L 9 AL 355/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 6 AL 155/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 355/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 7. September 1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Das Arbeitsamt München bewilligte der 1954 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 26.07.1984 Arbeitslosengeld ab 02.07.1984 für eine Anspruchsdauer von 208 Tagen.

Mit Bescheid vom 11.10.1984 hob das Arbeitsamt die Bewilligung ab 01.10.1984 auf mit der Begründung: "Ihre Ausbildung ab 01.10.1984".

Die seinerzeitigen Akten sind bereits vernichtet.

Mit Schreiben vom 14.06.1997 wandte sich die Klägerin unter Beifügung der o.g. Bescheide an das Arbeitsamt. Sie habe sich, seinerzeit im Leistungsbezug, im Herbst 1984 kurzfristig entschlossen, ein Studium an der Universität Augsburg aufzunehmen. Da an der Universität das Studienjahr zum 01.10. des Jahres beginne, habe sie dem Amt das Änderungsdatum 01.10.1984 mitgeteilt. Vorlesungsbeginn sei aber erst am 02.11.1984 gewesen. Sie sei daher noch den ganzen Monat Oktober 1984 arbeitslos gewesen, ohne aber Leistungen erhalten zu haben. Sie habe jetzt von Bekannten erfahren, die auch im Oktober noch Leistungen des Arbeitsamts erhalten hätten, dass der Vorlesungsbeginn das entscheidende Datum gewesen sei. Sie suche um Überprüfung ihres Leistungsanspruchs für den Oktober 1984 nach.

Dem beigelegt war noch eine Bescheinigung der Universität Augsburg vom 07.08.1995, dass die Klägerin dort vom 01.10.1984 bis 08.11.1990 im Studiengang Wirtschaftswissenschaften immatrikuliert gewesen sei.

Das Arbeitsamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18.06.1997 ab. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld könne nach § 125 Abs.2 AFG vier Jahre nach seiner Entstehung nicht mehr geltend gemacht werden.

Die Klägerin erhob Widerspruch: Sie habe 1984 die Aufnahme des Hochschulstudiums gemeldet. Niemand von Seiten des Arbeitsamts habe sie darauf aufmerksam gemacht, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld erst ab Vorlesungsbeginn entfalle.

Das Arbeitsamt wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 13.08.1997 als unbegründet zurück.

Dagegen hat die in Landshut wohnhafte Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben. Das Sozialgericht München hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 06.04.1998 an das Sozialgericht Landshut verwiesen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 07.09.1999 als unbegründet abgewiesen. Es könne dahinstehen, ob der Aufhebungsbescheid vom 11.10.1984 insoweit rechtmäßig gewesen sei, als die Bewilligung von Arbeitslosengeld darin bereits ab 01.10.1984 aufgehoben worden sei. § 44 SGB X, der die Rücknahme nicht begünstigender, bestandskräftig gewordener Verwaltungsakte regle, lasse nach Abs.4 eine Nachzahlung nämlich nur für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor dem Zugunstenantrag zu.

Mit der Berufung trägt die Klägerin vor, dass es der Beklagten nach Treu und Glauben verwehrt sei, sich auf die Vierjahresfrist des § 44 SGB X zu berufen, die im Übrigen im Falle eines Herstellungsanspruchs, der hier gegeben sei, gar nicht Platz greife.

Während des Berufungsverfahrens hat die Klägerin am 09.12.1999 beim Arbeitsamt die Wiederbewilligung von Arbeitslosengeld beantragt und angegeben, sie habe nach bestandenem Vordiplom das Studium abbrechen wollen und sich im August 1987 erneut arbeitslos gemeldet und Leistungen aus ihren Alg-Restansprüchen beantragt. Ihr Antrag sei aber nicht ordnungsgemäß bearbeitet worden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 07.09.1999 und den Bescheid des Arbeitsamts München vom 18.06.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.08.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr unter Abänderung des Bescheides vom 11.10.1984 Arbeitslosengeld über den 30.09.1984 hinaus bis zum 01.11.1984 zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestandes im Einzelnen wird auf die Gerichtsakten erster Instanz und die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere statthafte und form- wie fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Die Klägerin begehrt die Rücknahme des Aufhebungsbescheides vom 11.10.1984, soweit darin die Bewilligung von Arbeitslosengeld vor dem 02.11.1984, nämlich bereits ab 01.10.1984, aufgehoben worden ist, im Zugunstenwege nach § 44 SGB X.

Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Voraussetzung für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld ist u.a. die persönliche Arbeitslosmeldung (§§ 100 Abs.1, 105 AFG) sowie die Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung (§§ 100 Abs.1, 103 AFG). Die Arbeitslosmeldung ist aufgehoben, sobald sich der bisherige Arbeitslose in eine neue Arbeitsstelle oder aber auch aus anderen Gründen - etwa zum Studium - abmeldet. Da die Arbeitsvermittlung ab diesem Zeitpunkt davon ausgeht, nicht mehr zu einer vermittlerischen Tätigkeit veranlasst zu sein, entfällt auch die Verfügbarkeit (vgl. BSG vom 07.09.2000 Az.: B 7 AL 2/00 R). Das Arbeitsamt hat offenbar die seinerzeitige Mitteilung der Klägerin dahingehend verstanden, dass diese ab 01.10.1994 wegen Aufnahme eines Studiums nicht mehr arbeitslos sein werde bzw. für eine Vermittlung nicht mehr zur Verfügung stehe. Da die vormaligen Akten der Klägerin bereits vernichtet sind, lässt sich nicht mehr rekonstruieren, ob dies tatsächlich der Erklärungsgehalt der Mitteilung der Klägerin war.

Letztlich kommt es aber nicht darauf an. Nach dem Urteil des BSG vom 06.03.1991 (SozR 3-1300 § 44 Nr.1) kann dahingestellt bleiben, ob ein bestandskräftig gewordener belastender Verwaltungsakt - hier der Aufhebungsbescheid vom 11.10.1984 - rechtswidrig war, wenn er in den letzten vier Jahren vor dem Zugunstenantrag keine Wirkungen mehr hatte, die durch eine Rücknahme dieses Verwaltungsaktes beseitigt werden könnten.

Das BSG kommt zu diesem Ergebnis aufgrund des Abs.4 des § 44 SGB X, der die Wirkung einer Rücknahme nach Abs.1 beschränkt. Danach werden Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wenn ein belastender Verwaltungsakt nach Abs.1 zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, so tritt an die Stelle der Rücknahme der Zeitpunkt des Antrags. Wenn also selbst im Falle einer Rücknahme eines vormaligen belastenden Verwaltungsakts im Zugunstenwege sich kein Leistungsanspruch innerhalb des nach § 44 Abs.4 SGB X zu ermittelnden Vierjahreszeitraums ergäbe, bedarf es einer Prüfung der Rechtmäßigkeit des belastenden Verwaltungsaktes nicht.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 14.06.1997, das am 16.06.1997 beim Arbeitsamt eingegangen ist, die Aufhebung bzw. Abänderung des bestandskräftig gewordenen Aufhebungsbescheides vom 11.10.1984 im Zugunstenwege beantragt. Eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des seinerzeitigen Aufhebungsbescheides wäre nach dem Urteil des BSG a.a.O. demnach nur dann veranlasst, wenn im Falle der Rücknahme des Bescheides vom 11.10.1984 sich noch Ansprüche der Klägerin ab dem 17.06.1993 ergäben. Eine zugunstenweise Abänderung des Aufhebungsbescheides vom 11.10.1984, wie von der Klägerin begehrt und wie er allenfalls in Betracht käme, ergäbe aber einen Anspruch nur für den Zeitraum vom 01.10.1984 bis 01.11.1984, also weit vor dem 17.06.1993.

An diesem Ergebnis ändert nichts, dass die Klägerin nunmehr in einem weiteren Verfahren einen Restanspruch auf Arbeitslosengeld ab August 1987 geltend gemacht hat. Abgesehen davon, dass ein solcher Restanspruch niemals in den hier maßgeblichen Zeitraum ab 17.06.1993 hineinreichen könnte, würde er durch die hier begehrte Abänderung des Aufhebungsbescheides vom 11.10.1984 sogar um einen Anspruchsverbrauch für den hier streitigen Zeitraum vom 01.10.1984 bis 01.11.1984 verkürzt.

Nachdem sich die Klägerin eigenen Angaben zur Folge erst im August 1987 wieder arbeitslos gemeldet und Leistungen beantragt hat, könnte ihr ein zusätzlicher Bezug von Arbeitslosengeld vom 01.10.1984 bis 01.11.1984 auch nicht zur Erfüllung einer Anwartschaft auf Arbeitslosenhilfe innerhalb der Jahresvorfrist des § 134 Abs.1 Nr.4 a AFG verhelfen.

Die von der Klägerin begehrte Abänderung des Aufhebungsbescheides vom 11.10.1984 im Zugunstenwege nach § 44 SGB X kann demnach unter keinem Gesichtspunkt zu Ansprüchen auf Sozialleistungen innerhalb des Vierjahreszeitraums ab 17.06.1993 führen mit der Folge, dass schon aus diesem Grunde eine Anwendung der Zugunstenvorschrift des § 44 SGB X im Falle der Klägerin ausscheidet.

Die Klägerin begehrt, im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt zu werden, als hätte sie sich erst ab dem tatsächlichen Beginn des Studiums, nämlich ab 02.11.1984 abgemeldet. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch käme aber überhaupt nur dann in Frage, wenn nachgewiesen werden könnte, dass die seinerzeitige Mitteilung der Klägerin für das Arbeitsamt Anlass gewesen sein musste, genauer nachzufragen und darauf hinzuweisen, dass maßgeblich für das Ausscheiden aus dem Leistungsbezug der Zeitpunkt des Vorlesungsbeginns sei. Nachdem die seinerzeitigen Akten der Klägerin bereits vernichtet sind, lässt sich nicht mehr aufklären, welches die genauen Angaben der Klägerin gewesen sind. Dies geht zu Lasten der Klägerin. Man kann der Beklagten nicht vorhalten, sie hätte die vormaligen Akten der Klägerin bis zum Jahr 1997 aufbewahren müssen.

Im Übrigen könnte auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch keine weitergehenden Wirkungen haben als ein Zugunstenantrag nach § 44 SGB X, insbesondere ist auch auf den Herstellungsanspruch die Ausschlussfrist des § 44 Abs.4 SGB X anzuwenden (so die herrschende Rechtsprechung, u.a. BSG vom 09.09.1986 = BSGE 60, 245; vom 21.01.1987 SozR 1300 § 44 Nr.25; vom 28.01.1999 SozR 3-3300 § 44 Nr.25). Dies leuchtet ein. Andernfalls würde nämlich der Arbeitslose, der genaue und vollständige Angaben gemacht und Anträge gestellt hat, dem aber aufgrund fehlerhafter Rechtsanwendung seitens der Verwaltung Sozialleistungen vorenthalten worden sind, und der auf den Zugunstenweg verwiesen ist, schlechter gestellt als derjenige, der wegen mangelhafter Aufklärung durch die Behörde unzureichende Angaben gemacht oder Anträge gestellt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Anlass, die Revision nach § 160 Abs.2 Nr.1 oder Nr.2 SGG zuzulassen, bestand nicht. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Das Urteil weicht nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab und beruht auf dieser Abweichung.
Rechtskraft
Aus
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