L 9 EG 7/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 Eg 14/92
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 EG 7/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Türkische Staatsangehörige haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Bayer. Landeserziehungsgeld wie Deutsche oder EU-Staatsangehörige.
2. Das Bayer. Landeserziehungsgeld steht wie das Bundeserziehungsgeld einer Familienleistung i.S. des Art.4 Abs.1 Buchstabe h) des Assoziationsratsbeschlusses 3/80 i.V.m. Art.4 Abs.1 Buchstabe h), u), i) gleich.
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 16. Dezember 1992 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des zweiten Rechtszuges zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Landeserziehungsgeld (LErzg) für den 19. mit 24. Lebensmonat (07.07.1992 mit 06.01.1993) ihres Sohnes Ferhat streitig.

Die am ... 1973 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche vom 18.10.1990 an im Besitz einer seinerzeit zum Zweck der Familienzusammenführung erteilten befristeten Aufenthaltserlaubnis war, ist die Mutter des am ... 1991 in Münchberg, Kreis Hof, geborenen Kindes. Sie lebt seither mit diesem und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreut und erzieht das Kind und übt daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Durch Bescheid der Familienkasse beim Versorgungsamt Bayreuth vom 18.03.1991 erhielt sie für den 1. mit 18. Lebensmonat Bundeserziehungsgeld (BErzg) in Höhe von DM 600,00 monatlich.

Der am 09.07.1992 gestellte Antrag auf Bewilligung von LErzg wurde durch Bescheid vom 13.07.1992 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der vorliegenden türkischen Staatsangehörigkeit gehöre die Klägerin nicht zum Personenkreis des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nr.5 des Bayerischen Landeserziehungsgeldgesetzes (BayLErzGG). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 02.11.1992)

Das angerufene Sozialgericht (SG) Bayreuth hob die angefochtenen Bescheide durch Urteil vom 16.12.1992 auf und verurteilte den Beklagten, der Klägerin LErzg dem Grunde nach zu gewähren. Die Entscheidung gründet auf den Bestimmungen der Europäischen Sozialcharta vom 18.10.1961, die am 26.02.1965 (BGBl II. 1965 S.1122) für die Bundesrepublik und am 24.12.1989 (BGBl II. 1990 S.59) für die Türkei verbindlich geworden ist,sowie auf Art.10 Abs.1 des Beschlusses Nr.1/80 des Assoziationsrates über die Entwicklung der Assoziation zwischen der EG und der Türkei.

Mit der am 15.01.1993 zum Bayer. LSG eingelegten Berufung wandte der Beklagte ein, das Bundesverwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 18.12.1992 (DVBl.1993, 787) den allgemeinen Gleichheitssatz als nicht verletzt angesehen. Die Staatsangehörigkeit gehöre nämlich nicht zu den in Art.3 Abs.3 GG genannten Merkmalen, die eine Mindestsicherung gegen Diskriminierung erreichen sollen und an die bei der Vergabe staatlicher Leistungen schlechthin nicht angeknüpft werden dürfe, vgl. BVerfG Beschluss vom 20.03.1979, BVerfGE 51.1. Die Klägerin könne ihren Anspruch auch nicht auf Art.16 der Europäischen Sozialcharta stützen. Selbst wenn unterstellt werde, dass der Charta überhaupt ein die Klägerin begünstigendes Gleichbehandlungsgebot zu entnehmen sei, handle es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der keine unmittelbaren Rechte für Bürger begründe, sondern lediglich rechtspolitische Zielsetzungen beinhalte, deren Umsetzung in einklagbares nationales Recht sich die Vertragsparteien ausdrücklich vorbehalten hätten. Auch lasse sich ein Anspruch auf LErzg nicht aus dem Assoziationsrecht zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei ableiten.

Die Klägerbevollmächtigten bezogen sich hinsichtlich der Voraussetzungen der Gleichbehandlung türkischer Staatsangehöriger beim Bezug von Erzg auf ein Rechtsgutachten des Dr ... vom 17.06.1993, auf dessen Einzelheiten verwiesen wird.

Durch Beschluss vom 28.07.1994 wurde das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Am 23.03.2000 setzten die Klägerbevollmächtigten das Verfahren fort. Sie verwiesen auf eine zum Kindergeld (Kg) nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ergangene Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999, C-262/96, sowie auf Urteile des Verwaltungsgerichts Karlsruhe zum LErzg Baden-Württemberg vom 12.07.1999 und 11.10.1999. Aufgrund der Entscheidung des EuGH müsse das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.12.1992, demzufolge das LErzg nicht dem sachlichen Geltungsbereich des Beschlusses Nr.3/80 EWG-Türkei unterliege, als überholt angesehen werden.

Demgegenüber führt der Beklagte aus, dass der bayerische Gesetzgeber im Rahmen des ihm verfassungsrechtlich zustehenden Gestaltungsspielraums den anspruchsberechtigten Personenkreis in Art.1 BayLErzGG abschließend geregelt habe. Das LErzg sei keine Familienleistung im Sinne von Art.4 Abs.1 Buchst.h des Beschlusses Nr.3/80 EWG-Türkei. Der EuGH habe dies lediglich für das Kg entschieden. Demgegenüber handle es sich beim LErzg um eine Sozialleistung zugunsten junger Familien in Bayern im Anschluss an die Leistungen des BErzGG, die eine intensive Familienbetreuung von Kleinkindern über den Bezugszeitraum für BErzg hinaus fördern solle. Es verstehe sich als Anerkennung für die Erziehungsleistung von Müttern und Vätern und habe keine Lohnersatzfunktion. Als begrenzte Landesleistung stelle es auch keine Leistung im Sinne der sozialen Sicherungssysteme dar, sondern eine freiwillige Zusatzleistung, mit der junge Familien gefördert und unterstützt werden sollten. Der Anspruch auf LErzg könne nicht auf europarechtliche Vorschriften bzw. die Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 gestützt werden. Der Gerichtshof habe zwar darauf abgestellt, dass ausländische Arbeitnehmer, die in den allgemeinen oder besonderen Systemen der sozialen Sicherheit pflicht- oder freiwillig versichert seien, nicht diskriminiert werden dürften. Demgegenüber führe der Anspruch auf LErzg nicht zu einer Diskriminierung, sondern bedeute eine Anerkennung und Begünstigung für den genannten Personenkreis. Unabhängig davon, ob die Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin vorliege, sei das LErzg nicht als Teil der allgemeinen oder besonderen sozialen Sicherungssysteme der Bundesrepublik Deutschland zu sehen. Auch die Verweisung des Art.6 BayLErzGG auf § 8 Abs.1 BErzGG lasse keinen anderen Schluss zu. Hieraus könne eine Gleichstellung als Familienleistung nicht abgeleitet werden. Außerdem sei die Gewährung der Leistung nicht von der Ausübung des Ermessens abhängig.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Bayreuth vom 16.12.1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin stellt den Antrag,

die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 16.12.1992 zurückzuweisen.

Sie gibt an, dass sie im streitigen Zeitraum durchgehend bei der Betriebskrankenkasse ... als Familienangehörige versichert sei.

Der Senat hat die Akte L 9 EG 13/98 beigezogen. Darin hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 12.07.1999 unter Bezugnahme auf das Urteil des EuGH vom 04.05.1999 bei einer türkischen Staatsangehörigen, die nur im Besitz einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung war, einen Anspruch auf BErzg anerkannt, ohne auf einen qualifizierten Aufenthaltstitel abzustellen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrensakten beider Rechtszüge, vor allem auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze, sowie die beigezogenen Erzg-Akten Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift der Senatssitzung vom 19.12.2000.

Entscheidungsgründe:

Die mangels Vorliegens einer Beschränkung gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung des Beklagten, §§ 143 ff. SGG, erweist sich als in der Sache nicht begründet. Im Ergebnis hat das Erstgericht zu Recht auf die zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage die streitgegenständlichen Bescheide aufgehoben und den Beklagten zur Gewährung von LErzg verpflichtet.

Rechtsgrundlage für die Gewährung bayerischen Landeserziehungsgeldes ist das Gesetz zur Gewährung eines LErzg und zur Ausführung des BErzGG (BayLErzGG) vom 12.06.1989 (GVBl.1989.206). Anspruch auf BayLErzg hat gemäß Art.1 Abs.1 BayLErzGG in der für Geburten vor dem 01.07.1993 geltenden Fassung (GVBl.1989.206), wer seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate in Bayern hatte (Nr.1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zustand, in einem Haushalt lebte (Nr.2), dieses Kind selbst betreute und erzog (Nr.3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübte (Nr.4) und schließlich die deutsche Staatsangehörigkeit oder diejenige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besaß (Nr.5).

Nach Art.3 wurde LErzg ab dem in § 4 Abs.1 BErzGG für das Ende des Bezuges von Bundeserziehungsgeld festgelegten Zeitpunkt bis zur Vollendung von weiteren 6 Lebensmonaten des Kindes gewährt (Abs.1). Vor dem Ende des 6. Bezugsmonats endete der Anspruch mit dem Ablauf des Lebensmonats, in dem eine der Anspruchsvoraussetzungen entfallen ist. Im Fall der Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit endete der Anspruch mit dem Beginn der Erwerbstätigkeit (Abs.3). Nach Art.5 betrug das LErzg DM 500,00 monatlich. Bei Überschreiten der nach §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Einkommensgrenzen wurde es auf den Betrag von 5/6 des nach §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Bundeserziehungsgeldes gekürzt (Abs.1 S.1, 2).

In der vorliegenden Streitsache erfüllt die Klägerin nach dem Sachverhalt unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nrn.1 mit 4 BayLErzGG, denn sie hat nach Aktenlage ihren Wohnsitz seit 23.08.1989 in Bayern, lebt mit ihrem am ... 1991 im Kreis Hof geborenen Sohn Ferhat, für den ihr die Personensorge zusteht, und mit ihren Mann in einem Haushalt, betreut das Kind selbst und übt keine Erwerbstätigkeit aus. Nach der Überzeugung des Senats steht auch die Nr.5 der Vorschrift dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen. Zwar besaß die Klägerin im Bewilligungszeitraum weder die deutsche Staatsangehörigkeit noch die eines Mitgliedstaates der EU. Insoweit sind jedoch aufgrund der vorliegenden türkischen Staatsangehörigkeit die Regeln über die seit 1963 bestehende Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei zu beachten.

Das am 12.09.1963 von den vertragschließenden Parteien unterzeichnete und durch Beschluss 64/732 EWG des Europäischen Rates vom 23.12.1963 im Namen der Gemeinschaft geschlossene, gebilligte und bestätigte Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl.II 1964 S.509) hat zum Ziel, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien zu fördern, vgl. Art.2 Abs.1. Bis zur Erreichung des Ziels wird es der Türkei ermöglicht, ihre Wirtschaft mit Hilfe der Gemeinschaft zu festigen, Art.3. Schrittweise ist die Errichtung einer Zollunion und die Annäherung der Wirtschaftpolitiken vorgesehen, Art.4; in der Endphase werden die Wirtschaftspolitiken verstärkt und koordiniert, Art.5. Weiterhin bestimmt Art.9 des Abkommens, dass die Vertragspartner den Grundsatz des Verbots jeder Diskrimierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit anerkennen. Art.12 enthält die Vereinbarung der Partner, sich von den Art.48 mit 50 des EG-Vertrages leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. Das Abkommen wird ergänzt durch ein Zusatzprotokoll vom 19.12.1972 (ABl. L 293), welches Bedingungen, Einzelheiten und den Zeitplan für die Verwirklichung der in Art.4 des Abkommens genannten Übergangsphase festlegt. Dessen Art.39 sieht einen Assoziationsrat vor, der auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit und für deren in der Gemeinschaft wohnenden Familien Regelungen erlässt. Dieser Rat erließ am 19.09.1980 den Beschluss Nr.3/80 (- ARB - ABl. Nr.C 110/60) über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige, welche die Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten dahingehend koordinieren soll, dass türkische Arbeitnehmer, die in einem oder in mehreren Mitgliedstaaten beschäftigt sind oder waren, sowie deren Familienangehörige und Hinterbliebenen Leistungen in den herkömmlichen Zweigen der sozialen Sicherheit beziehen können (vgl. EuGH Urteil vom 04.05.1999 C-262/96 in SozR 3-6935 Allg. EWG-Abkommen Türkei Nr.4). Art.3 Abs.1 des Beschlusses lautet: "Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen und für die dieser Beschluss gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit dieser Beschluss nichts anderes bestimmt."

Damit hat die Klägerin unter denselben Voraussetzungen wie Deutsche oder EU-Staatsangehörige Anspruch auf LErzg, vgl. Urteile des EuGH vom 12.05.1998 C-85/96 in SozR 3-7833 § 1 Nr.22 und vom 04.05.1999 a.a.O. Denn es besteht kein sachlicher Grund dafür, die Klägerin als türkische Staatsangehörige von der Gewährung des LErzg auszuschließen. Zwar ist es im Hinblick auf Art.3 Abs.1 GG grundsätzlich nicht gleichheitswidrig, bei der Gewährung staatlicher Leistungen an die Staatsangehörigkeit der Empfängerin anzuknüpfen. Die Staatsangehörigkeit gehört nämlich nicht zu den in Art.3 Abs.3 GG genannten Merkmalen, an die bei der Vergabe staatlicher Leistungen schlechthin nicht angeknüpft werden darf, vgl. Urteile des BSG vom 03.11.1993, 14 B REg 6/93 in SozR 3-6935 Allg. EWG-Abk Türkei Nr.1, und des BVerwG vom 18.12.1992, 7 C.12.92 in DVBl.1993.787 ff. Etwas anderes ergibt sich jedoch im vorliegenden Fall nach dem Assoziationsrecht zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei.

Wie der EuGH in seiner Entscheidung vom 04.05.1999 (vgl. Leitsatz 1) in Bezug auf das Kg ausdrücklich festgestellt hat, verbietet es Art.3 Abs.1 ARB 3/80 einem Mitgliedstaat, den Anspruch einer türkischen Staatsangehörigen auf Kindergeld, für die dieser Beschluss gilt und der er den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet gestattet hat, die jedoch nur eine zu einem bestimmten Zweck erteilte befristete Aufenthaltsbewilligung besitzt, vom Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis abhängig zu machen, während Inländer insoweit nur einen Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat haben müssen.

Denn das in der Bundesrepublik gewährte Kg gehört nach der Rechtsprechung des EuGH unstreitig zu den "Familienleistungen" i.S. des Art.4 Abs.1h des ARB Nr.3/80. Dessen Art.1 Buchst. a verweist u.a. hinsichtlich des Begriffs der "Familienleistungen" auf Art.1 der EWGVO Nr.1408/71, welcher darunter alle Sach- und Geldleistungen versteht, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Art.4 Abs.1h der Verordnung genannten Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit bestimmt sind.

Mit Urteil vom 10.10.1996, C-245/94 und C-312/94, SozR 3-6050 Art.4 EWGVO 1408/71 Nr.8 (vgl. auch Urteil vom 12.05.1998, SozR 3-7833 § 1 BErzGG Nr.22) hat der Gerichtshof - verbindlich für die innerstaatliche Rechtsanwendung, vgl. BSG vom 10.07.1997, 14 REg 8/96 in SGb 1998 S. 589 - in Leitsatz 1 das Erzg nach dem BErzGG einer Familienleistung im obigen Sinne gleichgestellt. Denn nach den grundlegenden Merkmalen dieser Leistung (insbesondere Zweck und Voraussetzungen ihrer Gewährung) räumen die zugrunde liegenden Vorschriften den Berechtigten bei Erfüllung objektiver Voraussetzungen unabhängig von jeder auf einer Ermessensausübung beruhenden Einzelfallbeurteilung der persönlichen Bedürftigkeit ohne Weiteres einen Rechtsanspruch ein. Das BErzg bezweckt den Ausgleich von Familienlasten, denn einerseits wird es nur bei Vorhandensein von Kindern gewährt und hängt der Höhe nach teilweise vom Alter und der Zahl der Kinder sowie vom Einkommen der Eltern ab.

Andererseits soll es einem Elternteil ermöglichen, sich in der ersten Lebensphase eines Kindes dessen Erziehung zu widmen und dient dazu, die Erziehungsleistung anzuerkennen, die anderen Betreuungs- und Erziehungskosten auszugleichen und gegebenenfalls die finanziellen Nachteile abzumildern, die der Verzicht auf ein Vollerwerbseinkommen bedeutet.

Schließlich wird es ohne Rücksicht darauf gewährt, ob der Berechtigte Arbeitnehmer ist oder nicht.

Mit der Bejahung des Vorliegens einer Familienleistung ist, wie oben dargelegt, der sachliche Geltungsbereich des Beschlusses des Assoziationsrates 3/80 eröffnet.

Gleiches muss für das hier streitige LErzg gelten. Denn auch dieses soll als begrenzte Landesleistung über den Bezugszeitraum des BErzg hinaus eine intensive Familienbetreuung von Kleinkindern fördern und bedeutet eine Anerkennung und Begünstigung für die Erziehungsleistung von Müttern und Vätern. Es will die Leistungen des BErzGG ergänzen und orientiert sich ganz wesentlich an diesem. Beide Leistungen sind eng miteinander verknüpft und betreffen im Wesentlichen den gleichen Personenkreis, vgl. Bayer. Landtag Drs.11/11033 S.4, Drs.13/1492 S.5. Sein Hauptzweck besteht mit dem BSG, Urteil vom 03.11. 1993, 14b REg 6/93 (SozR 3-6935 All EWG-Abk Türkei Nr.1 S.6) darin, es zu ermöglichen oder zu erleichtern, dass sich ein Elternteil der Betreuung und Erziehung des Kindes in dessen erster Lebensphase widmet. Das BayLErzGG deckt sich dabei hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen weitgehend mit den BErzGG, vgl. BSG SozR 3-2200 § 1251a Nr.8 S.20, SozR 3-6935 Allg EWG-Abk Türkei Nr.1, sowie Drs.13/1492 S.5.

Die Klägerin wird ferner von dem persönlichen Anwendungsbereich nach Art.2 ARB Nr.3/80 erfasst. Denn einerseits wird mit dem EuGH, Urteil vom 10.10.1996, C-245/94 in SozR 3-6050 Art.4 EWGVO 1408/71 Nr.8 bei Familienleistungen, die zu Gunsten der Gesamtfamilie vorgesehen sind, nicht mehr zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten unterschieden. Andererseits ist als Arbeitnehmer im Sinne des vorgenannten Beschlusses jede Person anzusehen, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken pflicht- bzw. freiwillig versichert ist, welche von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer erfasst werden, Art.1 Buchstabe b des ARB 3/80. Der Arbeitnehmerbegriff dieser Regelung stimmt weitgehend überein mit der in Art.1 a der EWGVO 1408/71 enthaltenen Definition. Insoweit ist unstreitig, dass die Klägerin zum einen Familienangehörige eines Arbeitnehmers im Sinne des Beschlusses 3/80, vgl. EuGH SozR 3-6935 Allg EWG-Abk Türkei Nr.4 S.49, zum anderen bei der Betriebskrankenkasse Schödel gegen das Risiko der Krankheit familienversichert war.

Entgegen der vom BSG in seiner Entscheidung vom 03.11.1993 in SozR 3-6935 Allg EWG-Abk Türkei Nr.1 vertretenen Auffassung hat der EuGH schließlich klargestellt, dass eine Bestimmung eines von der Gemeinschaft mit Drittländern geschlossenen Abkommens nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes als unmittelbar anwendbar anzusehen ist, wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Gegenstand sowie die Natur des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht mehr vom Erlass eines weiteren Aktes abhängen. Danach stellt der Wortlaut des Art.3 des Beschlusses klar, eindeutig und unbedingt das Verbot auf, Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen und für die der Beschluss Nr.3/80 gilt, aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu diskriminieren. Des Erlasses ergänzender Durchführungsbestimmungen bedarf es mit dem EuGH insoweit nicht. Art.3 Abs.1 formuliert vielmehr im Geltungsbereich dieses Beschlusses einen eindeutigen und unbedingten Grundsatz, der so ausreichend bestimmt ist, dass er unmittelbar vor einem nationalen Gericht angewandt werden kann, und der daher geeignet ist, die Rechtsstellung des Einzelnen zu regeln, vgl. EuGH, a.a.O. Nr.4, S.45.

Aufgrund der Darlegungen in der Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 zu ihrer zeitlichen Wirkung (a.a.O. Nr.4 S.51 f., Leitsatz 2) ist der Klägerin der streitgegenständliche Anspruch auf LErzg für den 19. mit 24. Lebensmonat (07.07.1992 mit 06.01.1993) des Kindes Ferhat zuzusprechen. Denn die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung des Gemeinschaftsrechts (Art.3 Abs.1 des Beschlusses 3/80) ist im Hinblick auf die bereits im November 1992 erhobene Klage auch auf Leistungen vor Erlass der Entscheidung vom 04.05.1999 anzuwenden. Die sonstigen Voraussetzungen der Leistungsgewährung sind, wie oben dargelegt, zwischen den Beteiligten aufgrund der Anknüpfung des BayLErzGG an das während der ersten 18 Lebensmonate des Kindes gewährte BErzg zu Recht nicht streitig, vgl. Art.5 Satz 1 BayLErzGG.

Die Kostenfolge ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang war der Beklagte zu Erstattung der notwendigen Aufwendungen zu verpflichten, die der Klägerin zu ihrer Rechtsverfolgung im Berufungsverfahren entstanden sind.

Der Senat hat die Revision wegen der Abweichung dieses Urteils von einer Entscheidung des BSG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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