L 10 AL 31/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 824/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 31/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 13.12.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin Leistungen wegen Arbeitslosigkeit für ihre vormalige Arbeitnehmerin, die Beigeladene, zu erstatten hat.

Die Klägerin, die insbesondere Blattgold und Blattsilber herstellt, den Handel sowie den Export von Vergolder-, Fassmaler-, Lackierer- und Steinmetzartikeln betreibt, beschäftigte vom 01.01.1978 bis 31.10.1998 die am 05.07.1939 geborene Beigeladene in der Buchhaltung in Teilzeit bei 20 Stunden/Woche gegen ein Entgelt von zuletzt brutto DM 2.600,00 monatlich. Das Beschäftigungsverhältnis endete durch Auflösungsvertrag vom 30.04.1998. Die Beigeladene meldete sich zum 01.11.1998 arbeitslos, wobei sie im Antragsvordruck die Frage nach einer Arbeitsunfähigkeit sowie nach gesundheitlichen Einschränkungen der Vermittlungsfähigkeit verneinte. Mit Bescheid vom 24.09.1998 bewilligte ihr die Beklagte Arbeitslosengeld (Alg) ab 01.11.1998 nach einem wöchentlichen Leistungssatz von DM 284,13. Der Leistungsbezug endete mit Bewilligung einer Altersrente ab 01.08.1999.

Auf Anhörung zur beabsichtigten Erstattung der Leistungen wegen Arbeitslosigkeit durch die Klägerin führte diese aus, wegen der steigenden Auftragslage hätte die Tätigkeit der Beigeladenen nur von einer Vollzeitkraft bewältigt werden können. Die Beigeladene wäre aber wegen ihres gesundheitlichen Zustandes sowie ihres Alters nicht in der Lage gewesen, die Stundenzahl von 20 auf 40 Stunden/Woche zu erhöhen. Sie wäre den gestiegenen Anforderungen nicht gewachsen gewesen und hätte deshalb selbst das Arbeitsverhältnis gekündigt, wenn nicht die Klägerin mit ihr die Aufhebungsvereinbarung abgeschlossen hätte. Auf Formblattbefragung gab die Beigeladene an, sie habe an einer Überfunktion der Schilddrüse gelitten. Eine Weiterbeschäftigung auf ihrem Arbeitsplatz wäre ihr als Vollzeitkraft - wie erforderlich - wegen großer Nervosität und sehr einschränkter Belastbarkeit nicht möglich gewesen. Mit Bescheid vom 01.06.1999 verpflichtete die Beklagte die Klägerin zur Erstattung des vom 01.11.1998 bis 31.01.1999 gezahlten Alg einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge. In der Forderung von DM 2.001,94 war eine Minderung um 2/3 enthalten, weil die Klägerin weniger als 30 Arbeitnehmer beschäftigte. Der dagegen erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 02.08.1999). Mit weiterem Bescheid vom 05.08.1999 (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 30.08.1999) forderte die Beklagte in gleicher Weise für den Zeitraum 01.02. - 30.04.1999 DM 1.931,34 Alg einschließlich Sozialversicherungsbeiträge von der Klägerin ein.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg (SG) hat die Klägerin beantragt, die Bescheide vom 01.06.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.08.1999 sowie vom 05.08.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.1999 aufzuheben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die vom reinen Wortlaut her erfüllte Erstattungsnorm werde der besonderen Fallkonstellation nicht gerecht. Mit dem Betrieb der Klägerin sei auch der Arbeitsanfall in der Buchhaltung gewachsen. Die deshalb notwendige Erhöhung der Arbeitszeit von 20 auf 40 Wochenstunden habe die Beigeladene aber aus Gesundheits- und Altersgründen abgelehnt. Nur auf Veranlassung der Klägerin habe die Beigeladene die Aufhebungsvereinbarung geschlossen. Wäre diese nicht zustande gekommen, hätte die Beigeladene selbst aus betrieblichen oder gesundheitlichen Gründen gekündigt, so dass die Klägerin nicht erstattungspflichtig geworden wäre. Der Aufhebungsvertrag müsse deshalb der Arbeitnehmerkündigung gleichgestellt werden. Zudem sei als Ersatz für die Beigeladene eine 45-Stunden-Kraft beschäftigt worden, so dass per Saldo ein (Teil-)Arbeitsplatz entstanden sei, sich somit keine besondere Verantwortung der Klägerin für eine zusätzliche Belastung des Arbeitsmarktes ergebe.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 13.12.2000 abgewiesen und die Voraussetzungen der Erstattungspflicht bejaht. Das Arbeitsverhältnis sei nicht gekündigt, sondern durch Aufhebungsvertrag beendet worden. Eine Aufhebungsvereinbarung sei nicht einer Kündigung gleichzustellen. Ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses habe nicht bestanden. Auf Befreiungstatbestände könne sich die Klägerin nicht berufen.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt mit der Begründung, ein Aufhebungsvertrag müsse der Kündigung des Arbeitnehmers gleichstehen, wenn der Vertrag einer Arbeitnehmerkündigung nur zuvor komme. Ende das Arbeitsverhältnis auf Wunsch der Beschäftigten, sei kein Raum für die Erstattungspflicht. Der typische Fall einer Entlassung zu Lasten der Arbeitslosenversicherung bei Zahlung einer Abfindung liege nicht vor. Zudem sei durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerade ein neuer, erweiterter Arbeitsplatz geschaffen worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Nürnberg vom 13.12.2000 sowie die Bescheide der Beklagten vom 01.06.1999 und 05.08.1999 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 02.08.1999 und 30.08.1999 aufzuheben, hilfweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Beklagtenakten beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 18.06.2002 gemacht. Auf diese Akten sowie die Akten beider Rechtszüge einschließlich des Antragsverfahrens auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Beklagte hat zu Recht die Erstattung von Alg und Sozialversicherungsbeiträgen von der Klägerin gemäß § 128 Abs 1, 2 Satz 1 Nrn 1, 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) verlangt.

Zu befinden ist über die Rechtmäßigkeit der Bescheide der Beklagten vom 01.06.1999 und 05.08.1999 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 02.08.1999 und 30.08.1999. Zutreffende Klageart ist die isolierte Anfechtungsklage.

Anzuwenden ist noch § 128 AFG idF d. Gesetzes vom 15.12.1995 (BGBl I S 1824) - vgl § 431 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) iVm § 242x Abs 6 iVm Abs 3 AFG idF d.Änderung durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz vom 24.03.1997 (BGBl I S 594).

Die Beklagte hat zutreffend die Klägerin zur Erstattung des Alg (einschließlich Sozialversicherungsbeiträge) herangezogen, das die Beigeladene vom 01.11.1998 bis 30.04.1999 bezogen hat. Nach § 128 Abs 1 Satz 1 AFG erstattet der Arbeitgeber, bei dem die arbeitslose Person innerhalb der letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosmeldung, durch den nach § 104 AFG die Rahmenfrist bestimmt wird, beschäftigt war, vierteljährlich das Alg für die Zeit nach Vollendung des 58. Lebensjahres. Zusätzlich muss eine Vorbeschäftigung von mindestens 720 Kalendertagen bestanden haben, Höchsterstattungszeitraum sind 624 Tage. Diese positiven Erstattungsvoraussetzungen sind im streitigen Fall erfüllt, denn die am 05.07.1939 geborene Beigeladene war von 1978 bis 31.10.1998 durchgängig bei der Klägerin beitragspflichtig beschäftigt. Sie hatte mithin zu Beginn des Erstattungszeitraums am 01.11.1998 das 59. Lebensjahr vollendet und auch die erforderliche Vorbeschäftigungszeit bei der Klägerin zurückgelegt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist keiner der Ausschlusstatbestände gemäß § 128 Abs 1 Satz 2 AFG erfüllt. Die Erstattungspflicht ist nicht nach Halbsatz 1 dieser Norm ausgeschlossen, denn die Beigeladene hatte keinen Anspruch auf eine der in § 118 Abs 1 Nrn 2 bis 4 AFG genannten Leistungen oder auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Sie hat in den Anhörungen der Beklagten lediglich angegeben, an einer Schilddrüsenfehlfunktion gelitten zu haben sowie an Nervosität, die sie daran gehindert hätte, ihre Teilzeittätigkeit von 20 auf 40 Stunden/Woche wie von der Klägerin gefordert, auszuweiten. Die Frage nach dem Bezug von Krankengeld hat sie verneint. Damit sind Anhaltspunkte, die weitere Ermittlungen hinsichtlich alternativer Sozialleistungen veranlassen würden, nicht ersichtlich, zumal die Klägerin selbst gesundheitliche Gründe für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nur im Zusammenhang mit dem gestiegenen Arbeitsanfall geltend gemacht hat, nicht hingegen in Bezug auf eine Weiterbeschäftigung im bisherigen Arbeitspensum (zur Veranlassung weiterer Ermittlungen von Amts wegen vgl BSG SozR 3-4100 § 128; Urteil vom 07.02.2002 - B 7 AL 102/00 R, SozR 3-4100 § 128 Nr 15).

Ein Ausnahmetatbestand gemäß § 128 Abs 1 Satz 2 Nrn 1-7 liegt ebenfalls nicht vor. Insbesondere sind die Tatbestände der Nrn 3 und 4 nicht erfüllt, weil das Arbeitsverhältnis durch einen Aufhebungsvertrag beendet wurde und nicht durch eine Kündigung. Grundlage für die Beendigung war die außergerichtliche Vereinbarung vom 30.04.1998. Aus ihr geht der eindeutige übereinstimmende Wille von Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Klägerin und Beigeladene) hervor, allein durch die Vereinbarung den Rechtsgrund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu setzen. Aufhebungsvertrag und Kündigung können für die beiden genannten Ausnahmetatbestände nicht gleichgesetzt werden, weil Aufhebungsvertrag und Kündigung in Bezug auf den Normzweck des § 128 AFG zwei verschiedenen Kategorien angehören, eine Gleichstellung ist deshalb nicht möglich (stRspr vgl BSG Urteil vom 18.09.1997, SozR 3-4100 § 128 Nr 2 S 22 f; Urteil vom 17.12.1997, SozR 3-4100 § 128 Nr 5; Urteil vom 07.02.2002 - B 7 AL 102/00 R, SozR 3-4100 § 128 Nr 15). § 128 AFG verfolgt das Ziel, die Arbeitgeber zu veranlassen, ihre älteren langjährig beschäftigten Arbeitnehmer nicht in die Frühverrentung zu entlassen (vgl BVerfG vom 23.01.1990, BVerfGE 81, 156, 197 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1 unter Bezug auf die Gesetzesmaterialien). Die Norm greift ein, wenn den Arbeitgeber eine besondere Verantwortung für den Eintritt der Arbeitslosigkeit des älteren Arbeitnehmers trifft, die es rechtfertigt, dem Arbeitgeber die sozialen Folgekosten der Arbeitslosigkeit aufzubürden (vgl BVerfGE 81, 156, 197; BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 2). Die Befreiungstatbestände insbesondere der Nrn 3 bis 5 wurden vom Gesetzgeber so gestaltet, daß in diesen Fällen den Arbeitgeber keine besondere Verantwortung für den Eintritt der Arbeitslosigkeit des älteren Arbeitnehmers trifft. Im streitigen Fall liegt ein Befreiungstatbetand nicht vor. Die Klägerin hatte die Beigeladene langjährig in Teilzeit beschäftigt, als die betriebliche Entwicklung zu erhöhtem Arbeitsanfall in der Buchhaltung geführt hatte, der durch eine Teilzeitkraft nicht mehr bewältigt werden konnte. Zu der von der Klägerin gewünschten Aufstockung der Arbeitszeit war aber die Beigeladene nicht zuletzt aus Altersgründen außerstande. Der Klägerin hätte es in dieser Situation offengestanden, eine weitere Teilzeitkraft einzustellen oder aber der Beigeladenen eine Änderungskündigung gemäß § 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) auszusprechen. Im ersten Fall hätte die Beigeladene ihren Arbeitsplatz behalten. Im zweiten Fall hätte ihr der besondere Schutz des KSchG zur Seite gestanden, der sich in der Notwendigkeit betrieblicher Erfordernisse gemäß § 1 Abs 2 Satz 1 KSchG, der Beweislast des Arbeitgebers gemäß § 1 Abs 2 Satz 4 KschG und in der ebenfalls vom Arbeitgeber zu beweisenden Sozialauswahl (§ 1 Abs 3 KSchG) niederschlägt. Angesichts der langen Betriebszugehörigkeit und dem alsbaldigen Rentenbeginn ab August 1999 wäre für die Beigeladene eine Kündigungsschutzklage gegen eine mögliche Änderungskündigung mit überwältigenden Erfolgsausichten versehen gewesen. Diese bewussten Entscheidungen des Gesetzgebers zugunsten des sozialen Schutzes älterer Arbeitnehmer legen die Annahme nahe, dass die Beigeladene ohne den Aufhebungsvertrag ihren Arbeitsplatz bis zum Rentenbeginn 01.08.1999 behalten hätte. Vor diesem Hintergrund ergibt sich aus der Mitwirkung der Klägerin am Abschluss des Aufhebungsvertrages zugleich ihre besondere Mitverantwortung für den Eintritt der Arbeitslosigkeit der Beigeladenen. Es ist für den Senat nicht nachvollziehbar, wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang behauptet, die Beigeladene hätte wegen des gestiegenen Pensums gesundheits- oder betriebsbedingt gekündigt, wenn es nicht zum Aufhebungsvertrag gekommen wäre. Es besteht deshalb auch im vorliegenden Fall kein Anlass, von der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung abzuweichen, zumal der klare und eindeutige Wortlaut des § 128 Abs 1 Satz 2 Nrn 3 bis 4 AFG auf die äußere Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung abstellt.

Für den weiteren Ausnahmetatbestand des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 5 AFG fehlt jeglicher Anhaltspunkt. In Anbetracht der langjährigen Betriebszugehörigkeit und der alsbaldig von der Beigeladenen beanspruchbaren Frauenaltersrente wäre spätestens im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 626 BGB ein wichtiger Grund auf Seiten der Klägerin zu verneinen.

Der Ausnahmetatbestand nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 7 AFG ist in Anbetracht des von der Klägerin vorgetragenen gestiegenen Umsatzes und Arbeitsanfalles nicht näher zu erörtern.

Die Beklagte hat die Erstattungsforderungen auch rechnerisch richtig festgesetzt, insoweit hat die Klägerin auch keine Einwände geltend gemacht. Die Beklagte hat die AFG-Leistungen von dem durch die Klägerin in der Arbeitgeberbescheinigung angegebenen Teilzeiteinkommen von DM 2.600,00 monatlich zutreffend berechnet und für die Bemessung der Krankenversicherungs- und Rentenversicherungsbeiträge (§ 128 Abs 4 AFG) das zutreffende Arbeitsentgelt zugrunde gelegt. Ausgehend von den Angaben der Klägerin zur Beschäftigung von 22 bis 28 Arbeitnehmern hat die Beklagte die Erstattungsforderung gemäß § 128 Abs 3 AFG um 2/3 gemindert. Die Erstattungszeiträume sind zutreffend festgelegt.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 13.12.2000 war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 VwGO ist vorliegend noch nicht anwendbar (Art 17 Abs 1 Satz 2 des 6. SGGÄndG vom 17.08.2001 - BGBl I S 2144).

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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