L 4 B 284/00 KR

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 19 KR 313/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 284/00 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts München vom 31. Juli 2000 werden zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Arbeitgeber des als Bauleiter beschäftigten Klägers, der bei der Beklagten pflichtversichert ist, kündigte am 23.12.1998 fristlos das Arbeitsverhältnis. Der Kläger war nach ärztlicher Feststellung ab 12.01.1999 bis auf Weiteres arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 15.02.1999 ein kalendertägliches Krankengeld für die Zeit vom 13.01.1999 bis einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft am 23.01.1999.

Das Arbeitsgericht Weiden idOpf verurteilte mit dem rechtskräftigen Urteil vom 29.03.1999 den Arbeitgeber zur Zahlung des restlichen Lohns und einer Auslöse. Es stellte mit dem weiteren Urteil vom 03.05.1999 fest, dass das Arbeitsverhältnis bisher nicht beendet wurde, sondern weiter besteht. Gegen dieses Urteil legte der Arbeitgeber Berufung beim Landesarbeitsgericht Nürnberg ein.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 04.05.1999 unter Bezugnahme auf das letztgenannte Urteil einen angemessenen Vorschuss auf das Krankengeld und erhob am 20.05.1999 beim Sozialgericht München (SG) Klage auf Krankengeld (S 19 KR 313/99). Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 30.06.1999 Krankengeld mit der Begründung ab, dass das Fortbestehen eines versicherugnspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses noch nicht rechtskräftig entschieden worden sei. Der Kläger beantragte am gleichen Tage beim SG, die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab 12.01.1999 auf das Krankengeld einen monatlichen Vorschuss von jeweils 1.500,00 DM zu zahlen (S 19 KR 376/99 ER) und legte am 16.07.1999 gegen den Bescheid vom 30.06.1999 Widerspruch ein. Der Arbeitgeber kündigte am 26.08. 1999 das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 01.09.1999. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und stellte fest, dass anläßlich der Arbeitsunfähigkeit seit dem 12.01.1999 kein Anspruch auf Krankengeld über dem 23.01.1999 hinaus bestehe.

Am 24.11.1999 einigten der Kläger und sein Arbeitgeber sich vor dem Landesarbeitsgericht Nürnberg vergleichsweise, dass das bestehende Arbeitsverhältnis durch die Arbeitgeberkündigung vom 26.08.1999 zum 30.09.1999 beendet worden ist. Die Beklagte wies die weitere Krankengeldzahlung an und erkannte mit Schreiben vom 15.12.1999 den klageweise geltend gemachten Anspruch unter Aufhebung des Bescheides vom 30.06.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.09.1999 an.

Der Bevollmächtigte des Klägers erklärte mit Schreiben vom 17.01.2000 die Hauptsache und mit Schreiben vom 30.03.2000 das Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz für erledigt und beantragte in beiden Streitsachen, der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Klägers aufzuerlegen.

Das SG legte im Klageverfahren mit Beschluss vom 31.07.2000 (S 19 KR 313/99) der Beklagten drei Viertel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auf und führte in der Begründung aus, maßgebend für die Ausübung des gerichtlichen Ermessens sei der vermutliche Verfahrensausgang, der nach dem zum Zeitpunkt der Erledigung vorliegenden Sach- und Streitstand zu beurteilen ist. Im Zeitpunkt der Erledigungserklärung war die Klage begründet; auf Seiten des Klägers falle ins Gewicht, dass die Klage vor Durchführung des Verwaltungsverfahrens und somit verfrüht erhoben wurde.

Mit dem weiteren Beschluss vom 31.07.2000 (S 19 KR 376/99 ER) legte es der Beklagten die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit der Begründung auf, nach dem zum Zeitpunkt der Erledigung dieses Verfahrens bestehenden Sach- und Streitstand sei eine Quotelung angemessen. Entsprechend der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung müsse sich der Kläger auf die Sozialhilfe verweisen lassen. Eine Verweisung darauf könnte aber dann nicht statthaft sein, wenn er anderenfalls schwerwiegende und unzumutbare Vermögensdispositionen treffen müsse. Ob diese Voraussetzung beim Kläger zuträfen, hätte nur durch weitere Sachverhaltsaufklärung ermittelt werden können, die im Kostenverfahren jedoch nicht mehr zulässig sei.

Die Beklagte hat gegen beide Beschlüsse am 24.08.2000 Beschwerden eingelegt und geltend gemacht, die Erhebung der Klage und der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz seien nicht notwendig und die Klage darüber hinaus unzulässig gewesen. Die Sozialhilfe wäre zur vorläufigen Leistung zuständig gewesen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung wäre eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache gewesen und die Zahlung des Krankengelds hätte öffentliche Interessen gefährdet, zumal bei einem Obsiegen der Beklagten das Krankengeld hätte zurückgefordert werden müssen.

Das SG hat den Beschwerden nicht abgeholfen.

Beigezogen wurden die Akten der Beklagten und des SG, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegten Beschwerden, denen das SG nicht abgeholfen hat, sind zulässig (§§ 172, 173, 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Senat verbindet beide Streitsachen gemäß § 113 Abs.1 SGG zur gemeinsamen Entscheidung.

Die Beschwerden der Beklagten sind unbegründet.

Für den Fall, dass ein Klageverfahren anders als durch Urteil endet, sehen die §§ 102 Satz 3, 193 Abs.1 SGG vor, dass das Gericht auf Antrag durch Beschluss darüber entscheidet, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Gleiches gilt in entsprechender Anwendung dieser Vorschriften im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Meyer-Ladewig, 6. Auflage, SGG, § 193 Rn 2).

Die danach zu treffende Kostenentscheidung hat nach billigem Ermessen zu ergehen, jeweils uner Beachtung der Umstände des Einzelfalls. Hierbei sind in erster Linie der mutmaßliche Ausgang des Rechtsstreits sowie der zur Klageerhebung bzw. zur Stellung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz führende Anlass zu berücksichtigen (Meyer-Ladewig, a.a.O., Rn.12, 12 a bis c, 13).

Danach sind die Entscheidungen des SG nicht zu beanstanden. Sie beinhalten eine gerechte Verteilung der Kostenlast.

Aufgrund des Urteils des Arbeitsgerichts Weiden vom 03.05.1999 und des gerichtlichen Vergleichs vor dem Landesarbeitsgericht Nürnberg vom 24.11.1999 sowie der von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Arbeitsunfähigkeit wäre wegen der Fortdauer des Beschäftigungsverhältnisses die Klage auf Zahlung des Krankengelds über den 23.01.1999 hinaus begründet gewesen. Gleiches gilt für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, da der Kläger angesichts der geringen Teilleistung der Sozialhilfe nicht zumutbar auf die Leistungen der Sozialhilfe bzw. einen Rechtsstreit mit der Sozialhilfeverwaltung verwiesen werden konnte. Für die Ermessensausübung kommt es auf den Zeitpunkt der Kostenentscheidung des Gerichts an. D.h., es hat eine Veränderung der Sach- und Rechtslage nach Erhebung der Klage bzw. Stellung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu beachten. Auch die Beklagte ist verpflichtet, nach Erlass der Bescheide eingetretene Änderungen der Sach- und Rechtslage zu beachten und in die rechtliche Beurteilung einzubeziehen bzw. - falls erforderlich - entsprechende Bescheide zu erteilen.

Bei der Ermessensausübung ist auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte Anlass zur Erhebung der Klage und Stellung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz gegeben hat. Denn der Bescheid vom 15.02.1999, mit dem sie Krankengeld nur bis 23.01.1999 bewilligte, enthielt auch eine für den Kläger ungünstige Regelung. Außerdem hat die Beklagte über den mit dem Schreiben vom 04.05.1999 beantragten Vorschuss auf das Krankengeld in den angefochtenen Bescheiden nicht entschieden. Ein Vorschuss kommt gemäß § 42 Abs.1 Sozialgesetzbuch I nicht nur bei Geldleistungen in Frage, deren Höhe zunächst noch nicht feststeht, sondern auch in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift, wenn die Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach Schwierigkeiten bereitet, die Anspruchshöhe aber schon feststeht (Bundessozialgericht vom 12.05.1992 SozR 3-1200 § 42 Nr.2). Dem Kläger steht es frei, gegen die Ablehnung einer beantragten Sozialleistung mit Klage und Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gerichtlich vorzugehen (Art.19 Abs.4 Grundgesetz).

Zu Unrecht verweist die Beklagte den Kläger auf die Leistungen der Sozialhilfe. Denn die Sozialhilfe ist grundsätzlich wegen des Subsidiaritätsgrundsatzes nachrangig gegenüber den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 2 Abs.2 Bundessozialhilfegesetz). Nach dieser gesetzlichen Vorschrift werden die Verpflichtungen der Träger anderer Sozialleistungen durch dieses Gesetz nicht berührt. Ferner ist zu beachten, dass die Zweckbestimmung des Krankengelds in der Lohnersatzfunktion besteht. D.h., es ist zeitgerecht und unter Umständen auch in Form eines Vorschusses zu gewähren, damit der Versicherte seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, ohne auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen zu sein. Dies war im vorliegenden Fall schon mit Erlass des Urteils des Arbeitsgerichts Weiden vom 03.05.1999 möglich. Selbst wenn das anschließende Berufungsverfahren zu Ungunsten des Klägers ausgegangen wäre, hätte die Beklagte einen Erstattungsanspruch gehabt. Für ihre Behauptung, ein solcher wäre nicht realisierbar gewesen, fehlt es schon am substantiierten Vortrag. Dem Kläger kann im vorliegenden Kostenverfahren bezüglich der Klage auch nicht mit Recht entgegen gehalten werden, er hätte vor Erhebung der Klageverfahren erst das Widerspruchsverfahren durchführen müssen. Denn der Bescheid vom 15.02.1999 hat eine entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung nicht enthalten.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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