L 4 Kr 36/95

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 3 Kr 443/90
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 Kr 36/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Beschäftigung eines Sohnes im Second-Hand-Laden seiner Mutter, die
nicht als Ersatz für eine fremde Arbeitskraft aufgenommen wurde, dem Bedarf
entsprechend flexible Arbeitszeit mit wöchentlicher Barentlohnung beinhaltete
und deren Ende nicht angegeben werden konnte, ist familienhafte Mitarbeit.
Versicherungspflicht besteht nicht.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 22. März 1995 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist noch, ob der am ...1963 geborene Kläger bei der Beigeladenen zu 1), seiner Mutter, ab 15.06.1991 versicherungspflichtig beschäftigt war.

Der Kläger, der von seinem Großvater und vormaligen Vertreter als schwer psychisch krank beschrieben wurde, war zuletzt vom 23.05.1989 bis 31.05.1989 als Taxifahrer versicherungspflichtig beschäftigt.

Am 23.11.1989 meldete ihn die Beigeladene zu 1.), der er seit Oktober 1989 zur Hand ging und die einen Second-hand-Laden betreibt, bei der Beklagten zum 01.11.1989 an. Vom 30.11.1989 bis 16.02.1990 befand sich der Kläger erstmals in stationär-psychiatrischer Behandlung in der Nervenklinik der Universität München. Bei der Anamnese war der 21.11.1989 als letzter Arbeitstag angegeben worden. Eine Abmeldung erfolgte nicht.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 19.02.1990 fest, der Kläger unterliege aufgrund der Mithilfe im Betrieb seiner Mutter nicht der Kranken- und Angestelltenrentenversicherungspflicht.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17.10.1990 abgewiesen. Der Kläger erhob Klage zum Sozialgericht München am 05.12.1990, zunächst auf Leistungen aus dem vorherigen Versicherungsverhältnis als Taxifahrer.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der Nervenklinik der Universität München beigezogen. Danach waren weitere stationäre Behandlungen des Klägers vom 27.05.1990 bis 30.07.1990 und vom 19.08. bis 15.10.1990 erforderlich. Anschließend hielt sich der Kläger bis 06.07.1991 im sozial-psychiatrischen Zentrum Haus an der Teutoburger Straße auf.

Die Beigeladene zu 1) wandte sich mit Schreiben vom 07.01.1992 an die Beklagte und teilte mit, der Kläger sei vom 30.11.1991 bis 09.12.1991 stationär in nervenärztlicher Behandlung im Bezirkskrankenhaus Haar gewesen. Weiter gab sie an, der Kläger arbeite seit 15.06.1991 erneut in ihrem Geschäft. Eine Anmeldung zu diesem Datum sei erfolgt. Es wurde ein Vertrag vom 15.06.1991 vorgelegt, nach dem der Kläger als Verkaufshilfe gegen ein Bruttoentgelt von 1.330,- DM pro Monat bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 23 Stunden tätig sein sollte.

Am 15.01.1992 beantragte dann der Bevollmächtigte des Klägers, ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis ab 15.06. 1991 festzustellen. Die Beklagte lehnte dies mit weiterem an den Kläger und seine Mutter gerichteten Bescheid vom 29.05.1992 ab mit der Begründung, eine Mitgliedschaft des Klägers sei auch zu diesem Zeitpunkt nicht zustande gekommen, weil es sich nur um familienhaft geprägte Mithilfe handeln könne. Der Kläger sei schon aufgrund seines schweren psychischen Leidens nicht in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung kontinuierlich zu verrichten.

Am 08.08.1994 erstattete der Sachverständige Dr ... auf Aufforderung des Sozialgerichts ein Gutachten nach Aktenlage, das durch die Stellungnahme vom 05.12.1994 ergänzt wurde und zu dem Ergebnis kam, der Kläger sei zum Zeitpunkt 15.06.1991 nicht arbeitsfähig gewesen.

Die Klage wurde nach Anhörung einer Mitarbeiterin im Geschäft der Mutter mit Urteil vom 22.03.1995 abgewiesen. Ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis ab 15.06.1991 sei auch an der Rechtsfigur des sogenannten mißglückten Arbeitsversuchs gescheitert.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung. Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 16.10.1997 die Beigeladene zu 1) und den Kläger gehört.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 22.03.1995 abzuändern und den zugrunde liegenden Bescheid der Beklagten vom 29.05.1992 aufzuheben und festzustellen, daß ab 15.06.1991 ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zwischen ihm und der Beigeladenen zu 1) vorgelegen hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die ihrer Meinung nach zutreffende Entscheidung des Sozialgerichts.

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, insbesondere die Protokolle der mündlichen Verhandlung, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 SGG statthafte Berufung, die nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf und form- und fristgerecht eingelegt wurde (§ 151 SGG), ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Zu Recht ist das Sozialgericht davon ausgegangen, daß der im Laufe des Klageverfahrens ergangene - nunmehr allein noch streitgegenständliche - Bescheid vom 29.05.1992 nach § 96 SGG Verfahrensgegenstand geworden war.

Der Kläger war in der noch streitgegenständlichen Zeit ab 15.06.1991 (ein Ende konnte keiner der Beteiligten angeben), nicht bei seiner Mutter, der Beigeladenen zu 1), versicherungspflichtig beschäftigt.

Es bestand weder Versicherungspflicht in der Krankenversicherung gemäß § 5 Abs.1 Nr.1 SGB V noch in der Rentenversicherung gemäß § 1 S.1 Nr.1 SGB VI. Es bestand auch kein zur Bundesanstalt für Arbeit beitragspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gemäß § 168 AFG.

Die für alle drei Versicherungszweige vorausgesetzte Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs.1 SGB IV (§ 1 Abs. 1 SGB IV, § 173a AFG, jeweils in der bis 31.12.1997 geltenden Fassung) die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

Grundsätzlich ist eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht bereits dadurch ausgeschlossen, daß jemand für seinen Ehegatten oder Verwandte tätig ist (BSG-Urteil vom 23.06.1994, 12 RK 50/93, SozR 3-2500 § 5 Nr.17 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hängt die Abgrenzung zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis und familienhafter Mithilfe von den Gesamtumständen des Einzelfalles ab. Ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis setzt neben der Eingliederung des Beschäftigten in den Betrieb und dem ggf. abgeschwächten Weisungsrecht des Arbeitgebers voraus, daß der Beschäftigte ein Entgelt erhält, das einen angemessenen Gegenwert für die geleistete Arbeit darstellt. Weitere Abgrenzungskriterien sind, ob ein schriftlicher Arbeitsvertrag abgeschlossen worden ist, ob das gezahlte Entgelt der Lohnsteuerpflicht unterliegt, als Betriebsausgabe verbucht und den Angehörigen zur freien Verfügung ausgezahlt wurde und schließlich, ob der Angehörige eine fremde Arbeitskraft ersetzt. Beim Kläger deutet alles auf eine familienhafte Mithilfe hin, bei der die Rückgewinnung sozialer Verhaltensmuster im Vordergrund stand und nicht ein "ernsthaft gewolltes und vereinbarungsgemäß durchgeführtes entgeltliches Beschäftigungsverhältnis" (so BSG vom 23.06.1994 a.a.O. Seite 59). Nach dem Scheitern der rehabilitiven Unterbringung um Haus Teutoburger Straße hat ihn seine Mutter zu sich in ihr Geschäft genommen, wo er sich durchaus nützlich machte, aber keine wirkliche Arbeitskraft abgab.

Die Beteiligten bestreiten nicht, daß der Kläger keine fremde Arbeitskraft ersetzt hat, es steht vielmehr aufgrund der Angaben der Beigeladenen zu 1) und des Klägers für den Senat fest, daß die Tätigkeit des Klägers, so wie sie gestaltet war, überhaupt nicht von einer familienfremden Arbeitskraft ausgeführt worden wäre. Dies betrifft zum einen die Art der Bezahlung. Wöchentliche Entlohnung in bar ist bei Angestellten absolut unüblich. Ebenso ist eine nach Bedarf flexible Arbeitszeit mit fremden Beschäftigten kaum zu handhaben. Andererseits ist auch kaum vorstellbar, daß ein fremder Arbeitgeber den Kläger in Kenntnis seines Gesundheitszustandes überhaupt beschäftigt hätte. Schließlich spricht die Unfähigkeit der Beteiligten, einen Termin anzugeben, bis wann das Beschäftigungsverhältnis gedauert haben soll, gegen eine versicherungspflichtige Beschäftigung. Fremde versicherungspflichtig Beschäftigte werden nämlich nicht nur angemeldet, sondern auch abgemeldet. Es ist von familienhafter Mithilfe auszugehen. Deshalb kann offen bleiben, ob es sich um einen mißglückten Arbeitsversuch eine Rechtsfigur, die nach Ansicht des 12. Senats BSG im Urteil vom 04.12.1997 - 12 Rk 46/94 seit 01.01.1989 keine Anwendung mehr finden dürfe, weil zu diesem Datum das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung "vollständig neu geregelt worden" sei, gehandelt hat.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Obsiegen der Beklagten.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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