L 16 LW 31/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 5 LW 4/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 LW 31/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 30.06.2000 abgeändert.
II. Die Bescheide der Beklagten vom 01.03.1996, 12.04. 1996, 23.06.1998 und 27.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.12.1997 werden aufgehoben, soweit darin mit einer Erstattungsforderung aufgerechnet wird.
III. Die Beklagte hat der Klägerin die Hinterbliebenenrente in der von der Beklagten festgesetzten Höhe ab 01.03.1995 auszuzahlen.
IV. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
V. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zur Hälfte zu erstatten.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Anrechnung von Einkommen auf Hinterbliebenenrente und die Nachzahlung einbehaltener Rentenbeträge.

Die am ...1948 geborene Klägerin ist die Witwe des am 26.02. 1995 verstorbenen A.H., mit dem sie seit ...1972 verheiratet war. Sie bezieht Pachteinnahmen von 1.020,- DM jährlich, ein Erwerbseinkommen von ca. 48.000,- DM jährlich sowie eine Betriebsrente. Von der LVA Ober- und Mittelfranken erhält sie seit 01.03.1995 große Witwenrente. Für die 12 Kalendermonate nach dem Tod erfolgte keine Einkommensanrechnung, ab 01.03.1996 die Anrechnung von 10 %, ab 01.03.1997 die Anrechnung von 20 %, ab 01.03.1998 die Anrechnung von 30 % und seit 01.03.1999 die Anrechnung von 40 % des den Freibetrag gemäß § 97 Abs.2 SGB VI übersteigenden Einkommens ( = Kürzungsbetrag).

Nach der Hinterbliebenenrentenantragstellung vom 21.03.1995 bei der Beklagten schrieb die Beklagte der Klägerin am 25.04.1995, bislang habe noch nicht verbindlich entschieden werden können. Für die ersten drei Monate werde die Rente des Versicherten in der bisherigen Höhe weitergezahlt, um finanziellen Schwierigkeiten vorzubeugen. Ab 01.06.1995 würden Leistungen in der Höhe für Unverheiratete, wie sie der Klägerin voraussichtlich zustünden, weitergezahlt. Leistungen an den Verstorbenen waren mit Verfügung vom 14.03.1995 mit Ablauf des Todesmonats eingestellt worden.

Nachdem die Klägerin im Rahmen des § 106 ALG die Anwendung neuen Rechts gewählt hatte, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 01.03.1996 ab 01.03.1995 Hinterbliebenenrente gemäß § 14 ALG und rechnete ab 01.06.1995 den von der LVA festgstellten Kürzungsbetrag voll an. Eine Auszahlung erfolgte nicht, da der entsprechende Betrag bereits "an den verstorbenen Ehemann ausgezahlt" worden sei.

Mit Bescheid vom 12.04.1996 wurde eine Überzahlung in Höhe von 5.158,87 DM bei der Gegenüberstellung der "Auszahlung an den Verstorbenen" vom 01.03.1995 bis 29.02.1996 und der zustehenden Witwenrente vom 01.03.1995 bis 31.03.1996 nach Aufrechnung festgestellt und die Klägerin zur Überweisung aufgefordert.

Mit Neufeststellungsbescheid vom 23.06.1998 senkte die Beklagte den Kürzungsbetrag ebenso wie davor ab 01.03.1997 erneut ab 01.03.1998 wegen der höheren Einkommensanrechnung der LVA ab. Die Nachzahlung wurde mit der noch offenen Forderung aus der Vorschusszahlung aufgerechnet.

Laut Neufeststellungsbescheid vom 27.07.2000 wurde die Witwenrente ab 01.03.1999 ungekürzt bewilligt. Die Nachzahlung wurde zur Begleichung der Restforderung aus der Rentenüberzahlung herangezogen.

Gegen den Bescheid vom 01.03.1996 hatte die Klägerin am 10.04. 1996 Widerspruch erhoben. Sie machte geltend, gemäß § 29 ALG sei Einkommen, das bereits aufgrund einer anderen Regelung berücksichtigt worden sei, nicht nochmals nach ALG berücksichtigungsfähig. Der Verweis auf § 97 SGB VI schließe den Verweis auf § 314 Abs.3 SGB VI mit ein, wonach ein Jahr lang eine Einkommensanrechnung überhaupt nicht zu erfolgen habe. Dass das Einkommen von der LVA wegen § 314 Abs.3 SGB VI nur stufenweise berücksichtigt werde, ändere nichts daran, dass das gesamte Einkommen zu berücksichtigen sei. Die praktizierte Einkommensanrechnung würde den durch § 314 Abs.3 SGB VI geschaffenen Besitzschutz unterlaufen. § 97 Abs.3 betreffe nur die gesetzliche Rentenversicherung und sei erst bedeutsam, wenn die Einkommensanrechnung zu vollständigem Ruhen der vorrangigen Rente geführt habe. Der Widerspruch wurde am 23.12.1997 mit der Begründung zurückgewiesen, § 314 SGB VI gelte nicht für das ALG, weil dort eine spezielle Übergangsregelung in § 106 ALG getroffen worden sei.

Die dagegen am 20.01.1998 erhobene Klage begründete die Klägerin u.a. damit, für die Aufteilung des anzurechnenden Einkommens bestehe keine gesetzliche Grundlage und § 106 ALG sei keine Konkurrenz zu § 314 SGB VI. Das Sozialgericht Bayreuth wies die Klage am 30.06.2000 ohne mündliche Verhandlung ab. Die Anrechnung von Einkommen gemäß § 29 Abs.3 ALG sei nur ausgeschlossen, wenn dieses einmal berücksichtigt worden sei. Die Berücksichtigung werde dem Rentenversicherungsträger im ersten Jahr gemäß § 314 Abs.3 SGB VI verwehrt, so dass die Beklagte anrechnen dürfe. Die andere Kommentarmeinung zu § 98 SGB VI sei nicht einschlägig. Der Verweis auf § 97 SGB VI umfasse nicht den auf § 314 SGB VI.

Gegen das am 05.08.2000 zugestellte Urteil legte die Klägerin am 28.08.2000 Berufung ein und machte weiter geltend, § 97 SGB VI sei untrennbar mit § 314 Abs.3 SGB VI verbunden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth aufzuheben und festzustellen, die Einkommensanrechnung der LAK ist in der vorgenommenen Form unzulässig, die Rente der LAK ist ab Beginn in voller Höhe zu zahlen, einbehaltene Rentenbeträge sind nachzuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Bayreuth sowie der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch nur teilweise als begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 30.06.2000 ist ebenso abzuändern wie die Bescheide der Beklagten vom 01.03.1996, 12.04.1996, 23.06.1998 und 27.07.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.12.1997. Die Beklagte hat zwar die Hinterbliebenenrente zutreffend errechnet, sie durfte hingegen die Auszahlung nicht wegen Aufrechnung verweigern. Ihr stand kein Anrechnungs- oder Erstattungsanspruch zu. Der Antrag der Klägerin auf Nachzahlung der einbehaltenen Rentenbeträge ist daher begründet.

Nachdem die Klägerin die Anwendung des § 106 Abs.2 und 3 ALG nicht gewählt hat, was für Zugangsrenten in der Zeit vom 1. Januar 1995 bis zum 31. Dezember 1996 fakultativ gilt (§ 106 Abs.1 ALG), ist die Einkommensanrechnung gemäß § 28 ALG durchzuführen. Trifft danach eine Rente wegen Todes mit Einkommen (§§ 18 a bis 18 e des Vierten Buches Sozialgesetzbuch) des Berechtigten zusammen, gilt § 97 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch entsprechend mit der Maßgabe, dass auch die Grenzwerte dieser Vorschrift anzuwenden sind. § 28 regelt die Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf Renten an Hinterbliebene entsprechend der Regelung der gesetzlichen Rentenversicherung. Dadurch wird u.a. der bisher ab Überschreitung einer starren Einkommensgrenze vorgesehene Wegfall bzw. das Ruhen jeglicher Leistung vermieden, weil von dem den Freibetrag überschreitenden Einkommen nur 40 v.H. angerechnet werden.

Einkommen (§§ 18 a bis 18 e SGB IV) von Berechtigten, das mit einer Witwenrente zusammentrifft, wird hierauf angerechnet (§ 97 Abs.1, Ziff.1 SGB VI). Anrechenbar ist das Einkommen, das monatlich bei Witwenrenten das 26.4-fache des aktuellen Rentenwerts übersteigt. Von dem danach verbleibenden anrechenbaren Einkommen werden 40 v.H. angerechnet (§ 97 Abs.2 Satz 1 und 3 SGB VI). Unstreitig übersteigt das Einkommen der Klägerin den von LVA und Beklagter übereinstimmend festgestellten Freibetrag. Nicht strittig ist auch die Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens, worüber die LVA entschieden hat und woran die Beklagte gemäß § 18 b Abs.6 SGB IV gebunden ist. Strittig ist hingegen, ob das den Freibetrag übersteigende Einkommen von der LVA bereits berücksichtigt worden ist, so dass die Beklagte keine Anrechnung vornehmen darf.

Einkommen, das bei der Berechnung einer Rente aufgrund einer Regelung über das Zusammentreffen von Renten und von Einkommen bereits berücksichtigt wurde, wird bei der Berechnung dieser Rente aufgrund einer weiteren solchen Regelung nicht nochmals berücksichtigt (§ 29 Satz 3 ALG). Dieser Satz, der § 98 Satz 2 SGB VI entspricht, bedeutet, dass bei einem Zusammentreffen von Rente und Einkommen letzteres nur einmal berücksichtigt wird, wenn verschiedene Zusammentreffensregelungen die mehrfache Anrechnung identischen Einkommens auf eine Rente vorsehen. Entscheidend ist, dass damit die mehrfache Berücksichtigung von Einkommen bei der Berechnung einer Rente vermieden werden soll. So wird z.B. gemäß § 93 Abs.1 Nr.1 SGB VI die Verletztenrente aus der Unfallversicherung bei der Berechnung der Erziehungsrente berücksichtigt. Die Verletztenrente aus der Unfallversicherung wäre sodann gemäß § 97 Abs.1 als Einkommen gemäß § 18 a Abs.3 Nr.4 SGB IV auf die Erziehungsrente anzurechnen. Eine solche erneute Berücksichtigung unterbleibt gemäß Satz 2 (Gürtner in Kass.Kommentar, § 98 Rdz.3). In diesem Sinn ist auch die Kommentierung unter Ziff.6 des VDR-Kommentars zu § 98 SGB VI zu lesen. Dort wird diskutiert, ob die Verletztenrente im Rahmen von § 93 auch dann bei der Erziehungsrente berücksichtigt wurde, wenn die Erziehungsrente trotzdem ungekürzt zu leisten ist, weil sie zusammen mit der Verletztenrente den nach § 93 Abs.3 maßgebenden Grenzbetrag nicht überschreitet. Obwohl dies bejaht wird, ist dies vorliegend nicht relevant, weil dies lediglich vor dem Hntergrund geschieht, dass bei der Berechnung einer Rente Einkommen nicht doppelt berücksichtigt wird. Bei der Berechnung der ALG Hinterbliebenenrente wurde Einkommen jedoch nur einmal, nämlich im Rahmen des § 97 Abs.2 SGB VI, berücksichtigt. Hingegen ist mit der Berücksichtigung von Einkommen durch die LVA, sei es mit oder ohne Folgen auf die Rentenhöhe der LVA, die Anrechnung auf die Witwenrente nach dem ALG nicht ausgeschlossen. In den besonderen Gesetzesmaterialien zu Art.1 ASRG 1995 heißt es in der Begründung zu § 28 ALG, der nach der Durchführung der Einkommensanrechnung mit der gesetzlichen Rentenversicherung noch verbleibende anrechnungsfähige Einkommensbetrag werde nunmehr in der Alterssicherung der Landwirte berücksichtigt. (Materialband zum ASRG 1995, zusammengestellt vom Gesmtverband der Landwirtschaftichen Alterskasse, S.81 f). Der Vorrang der Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes nach der Vorschrift des Sechsten Buches vor der Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes im Sinne des ALG ergibt sich aus § 29 Satz 1 ALG.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist eine höhere Witwenrente auch nicht in analoger Anwendung des § 314 Abs.3 SGB VI gerechtfertigt. Entscheidend ist, dass es sich dabei um eine Sonderregelung zu § 97 handelt, wonach keine oder nur eine zeitlich und betragsmäßig abgestufte Einkommensanrechnung auf Witwenrenten stattfindet. § 28 ALG verweist hingegen ausdrücklich lediglich auf § 97 SGB VI betreffend der grundsätzlichen Anrechenbarkeit von Einkommen und der maßgeblichen Grenzwerte. Die Formulierung des § 28 ALG spricht daher dagegen, auch die Sonderregelungen zu § 97 SGB VI in die Verweisung miteinzubeziehen.

Die wörtliche Auslegung des § 28 ALG ist auch mit den Übergangsbestimmungen im ALG und SGB VI vereinbar. Für Hinterbliebenenleistungen, die wie bei der Klägerin bis zum 31. Dezember 1996 beginnen, gilt § 106 ALG. Dort wird den Hinterbliebenen ein differenziertes Wahlrecht eingeräumt, von dem die Klägerin nach entsprechender Aufklärung Gebrauch gemacht hat. Anders stellt sich das Übergangsrecht nach dem SGB VI dar. Im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung wurde die Anrechnung von Einkommen auf Hinterbliebenenrenten bereits mit Wirkung vom 01.01.1986 eingeführt. Das bis dahin geltende Recht hatte keine Einkommensanrechnung gekannt. Für Todesfälle in der Zeit vom 01.01.1986 bis 31.12.1995 wurde eine abgestufte Einkommensanrechnung eingeführt. Diese findet sich in § 314 SGB VI, der im Fall der Klägerin bei der Berechnung der Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch Anwendung gefunden hat. Die unterschiedliche Entwicklung des Hinterbliebenenrechts nach dem ALG und der gesetzlichen Rentenversicherung rechtfertigt unterschiedliche Übergangsregelungen. Hinzu kommt, dass die gesetzliche Rentenversicherung im Wesentlichen beitragsfinanziert ist, wohingegen die weitgehende Fremdfinanzierung dem System der landwirtschaftlichen Altershilfe weniger umfangreiche Übergangsregelungen erfordert. Es ist kein sachlicher Gesichtspunkt ersichtlich, weshalb die beiden Übergangsregelungen während ihres kurzzeitigen Überschneidens im Jahre 1995 kumulativ auf die Hinterbliebenenrente nach dem ALG angewendet werden sollen. Bei der Alterssicherung der Landwirte handelt es sich um ein eigenständiges Sicherungssystem, das eigenen Regelungen folgt, insbesondere mit dem Wahlrecht nach § 106 ALG ein eigenständiges Übergangsrecht geschaffen hat, das nur auf die grundsätzlichen Regelungen des SGB VI zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ALG Bezug nimmt. Der in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbene Besitzstand wird dort durch unterlassene bzw. geminderte Einkommensanrechnung für vier Jahre gewahrt, das Vertrauen in das Fortbestehen des bisherigen Hinterbliebenenrechts nach dem ALG durch die Einräumung eines Wahlrechts für die Geltung des einschlägigen Rechts. Die Beschränkung des Vertrauensschutzes im ALG auf das im ALG vorgesehen Maß begegnet keinen Bedenken.

Der Antrag auf Nachzahlung der einbehaltenen Rentenbeträge ist im Hinblick darauf gerechtfertigt, dass die Beklagte bis zum 27.07.2000 keine Auszahlung vorgenommen hat. Entgegen ihrer Auffassung hat sie weder einen Anspruch auf Anrechnung ihrer tatsächlich ab 01.03.1995 geleisteten Zahlungen noch auf Aufrechnung. Obwohl die Beklagte im Bescheid vom 12.04.1996 mit "Auszahlungen an den Verstorbenen" aufrechnet, kann sie sich nicht auf die Sondervorschrift des § 118 Abs.4 SGB VI berufen. Soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind, sind die Personen, die die Geldleistung in Empfang genommen oder über den Betrag verfügt haben, so dass dieser Betrag nicht nach § 118 Abs.3 von dem Geldinstitut zurücküberwiesen wird, dem Rentenversicherungsträger zur Erstattung des entsprechenden Betrags verpflichtet (§ 118 Abs.4 Satz 1 SGB VI). Das Geldinstitut hat dem Träger der Rentenversicherung Geldleistungen zurückzuüberweisen, die für die Zeit nach dem Tode des Berechtigten auf ein Konto bei einem Postgiroamt oder einem anderen Geldinstitut überwiesen wurden (§ 118 Abs.3 Satz 2 und 1 SGB VI). Die Anwendung dieser Vorschrift setzt hingegen voraus, dass Leistungen tatsächlich an den Verstorbenen geflossen sind. Leistungsadressat zumindest der Zahlungen ab 01.06.1995 war jedoch nicht der Verstorbene, sondern die Witwe, wie sich dies aus der Mitteilung der Beklagten vom 25.04.1995 an die Klägerin unzweideutig ergibt. Auch hatte die Beklagte die Zahlung von Leistungen an den Versicherten mit Ablauf des Todesmonats ausdrücklich eingestellt. Die Beklagte wollte vielmehr eine vorläufige Regelung der Witwenrente und orientierte sich hierbei am fiktiven Leistungsanspruch eines verwitweten Landwirts.

Die vorläufige Natur von Vorschussleistungen führt dazu, dass Entscheidungen des Sozialleistungsträgers bzgl. der Voraussetzungen der später endgültig festzulegenden Leistung keinerlei Bindungswirkung entfalten. Die Anrechnung unterliegt daher nicht den Grundsätzen der §§ 45 ff. SGB X oder der Einschränkungen des § 51 SGB I. Im Bewilligungsbescheid vom 25.04.1995 fehlt jedoch ein typprägendes Merkmal der Vorwegzahlung oder des Vorschusses, so dass die bis 29.02.1996 erfolgten Zahlungen nicht zurückzuzahlen sind.

Wie das Bundessozialgericht (BSG vom 29.04.1997 in SozR 3-1300 § 42 Nr.5) unter Bezugnahme auf frühere Entscheidungen ausgeführt hat, erfordert die Rechtmäßigkeit der Vorschussbewilligung, dass sie dem Empfänger deutlich macht, es bestehe kein dauerhafter Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Gezahlten, so dass die Inanspruchnahme des Vorschusses wirtschaftlich risikobehaftet ist. Dem Empfänger ist klarzustellen, dass die vorläufige Leistung beim Erlass des endgültigen Bescheids anzurechnen und ggf. in vollem Umfang zu erstatten ist. Der Bürger muss in die Lage versetzt werden, in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob er die ihm bewilligte Begünstigung überhaupt annehmen oder als aufgedrängte Zuwendung ablehnen will und ob er von ihr wirtschaftlich Gebrauch macht oder davon wegen der möglichen Rückzahlungsverpflichtung absieht. Zwar hat die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 25.04.1995 deutlich gemacht, dass die Weiterzahlung der Versichertenrente im Sterbevierteljahr und eines auf 60 % reduzierten Rentenbetrags danach nur bis zur endgültigen Verbescheidung erfolge. Sie hat es jedoch unterlassen, die Klägerin auf eine mögliche Rückzahlungsverpflichtung hinzuweisen. Auch fehlt die ausdrückliche Bezeichnung als Vorschuss, was der Klägerin als Verwaltungsangestellte der LVA das Risiko der Rückzahlung hinreichend verdeutlicht hätte. Vielmehr hat die Beklagte der Klägerin mitgeteilt, die vorläufige Zahlung stehe ihr voraussichtlich zu.

Da die Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 25.04.1995 keine klare vorläufige Leistung ist, richtet sich die Rückabwicklung nur nach § 50 Abs.2 SGB X. Danach ist eine rückwirkende Aufhebung für die Bezugszeiten vor Bekanntgabe des Bescheids vom 01.03.1996 nach § 45 Abs.4 Satz 1 SGB X nur erlaubt, wenn der Berechtigte im Sinn von Abs.2 Satz 3 oder Abs.3 Satz 2 bösgläubig war. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden, nachdem die Klägerin bis zuletzt die Nichtanrechenbarkeit des Einkommens mit sachlichen Gründen vertreten hat, die ungekürzte Rentenhöhe also geltend gemacht hat und die Beklagte sie mit Schreiben vom 21.03. 1995 darin bestärkt hat, die Rente stehe voraussichtlich in voller Höhe zu.

Darüber hinaus ist die im Bescheid vom 12.04.1996 enthaltene konkludente Aufhebung der Leistungsbewilligung vom 21.03.1995 schon nach § 42 Satz 2 SGB X aufzuheben, weil die erforderliche Anhörung unterblieben und nicht wirksam nachgeholt worden ist. Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts ist ein Verwaltungsakt, der in ein zuerkanntes Recht eingreift. Diese Entscheidung hätte nur nach Prüfung der Frage erfolgen dürfen, ob der Aufhebung der Bewilligung Vertrauensschutzgründe entgegenstehen (ebenso BSGE vom 29.04.1997 a.a.O.). Die Beklagte hat hierzu die Klägerin entgegen § 24 Satz 1 SGB X nicht angehört und ihr auch im Widerspruchsverfahren nicht die Tatsachen mitgeteilt, welche nach ihrer Ansicht die Auffassung hätten rechtfertigen können, die Klägerin könne sich auf Vertrauensschutz nicht berufen. Vielmehr hat sie ohne jegliche Begründung einen Rückforderungs- und Aufrechnungsanspruch vollzogen. Da der leistungsbewilligende Bescheid somit nicht im Sinn von § 50 Abs.1 SGB X - wirksam - aufgehoben worden ist, kann die Beklagte von der Klägerin nicht verlangen, die "Auszahlungen an den Verstorbenen" zu erstatten bzw. damit gegen Leistungsansprüche der Klägerin aufzurechnen. Der Klägerin sind daher die einbehaltenen Witwenrentenbeträge nachzuzahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.

Insbesondere hat die Rechtssache keine allgemeine Bedeutung, nachdem die strittige Rechtsfrage der Einkommensanrechnung nur beim Todesfall im Jahr 1995 relevant wird.
Rechtskraft
Aus
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