L 1 RA 198/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 RA 32/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 1 RA 198/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.07.2001 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Augsburg zurückverwiesen.
II. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.

Der am 1944 geborene Kläger ist österreichischer Staatsangehöriger und hat Versicherungszeiten sowohl in Österreich als auch in Deutschland zurückgelegt. Er beantragte am 29.11. 1999 die Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Dabei gab er an, den Beruf eines Kfz-Mechanikers erlernt und bis 1969 ausgeübt zu haben. Anschließend sei er von 1969 bis 1989 als Mühlenbauer beschäftigt gewesen und vom 01.01.1990 bis 20.06.1999 als Geschäftsführer. Beim Gutachter gab er an, zuletzt als Lkw-Fahrer mit dem Ausfahren von Futtermittel beschäftigt gewesen zu sein. Nach Einholung eines internistischen Gutachtens lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 23.03.2000 ab, da der Kläger als Lkw-Fahrer mit leichten Be- und Entladetätigkeiten sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig arbeiten könne. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch, worauf die Beklagte ein orthopädisches Gutachten vom 04.09.2000 einholte. Dieses kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger als Lkw-Fahrer nurmehr halb- bis untervollschichtig arbeiten könne, Tätigkeiten aus wechselnder Körperhaltung ohne Zwangshaltungshaltungen der Lendenwirbelsäule, ohne Heben und Tragen schwerer Lasten und ohne häufiges Bücken könnten vollschichtig verrichtet werden. Ein weiteres HNO-ärztliches Gutachten vom 05.09.2000 kam zur Feststellung eines vollschichtigen Leistungsvermögens. Der Ärztliche Dienst der Beklagten folgte der Leistungsbeurteilung im orthopädischen Gutachten nicht, worauf die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2001 als unbegründet zurückwies.

Mit Bescheid vom 16.08.2000 hatte die österreichische Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Landesstelle Wien, dem Kläger Invaliditätspension ab 01.12.1999 zuerkannt, nachdem sie dies zunächst mit Bescheid vom 25.05.2000 abgelehnt hatte.

Der Kläger erhob gegen die ablehnende Entscheidung der Beklagten Klage beim Sozialgericht Augsburg, das einen Befundbericht des behandelnden Allgemeinmediziners Dr.L. , des Urologen Dr.H. und des Orthopäden Dr.M. einholte und die Akte des Arbeitsamtes Schwabmünchen zum Verfahren beizog. Am 15.05. 2001 wies das Sozialgericht den Kläger darauf hin, dass die von der Beklagten getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden erschienen. Es wies ihn auf die Möglichkeit eines Antrages nach § 109 SGG hin und gab ihm Gelegenheit zur Benennung eines Gutachters bis 13.06.2001. Der Kläger verwies darauf, dass Dr.L. seit zwei Jahren nicht mehr sein Hausarzt sei und er dessen Angaben nicht für verbindlich halte. Am 28.05. 2001 wies das Sozialgericht den Kläger darauf hin, dass sich am Inhalt des Schreibens vom 15.05.2001 nichts ändere.

Am 28.06.2001 bestimmte das Sozialgericht Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 25.07.2001, wozu es dem Kläger gegen Empfangsbekenntnis eine Terminsmitteilung an dessen deutsche Anschrift übersandte. Diese Ladung kam am 06.07.2001 mit dem Vermerk zurück, dass der Kläger zurzeit in Österreich wohnhaft sei. Am 09.07.2001 übersandte das Sozialgericht eine Terminsmitteilung an die österreichische Adresse gegen EinschreibenRückschein.

In der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2001, zu der ein Ladungsnachweis nicht vorlag, erschien für den Kläger niemand. Der Vorsitzende stellte fest, dass der Kläger ordnungsgemäß geladen wurde, aber nicht erschienen ist. Mit Urteil vom gleichen Tag hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Das Gericht gehe davon aus, dass alle bestehenden Gesundheitsstörungen von den Gutachtern im Verwaltungsverfahren festgestellt und zutreffend gewürdigt worden seien. Mit dem beschriebenen Leistungsvermögen könne der Kläger z.B. eine Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter ausführen. Auf diese Tätigkeiten müsse er sich verweisen lassen, da er in den letzten Jahren im Tiernahrungsvertrieb seiner Ehefrau als Geschäftsführer beschäftigt gewesen sei. Vom ursprünglich erlernten Beruf als Kfz-Mechaniker habe er sich gelöst.

Nach der mündlichen Verhandlung ging am 10.08.2001 beim Sozialgericht der Rückschein aus Österreich ein mit dem Vermerk "nicht behoben".

Gegen das Urteil des Sozialgerichts legte der Kläger Berufung ein und führte im Wesentlichen aus, er habe nie eine Benachrichtigung bekommen für den Termin beim Sozialgericht Augsburg. Er bemängelte, dass Ärzte bestimmt worden seien, die nur für die BfA arbeiteten. Es könne nicht ein Urteil gesprochen werden, wenn er überhaupt nicht anwesend gewesen sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.07.2001 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.03.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2001 zu verurteilen, ihm auf den Antrag vom 29.11. 1999 Rente wegen Erwerbs- hilfsweise Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß den §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und - soweit die Aufhebung des angefochtenen Urteils begehrt wird - auch begründet.

Das sozialgerichtliche Verfahren leidet an einem wesentlichen Mangel. Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2001 in der Sache entschieden, obwohl kein Nachweis des Zugangs der Ladung an den Kläger vorlag und dieser die Ladung auch nicht erhalten hat. Damit hat das Sozialgericht gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) verstoßen, weshalb die Voraussetzungen für eine Aufhebung des angefochtenen Urteils und Rückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht vorliegen (§ 159 Abs.1 Nr.2 SGG).

Das Sozialgericht hat den Kläger zunächst am 28.06.2001 unter der bekannten deutschen Adresse gegen Empfangsbekenntnis geladen, obwohl § 63 SGG bis zum 31.12.2001 noch zwingend die Zustellung von Ladungen und Terminsmitteilungen vorschrieb. Eine Zustellung gegen Empfangsbekenntnis konnte nach altem Recht nur an die im § 5 Abs.2 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) aufgeführten Adressaten erfolgen, zu denen der Kläger nicht gehört. Nach Postrücklauf unter Angabe der neuen Adresse in Österreich hat das Sozialgericht den Kläger am 09.07.2001 mittels Einschreiben-Rückschein in Österreich geladen. Diese Ladung hat den Kläger jedoch nicht erreicht. Sie wurde am 13.07.2001 bei der Post in S. /Österreich niedergelegt, vom Kläger nicht abgeholt und ging am 10.08.2001 wieder beim Sozialgericht Augsburg ein. Dennoch hat das Sozialgericht am 25.07.2001 verhandelt und in der Sache entschieden. Obwohl der Nachweis des Zugangs der Ladung nicht vorlag, hat der Vorsitzende zu Protokoll festgestellt, dass der Kläger ordnungsgemäß geladen wurde.

Mit diesem Vorgehen hat das Sozialgericht den sich aus Art.103 Abs.1 Grundgesetz, § 62 SGG ergebenden Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt.

Dieses rechtliche Gehör wird im sozialgerichtlichen Verfahren, soweit nicht anders bestimmt, dadurch gewährt, dass die Prozessbeteiligten in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit zur Äußerung erhalten und das Gericht aufgrund dieser mündlichen Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs.1 SGG). Grundsätzlich genügt es zur Gewährung rechtlichen Gehörs, wenn die Vorschriften der §§ 110, 112, 63 SGG, in denen das Recht auf Teilnahme ausgestaltet ist, beachtet werden (vgl. BSG in SozR 3-1500 § 160a Nr.4). Nach § 110 Abs.1 SGG ist die Terminsbestimmung den Beteiligten in der Regel zwei Wochen vorher mitzuteilen, wobei die Terminsbestimmungen bzw. Ladungen gemäß § 63 Abs.1 SGG nach der bis 31.12.2001 geltenden Rechtslage zuzustellen waren. Wenn das Gericht bei Zustellungen im EG-Ausland abweichend von § 14 VwZG die Zustellart des § 4 VwZG (Einschreiben-Rückschein) wählt, darf es trotz der Fiktion des § 4 Abs.1 VwZG zur Sicherstellung der Wahrung des rechtlichen Gehörs nicht verhandeln und entscheiden, wenn nicht durch den Rückschein bestätigt ist, dass der Prozessbeteiligte die Ladung tatsächlich erhalten hat. Nur dann wäre der Zustellungsmangel gemäß § 9 VwZG geheilt. Dies gilt umso mehr, als bei Zustellungen per Einschreiben - anders als bei Zustellungen durch Postzustellungsurkunde - die Niederlegung des Schriftstückes bei der Post noch nicht die Zustellung bewirkt.

Die Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs.1 Nr.2 SGG dar, da das Urteil des Sozialgerichts auf diesem Mangel beruhen kann (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, Rdn.3a zu § 159). Die fehlende ordnungsgemäße Ladung fällt unter den absoluten Revisionsgrund des § 551 Nr.5 Zivilprozessordnung (ZPO, Fassung bis 31.12.2001), wonach die Ursächlichkeit der Gesetzesverletzung unwiderleglich vermutet wird (vgl. z.B. BSG vom 10.12.1992 - 11 RAr 81/92 -).

Bei dieser Sach- und Rechtslage und insbesondere wegen der Bedeutung des Anspruches auf rechtliches Gehör macht der Senat von der Möglichkeit der Zurückverweisung gemäß § 159 Abs.1 Nr.2 SGG Gebrauch, zumal der Kläger ausdrücklich die fehlende Ladung zur Verhandlung und die Entscheidung des Gerichts ohne seine Anwesenheit rügt.

Bei der erneuten Terminierung der Streitsache wird das Sozialgericht sicherzustellen haben, dass ein Nachweis des Zuganges der Terminsmitteilung bzw. Ladung vorliegt, auch wenn eine förmliche Zustellung ab 01.01.2002 nicht mehr vorgeschrieben ist. Bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird das Sozialgericht zuvor zu prüfen haben, ob tatsächlich auf die Einholung eines ärztlichen Gutachtens von Amts wegen verzichtet werden kann, zumal der Kläger vom österreichischen Versicherungsträger bereits eine Invaliditätspension bezieht. Eine alleinige Zugrundelegung im der im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten erscheint schon deshalb problematisch, weil auch der Ärztliche Dienst der Beklagten dem orthopädischen Gutachten nicht zu folgen vermochte. Auch die Frage, von welchem Beruf des Klägers auszugehen ist, ist noch klärungsbedürftig, da dieser seine letzte Tätigkeit einerseits als die eines Geschäftsführers andererseits als die eines Lkw-Fahrers beschreibt.

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.

Gründe, gemäß § 160 Abs.2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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