L 4 KR 58/96

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 Kr 106/92
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 58/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zur nachträglichen Überprüfung von Geschäftsfähigkeit.
2. Nur bei nachgewiesener Geschäftsunfähigkeit (und dadurch bedingte
Unterlassung von Beitragszahlung) endet die freiwillige Mitgliedschaft nicht.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 23. Februar 1996 aufgehoben.
II. Die Klage gegen den Bescheid vom 10. Januar 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 1992 wird abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die am ...1928 geborene und am 01.12.1996 verstorbene Mutter des Klägers, ... , über den 15.09.1990 hinaus freiwilliges Mitglied der Beklagten war.

Frau ... hatte sich am 23.10.1975 bis 28.05.1976 und vom 29.07.1976 bis 13.03.1977 stationär im Bezirkskrankenhaus Regensburg befunden und war am 27.12.1976 wegen Alkoholismus entmündigt worden. Der Kläger war damals ihr Vormund. Auf Drängen der Versicherten hatte das Amtsgericht Kelheim die Entmündigung 1986 wieder aufgehoben.

Die Beklagte teilte Frau ... mit Schreiben vom 31.07.1990 mit, der für Juni fällige Beitrag zur freiwilligen Versicherung stehe noch aus. Sie wies darauf hin, daß die freiwillige Mitgliedschaft erlösche, wenn für zwei Monate die fälligen Beiträge nicht entrichtet werden. Am 16.08.1990 wurde auf einen Beiträgsrückstand für zwei Monate aufmerksam gemacht und erneut auf die drohende Beendigung der Mitgliedschaft hingewiesen. Weitere Mahnungen erfolgten am 21.08. und am 17.09.1990. Mit Schreiben vom 17.09.1990 teilte schließlich die Beklagte Frau ... mit, die Mitgliedschaft ende zum 15.09.1990.

Etwa zeitgleich, am 31.07.1990, wandten sich die Bevollmächtigten des Vermieters der Frau ... an das Amtsgericht Regensburg, Vormundschaftsgericht, mit der Bitte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, weil die Befürchtung nahe liege, Frau ... sei wiederum dem Alkohol verfallen. Nach Anhörung der Versicherten sah die Vormundschaftsrichterin am 31.10.1990 von der Anordnung einer Gebrechlichkeitspflegschaft ab, weil keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme von Geschäftsunfähigkeit vorlägen. Alkoholabhängigkeit allein genüge nicht.

Am 10.05.1991 beantragte die Gemeinde Lappersdorf (Wohnort der Frau ...), einen Pfleger mit dem Wirkungskreis Aufenthaltsbestimmung und Vermögensverwaltung wegen drohender Verwahrlosung zu bestellen. Frau ... sei schwer krank (Alkohol). Am 14.05. 1991 untersuchte der Arzt für Allgemeinmedizin Dr ... Frau ... und wies sie wegen chronischem Alkoholabusus in stationäre Krankenhausbehandlung ein. Frau ... befand sich bis 07.06.1991 im Kreiskrankenhaus Wörth an der Donau und ab 09.07. 1991 im Bezirkskrankenhaus Regensburg. Am 09.07.1991 erfolgte eine Untersuchung der Frau ... durch den Landgerichtsarzt beim Landgericht Regensburg mit anschließender nervenärztlicher Stellungnahme. Die Stellungnahme bezog sich auf eine Auskunft eines Mitarbeiters beim Ordnungsamt Lappersdorf. Dieser kenne Frau ... gut und habe in Erfahrung gebracht, daß sie erneut in eine Alkoholsucht rückfällig geworden sei. Die Anordnung einer Pflegschaft wurde ärztlicherseits empfohlen.

Am 27.11.1991 bestellte das Amtsgericht Regensburg, Vormundschaftsgericht, das Kreisjugendamt Regensburg zum Pfleger der Frau ... mit Wirkungskreis Vermögensverwaltung.

Am 12.12.1991 bat der Pfleger die Beklagte, Frau ... rückwirkend in die freiwillige Versicherung aufzunehmen. Sie sei im November 1990 nicht imstande gewesen, ihre vermögensrechtlichen Angelegenheiten selbständig zu regeln. Dies sei in erster Linie auf die psychische Erkrankung zurückzuführen.

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 10.01.1992 und 29.01.1992 eine Fortführung der freiwilligen Mitgliedschaft ab mit der Begründung, die Versicherung sei am 15.09.1990 kraft Gesetzes erloschen. Die ärztliche Bescheinigung des Dr ... vom 02.01.1992, wonach Frau ... vom 14.05.1991 bis 09.07.1991 wegen chronischem Alkoholabusus in ärztlicher Behandlung gestanden habe und Geschäftsunfähigkeit seit über einem halben Jahr vor Erstkontakt angenommen werden müsse, sei für die Entscheidung unerheblich.

Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Betreuers, der mit Bescheid vom 30.07.1992 zurückgewiesen wurde. Das Erlöschen der Mitgliedschaft werde nicht dadurch verhindert, daß die Geschäftsunfähigkeit nachträglich vermutet worden sei. Mit der zum Sozialgericht Regensburg erhobenen Klage ist das Ziel freiwilliger Mitgliedschaft Frau ... weiter verfolgt und beantragt worden, ihr die seit 16.09.1990 entstandenen Aufwendungen zu ersetzen. Das Sozialgericht Regensburg hat Befundberichte des Kreiskrankenhauses Wörth an der Donau und des Allgemeinarztes Dr ... beigezogen. Außerdem hat es den Schriftverkehr der Gemeinde Lappersdorf, die Wohnsituation und gesundheitliche Situation der Frau ... ab Mai 1991 betreffend, beigezogen. Die ebenfalls angeforderten Akten des Vormundschaftsgerichts Regensburg bezüglich der 1986 aufgehobenen Vormundschaft waren bereits ausgeschieden. Das Sozialgericht hat dann Beweis erhoben durch Ernennung des Arztes für Psychiatrie und stellvertretenden Direktors des Bezirkskrankenhauses Regensburg Dr ... zum ärztlichen Sachverständigen. Der Sachverständige sollte unter Berücksichtigung der vorhandenen Krankenunterlagen über frühere stationäre Aufenthalte nach Aktenlage überprüfen, ob bei Frau ... im Zeitpunkt Juli bis September 1990 Geschäftsunfähigkeit im Sinne des § 104 Ziff.2 BGB vorgelegen und falls ja, ob sie durchgehend bis 21.11.1991 bestanden habe.

Der Gutachter hat nach Hinweis darauf, daß zwischen 1987 und 1990 eine bedenkliche Datenlücke klaffe, so daß eine klare Beantwortung der gestellten Gutachtensfrage nicht möglich sei, trotzdem im Gutachten vom 07.07.1994 ausgeführt, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit habe im streitgegenständlichen Zeitraum Geschäftsunfähigkeit vorgelegen. Seit 1976 bestehe ein organisches Psycho-Syndrom und Hirnschädigung nach langjährigem chronischen Alkoholkonsum. Die Geschäftsunfähigkeit habe durchgehend bis zur Pflegerbestellung vorgelegen. In der ergänzenden Stellungnahme vom 02.05.1995 hat der Gutachter darauf hingewiesen, ärztliche Unterlagen seien für den Zeitraum 06.03.1981 bis 14.05.1991 nicht vorhanden. Dies stelle jedoch kein prinzipielles Hindernis für die Begutachtung dar. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit könne bei Frau ... von Juli 1990 bis November 1991 Geschäftsunfähigkeit im Sinne des § 104 Abs.2 BGB angenommen werden.

Das Sozialgericht hat am 23.02.1996 die Beklagte verurteilt, die freiwillige Mitgliedschaft der Frau ... über den 15.09. 1990 hinaus fortzusetzen. Es ist der Auffassung, Frau ... habe zwar ab 01.06.1990 die fälligen Krankenversicherungsbeiträge nicht mehr bezahlt, der auf § 191 SGB V gestützte Ausschluß von der gesetzlichen Krankenversicherung sei dennoch rechtswidrig, weil Frau ... spätestens ab Juli 1990 geschäftsunfähig gewesen sei. Sie habe demnach nicht wirksam auf die Folgen der Nichtzahlung hingewiesen werden können. Die Geschäftsunfähigkeit ergebe sich mit hinreichender Sicherheit aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr ...

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die sie damit begründet, das Gutachten Dr ... lasse nicht den endgültigen Schluß zu, daß ab 1990 Geschäftsunfähigkeit vorgelegen habe. Geschäftsunfähigkeit sei nicht zu beweisen.

Nach dem Tode von Frau ... nahm der Kläger als ihr Sohn und Erbe das Verfahren auf. Er ist der Auffassung, der Teil der Behandlungskosten, der aus dem Vermögen seiner Mutter bezahlt worden ist, sei bei Bestehen einer Versicherung von der Beklagten zu tragen gewesen und stehe also ihm zu.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 23.02.1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 SGG). Sie ist begründet. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat die Beklagte mit Bescheid vom 10.01.1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.1992 zutreffend festgestellt, daß die freiwillige Mitgliedschaft der Frau ... am 15.09.1990 beendet war.

Gemäß § 191 Nr.3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) endet die freiwillige Mitgliedschaft mit Ablauf des nächsten Zahltages, wenn für 2 Monate die fälligen Beiträge trotz Hinweises auf die Folgen nicht entrichtet wurden.

Frau ... hat freiwillige Beiträge ab Juni 1990 nicht mehr bezahlt. Dies ist unbestritten. Die Beklagte hat sie mit Schreiben vom 31.07.1990 erstmals darauf hingewiesen, daß die Mitgliedschaft kraft Gesetzes mit Ablauf des nächsten Zahltages erlösche, wenn für zwei Monate die fälligen Beiträge trotz Hinweises auf die Folgen nicht entrichtet werden. Weitere Mahnschreiben erfolgten am 16.08. und 21.08.1990. Die Beklagte hat dabei auch, wie in der Literatur gefordert wird (Peters, KassKomm Rdz.13 zu § 191 SGB V), eine Nachfrist gesetzt, die Frau ... verstreichen ließ. Daß die genannten Schreiben nicht zugegangen sind, ist nicht ersichtlich. Frau ... war nicht infolge Geschäftsunfähigkeit an der rechtzeitigen Entrichtung der Beiträge gehindert und ohne gesetzlichen Vertreter.

Der Senat ist zwar wie das Sozialgericht der Auffassung, daß die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18.08.1992 (12 RK 32/92), wonach die freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 314 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht erlöschen konnte, solange der Versicherte infolge Geschäftsunfähigkeit an der rechtzeitigen Entrichtung der Beiträge gehindert und ohne gesetzlichen Vertreter war, auch auf die Nichtentrichtung von Beiträgen und deren Rechtsfolge in § 191 SGB V anzuwenden ist. Der Senat kann jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr ... das Vorliegen von Gechäftsunfähigkeit der Frau ... entnehmen.

Da das Betreuungsgesetz erst am 01.01.1992 in Kraft trat, ist Geschäftsunfähigkeit an Hand der bis 31.12.1991 geltenden Fassung des § 104 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu überprüfen. Nach § 104 Ziff.3 BGB ist geschäftsunfähig, wer wegen Geisteskrankheiten entmündigt ist. Dies war Frau ... 1990 nicht. Nach § 104 Ziff.2 BGB ist außerdem geschäftsunfähig, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist.

Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß ein wegen Trunksucht Entmündigter gemäß § 114 BGB nicht geschäftsunfähig war, sondern lediglich beschränkt geschäftsfähig (§§ 106 bis 113 BGB) geht der Senat davon aus, daß Alkoholismus allein nicht ausreichend ist, die Voraussetzungen des § 104 Ziff.2 BGB annehmen zu können (so auch BayObLG vom 30.11.1989 - NJW 90, 774). Mit dieser zutreffenden Begründung hat auch die Vormundschaftsrichterin 1990 ein Tätigwerden abgelehnt. Die krankhafte Störung muß die freie Willensbestimmung ausschließen. Das ist der Fall, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Für das Vorliegen dieser Voraussetzung besteht auch dann keine Vermutung, wenn der Betroffenen seit längerem an geistigen Störungen leidet. Bloße Willensschwächen oder leichte Beeinflußbarkeit genügen nicht, ebensowenig das Unvermögen, die Tragweite der abgegebenen Willenserklärungen zu erfassen (Heinrichs in Palandt, BGB, 49.Auflage, § 104 Anm.3 m.w.N.). Es kommt vielmehr darauf an, ob noch die Möglichkeit einer freien Entscheidung aufgrund einer Abwägung des Für und Wider besteht oder die Willensbildung durch unkontrollierte Triebe und Vorstellungen ähnlich mechanischen Verknüpfungen von Ursache und Wirkung bestimmt wird (BayObLG vom 30.11.1989 a.a.O.). Ein solcher Zustand, der weit über bloße Unvernunft und Nachlässigkeit hinausgeht, kann aus den vorhandenen Unterlagen nicht herausgelesen werden.

Frau ... ist 1990 nicht ärztlich begutachtet worden. Ärztliche Unterlagen liegen für die Zeit von 1981 bis 1991 überhaupt nicht vor. Im übrigen klafft, wie der Gutachter des Sozialgerichts ausführt, zwischen 1987 und 1990 eine Datenlücke. Das heißt konkret, es ist bekannt, daß die Geschäftsunfähigkeit der Frau ... 1986 beendet wurde (hierzu sind Akten nicht mehr vorhanden). Weiter ist durch das Schreiben der Bevollmächtigten der Vermieter aktenkundig, daß Frau ... seit 01.07.1986 eine Wohnung gemietet und bewohnt hat. Aus dem Jahre 1990 ist das Schreiben der Vermieterbevollmächtigten vorhanden sowie die Notizen der Vormundschaftsrichterin.

Erst im Mai 1991, als Frau P. ihre Wohnung räumen mußte, ins Obdachlosenasyl eingewiesen wurde und wohl verwahrlost war, erfolgte wieder ärztliche Betreuung, und zwar ab 14.05. im Kreiskrankenhaus Wörth an der Donau. Die dortige Schilderung der Anamnese (seit 14 Tagen schlechtes Allgemeinbefinden, seit einem halben Jahr schlechte bis gar keine Ernährung) veranlaßten den Allgemeinarzt Dr ... zu der Aussage, der im Mai 1991 vorliegende Zustand der Frau ... habe auch schon vor einem halben Jahr vorgelegen. Die Richtigkeit dieser Annahme unterstellt, reicht ein ein halbes Jahr zurückliegender Zustand nicht zur Begründung von Geschäftsunfähigkeit im Juni 1990 aus. Wenn der Gutachter des Sozialgerichts aus den aktenkundigen Unterlagen den Schluß zieht, Geschäftsunfähigkeit habe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits im Juni 1990 vorgelegen, kann seinen Ausführungen nicht gefolgt werden. Mit dieser Schlußfolgerung hat der Sachverständige über sein Fachgebiet hinaus (wenn auch in entsprechender Beantwortung der insoweit unzulässigen Fragen des Sozialgerichts) einen Rechtsbegriff versucht auszufüllen, was allein richterliche Aufgabe ist. Gleichwohl läßt sich sein Gutachten zur Beurteilung des hier relevanten Bewußtsteinsstatus, wie er oben beschrieben ist, verwenden. Ärztliche Unterlagen von vor 1986 lassen keine Schlußfolgerungen zu. Es steht nämlich fest, daß die Entmündigung der Klägerin 1986 aufgehoben wurde. Diese Entscheidung kann nicht als unzutreffend angesehen werden, wie der Gutachter mutmaßt. Zwar liegen ärztliche Gutachten nicht mehr vor, es steht jedoch fest, daß sich der Zustand der Frau ... so geändert hatte, daß sie aus der Heimunterbringung ausziehen konnte, eine Wohnung mieten und dort zumindest bis Mai 1990 unauffällig und wohl ohne ärztliche Betreuung leben konnte. Von einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit kann damit ab 1986 nicht mehr ausgegangen werden.

Dem Gutachter ist zu folgen, daß Frau ... als chronische Alkoholikerin irgendwann wieder im Übermaß Alkohol zu sich nahm und dann außerstande war, ihr Leben zu organisieren, ganz erheblich verwahrlost und offensichtlich geschäftsunfähig war. Nicht zu folgen ist ihm, wenn er meint, es müsse ein positiver Anhaltspunkt dafür abzuleiten sein, daß Frau ... tatsächlich alkoholabstinent und geschäftsfähig war. Es ist vielmehr so, daß Geschäftsfähigkeit der Normalfall, Geschäftsunfähigkeit die Ausnahme ist. Nnachgewiesen werden muß das Vorliegen des Ausnahmefalles (Heinrichs a.a.O., Anm.6 zu § 104 BGB m.w.N.). Daß sich Frau ... seit 1986 nicht mehr um die Angelegenheiten ihres Schwerbehindertenausweises und (zumindest 1990) nicht um ihre Krankenversicherung gekümmert hat, mag zwar auch eine typische Erscheinung von chronischen Alkoholikern bzw. von Patienten mit organischen Hirnschädigungen sein, ist darüber hinaus jedoch bei einer großen Zahl von eindeutig nicht geschäftsunfähiger Personen bekannt und, was die Krankenversicherung betrifft, beim Senat streitgegenständlich.

Schließlich hält es der Senat nicht für zulässig, aus den im Mai 1991 vorgefundenen Zuständen der Wohnung der Frau ... darauf zu schließen, daß ein solcher Zustand Ursache der vom Vermieter genannten Geruchsbelästigung im Mai 1990 war und durchgehend so bestand. Der Gutachter schreibt nämlich selbst, daß wenige Tage ausgereicht haben, die Obdachlosenunterkunft, in die Frau ... im Mai 1991 verbracht worden war, total verwahrlosen und verschmutzen zu lassen. Damit ist nicht mindestens ab Mai 1990 belegt, daß Frau ... wieder massiv verwahrlost war, was angesichts des zugrunde liegenden Krankheitsbildes als Ausdruck ihrer Geschäftsunfähigkeit zu werten wäre.

Mangels nachgewiesener Geschäftsunfähigkeit der Frau ... im Jahre 1990 bleibt es damit bei einem Ende der Mitgliedschaft am 15.09.1990.

Auch eine Umdeutung des Antrags des Betreuers vom 12.12.1991, Frau ... rückwirkend in die freiwillige Versicherung aufzunehmen, in einen Antrag auf freiwillige Mitgliedschaft für die Zukunft, führt nicht zur freiwilligen Versicherung. Zwar können gemäß § 9 Abs.1 Ziff.4 SGB V Schwerbehinderte der Versicherung beitreten. Die Satzung kann jedoch das Recht zum Beitritt von einer Altersgrenze abhängig machen. Dies hat die AOK Bayern in ihrer Satzung getan. Nach § 7 Abs.2 können nämlich Schwerbehinderte nur bis zur Vollendung des 50. Lebensjahres beitreten.

Wegen des Fehlens insbesondere ärztlicher Unterlagen hält der Senat es nicht für sachdienlich, ein weiteres Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Obsiegen der Beklagten und Berufungsklägerin.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved