L 10 AL 375/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AL 383/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 375/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 01. September 1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Rechtmäßigkeit der Aufhebung einer Arbeitslosengeld (Alg)-Bewilligung vom 04.10.1995 bis 29.01.1996 und die Rückforderung von Alg in Höhe von 4.949,50 DM sowie von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen.

Der am 1946 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Am 06.02.1995 meldete er sich bei der Dienststelle B. der Beklagten arbeitslos und stellte sich für eine Vollzeittätigkeit zur Verfügung. Im Antrag auf Gewährung von Alg vom 07.02.1995 erklärte er, das Merkblatt für Arbeitslose "Ihre Rechte - Ihre Pflichten" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben.

Mit Bescheid vom 29.03.1995 gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 06.02.1995 Alg in Höhe von 381,-DM wöchentlich, mit Änderungsbescheid vom 24.10.1995 ab dem 16.10.1995 in Höhe von 386,40 DM und mit Bescheid vom 02.01.1996 ab dem 01.01.1996 in Höhe von 384,60 DM wöchentlich.

Im Verlaufe eines Beratungsgespräches vom 18.12.1995 gab der Kläger an, seit September 1995 zu studieren. Die wöchentliche Vorlesungszeit betrage ohne Vor- und Nacharbeit 28 Stunden. Er wäre jedoch bereit, das Studium zu vernachlässigen bzw aufzugeben und einer Tätigkeit von 20 Stunden wöchentlich nachzugehen, wenn ihm ein Arbeitsplatz angeboten würde.

Nach Auskunft der Fachhochschule Frankfurt am Main (FHS) waren bei dem Ingenieurstudium - Vermessungswesen - vom Kläger Montags keine Lehrveranstaltungen zu besuchen, Dienstags dauerte der Lehrbetrieb von 8.15 Uhr bis 13.25 Uhr und 15.15 Uhr bis 16.50 Uhr, Mittwochs und Donnerstags von 8.15 Uhr bis 14.15 Uhr und Freitags von 9.05 Uhr bis 16.50 Uhr. Der Kläger gab an, er könne daneben noch 20 Stunden wöchentlich arbeiten.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23.01.1996 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg an den Kläger ab Semesterbeginn (01.09.1995) auf und forderte ihn zur Erstattung des überzahlten Alg in Höhe von 6.727,50 DM auf, da er ab diesem Zeitpunkt der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden habe.

Hiergegen erhob der Kläger am 26.01.1996 Widerspruch und legte zur Begründung eine Studienbescheinigung der FHS Frankfurt am Main vor, wonach er das Studium verspätet erst am 04.10.1995 begonnen hatte.

Bereits am 15.01.1996 hatte der Kläger bei der Beklagten erneut die Gewährung von Alg beantragt. Mit Bescheid vom gleichen Tag lehnte die Beklagte den Antrag ab, da er wegen seines Studiums der Arbeitsvermittlung weiterhin nicht zur Verfügung stehe.

Gegen diesen Bescheid, den er nach seinen Angaben erst am 28.02.1996 erhalten hat, erhob der Kläger am 29.02.1996 Widerspruch.

Am 30.01.1996 stellte der Kläger wiederum einen Antrag auf Gewährung von Alg und legte gleichzeitig eine Exmatrikulationsbescheinigung vom gleichen Tag vor, wonach er zum 30.01.1996 sein Studium aufgegeben hatte. Die Beklagte gewährte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 26.02.1996 ab dem 30.01.1996 bis zum 03.03.1996 Alg. Am 04.03.1996 kehrte der Kläger in die Türkei zurück.

Nach Auskunft der FHS Frankfurt am Main vom 29.10.1996 betrug die Regelstudienzeit im ersten Fachsemester des Ingenieursstudiums Vermessungswesen 27 Semesterwochenstunden. Eine Anwesenheitspflicht bestand nicht. Der Arbeitsaufwand für die Vor- und Nacharbeit lasse sich nicht allgemein feststellen. Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 15.09.1997 nachträglich zu ihrer Aufhebungsentscheidung an.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.1997 hob die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 23.01.1996 erst ab dem 04.10.1995 bis zum 29.01.1996 die Bewilligung von Alg an den Kläger auf und forderte ihn zur Erstattung des überzahlten Alg in Höhe von 4.949,50 DM auf.

Dagegen hat der Kläger am 21.04.1998 durch das türkische Generalkonsulat Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erheben lassen, die später genehmigt wurde.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 01.09.1999 abgewiesen. Die Beklagte habe zu Recht für die Zeit der Immatrikulation des Klägers an der FHS Frankfurt am Main vom 04.10.1995 bis zum 29.01.1996 die Alg-Bewilligung gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben, da der Kläger in diesem Zeitraum der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung gestanden hätte. Der Arbeitsvermittlung stehe nach § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zur Verfügung, wer eine zumutbare, nach § 168 AFG die Beitragspflicht begründende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben könne und dürfe. Bei Studenten einer Hochschule werde nach § 103 a AFG vermutet, dass sie nur Beschäftigungen ausüben könnten, die nach § 169 b AFG beitragsfrei seien. Für die in § 103 a Abs 2 AFG eröffnete Möglichkeit der Widerlegung dieser gesetzlichen Vermutung werde der Grundsatz der amtlichen Sachaufklärungspflicht durchbrochen und dem Arbeitslosen - hier dem Kläger - eine Darlegungs- bzw Beweisführungslast auferlegt. Der arbeitslose Student müsse darlegen und nachweisen, dass der Ausbildungsgang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zulasse. Unter Berücksichtigung seiner eigenen Angaben beanspruche der Studiengang im Wesentlichen die volle Arbeitskraft des Klägers, sodass er daneben eine beitragspflichtige Beschäftigung im Sinne des Krankenversicherungsrechtes von mindestens 20 Stunden nicht ausüben könne. Seine Studienbelastung betrage allein aufgrund der zu besuchenden Lehrveranstaltungen ohne Zeiten der Vor- und Nachbereitung 28 Wochenstunden. Zu der auf die Ausbildung entfallenen Zeit gehörten nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) nicht nur die von der Ausbildungsstätte durchgeführten Lehrveranstaltungen, also Unterricht, Vorlesungen, Seminare, Praktika, Exkursionen, sondern auch die zum Aufsuchen dieser Lehrveranstaltungen benötigten Wegezeiten sowie die zur Durchdringung des Ausbildungsstoffes erforderlichen Vor- und Nachbereitungszeiten. Es könne deshalb davon ausgegangen werden, dass die gesamte auf die Ausbildung entfallende Zeit in etwa dem Doppelten der Unterrichts- oder Vorlesungszeit entspreche. Die Grenzen zumutbarer Belastung durch Ausbildungszeiten einschließlich der Wegezeiten seien jedoch für Erwachsene bei der gesetzlich zulässigen Wochenarbeitszeit von 60 Stunden anzusetzen. Die Belastung des Klägers durch den Besuch der Lehrveranstaltungen an der Ausbildungsstätte, die Vor- und Nachbereitungszeiten sowie die Wegezeiten betrage bereits 56 Stunden, so dass er nicht mehr in der Lage sei, daneben eine beitragspflichtige Beschäftigung im Sinne des Gesetzes auszuüben. Darüber hinaus sei die von ihm zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Photogrammeter-Operateur zu den üblichen Bürozeiten auszuführen, so dass ein nennenswerter Arbeitsmarkt für die für den Kläger in Betracht kommenden Teilzeittätigkeiten am Abend und am Wochenende nicht existiere. Von einer Verfügbarkeit des Klägers habe daher erst wieder ab seiner Exmatrikulation zum 30.01.1996 bis zu seiner Ausreise in die Türkei ausgegangen werden können, sodass sein Antrag auf Gewährung von Alg vom 15.01.1996 von der Beklagten zu Recht abgewiesen worden sei.

Gegen das ihm am 18.10.1999 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 18.11.1999 beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegten Berufung.

Der Kläger trägt vor, das Urteil des SG Nürnberg vom 18.10.1999 widerspreche dem deutschen Arbeitsgesetz. Nach einer von ihm vorgelegten Bescheinigung der FHS Frankfurt am Main vom 30.04.1998 durfte er neben seinem Studium nur einer Tätigkeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 19,25 Std nachgehen, soweit der Arbeitgeber ihn für die Lehrveranstaltungen freistellte.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Nürnberg vom 01.09.1999 und den Bescheid der Beklagten vom 23.01.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.12.1997 aufzuheben und ihm vom 04.10.1995 bis 29.01.1996 Alg in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 01.09.1999 zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG zutreffend.

Auf die beigezogenen Akten der Beklagten und des SG wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-), ist auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).

Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet, denn das SG hat die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 23.01.1996 und 15.01.1996 idF des Widerspruchsbescheides vom 18.12.1997 mit Urteil vom 01.09.1999 zu Recht abgewiesen.

Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung - wie den Alg-Bewilligungsbescheiden vom 29.03.1995, 24.10.1995 und 02.01.1996 - vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene (= der Kläger) einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 2 SGB X).

Gemäß § 100 Abs 1 AFG hat Anspruch auf Alg u.a. nur, wer für die Vermittlung in eine beitragspflichtige Beschäftigung zur Verfügung steht. In der Zeit vom 04.10.1995 bis 29.01.1996 lag jedoch beim Kläger keine Verfügbarkeit im Sinne des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG vor, denn er stand aufgrund der Teilnahme an den Lehrveranstaltungen der FHS Frankfurt am Main weder für eine Vermittlung in eine Vollzeittätigkeit von 40 Stunden, die in der Regel während der üblichen Bürozeiten zu verrichten ist, zur Verfügung, noch war er während der üblichen Zeit des Posteinganges am Morgen erreichbar (§ 103 Abs 1 Nr 3 AFG).

Der Kläger hat auch die Vermutung des § 103 a Abs 1 AFG, wonach er als Student an der FHS Frankfurt/Main nur Beschäftigungen ausüben kann, die nach § 169 b AFG beitragsfrei sind, nicht widerlegt. Er hat nicht dargelegt und nachgewiesen, dass der Ausbildungsgang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zulässt (§ 103 a Abs 2 AFG). Auf die zutreffenden Ausführungen des SG hierzu nimmt der Senat Bezug (§ 153 Abs 2 SGG) und verweist ergänzend auf die Angaben der FHS Frankfurt am Main im Schreiben vom 30.04.1998, wonach der Kläger neben seinem Studium nur einer Tätigkeit von 19,25 Std/Woche nachgehen konnte, wenn seitens des Arbeitsgebers Teilnahme an den Lehrveranstaltungen ermöglicht wurde.

Der Kläger stand danach ab dem 04.10.1995 für eine Vermittlung in eine Vollzeittätigkeit nicht mehr zur Verfügung.

Der in § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil (SGB I) vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse ist der Kläger zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Im Merkblatt für Arbeitslose, dessen Erhalt und Kenntnisnahme von seinem Inhalt der Kläger im Antrag vom 06.02.1995 bestätigt hatte, ist unter "Mitwirkungspflichten" ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Arbeitslose sofort das Arbeitsamt zu benachrichtigen habe, wenn er als Student eine Hochschule besucht. Nach dieser eindeutigen und für ihn leicht verständlichen Aufklärung handelte der Kläger zumindestens grob fahrlässig, als er die Mitteilung der in der Aufnahme des Studiums liegenden wesentlichen Änderung an die Beklagte unterließ (vgl Schroeder-Printzen/Wiesner, Kommentar zum SGB X, § 45 RdNr 24; BSG in SozR 3-4100 § 103 AFG Nr 9). Er hat dies der Beklagten erst am 18.12.1995 mitgeteilt. Die Angaben des Klägers gegenüber der Beklagten, er sei für eine Tätigkeit von 20 Wochenstunden verfügbar, waren darüber hinaus unzutreffend, da bei ihm nur eine eingeschränkte Verfügbarkeit für eine Tätigkeit bis zu 19,25 Std/wöchentlich unter weiteren arbeitsmarktunüblichen Einschränkungen bestand.

Zutreffend hat das SG ferner entschieden, dass dem Kläger auch auf seinen Antrag vom 15.01.1996 kein Alg zu bewilligen war, da er bis einschließlich 29.01.1996 wegen seines Hochschulstudiums an der FHS Frankfurt am Main für eine beitragspflichtige Beschäftigung nicht verfügbar war. Erst ab dem 30.01.1996 stand er dem allgemeinen Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung, so dass die Beklagte dem Kläger zu Recht mit Bescheid vom 26.02.1996 erst ab diesem Zeitpunkt bis zu seiner Ausreise in die Türkei (04.03.1996) wieder Alg gewährt hat.

Die Berufung war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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