L 4 Kr 88/95

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 Kr 109/93
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 Kr 88/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Kosten für Inlays werden nur dann in vollem Umfang übernommen, wenn
eine Amalgamallergie oder Intoxikation mit anerkannten Methoden nachgewiesen
ist und eine Versorgung mit anderen anerkannten und erprobten
Füllungsmaterialien ebenfalls nicht möglich ist.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Mai 1995 wird zurückgewiesesn.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, die vollen Kosten für die Versorgung des Versicherten mit Goldinlays zu übernehmen.

Der am ...1938 geborene und am 01.03.1997 gestorbene Versicherte ... war Mitglied der Beklagten. Die Kläger sind seine Erben.

Am 09.09.1992 ging bei der Beklagten ein Heil- und Kostenplan des Zahnarztes Dr ..., betreffend eine Behandlung mit insgesamt 13 mehrflächigen Inlays ein. Laut Privatliquidation desselben Zahnarztes vom 12.11.1992 erfolgte die Behandlung vom 01. bis 03.09.1992. Es wurden insgesamt 5.609,97 DM in Rechnung gestellt (GOZ Nrn.216, 217).

Der Versicherte legte die Rechnung am 19.11.1992 der Beklagten zusammen mit einem Speicheltest vom 31.01.1992 und Schrifttum zur Amalgamproblematik vor mit dem Antrag, die gesamten Kosten zu übernehmen. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 10.12.1992 mit der Begründung ab, eine Beteiligung über den Festzuschuß hinaus sei nicht möglich (Zuschuß insgesamt DM 2.610,-).

Gegen diesen Bescheid richtete sich der Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.1993 zurückwies. Über den bezahlten Betrag von 2.610,- DM hinaus könne kein Zuschuß gewährt werden, weil weder eine Allergie gegen praxisübliches Füllungsmaterial noch eine Quecksilberintoxikation nachgewiesen worden sei.

Hiergegen richtete sich die zum Sozialgericht Ulm erhobene und mit Beschluss vom 02.08.1993 an das Sozialgericht Augsburg verwiesene Klage. Zur Begründung wurde eine Bescheinigung des behandelnden Zahnarztes Dr ... vom 19.07.1993 vorgelegt, wonach beim Versicherten das deutliche Bild einer Quecksilberstomatitis bestanden habe. Laboruntersuchungen der Quecksilberkonzentration im Speichel hätten dies bestätigt. Die großen Amalgamfüllungen seien deshalb ausgetauscht worden. Wegen Form und Größe der Defekte sei nur eine Inlayversorgung mit einer Goldlegierung in Betracht gekommen.

Das Sozialgericht holte Befundberichte der behandelnden Ärzte des Versicherten ein. Dabei legte die Hautärztin Dr ... ein Testungsergebnis vor, wonach der Epikutantest auf Amalgam negativ war. Der Internist Dr ... berichtete von einer Rektumkarzinom-Erkrankung des Klägers im Jahr 1991 mit Lokalrezidiv im Mai 1994 und anschließender Chemotherapie. Beim Heilpraktiker und Diplom-Psychologen ... wurde laut dessen Bestätigung eine Amalgam-Quecksilber ausleitende-Behandlung (im September 1992) durchgeführt.

Das Sozialgericht hat den Vorstand des Lehrstuhls für Toxikologie und Pharmakologie am Inst. für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Erlangen-Nürnberg, Prof.Dr ... als Sachverständigen gehört. In dessen Gutachten vom 10.03.1995 wird dargelegt, daß nach schulmedizinischer Auffassung beim Versicherten kein Hinweis durch den Speicheltest geliefert wurde, um mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine allgemeine toxische Reaktion auf seine Amalgamfüllungen annehmen zu können. Außerdem hätten die Voraussetzungen nicht vorgelegen, wonach der Ersatz einer Amalgamfüllung indiziert gewesen sei. Der Klägerbevollmächtigte kritisierte das Gutachten u.a. deshalb, weil der Kläger nicht persönlich untersucht worden war.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 30. Mai 1995 abgewiesen mit der Begründung, aufgrund des Speichelkaugummitests sei eine Quecksilbervergiftung oder Quecksilberunverträglichkeit nicht nachgewiesen. Wegen der erfolgten Quecksilberausleitung sei eine Überprüfung auch nicht mehr nachholbar. Außerdem müsse eine Erstattung für die selbst beschaffte Leistung bereits deshalb ausscheiden, weil der Kläger sich vor Behandlungsbeginn nicht an die Beklagte gewendet habe.

Mit der Berufung gegen dieses Urteil macht der Kläger geltend, er habe rechtzeitig einen Antrag bei der Kasse gestellt. Die Tochter des Klägers legt in der mündlichen Verhandlung am 11.12.1997 entsprechende Unterlagen vor.

Der Klägervertreter beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30.05.1995 aufzuheben und die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 10.12.1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.1993 zu verurteilen, den Rechtsnachfolgern des Vesicherten DM 2.999,97 zu bezahlen, hilfsweise, durch Einholung eines Gutachens nach § 109 SGG durch den Allgemeinarzt Dr ..., ... in Hochdorf bei Esslingen Beweis zu erheben, daß die Amalgambehandlung ursächlich war für die Schädigungen und daß der Speicheltest dies bestätigt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im übrigen wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143, 144 SGG statthafte Berufung, die form- und fristgerecht eingelegt wurde (§ 151 SGG) ist zulässig. Die Erben des Versicherten sind nach dessen Tod Kläger (§ 202 SGG i.V.m. § 239 ZPO). Die Klage erweist sich als unbegründet.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Übernahme der gesamten, privat liquidierten Kosten für Einlagefüllungen des Versicherten in Höhe von 5.609,97 DM, wovon die Beklagte bereits 2.610,- DM bezahlt hat.

Versicherte haben Anspruch auf Leistungen (§ 11 Abs.1 S.1 Nr.4 SGB V) zur Behandlung einer Krankheit. Zur Krankenbehandlung gemäß § 27 Abs.1 SGB V gehört auch die ärztliche und zahnärztliche Behandlung gemäß § 28 SGB V. Die Leistungen der Krankenkassen werden grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung gestellt (§ 2 Abs.2 SGB V), soweit das SGB V nichts Abweichendes vorsieht.

Der Versicherte hat keine Sachleistung in Anspruch genommen, sondern eine privatärztliche Vereinbarung mit dem behandelnden Zahnarzt getroffen und entsprechend die Behandlung durchführen lassen. Es kommt somit nur noch Kostenerstattung in Betracht.

Der Versicherte konnte als freiwilliges Mitglied sowohl nach § 12 Abs.3 der Versicherungsbedingungen der Beklagten i.V.m. Art.61 GRG wie auch nach § 25 Abs.1 der Satzung der Beklagten Kostenerstattung wählen, die Erstattung ist jedoch dem Grund und der Höhe nach begrenzt auf die Vergütung, die die Kasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Der Versicherte hätte keinen Anspruch auf die Versorgung mit Inlays als Sachleistung gehabt.

Hinsichtlich der im Streit stehenden Füllungen richtet sich der klägerische Anspruch auf entsprechende zahnärztliche Behandlungsmaßnahmen nach § 28 Abs.2 SGB V, der eine Vollversorgung als Sachleistung (§ 2 SGB V) normiert. § 28 Abs.2 Satz 1 SGB V begrenzt in Ergänzung zu § 12 SGB V diesen Anspruch auf eine ausreichende und zweckmäßige behandlung, ein Maßstab, der somit auch für die Versorgung mit Zahnfüllungen gilt. Was dem Grundsatz nach als ausreichend und zweckmäßig anzusehen ist, wird durch den Bundesausschuß der Zahnärzte und Krankenkassen gemäß §§ 91, 92 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB V beschlossen. Die von diesem Ausschuß erlassenen Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche kassenzahnärztliche Versorgung vom 07.12.1962 sind unter Geltung des SGB V fortgeschrieben worden und entfalten für die Beklagte und den Versicherten (wie auch den behandelnden Vertragsarzt gemäß § 81 Abs.3 SGB V) bindende Wirkung. Sie konkretisieren den gesetzgeberischen Willen zur Ausgestaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes und präzisieren damit gleichzeitig den Umfang der Leistungspflicht der Krankenkassen (vgl. BSG vom 20.03.1996 - BSGE 78, 70, 77). In den Richtlinien ist in Abschnitt 2 unter der Nr.3 und 4 sowohl in der 1993 wie auch jetzt geltenden Fassung die Zahnerhaltung durch Legung von Füllungen in den Vordergrund gestellt und dabei die Verwendung der anerkannten und erprobten plastischen Füllungsmaterialien (z.B. Amalgam, Composites) gemäß ihrer medizinischen Indikation in der Regel vorgeschrieben. Eine Ausnahme von dieser Regel mit der Folge, daß allein die vom Versicherten gewünschten Gußfüllungen zu legen wären, ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.

Bei ihm lag kein medizinisch begründeter Einzelfall vor, der die Beklagte zur vollen Versorgung mit Inlays gemäß § 28 Abs.2 SGB V verpflichtet hätte. Krankenkassen hatten jedenfalls in der streitigen Zeit die Kosten für Inlays dann zu übernehmen, wenn diese ausnahmsweise aus medizinischen Gründen notwendig waren, das heißt, die übliche Versorgung mit Füllungen aus Amalgam oder plastischen Materialien nicht möglich ist. Dies bedeutet entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten nicht etwa, daß bereits dann Inlays medizinisch notwendig sind, wenn Amalgamfüllungen wegen Quecksilberallergie oder Quecksilberintoxikation entfernt worden sind. Dann wäre als nächster Schritt zu überprüfen, welche anderen als Sachleistungen zur Verfügung zu stellende, geeignete Füllungsmaterialien wie z.B. Kunststoffe oder "Composite" verwendet werden können.

Bei dem Versicherten war laut hautärztlicher Feststellung der Epicutantest auf Amalgam negativ. Eine Amalgamallergie wird auch nicht behauptet. Außerdem ist beim Versicherten eine Quecksilbervergiftung nicht nachgewiesen. Der Senat hat bereits entschieden (Urteil vom 14.11.1996, L 4 Kr 125/94), daß er die medizinischen Ausführungen für überzeugend hält, wonach eine Quecksilbervergiftung durch Speicheltest nicht nachweisbar ist. Zu diesem Ergebnis kam im Fall des Versicherten auch der im Sozialgerichtsverfahren als Gutachter gehörte Prof.Dr ..., Vorstand des Lehrstuhls für Toxikologie und Pharmakologie der Universität Erlangen-Nürnberg. Der Senat geht wie Prof ... davon aus, daß zur Verifizierung und Beurteilung des Schweregrades einer Quecksilbervergiftung die Messung des Quecksilbergehalts des Blutes und der Quecksilberausscheidung mit dem Urin herangezogen werden müssen. Unterlagen über Auswertungen von Urinproben sind nicht vorhanden. Die blutchemischen Laborbefunde vom 02.02.1990 ergaben lt. Prof ... keinen Anhalt dafür, daß zu dieser Zeit eine Schädigung der Nierenfunktion bestanden hat, die als Hinweis auf eine Quecksilbervergiftung hätte angesehen werden können.

Nach dem Tod des Versicherten stellt sich die Frage nicht mehr, ob es überhaupt möglich gewesen wäre, eine Quecksilbervergiftung durch die entsprechenden Untersuchungen des Klägers nachzuweisen zu versuchen, obwohl das Amalgam bereits 1992 entfernt worden ist.

Eine Begutachtung nach Aktenlage (die auch der Klägerbevollmächtigte im Sozialgerichtsverfahren noch für unbrauchbar gehalten hat und die er jetzt beantragt) ist mangels zu beurteilender objektiver Befundunterlagen (Blut- und Urinwerte) nicht angezeigt. Ebenso ist der Hilfsantrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG durch den Allgemeinarzt Dr ... abzulehnen. Wie bereis dargelegt, erscheint der Nachweis der behaupteten Folgen der Amalgambehandlung beim Kläger nach Aktenlage nicht mehr möglich. Aber selbst wenn entgegen der bisherigen umfangreichen Sachaufklärung dieser Nachweis gelingen sollte, wäre dies für den vorliegenden Fall unmaßgeblich, weil allein daraus noch nicht der Anspruch auf die Versorgung mit Gußfüllungen erwüchse.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Obsiegen der Beklagten.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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