L 8 AL 358/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 36 AL 694/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 358/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 17. Mai 1999 insoweit aufgehoben, als es feststellt, dass die Erstattungspflicht der Klägerin für das Jahr 1997 entfällt. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist eine Vorabentscheidung über die Befreiung der Klägerin von der Erstattungspflicht nach § 128 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) in der Fassung des Gesetzes vom 18.12.1992 (BGBl I, 2044) streitig.

Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 15.05.1997 bei der Beklagten, die für die Jahre 1993 bis 1996 jeweils die Befreiung von der Erstattungspflicht gemäß § 128 Abs.2 Nr.2 AFG festgestellt hatte, diese Feststellung auch für das Jahr 1997; es sei für dieses Jahr von einem Erstattungsvolumen von ca. 8,34 Mio DM auszugehen. Sie legte ein Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft K ... vom 24.04.1997 vor, wonach für das Jahr 1997 zwar ein Gewinn von 291 Mio DM zu erwarten sei, die zu erwartenden Erstattungen dennoch eine unzumutbare Belastung bedeuten würden.

Mit Bescheid vom 02.07.1997 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie gebe dem Antrag auf Befreiung von der Erstattungspflicht für das Jahr 1997 nicht statt. Voraussetzung für das Vorliegen des Härtetatbestandes des § 128 Abs.2 Nr.2 AFG sei eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung, die unterhalb der Existenzgefährdung des Unternehmens dann anzunehmen sei, wenn durch die Erstattungsforderungen die Arbeitsplätze gefährdet wären, die nach Durchführung des Personalabbaus noch verblieben seien. Voraussetzung seien deshalb finanzielle Schwierigkeiten des Unternehmens, die so erheblich seien, dass die Erstattung nicht aus dem Wertzuwachs und dessen Erträgen aufgebracht werden könne, sondern auf die Substanz zurückgegriffen werden müssen. Das Vorliegen des Härtetatbestandes sei nicht feststellbar, weil bei einer geschätzte Erstattungsforderung von 8.340.000,00 DM ein Unternehmensgewinn von 291 Mio DM zu erwarten sei. Es liege somit weder eine Existenzgefährdung des Unternehmens noch eine Arbeitsplatzgefährdung vor.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.1998 als unbegründet zurück. Verluste aus dem Jahre 1995 und anderen Geschäftsjahren könnten für das Jahr 1997 nicht in Abzug gebracht werden.

Mit ihrer zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die von der Rechtsprechung des BAG zu § 16 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) entwickelten Grundsätze seien auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen mit der Folge, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 128 Abs.2 Nr.2 AFG gegeben seien.

Mit Urteil vom 17.05.1999 hat das SG die Bescheide der Beklagten vom 02.07.1997 und 15.04.1998 aufgehoben und festgestellt, dass die Erstattungspflicht der Klägerin für das Jahr 1997 entfalle. Die von der K ... gefertigten Stellungnahmen erfüllten formalrechtlich die Voraussetzungen des § 128 Abs.2 Nr.2 AFG. An der Fachkunde der die beiden Gutachten erstellt habenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bestünden keine Zweifel. Die Beklagte habe zwar verschiedene rechtliche Wertungen der Gutachten in Zweifel gezogen, der Darlegung einer Gefährdung der nach Durchführung des Personalabbaus verbleibenden Arbeitsplätze aber nichts entgegengesetzt. Trotz eines Jahresüberschusses in Höhe von ca. 291 Mio DM im Geschäftsjahr 1997 müsste bei einem Eigenkapital von 4,142 Milliarden eine Eigenkapitalverzinsung von ca. 435 Mio DM erreicht werden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die geltend macht, eine Analogie zu § 16 BetrAVG sei nicht statthaft; jedoch komme das Gutachten auch bei einer analogen Anwendung zu einem falschen Ergebnis, weil es von einem unrichtigen zeitlichen Beurteilungsrahmen ausgegangen sei. Es sei nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Jahre 1995 bis 1997, sondern nur auf das Jahr 1997 abzustellen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 17.05.1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.01.1999, 1 BvL 44/86 und 48/87, sei die Schwelle der Unzumutbarkeit bereits bei einer wirtschaftlichen Belastung, die noch nicht den Grad der Existenzgefährdung erreiche, anzusetzen. Die Beklagte lasse eine konkrete Auseinandersetzung mit der vom BAG akzeptierten Berechnung vermissen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG-), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als teilweise begründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht die angefochtenen Bescheide aufhoben, jedoch zu Unrecht festgestellt, dass die Erstattungspflicht der Klägerin für das Jahr 1997 generell entfällt.

Streitgegenstand ist eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Abs.1 Satz 1 SGG, gerichtet auf eine Vorabentscheidung der Beklagten dahingehend, dass die Erfüllung sämtlicher im Jahre 1997 nach § 128 Abs.1 Satz 1 AFG fällig werdender Erstattungsforderungen für die Klägerin eine unzumutbare Belastung bedeuten würde und deshalb die Erstattungspflicht in sämtlichen Fällen entfalle. Das SG hätte allenfalls die Beklagte zu dieser Feststellung verurteilen, nicht jedoch selbst diese Feststellung treffen dürfen. Unabhänigig davon kommt eine solche Feststellung nicht in Betracht, da die erforderliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für eine solche Vorabentscheidung nicht gegeben ist.

Hinsichtlich des Befreiungstatbestandes des § 128 Abs.2 Nr.2 AFG enthält § 128 AFG keine Ermächtigungsgrundlage für eine Teilentscheidung im Sinne eines Grundlagen- oder Befreiungsbesscheides (vgl. BSG, Urteil vom 21.09.2000, B 11 AL 7/00 R). Eine Vorabentscheidung ist gemäß § 128 Abs.7 Satz 2 AFG lediglich hinsichtlich des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des § 128 Abs.1 Satz 2 Nr.6 oder 7 AFG vorgesehen. Eine erweiternde Auslegung des § 128 Abs.7 Satz 2 AFG auf dort nicht genannte Tatbestandsmerkmale kommt hingegen nicht in Betracht (so auch Brandt in Niesel, AFG, 2.Aufl., Rdnr.97 zu § 128). Deshalb sind solche darüber hinausgehende sogenannte isolierte Feststellungen, etwa in Form von Grundlagenbescheiden, mangels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig (BSG SozR 3-4100 § 128 Nr.4).

Das Vorliegen des Befreiungstatbestandes des § 128 Abs.2 Nr.2 AFG ist vielmehr jeweils in den konkreten Einzelfällen bei der Feststellung der vierteljährlich fällig werdenden Erstattungsansprüche nach § 128 Abs.1 Satz 1 AFG zu prüfen. Vom Zeitpunkt der Feststellung dieser aktuellen Zahlungsverpflichtung aus ist die Prognose zu erstellen, ob die jeweilige Erstattungsforderung - gegebenenfalls in Zusammenhang mit den übrigen, die wirtschaftliche Kalkulationsgrundlage beeinflussenden Forderungen - die unternehmerischen Entscheidungen dahingehend beeinflussen kann, dass die nach Durchführung des Personalabbaus verbleibenden Arbeitsplätze ebenfalls gefährdet würden (BSG vom 21.09.2000). Eine mehrere Erstattungsfälle umfassende generelle Vorabentscheidung erscheint insoweit auch nicht sinnvoll, da bis zum Fälligkeitszeitpunkt der jeweiligen Einzelforderung eintretende geschäftliche Entwicklungen hierbei nicht mehr berücksichtigt werden könnten. Es fehlt auch eine gesetzliche Grundlage dafür, den Befreiungstatbestand des § 128 Abs.2 Nr.2 AFG gerade für die Erstattungsfälle eines Kalenderjahres einheitlich zu bejahen oder zu verneinen.

Die Beklagte hat sich in dem angefochtenen Bescheid vom 02.07.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.1998 nicht darauf beschränkt, den Antrag der Klägerin auf generelle Befreiung von der Erstattungspflicht aus den oben dargelegten formalen Gründen abzulehnen. Vielmehr beinhaltet der Verfügungssatz des angefochtenen Bescheides, dass bei sämtlichen während des Jahres 1997 nach § 128 Abs.1 Satz 1 AFG fällig werdenden Erstattungsforderungen die Erstattungspflicht nicht wegen Vorliegens einer unzumutbaren Belastung nach § 128 Abs.2 Nr.2 AFG entfällt. Erkennbar hat die Beklagte eine Vorabentscheidung getroffen, die Grundlage für die Entscheidung im Einzelfall sein soll, wie sie in den für die Jahre 1993 bis 1996 jeweils ergangenen Befreiungsbescheiden ausdrücklich festgestellt hat. Da aus den dargelegten Gründen eine Ermächtigungsgrundlage für eine solche Vorabentscheidung nicht besteht, ist der Bescheid vom 02.07.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.1998 rechtswidrig und vom SG im Ergebnis zu Recht aufgehoben worden.

Somit war auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG vom 17.05.1999 insoweit aufzuheben, als es feststellt, dass die Erstattungspflicht der Klägerin für das Jahr 1997 entfällt, die Berufung im Übrigen jedoch zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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