L 8 B 272/99 AL ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 AL 268/99 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 B 272/99 AL ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 22. Juli 1999 wird zurückgewiesen. Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.-

Gründe:

I.

Der 1962 geborene Antragsteller und Beschwerdegegner (Bg.) reiste, nachdem er am 07.03.1997 abgeschoben worden war, am 23.07.1998 erneut aus dem Kosovo kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylfolgeantrag, auf Grund dessen ihm der Aufenthalt nach § 55 Asylverfahrensgesetz gestattet wurde.

Am 10.05.1999 beantragte er die Erteilung einer bis 12.12.1999 befristeten Arbeitsgenehmigung für eine Beschäftigung als Verputzer bei der Firma GmbH. Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (Bf.) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 11.06.1999 mit der Begründung ab, wegen der seit über zehn Jahren zu beobachtenden Erhöhung des ausländischen Erwerbspoten- tials werde der bestehende Vermittlungs- und Beschäftigungsvorrang deutscher Arbeitsuchender und ihnen am Arbeitsmarkt gleichgestellter Ausländer in Frage gestellt. Die viel zu hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland mache es daher unerlässlich, die vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten solchen Arbeitnehmern zur Verfügung zu stellen, die bereits dem inländischen Arbeitsmarkt angehörten oder ein gesichertes Zugangsrecht hätten. Darüber hinausgehende Neueinreisen von Ausländern nach dem 15.05.1997 seien nicht mehr zulässig. Es werde deshalb ohne Prüfung des Einzelfalles generell davon ausgegangen, dass für die vom Bg. angestrebte Tätigkeit geeignete deutsche Arbeitnehmer und Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme gleichgestellt seien, zur Verfügung stünden.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Bf. mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.1999 zurück und führte aus, der angefochtene Bescheid sei in Ausführung der Weisung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 31.05.1997 ergangen.

Hiergegen hat der Bg. zum Sozialgericht Regensburg (SG) Klage (S 12 AL 271/99) erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Das SG hat die Bf. mit Beschluss vom 22.07. 1999 verpflichtet, dem Bg. für die Dauer des Klageverfahrens eine befristete AE für eine Beschäftigung als Verputzer bei der Firma GmbH zu erteilen. Dem Bg. sei es nicht zuzumuten, den Ausgang des Hauptverfahrens, das erwartungsgemäß nicht bis zum 12.12.1999 rechtskräftig entschieden sei, abzuwarten. Für den vom Bg. zu besetzenden Arbeitsplatz stünden geeignete deutsche oder andere bevorrechtigte Arbeitnehmer derzeit und auch in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung. Die von der Bf. angeführte Weisung sei offensichtlich noch zum Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ergangen. Nach dem Inkrafttreten des SGB III sei eine Rechtsgrundlage für die interne Weisung nicht mehr zu erkennen. Insbesondere erweise sich die Stichtagsregelung als nicht mehr gesetzeskonform.

Mit ihrer gegen diesen Beschluss eingelegten Beschwerde macht die Bf. geltend, die Aufenthaltsgestattung des Bg. sei mit der Auflage versehen, dass eine Erwerbstätigkeit nicht gestattet sei. Auch sei die Aufenthaltsgestattung nur bis 29.10.1999 ausgesprochen worden. Auch wenn derzeit keine bevorrechtigten Arbeitnehmer zur Verfügung stünden, hätte die AE nur befristet bis 29.10.1999 erteilt werden dürfen.

Der Bf. legt eine Kopie der Aufenthaltsgestattung vor, wonach am 26.07.1999 vermerkt wurde, dass eine Erwerbstätigkeit gestattet sei. Er macht geltend, dass nach einer Auskunft des Verwaltungsgerichts Regensburg in diesem Jahr nicht mit einer Entscheidung in dem Asylverfahren zu rechnen sei, weshalb die Ausländerbehörde die Aufenthaltsgestattung über den 29.10.1999 hinaus verlängern müsse.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Trotz Fehlens einer gesetzlichen Regelung ist zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes eine einstweilige Anordnung notwendig, wenn dem Rechtsuchenden ohne ihre Gewährung schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, die auch nachträglich nicht mehr beseitigt werden könnten (vgl. BVerfG vom 19.10.1977, SozR 1500 § 198 Nr.1). Ein Anordnungsgrund liegt in diesem Sinne vor, da eine Entscheidung in der Hauptsache bereits eingetretene Nachteile nicht mehr auszugleichen vermag. Eine später erteilte AE hat nur Wirkung für die Zukunft und kann den Nachteil des Ausschlusses von der Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer nicht für die Vergangenheit ausgleichen.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt weiterhin voraus, dass der geltend gemachte Anspruch glaubhaft gemacht ist (Anordnungsanspruch). Dies ist hier gegeben, auch wenn die Erteilung einer AE gemäß § 285 Abs.1 Satz 1 SGB III in das Ermessen der Bf. gestellt ist und deshalb grundsätzlich nur ein Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung, nicht aber auf Erteilung der AE selbst besteht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt bei Ermessensentscheidungen zum Einen in Betracht, wenn angesichts der besonderen Umstände des Falles nur eine bestimmte Entscheidung ermessensgerecht ist (Ermessensreduktion auf "Null"), zum Anderen aber auch bei noch offenem Ermessen, wenn der Zweck des vorläufigen Rechtsschutzes dies erfordert und eine reine Formalentscheidung dem Schutzgedanken des Art.19 Abs.4 GG nicht genügen würde (vgl. Kopp, VwGO, 10. Auflage, Rdnr.12 zu § 123 mit weiteren Nachweisen). Ob hier ein Fall der Ermessensreduktion auf "Null" vorliegt, kann dahinstehen, da die Umstände des vorliegenden Falles ausnahmsweise den Erlass einer einstweiligen Anordnung auch bei offenem Ermessen erfordern. Dies ergibt sich zum Einen aus der oben dargestellten Dringlichkeit der Entscheidung für den Bg., zum Anderen daraus, dass die Bf. bisher jedenfalls keine Ermessenserwägungen dargelegt hat, die eine Ablehnung rechtfertigen könnten.

Der von der Bf. angeführte Gesichtspunkt, dass für nach dem 15.05.1997 eingereiste Antragsteller ohne Prüfung des Einzelfalles davon auszugehen sei, dass der Arbeitsmarkt einer Erteilung der AE entgegenstehe, trägt die Entscheidung jedenfalls nicht. Gemäß § 285 Abs.1 Satz 1 SGB III ist vielmehr darauf abzustellen, ob 1. sich durch die Beschäftigung von Ausländern nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, insbesondere hinsichtlich der Beschäftigungsstruktur, der Regionen und der Wirtschaftszweige, ergeben, 2. für die Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt sind, nicht zur Verfügung stehen und 3. der Ausländer nicht zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer beschäftigt wird.

Dass die Voraussetzung nach Ziffer 3 hier der Erteilung einer AE nicht entgegensteht, wurde von der Bf. geprüft und bejaht. Weiterhin hat sie ausdrücklich festgestellt, dass für den in Frage stehenden Arbeitsplatz bevorrechtigte Arbeitnehmer nicht zur Verfügung stehen. Das Gesetz erfordert insoweit eine individuelle Prüfung und ermöglicht es nicht, wegen der allgemein hohen Arbeitslosigkeit zu fingieren, dass für einen konkreten Arbeitsplatz bevorrechtigte Arbeitsuchende für eine Vermittlung zur Verfügung stehen, wenn dies tatsächlich nicht der Fall ist.

Weiterhin ist nicht erkennbar, inwiefern trotz der dargestellten Umstände im Sinne des § 285 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGB III die Erteilung der beauftragten AE nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, insbesondere hinsichtlich der Beschäftigungsstruktur, der Regionen und der Wirtschaftszweige, haben würde. Aufgabe der Bf. ist es gemäß § 1 Abs.1 SGB III u.a., dafür zu sorgen, dass "offene Stellen zügig besetzt" werden, weil hieran ein gesamtwirtschaftliches Interesse besteht. Es ist nicht ersichtlich, warum im vorliegenden Fall das gesamtwirtschaftliche Interesse es erfordern sollte, den in Frage stehenden Arbeitsplatz unbesetzt zu lassen.

Die von der Bf. angeführte Weisung des BMA vom 30.05.1997 kann allein die Entscheidung im vorliegenden Fall nicht rechtfertigen. Denn die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung beurteilt sich ausschließlich nach § 285 SGB III und der aufgrund der Ermächtigung des § 288 Abs.1 SGB III erlassenen Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für ausländische Arbeitnehmer (Arbeitsgenehmigungsverordnung - ArGV) vom 17.09.1998 (BGBl.I S.2899). Letztere Bestimmungen stehen der Erteilung der AE nicht entgegen. Es findet sich keine Stichtagsregelung, die einen Anspruch von nach einem bestimmten Zeitpunkt eingereisten Ausländern generell verneint. Der Bg. fällt nicht unter die Personengruppen, denen nach § 3 ArGV eine AE erst nach einer Wartezeit erteilt werden kann.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass gemäß § 288 Abs.2 SGB III der BMA der Bf. zur Durchführung der Regelungen des Unterabschnittes über die Ausländerbeschäftigung und der hierzu erlassenen Rechtsverordnungen Weisungen erteilen kann; die gleiche Befugnis ergab sich bereits aus § 19 Abs.5 AFG in der bis 31.12.1987 geltenden Fassung. Denn diese Bestimmungen verleihen bzw. verliehen dem BMA lediglich die Fachaufsicht über die Bf. in dem beschriebenen Umfang, haben jedoch nicht zur Folge, dass insoweit ergehende Weisungen das Gesetz oder die VO außer Kraft setzen könnten; vielmehr bleiben deren Regelungen vorrangig beachtlich (BSG SozR 4100 § 19 Nr.8). Zwar mag die Bf. verwaltungsintern an die entsprechende Weisung gebunden sein, dies ändert aber nichts daran, dass eine in Ausführung dieser Weisung ergehende Entscheidung im Einzelfall rechtswidrig ist, wenn sie nicht durch die Vorschriften des § 285 SGB III und der ArGV gedeckt ist.

Soweit die Bf. darauf verweist, dass die Aufenthaltsgestattung des Bg. gegenwärtig bis 29.10.1999 befristet ist, so ist darauf hinzuweisen, dass die Erteilung der AE naturgemäß unter dem Vorbehalt steht, dass der Bg. über eine Aufenthaltsgestattung verfügt. Sollte wider Erwarten die Aufenthaltsgestattung über den 29.10.1999 hinaus nicht verlängert werden, so besteht für die Bf. die Möglichkeit, beim SG analog § 927 der Zivilprozessordnung (ZPO) die Aufhebung der einstweiligen Anordnung wegen veränderter Umstände zu beantragen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, Rdnr.25b zu § 97 m.w.N.; Kopp, VwGO, 10. Auflage, Rdnr.39 zu § 123). Gleiches gilt, falls dem Bg. wegen Änderung der Auflage in der Aufenthaltsgestattung eine Arbeitnehmertätigkeit nicht mehr gestattet werden sollte, oder die Bf. für den vom Bg. besetzten Arbeitsplatz einen deutschen oder einen diesem hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellten ausländischen Arbeitnehmer anbieten kann.

Somit war die Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 22.07.1999 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht weiter anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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