L 8 AL 402/95

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 Al 10/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 402/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Beschränkung für eine Beschäftigung nach § 19 Abs. 1 Satz 3 AFG (§ 285 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III) auf bestimmte Berufsbereiche im Rahmen der Verordnungsermächtigung gemäß § 19 Abs. 4 Satz 1 AFG ist zulässig und nicht zu beanstanden.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25. Oktober 1995 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Erteilung einer Arbeitserlaubnis (AE) für eine kurzzeitgebundene Beschäftigung im Jahre 1993 streitig.

Die Fa ... GmbH aus Oer-Erkenschwick stellte unter dem 31.08.1993 beim Arbeitsamt Recklinghausen einen Antrag auf Vermittlung von sechs namentlich aufgeführten ausländischen Arbeitnehmern, darunter den am 02.03.1955 geborenen polnischen Kläger. Mit Schreiben vom 14.09.1993 lehnte das Arbeitsamt die Vermittlung ab und sandte die sechs Arbeitsverträge mit dem Hinweis zurück, dass aufgrund einer Gesetzesänderung, die am 01.09.1993 in Kraft getreten sei, die Vermittlung auf die Beschäftigung in der Land- und Forstwirtschaft, im Hotel- und Gaststätten- und Schaustellergewerbe sowie auf die Beschäftigung zur Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte und in Sägewerken beschränkt sei.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 08.11.1993 Widerspruch ein; ihm stehe als Ausländer das Grundrecht der Gleichbehandlung zu. Die Arbeitserlaubnisverordnung (AEVO) verstoße in ihrer neuen Fassung dagegen. Deshalb habe er einen Anspruch auf Vermittlung zur Fa ...

Die Beklagte sah den Widerspruch als zulässig an, da das Schreiben an die Fa ... eine Regelung enthalte und als Verwaltungsakt zu werten sei. Das Schreiben sei auch ein Verwaltungsakt gegenüber dem Kläger. Wegen der fehlenden Rechtsmittelbelehrung gelte die Widerspruchsfrist von einem Jahr. Sie wies jedoch den Widerspruch als unbegründet zurück. Der § 1 Abs.3 AEVO sei mit Wirkung zum 01.09.1993 auf bestimmte Beschäftigungsbereiche beschränkt worden. Eine Vermittlung ab 01.09.1993 sei daher im Baugewerbe nicht mehr möglich.

Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 10.11.1994 Klage zum Sozialgericht Gelsenkirchen, das den Rechtsstreit mit Beschluss vom 16.12.1993 an das Sozialgericht Nürnberg verwies. Der Kläger machte weiterhin eine Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund geltend. Die bisherige Kontingentierung verstoße gegen Art.3 Grundgesetz. Mit der Werkvertragsregelung würden einseitig Großfirmen bevorzugt. Zudem handle es sich bei den Baubetrieben ebenfalls um saisontypische Arbeiten, die deshalb vor dem 01.09.1993 vom Verordnungsgeber entsprechend behandelt worden seien.

Mit Urteil vom 25.10.1995 wies das Sozialgericht Nürnberg die Klage ab; die Beklagte habe aus arbeitsmarktpolitischen Gründen im Ausland wohnende Arbeitnehmer von der Vermittlung und der Erteilung einer AE ausschließen können und Ausnahmen für bestimmte Saisonbetriebe vornehmen dürfen. Die rechtspolitischen Erwägungen des Klägers gäben keinen Anlass zu verfassungsrechtlichen Bedenken.

Gegen das am 20.11.1995 zugestellte Urteil legte der Kläger am 18.12.1995 unter Aufrechterhaltung seiner verfassungsrechtlichen Bedenken Berufung ein; dem Grunde nach handle es sich bei der 10. Änderungsverordnung zur AEVO um eine Maßnahmeregelung, welche im nachhinein in einen Bereich eingreife, welcher zuvor im Einklang mit der Ermächtigungsgrundlage gestanden habe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.10.1995 aufzuheben und festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 14.09.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.11.1993 rechtswidrig gewesen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass die Einschränkung auf die in § 1 Abs.3 Satz 2 AEVO genannten Saisonarbeitnehmer von der Ermächtigung des § 19 Abs.4 Satz 1 AFG gedeckt sei.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Verwaltungsakte der Beklagten und die erstinstanzliche Verfahrensakte. Wegen des Sachverhalts wird ergänzend auf die beigezogenen Akten und auf die Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 151 Abs.1, 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig; insbesondere bedurfte sie nicht der Zulassung gemäß § 144 Abs.1 SGG.

Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.

Der Kläger wendet sich mit der vorliegenden Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 14.09.1993, mit dem eine Vermittlung zur Fa ... für eine dreimonatige Saisonbeschäftigung und die Erteilung einer AE abgelehnt wurde. Die beantragte AE kann dem Kläger durch Zeitablauf nicht mehr bewilligt werden. Damit ist ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs.1 SGG (Vornahmeklage) nicht gegeben. Ausnahmsweise ist ein Übergang auf die Feststellungsklage nach Erledigung des angefochtenen Bescheides zulässig, wenn ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist. Eine Umstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist durch den Kläger nicht ausdrücklich erfolgt. Das Sozialgericht ist bei seiner Entscheidung von einer Vornahmeklage ausgegangen. Jedoch war das Sozialgericht an die Fassung der Anträge nicht gebunden (§ 123 SGG). Hat sich ein Verwaltungsakt inzwischen erledigt, der Kläger aber lediglich den Antrag auf Aufhebung gestellt, so ist darin auch der Antrag nach § 131 Abs.1 Satz 3 SGG zu er- blicken (vgl. BSG vom 22.09.1976, BSGE 42, 212, 215). Bereits das Klagevorbringen war dahingehend zu verstehen, dass der Kläger wegen der möglichen Folgewirkung ein entsprechendes Feststellungsbegehren verfolgt und dem Sinne nach die Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides beantragt hat.

Hat sich der angefochtene Verwaltungsakt erledigt, spricht das Gericht gemäß § 131 Abs.1 Satz 3 SGG auf Antrag aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

Dieses ist zu bejahen. Berechtigtes Interesse ist jedes nach der Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigte Interesse, das rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein kann (vgl. BSG vom 18.01.1996, SozR 3-2400 § 29 Nr.3 = NZS 96, 332). Es folgt aus einer bestehenden Wiederholungsgefahr; der Kläger sieht sich der begründeten Gefahr ausgesetzt, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt wie der erledigte ergehen kann (vgl. dazu BSG vom 20.05.1992, NZS 1992, 75). Damit besteht die begründete Gefahr, dass sich der Erlass einer solchen Entscheidung ohne Klarstellung der Rechtslage bei entsprechender Gelegenheit unter gleichen oder ähnlichen Voraussetzungen wiederholt (vgl. BSG vom 14.02.1978, SozR 4100 § 19 Nr.5). Das gilt auch für den Fall, dass der Kläger in der Folgezeit eine weitere AE nicht beantragt haben sollte. Denn dies führt nicht dazu, die Wiederholungsgefahr zu verneinen. Denn es ist vorliegend nicht völlig ungewiss, ob in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse wie im Zeitpunkt des Erlasses des erledigten Verwaltungsaktes vorliegen (BSG vom 20.05.1992, a.a.O.). Das rechtliche Interesse im Sinne des § 131 Abs.1 Satz 3 SGG zielt auf die Beseitigung einer unsicheren Rechtslage ab (BSG vom 18.01.1996, a.a.O.). Die Beteiligten vertreten unterschiedliche Auffassungen dazu, ob dem Kläger eine dreimonatige Beschäftigung in der Bauwirtschaft gemäß § 19 Abs.1 Satz 3 AFG aufgrund der AEVO vom 12.09.1980 in der Fassung der 10. ÄndVO vom 01.09.1993 (BGBl. I, 1527) versagt werden konnte oder nicht. Die Klärung dieser Frage ist für den Kläger deshalb von Bedeutung, weil die Gefahr besteht, dass die Beklagte unter Aufrechterhaltung ihrer Rechtsmeinung auch in Zukunft eine derartige AE ablehnen wird.

Das gilt auch für die Rechtslage nach Inkrafttreten des SGB III zum 01.01.1998 (Art.83 Abs.1 AFRG vom 24.03.1997, BGBl. I, 594). Insoweit hat sich keine wesentliche Änderung ergeben. Gemäß § 285 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGB III kann die AE erteilt werden, wenn sich durch die Beschäftigung von Ausländern nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, insbesondere hinsichtlich der Beschäftigungsstruktur, der Regionen und der Wirtschaftszweige nicht ergeben. Dies ist von der Formulierung her eine etwas konkretere und detailliertere Beschreibung des nach § 19 Abs.1 Satz 2 AFG geltenden Grundsatzes, dass die Erlaubnis nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung der Verhältnisse des einzelnen Falles erteilt wird. Nach § 285 Abs.3 SGB III darf Ausländern, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben und eine Beschäftigung im Bundesgebiet aufnehmen wollen, eine Arbeitserlaubnis nicht erteilt werden, soweit durch Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist. § 288 SGB III enthält eine entsprechende Verordnungsermächtigung, von der bisher kein Gebrauch gemacht wurde. Nach Art.81 AFRG gilt die AEVO jedoch weiter. Die Begrenzung der Erteilungsmöglichkeit einer AE nach § 1 Abs.3 AEVO in der Fassung der 12. ÄndVO vom 17.12.1997 (BGBl. I, 3195) auf lediglich bestimmte Tätigkeits- bzw. Berufsbereiche bis zu drei Monaten im Kalenderjahr, gilt somit auch nach der Einführung des SGB III.

§ 1 Abs.3 Satz 2 AEVO steht im Falle des Klägers der Erteilung einer AE nach altem und neuem Recht entgegen. § 1 Abs.3 Satz 2 AEVO beschränkte seit der Fassung der 10. ÄndVO vom 01.09.1993 (BGBl. I, 1527) die Vermittlung auf die Beschäftigung in der Land- und Forstwirtschaft, im Hotel-, Gaststätten- und Schaustellergewerbe sowie auf die Beschäftigung zur Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte und in Sägewerken. Nach § 1 Abs.3 Satz 1 AEVO in der Fassung der 12. ÄndVO vom 17.12.1997 kann die Arbeitserlaubnis in der Land- und Forstwirtschaft, im Hotel- und Gaststättengewerbe, in der Obst- und Gemüseverarbeitung sowie in Sägewerken bis zu drei Monaten im Kalenderjahr erteilt werden. Für den Kläger, der für eine Beschäftigung im Baugewerbe eine Beschäftigung ausüben will, ergibt sich durch die neue Fassung keine andere Rechtslage.

Die Beschränkung auf bestimmte Berufsbereiche erfolgte im Rahmen der Verordnungsermächtigung gemäß § 19 Abs.4 Satz 1 AFG. Diese Beschränkung ist zulässig und nicht zu beanstanden. In dieser Regelung spiegelt sich die Prüfung über die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes im Sinne des § 1 Abs.1 AEVO wieder, die ihrerseits sich aus § 19 Abs.1 AFG bzw. der Nachfolgeregelung des § 285 Abs.1 SGB III ableitet, wonach die AE nur nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes erteilt werden kann. Normzweck des § 19 Abs.1 AFG ist ausdrücklich der Schutz des deutschen Arbeitsmarktes. § 19 Abs.1 Satz 3 AFG (neu: § 285 Abs.3 SGB III) und § 1 Abs.3 Satz 1 AEVO beschränken deshalb die Erteilung zeitlich auf drei Monate. Damit ist aber die Schutzprüfung im Sinne des § 1 Abs.1 AEVO nicht abgeschlossen. Sie wird vielmehr vom Verordnungsgeber sachlich im Sinne des Normzwecks nochmals allgemein durch die Einschränkung auf bestimmte Berufsbereiche ergänzt. Insoweit ist diese Regelung Ausfluss von § 19 Abs.1 Satz 5 AFG (neu: 285 Abs.5 SGB III), wonach als Schutzmaßnahme u.a. eine Beschränkung auf Berufsgruppen und Wirtschaftszweige ausdrücklich vorgesehen ist. Der Verordnungsgeber hat nach Anhörung der Beklagten als berufene Fachbehörde lediglich in den ausdrücklich aufgeführten Berufsbereichen eine Gefährdung der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes verneint. Es ist nicht erkennbar, dass dadurch der vom Gesetzgeber eingeräumte weite Gestaltungsspielraum des § 19 Abs.4 AFG (neu: § 288 Abs.1 SGB III) unsachlich ausgeführt oder gar überschritten wurde.

Da die gesetzlichen Voraussetzungen jeweils vor erneuter Erteilung einer AE vorliegen müssen, liegt in der Änderung der AEVO vom 01.09.1993 kein unzulässiger Eingriff in eine gesicherte Rechtsposition des Klägers. Ebenso ist ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht erkennbar, da eine allgemeine Erlaubnisbeschränkung vorgenommen wurde. Soweit der Kläger argumentativ auf die Negativfolgen bestimmter Baubetriebe, vorrangig der Fa ..., abstellt, verkennt er, dass diese Betriebe, bzw. die Fa ..., nicht Beteiligte des Verfahrens sind und die eigene Rechtsposition des Klägers dadurch nicht berührt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; im Hinblick auf den Verfahrensausgang war eine Kostenerstattung für den Kläger nicht veranlasst.

Grund für die Zulassung der Revision im Sinne vom § 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG liegen nicht vor; insbesondere kommt nach Auffassung des Senats der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu.
Rechtskraft
Aus
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