L 20 B 181/01 RJ PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 RJ 91/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 B 181/01 RJ PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 07.05.2001 aufgehoben.
II. Der Klägerin wird für das sozialgerichtliche Verfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt und Rechtsbeistand G. T. beigeordnet.

Gründe:

I.

Gegenstand des beim Sozialgericht (SG) Würzburg anhängigen Rechtsstreits ist die Gewährung einer Altersrente für Frauen wegen Vollendung des 60.Lebensjahres nach § 237a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI).

Die am 1940 geborene Beschwerdeführerin (Bf) war zuletzt als Reinemachefrau bei der Firma J. E. GmbH sowie bei der R.bank M. beschäftigt.

Am 20.03.2000 beantragte sie bei der Beschwerdegegnerin (Bg) die Gewährung von Altersrente für Frauen wegen Vollendung des 60.Lebensjahres. Die Bf legte Bestätigungen der beiden Arbeitgeber vom 24.07.2000 bzw 02.08.2000 vor, wonach bereits im Jahre 1995 mündliche Vereinbarungen getroffen worden waren, die Arbeitsverhältnisse zum Ablauf des 60.Lebensjahres bzw zum 30.04.2000 zu beenden.

Mit Bescheid vom 04.09.2000 bewilligte die Beklagte der Bf Altersrente für Frauen ab dem 01.05.2000. Ein Vertrauensschutz iS des § 237a Abs 3 Nr 1b SGB VI wurde jedoch verneint, da die mündlichen Vereinbarungen nicht den Formerfordernissen dieser Vorschrift entsprächen.

Hiergegen legte die Bf am 15.09.2000 Widerspruch ein und machte geltend, auch bei mündlichen Vereinbarungen handle es sich um solche iS des § 237a Abs 3 Nr 1b SGB VI.

Im Übrigen falle sie unter die sog. verschlechterte "P-48-Bewertung". Der 4.Senat des Bundessozialgerichts (BSG) habe mit Beschluss vom 16.12.1999 - B 4 RA 11/99 R - dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage vorgelegt, ob die Streichung von § 70 Abs 3 SGB VI und dessen Ersetzung durch die (ungünstigere) Regelung des § 54 Abs 3 Satz 2 durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) verfassungswidrig sei. Die Entscheidung des BVerfG bleibe abzuwarten. Der Widerspruch richte sich auch gegen die Kürzung der Entgeltpunkte bei den nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zu berücksichtigenden Zeiten.

Mit Schreiben vom 10.10.2000 brachte die Beklagte das Widerspruchsverfahren bezüglich der Bewertung von Ausbildungszeiten bis zu einer Entscheidung des BVerfG zum Ruhen und verwies hinsichtlich der Zeiten nach § 22 Abs 3 FRG auf das beim SG Würzburg anhängige Klageverfahren.

Mit Bescheid vom 16.01.2001 wies die Beklagte den Widerspruch im Übrigen zurück: Die Voraussetzungen des § 237a Abs 3 Nr 1b SGB VI lägen nicht vor. Zwar sei die Bf bis zum 07.05.1941 geboren und habe ihre Arbeitsverhältnisse angeblich aufgrund einer vor dem 07.05.1996 erfolgten Kündigung oder Vereinbarung nach dem 06.05.1996 beendet. Die Beendigung der Arbeitsverhältnisse auf mündlicher Basis sei jedoch nicht durch geeignete Mittel, zB Protokolle, Niederschriften und Aktenvermerke nachgewiesen.

Dagegen hat die Bf am 01.02.2001 Klage zum SG Würzburg erhoben und gleichzeitig die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.

Sie beziehe Altersrente in Höhe von 597,01 DM, Aushilfslöhne in Höhe von insgesamt 370,00 DM monatlich und Wohngeld in Höhe von 83,00 DM pro Monat. Dem stünden Wohnkosten im Umfang von insgesamt 462,00 DM pro Monat gegenüber.

Das SG hat den PKH-Antrag mit Beschluss vom 07.05.2001 abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Nach § 623 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bedürfe die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Da die im Jahr 1995 von der Bf behauptete mündliche Vereinbarung dieser Form nicht genüge, sei sie unwirksam. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Vertrauensschutzes nach § 237a Abs 3 Nr 1b SGB VI lägen deshalb nicht vor.

Dagegen richtet sich die am 12.07.2001 beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegte Beschwerde. Die Vereinbarungen über die Beendigung der Beschäftigungsverhältnisse der Bf hätten rechtswirksam auch mündlich getroffen werden können, da in den Arbeitsverträgen insoweit die Schriftform nicht verabredet worden sei. Dafür werde Zeugenbeweis angeboten. Im Übrigen sei § 623 BGB erst mit Wirkung vom 01.05.2000 (durch Art 2 des Arbeitsgerichtsbeschleunigungsgesetzes vom 30.03.2000 - BGBl I S 333 -) in das BGB eingefügt worden, weshalb diese Bestimmung auf die im Jahre 1995 getroffenen mündlichen Vereinbarungen nicht angewendet werden könne.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde gegen den Beschluss des SG Würzburg vom 07.05.2001 zurückzuweisen. Die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Für die Gewährung von PKH lägen auch die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 121 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht vor.

II.

Die gemäß §§ 172 Abs 1, 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 127 Abs 2 Satz 2 ZPO statthafte Beschwerde der Bf, der das SG nicht abgeholfen hat, ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 173) und damit zulässig.

Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet.

Die Gewährung von PKH setzt voraus, dass die Antragstellerin bedürftig ist, der Prozess hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und die Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint. (§ 114 ZPO). Ist eine Vertretung durch Anwälte - wie im sozialgerichtlichen Klageverfahren - nicht vorgeschrieben, wird nach § 121 Abs 2 Satz 1 ZPO der Partei auf Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt oder Rechtsbeistand (Art 1 Abs 1 Satz 1 Rechtsberatungsgesetz -RBerG-) ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen juristischen Beistand erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. Diese Vorausstzungen für die Bewilligung von PKH sind vorliegend erfüllt.

Die Bf hat durch ihre Erklärung über die "Einkommens- und Vermögensverhältnisse" (§ 115 ZPO) glaubhaft gemacht, dass sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung in zumutbarer Weise aufzubringen. Gemäß § 115 Abs 1 Satz 3 ZPO hat sie hierzu auch nicht mit Ratenzahlungen beizutragen.

Die gerichtliche Geltendmachung der streitigen Ansprüche auf Altersrente an Frauen ab Vollendung des 60.Lebensjahres kann weder aus der Sicht der Bf noch objektiv als mutwillig bewertet werden.

Bei der summarischen Prüfung des PKH-Antrags ist der Klage auch eine "hinreichende Erfolgsaussicht" nicht abzusprechen. Der Begriff ist gesetzlich nicht definiert. Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht jedoch nicht überspannt werden. Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht vielmehr aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (BSG vom 17.02.1998 - B 13 R 83/97 R -). Entscheidend für die Frage, ob die Voraussetzungen der Vorschrift des § 237a Abs 3 Nr 1b SGB VI erfüllt sind, ist hier das Vorliegen einer wirksamen Vereinbarung über die Beendigung der Arbeitsverhältnisse zum Zeitpunkt der Vollendung des 60.Le- bensjahres der Klägerin. Hierzu hat die Bf zutreffend darauf hingewiesen, dass die Formvorschrift des § 623 BGB erst durch Art 2 des Arbeitsgerichtsbeschleunigungsgesetzes vom 30.03.2000 (BGBl I S 333) mit Wirkung vom 01.05.2000 in das BGB eingefügt wurde und auf im Jahr 1995 geschlossene mündliche Vereinbarungen über die Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen keine Anwendung findet. Für das Vorliegen einer wirksamen Vereinbarung über die Beendigung ihrer Beschäftigungsverhältnisse hat die Klägerin darüber hinaus Beweis angeboten, so dass nach den vorhandenen Gegebenheiten eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der Klage nicht verneint werden kann.

Die Voraussetzungen der Beiordnung eines Rechtsbeistandes nach § 121 Abs 2 Satz 1 ZPO sieht der Senat ebenfalls als erfüllt an. Anders als bei der Frage einer Erstattungsfähigkeit von Kosten für die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistandes im verwaltungsbehördlichen Vorverfahren (§ 63 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch -SGB X-), genügt die bloße Zweckmäßigkeit der Vertretung durch einen Rechtsanwalt/Rechtsbeistand nicht für dessen Beiordnung im PKH-Verfahren. Die insoweit abweichende Auffassung von Jansen (Sozialgerichtsbarkeit 1982, S 185, 187) teilt der Senat nicht. Im Zusammenhang mit der "Notwendigkeit der Beistandsbeiordnung" kann auch nicht vollständig außer Betracht bleiben (wie dies teilweise gefordert wird: vgl Plagemann in Sozialgerichtsbarkeit 1982, S 188, 191), dass im sozialgerichtlichen Verfahren die Untersuchungsmaxime gilt. Das Amtsermittlungsverfahren gewährleistet idR, dass die Klagepartei auch ohne eigenes Vorbringen nicht der Gefahr ausgesetzt ist, einen objektiv zustehenden Anspruch zu verlieren. Die Berufung auf die im sozialgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsmaxime darf dabei aber nicht zur formelhaften Versagung von PKH führen; vielmehr ist auf die Verhältnisse des Einzelfalles abzustellen, wobei als maßgebende Kriterien für die Erforderlichkeit einer Beistandsbeiordnung Umfang, Schwierigkeit und Bedeutung der Streitsache für den Antragsteller gelten können (vgl Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 6.Auflage, § 73a Rdnr 9 mwN). Vorliegend ist wegen der überdurchschnittlichen Schwierigkeit des Rechtsstreits mit Bezügen zu anderen, insbesondere zivilrechtlichen Bestimmungen von solchen, die Erforderlichkeit der Anwaltsbeiordnung rechtfertigenden Besonderheiten auszugehen.

Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§§ 183, 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved