynäkologischen Onkologie. Seit 01.11.1995 war sie (nach Schließung ihrer bisherigen Station) als Krankenschwester in der Geriatrie bis zur Krankschreibung am 25.04.1997 beschäftigt. 1991 und 1992 war sie an einem lateralen Bandscheibenvorfall in Höhe von LW 5/S 1 links operiert worden. Seit ihrer Krankschreibung ab 25.04.1997 hat die Klägerin nicht mehr als Krankenschwester gearbeitet.

Am 02.09.1996 zeigte der Betriebsärztliche Dienst der Stadt N. das Vorliegen einer BK nach Nr 2108 bei dem Beklagten an. In der ärztlichen Anzeige - ebenso im Fragebogen zur Wirbelsäulen-Erkrankung - wurde angegeben, dass 1980 erstmals Rückenschmerzen hauptsächlich in der Lendenwirbelsäule aufgetreten seien. Die Beschwerden seien auf das Heben und Tragen von Patienten in gebückter und verdrehter Haltung zurückzuführen.

Nach Beiziehung ärztlicher Unterlagen (u.a. Arztbrief des Dr.S. vom 16.01.1989) und Einholung von Auskünften des Klinikums der Stadt N. vom 16.12.1996/05.11.1997/ 25.04.1997 über berufliche Trage- und Hebebelastungen der Klägerin bejahte der Technische Aufsichtsbeamte des Beklagten in einer Stellungnahme vom 16.12.1997 das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen. Der Beklagte ließ die Klägerin von Dr.B. untersuchen (fachchirurgisches Gutachten vom 11.05.1998/08.09.1998). Dieser stellte bei der Klägerin ein Postnucleotomie-Syndrom mit rezidivierenden Lumboischialgien (L 5/S 1) bei bestehender Bandscheibenprotrusion in den Segmenten L 3/L 4 und L 4/L 5 fest. Diese LWS-Erkrankung führte er auf die belastende Tätigkeit der Klägerin als Krankenschwester zurück. Die MdE bezifferte er mit 20 vH.

Der Gewerbearzt Dr.F. hielt in seiner Stellungnahme vom 12.10.1998 lediglich eine MdE von 10 vH für gerechtfertigt. Der von dem Beklagten befragte beratende Arzt Dr.B. ging in seiner Stellungnahme vom 17.12.1998 von einem monosegmentalen Schaden an der Wirbelsäule an hierfür typischer Stelle zwischen L 5 und S 1 aus und verneinte das Vorliegen einer BK nach Nr 2108 wegen erheblichen Übergewichts, arterieller Hypertonie bei Nikotin-Abusus, gleichzeitiger Fettstoffwechselstörung, Hyperlordose, Binde- und Stützgewebeschwäche mit X-Beinen, zweitgradigen Krampfadern, einem periarthropatischen Reiben in beiden Schultern, einer Arthrose im rechten Kniegelenk bei Zustand nach Meniskusoperation, einer rechtskonvexen Skoliose im Brustabschnitt mit entsprechendem Gegenschwung im Lendenabschnitt sowie einer psychovegetativen Reaktion bzw Überforderungssituation.

Daraufhin lehnte der Beklagte die Anerkennung einer BK nach Nr 2108 mit Bescheid vom 18.01.1999 mit der Begründung ab, die LWS sei lediglich im untersten Segment geschädigt und die in den mittleren Segmenten bestehenden Veränderungen seien als altersentsprechend einzustufen. Die bestehenden Beschwerden seien auf anlagebedingte Veränderungen im Skelettsystem, auf Fettstoffwechselstörungen und Übergewicht zurückzuführen.

Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin einen Arztbrief über eine lumbal-spinale Kernspintomographie vom 28.04.1997 vor und machte geltend, weitere Bandscheibenvorfälle erlitten zu haben. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 25.03.1999 zurück und ließ dahingestellt, ob die Tätigkeit der Klägerin als Altenpflegerin bzw seit 1981 als Krankenschwester als WS-gefährdend iS der BK Nr 2108 anzusehen sei. Aus dem Bericht über die Kernspintomographie vom 28.04.1997 ergäben sich bzgl des Schadensbildes an der LWS keine neuen Befunde, die zu einer anderen Beurteilung der Zusammenhangsfrage führen könnten. Es gehe vielmehr schon aus der am 05.04.1991 durchgeführten Computertomographie der Lumbosacralregion hervor, dass die Bandscheibe im Bereich L 3/L 4 sowie L 4/L 5 jeweils vorgewölbt sei. Diese Bandscheibenprotrusionen seien geringfügig und könnten nach der Stellungnahme des beratenden Arztes Dr.B. vom 17.12.1998 lediglich als altersentsprechend eingestuft werden.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg hat die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18.01.1999 idF des Widerspruchsbescheides vom 25.03.1999 zu verurteilen, eine BK Nr 2108 anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen, insbesondere nach einer MdE um mindestens 20 vH zu gewähren. Das SG hat von dem Facharzt für Orthopädie Dr.S. ein Zusammenhangsgutachten vom 23.11.1999 eingeholt. Dieser hat bei der Klägerin an allen Wirbelsäulen-Abschnitten verschieden stark ausgeprägte degenerative Veränderungen festgestellt. Er ist von einer bandscheibenbedingten Erkrankung des Wirbelsäulen-Segments L 5/S 1 ausgegangen, erachtete aber den Wirbelsäulenschaden als monosegmental und nicht beruflich bedingt. Der gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Aktenlage gehörte Prof. Dr.H. (Chirurgische Universitätsklinik E.) hat im Gutachten vom 12.04.2000/19.06.2000 eine berufsbedingte Bandscheibenerkrankung bejaht und darauf hingewiesen, dass die Manifestation des Beschwerdebildes erst nach Ablauf einer langjährigen beruflichen Belastung eingetreten ist. Die MdE hat er mit 20 vH eingeschätzt.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 08.02.2001 abgewiesen und sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. S. gestützt.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Der Senat hat Dr.S. zu dem vom SG eingeholten Gutachten des Prof. Dr.H. gehört (Stellungnahmen vom 18.03.2002 und 10.07.2002). Dr.S. hat daran festgehalten, dass bei der Klägerin ein monosegmentaler Befall der Wirbelsäule vorliege, der die Annahme einer BK nicht rechtfertige. Ein Teil der Veränderungen L 3/L 4 und L 4/L 5 sei mit Wahrscheinlichkeit auf die Instabilität im Segment L 5/S 1 nach den Bandscheibenoperationen 1991 und 1992 zurückzuführen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 08.02.2001 und den Bescheid vom 18.01.1999 idF des Widerspruchsbescheides vom 25.03.1999 aufzuheben und bei ihr eine BK Nr 2108 der Anlage zur BKV anzuerkennen und eine Rente nach einer MdE von mindestens 20 vH zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Nürn berg vom 08.02.2001 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Akte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.

Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn der angefochtene Verwaltungsakt ist nicht rechtmäßig. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente, denn die im Bereich der LWS bestehenden krankhaften Veränderungen stellen eine BK nach Nr 2108 der Anlage zur BKV dar.

Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleiden (früher § 551 Abs 1 Reichsversicherungsordnung - RVO -, ab 01.01.1997 § 9 Abs 1 Sozialgesetzbuch - gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII -). Von dieser Ermächtigung hat die Bundesregierung mit der BKV Gebrauch gemacht und durch die 2. Verordnung zur Änderung der BKV in Nr 2108 der Anlage bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung als Berufskrankheit anerkannt. Zum Übergangsrecht ist bestimmt, dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule, die am 01.01.1993 bestanden hat, als Berufskrankheit anerkannt werden kann, wenn der Versicherungsfall nach dem 31.03.1988 eingetreten ist (jetzt § 6 Abs 2 BKV).

Bei einer Berufskrankheit ist der Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalls grundsätzlich der Tag, für den erstmals krankhafte Befunde iS der betroffenen Berufskrankheit nachgewiesen sind. Bei Berufskrankheiten mit weiteren versicherungsrechtlichen Merkmalen, wir hier dem Zwang zur Unterlassung aller Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, tritt der Versicherungsfall erst mit deren vollständigen Vorliegen ein (vgl BSG SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 2 und Hessisches LSG Urteil vom 18.03.2002 Az: L 11 U 83/01 in juris Nr KSRE 03190 0322). Der Unterlassungszwang betrifft gefährdende Tätigkeiten, die entweder bereits in der Vergangenheit rechtlich wesentlich für das Entstehen, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben einer Krankheit ursächlich waren oder in Zukunft ursächlich sein können.

Die Feststellung einer BK nach Nr 2108 setzt grundsätzlich voraus (vgl Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung - Kommentar-E § 9 SGB VII RdNr 14), dass zum einen in der Person des Versicherten die sogenannten technischen Voraussetzungen erfüllt sind, dh dass der Betreffende im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen iS der BK ausgesetzt gewesen ist, die geeignet waren, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken (haftungsbegründende Kausalität). Zum anderen muss ein Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung bestehen (haftungsausfüllende Kausalität). Während die arbeitstechnischen Voraussetzungen und der Gesundheitsschaden voll bewiesen sein müssen, reicht zur Bejahung des Kausalzusammenhangs zwischen der schädigenden Einwirkung und dem Gesundheitsschaden die hinreichende Wahrscheinlichkeit aus (vgl BSG SozR 2200 § 548 Nr 38; Mehrtens/Perlebach, aaO RdNr 26). Bezüglich der hier streitigen BK müssen also iS des Vollbeweises eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS (Gesundheitsschaden) und die arbeitstechnischen Voraussetzungen "langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten" (= haftungsbegründende Kausalität) nachgewiesen sein, der Gesundheitsschaden muss iS der unfallrechtlichen Kausalitätslehre (vgl BSG SozR 2200 § 551 Nr 1; SozR 3-2200 § 548 Nrn 4, 11, 14; Mehrtens/Perlebach, aaO Nr 17 ff) mit Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf die belastende berufliche Tätigkeit zurückzuführen sein (haftungsausfüllende Kausalität). Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs liegt vor, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl BSG Urteil vom 27.06.2000 HVBG-Info 2000, 2811).

Ausgehend von diesen Voraussetzungen liegt bei der Klägerin eine BK nach Nr 2108 der Anlage zur BKV vor, da der Versicherungsfall mit der Aufgabe der Tätigkeit als Krankenschwester seit der Krankschreibung am 25.04.1997 eingetreten ist und sowohl die haftungsbegründende als auch die haftungsausfüllende Kausalität gegeben sind.

Die Klägerin erfüllt die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach Nr 2108 "langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten". Das zur BK Nr 2108 vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebene Merkblatt für die ärztliche Untersuchung (abgedruckt bei Mehrtens/Perlebach, aaO M 2108 S 1 ff), das zwar keine verbindliche, im Range der Verordnung stehende Erläuterung darstellt, aber Hinweise für die Beurteilung von möglichen Zusammenhängen aus arbeitsmedizinischer Sicht gibt und eine arbeitstechnische und medizinische Konkretisierung der BK beinhaltet (vgl BSG-Urteil vom 23.03.1999 - B 2 U 12/98 R -), weshalb es als wertvolles Hilfsmittel für das Erkennen einer BK anzusehen ist, führt in seinem Abschnitt I Beschäftigte in der Kranken- und Altenpflege für berufliche Belastungen der Lendenwirbelsäule beispielhaft auf. Im Abschnitt IV werden Anhaltspunkte für den Begriff "schwere Lasten" angegeben. Die - aus präventivmedizinischen Gründen festgelegten - Lastgewichte betragen bei Frauen im Alter zwischen 18 und 39 Jahren 15 kg und ab dem Alter von 40 Jahren 10 kg. Diese Lastgewichte müssen mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten gehoben und getragen werden, um als Ursache von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS in Frage kommen zu können. So werden in dem Merkblatt beispielsweise Schwesternhelferinnen genannt, die danach schon dann gefährdet sind, wenn sie lediglich zu ca 12 % der Schicht Arbeiten mit Heben und Tragen von schweren Lasten zu verrichten. "Langjährig" bedeutet nach diesem Merkblatt, dass regelmäßig 10 Berufsjahre als untere Grenze der Dauer der belastenden Tätigkeit zu fordern sind.

Diese Voraussetzungen werden von der Klägerin sämtlich erfüllt. Dies ergibt sich aus der Stellungnahme des TAD des Beklagten vom 16.12.1997. Danach hat die Klägerin nach den Angaben der Pflegedirektion des Klinikums N. in einem die 10-Jahres-Grenze überschreitenden Zeitraum wirbelsäulengefährdende Arbeiten verrichtet. Die Klägerin musste während ihrer 25-jährigen beruflichen Tätigkeit als Altenpflegerin/Krankenschwester häufig Patienten betten und aus ungünstigen Körperhaltungen heraus ohne technische Hilfsmittel heben. Die für Frauen geltenden Lastgewichte wurden dabei wesentlich überschritten.

Die Klägerin leidet auch an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS. Als eine derartige Erkrankung sind in der Begründung der 2. ÄndVO u.a. der Bandscheibenvorfall aufgeführt. Nach den Feststellungen des Dr.B. leidet die Klägerin an einem Postnucleotomie-Syndrom mit rezidivierenden Lumboischialgien (L 5/S 1) bei bestehender Bandscheibenprotrusion in den Segmenten L 3/L 4 und L 4/L 5. Auch Bandscheibenprotrusionen stellen eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS dar (vgl Mehrtens/Perlebach aaO RdNr 5). Die gerichtlichen Sachverständigen Dr.S. und Prof. Dr.H. gehen übereinstimmend von einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS aus. Seitens der Beklagten sind insofern gegen die Gutachten auch keine Bedenken erhoben worden. Umstritten ist nur das Ausmaß der verschiedenen einzelnen Elemente der LWS-Erkrankung. Der Streit um das Ausmaß ändert aber nichts an der Erkrankung als solcher (so auch SG Gießen - Urteil vom 15.12.1998 Az: S 1 U 794/97 in juris Nr KSRE 022381322).

Diese bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS der Klägerin sind mit Wahrscheinlichkeit durch deren berufliche Tätigkeiten verursacht worden. Bei der Klägerin hat eine jahrzehntelange exzessive LWS-Belastung vorgelegen, die nach Art und Ausmaß geeignet war, die konkrete LWS-Erkrankung hinsichtlich Art und Ausprägung, Lokalisation und Erkrankungsverlauf zu verursachen. Die auf den vorliegenden Einzelfall bezogene Kausalitätsbeurteilung hat auf der Grundlage der Theorie der wesentlichen Bedingung zu erfolgen. Etwaige Schadensanlagen der Klägerin führen bei dieser Kausalitätsabwägung nicht zum Ausschluss der Ursächlichkeit der beruflichen Wirbelsäulenbelastungen. Der bei der Klägerin vorliegende monosegmentale Bandscheibenschaden schließt die Anerkennung einer Wirbelsäulen-BK nach der herrschenden Meinung nicht aus (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin S 537 ff, Mehrtens/Perlebach aaO Anm 7.1; grundlegend: LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 26.09.1995, L 15/U 89/95 und Beschluss des BSG vom 31.05.1996, 2 BU 237/95, Breithaupt 1997, 289; Becker SGb 2000, 119). Auch wenn der Schwerpunkt der Bandscheibenvorfälle in der Gesamtbevölkerung in den unteren Segmenten liegt, kann aufgrund dieser allgemeinen statistischen Erkenntnisse im zu entscheidenden Einzelfall nicht eine entsprechende Schadensanlage als feststehend angesehen, sondern nur vermutet werden (Mehrtens/Perlebach aaO). Auf die Frage, wieso gerade diese und keine andere Bandscheibe von der Erkrankung betroffen ist, kommt es nicht an, weil aus deren Beantwortung für die Kausalitätsbeurteilung der erkrankten Bandscheibe nichts abgeleitet werden kann. Denn wissenschaftliche Erkenntnisse über einen Umkehrschluss o.ä. von der einen Bandscheibe auf die andere liegen nicht vor, zumal es sich um Unterschiede in der mitversicherten genetischen Disposition handeln kann (so zutreffend SG Gießen, aaO).

Für den Ursachenzusammenhang spricht auch die Lokalisation der Erkrankung: Denn die hohe LWS-Belastung der Klägerin wirkt sich an den unteren Segmenten der LWS stärker aus als an den oberen und die Klägerin ist an den unteren Wirbelsäulensegmenten erkrankt. Außerdem ist festzustellen, dass es sich bei der Klägerin nicht um eine "reine" Mono-Segmentalerkrankung handelt, wenn auch der Schwerpunkt im operierten Segment L 5/S 1 liegt. Die Bandscheibenprotrusionen der Klägerin, die sich aus dem lumbal-spinalen Kernspintomogramm vom 28.04.1997 ergeben und die auch der Sachverständige Dr.S. diagnostiziert hat, widerlegen die Annahme, dass mit Ausnahme des Segmentes L 5/S 1 alle übrigen Segmente der LWS (L 1 bis L 4) regelhaft und altersentsprechend seien. Hinzu kommt, dass Dr.S. einen Teil der Veränderungen bei L 3/L 4 und L 4/L 5 mit Wahrscheinlichkeit auf die Instabilität im Segment L 5/LS 1 nach den Bandscheibenoperationen 1991 und 1992 zurückführt, diese Erkrankungen somit mittelbare Folgen der monosegmentalen Schädigung sind. Der Senat folgt daher dem Gutachten des Dr.B. , der eine Bandscheibenerkrankung der Lendenwirbelsäule in drei Segmenten festgestellt hat (L 5/S 1, L 3/L 4 und L 4/L 5). Schließlich ist zu beachten, dass bei Krankenschwestern die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule so gut wie ausschließlich die Segmente L 4/L 5 oder L 5/S 1 bzw eine Kombination dieser beiden Segmente betrifft (Mehrtens/Perlebach aaO S 28). So will auch das Hessische Landessozialgericht nicht ausschließen, dass für bestimmte Berufs- und Belastungsformen der positive Nachweis eines berufsbedingten mono- bzw bisegmentalen Schadens geführt werden kann, zB in der Alten- und Krankenpflege, wo anders als in klassischen Schwerarbeiterberufen nicht eine Bandscheiben-"Versorgungsstörung" unter Dauerbelastung als Schadensauslöser angenommen wird, sondern eine wiederholte "Mikrotraumatisierung" durch plötzliche überhöhte Belastungsspitzen beim Heben und beim Lagern von immobilisierten und übergewichtigen Patienten gegeben ist (Urteil vom 13.02.2002, Az: L 3 U 289/01 in juris Nr KSRE 033231322).

Entgegen der Auffassung des Beklagten lässt sich aus dem Alter der Klägerin bzw einem altersentsprechenden Befund der LWS keine fehlende Ursächlichkeit der beruflichen Einwirkungen herleiten, da es keine verbindliche, epidemiologisch gesicherte Erkenntnis über eine altersentsprechende Wirbelsäule gibt (SG Gießen aaO mwN).

Auch der Erkrankungsverlauf spricht für eine berufsbedingte Verursachung des Bandscheibenschadens. Daran ändern die 1980 aufgetretenen Rückenschmerzen nichts. Denn aus der nicht näher differenzierten Angabe der Klägerin über erste Beschwerden 1980 kann nicht auf eine sichere Erst-Manifestation einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS geschlossen werden. Auch eine dahingehende Vermutung ist vorliegend ausgeräumt, da nach dem Arztbrief des Dr.S. vom 16.03.1989 die Bandscheiben zu dieser Zeit normal hoch waren und nur eine leichte Ostechondrose zwischen L 5 und S 1 bestanden hat.

Auch bei gleichzeitiger Erkrankung anderer Wirbelsäulenabschnitte kann nicht automatisch eine wesentliche Verursachung der LWS-Erkrankung durch die berufliche Belastung verneint werden. Vielmehr muss im Einzelfall geprüft werden, ob diese Erkrankung zusammen mit der LWS-Erkrankung für eine entsprechende Schadensanlage spricht oder andere Ursachen hat, zB andere berufliche Belastungen dieser Wirbelsäulenabschnitt bzw Gelenke (aaO mwN). Vorliegend erreicht die Erkrankung anderer Wirbelsäulenabschnitte oder Gelenke kein Ausmaß, das eine wesentliche Verursachung der LWS-Erkrankung durch die berufliche Belastung in Frage stellt. So hat der Sachverständige Prof. Dr.H. darauf hingewiesen, dass die anhand der Röntgenbilder der Brustwirbelsäule (BWS) und LWS diagnostizierte angedeutete rechtskonvexe Verbiegung der mittleren BWS mit angedeuteter linkskonvexe Gegenschwingung des BW-LWS-Überganges nur eine geringfügige Formabweichung der Wirbelsäule darstellt, die nicht als prädisponierender Faktor für die Schädigung angesehen werden kann. Auch der Befund der Halswirbelsäule (HWS) vermag die wesentliche Verursachung der LWS-Erkrankung durch berufliche Einwirkungen nicht in Frage zu stellen. So war die HWS bei der Funktionsprüfung durch Dr.B. im April 1998 gut beweglich und die Klägerin äußerte diesbezüglich keine Beschwerden. Bei der Begutachtung durch Dr.S. im November 1999 gab die Klägerin zwar einen Druckschmerz über sämtlichen Dornfortsätzen der HWS an, jedoch zeigten die Röntgenaufnahmen der HWS lediglich eine leichte ventrale Spondylose der Unterkante C 6 bei regelrechter Höhe der Zwischenwirbelräume und fehlenden osteochondrotischen Veränderungen sowie nur diskreter caudaler Spondylarthrose. Dr.S. ordnete den klinischen und röntgenologischen Befund der HWS einem myogen-bedingten Cervikalsyndrom bei diskreten bis leichten degenerativen Veränderungen zu. Auch der Facharzt für Orthopädie Dr.R. hat in einem Gutachten vom 16.09.1998 in einem Streitverfahren mit der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte das HWS-Syndrom im Wesentlichen auf eine muskuläre Verspannung zurückgeführt.

Das vom Beklagten schließlich als weitere konkurrierende Ursache angeführte Übergewicht der Klägerin vermag die Ursächlichkeit der beruflichen Einwirkungen für die LWS-Erkrankung ebenfalls nicht zu erschüttern. Denn im Einzelfall sprechen bei der Abwägung besonders schwere und langjährige berufliche Belastungen eher für die Anerkennung eines Ursachenzusammenhangs (Mehrtens/Perlebach aaO RdNr 6.4).

Die Klägerin war durch diese bandscheibenbedingte LWS-Erkrankung auch gezwungen, ihre vorherige Tätigkeit als Krankenschwester seit der Krankschreibung am 25.04.1997 zu unterlassen. Dieser Zeitpunkt ist als die endgültige Tätigkeitsaufgabe anzusehen.

Aufgrund der bei der Klägerin anzuerkennenden BK Nr 2108 hat der Beklagte eine Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 20 vH ab 25.04.1997 zu zahlen. Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit um wenigstens 20 vH gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente (§ 56 Abs 1 SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögen ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 SGB VII). Ausgehend von diesen Grundlagen der MdE-Schätzung und in Anlehnung an Mehrtens/Perlebach (Nr 2108 Anm 10) sowie Schönberger/Mehrtens/ Valentin (S 540) schätzt der Senat die MdE im Hinblick auf die von Dr.B. und Prof. Dr.H. festgestellten starken Funktionseinschränkungen und Beschwerden der Klägerin auf 20 vH.

Der Rentenbeginn für die Verletztenrente ist der Beginn der Arbeitsunfähigkeit (25.04.1997), weil zu diesem Zeitpunkt alle Voraussetzungen für eine Rentengewährung erfüllt waren und die Klägerin fortan nicht mehr ihre Tätigkeit aufgenommen hat. Für den Zwang zur Unterlassung ist ausreichend, dass eine Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit wegen der schon eingetretenen Gesundheitsstörungen oder wegen der Gefahr einer Verschlimmerung aus medizinischer Sicht nicht verantwortet werden kann (Mehrtens/Perlebach aaO E § 9 SGB VII RdNr 27.2). Dr.B. hat in seinem Gutachten ausdrücklich festgestellt, dass die Weiterführung der Tätigkeit der Klägerin zu einer Verschlimmerung der Beschwerdesymptomatik führen würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision iS des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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