L 5 RJ 205/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 1403/97 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 205/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird die Beklagte in Abänderung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Landshut vom 2. Juni 1999 sowie des Bescheides vom 16. Mai 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. September 1997 verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. März 2001 zu gewähren.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu einem Drittel zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Leistung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab Antragstellung vom 09.02.1994.

Die am 1941 geborene kroatische Staatsangehörige mit Wohnsitz in ihrem Heimatland war in Deutschland von Januar 1963 bis März 1980 als Küchenhilfe und ungelernte Montagearbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt. In Kroatien hat sie Versicherungszeiten von 07/78 bis März 1994 zurückgelegt; seit 15.03.1994 bezieht sie dort Invalidenrente.

Den Antrag vom Februar 1994 lehnte die Landesversicherungsanstalt Niederbayern-Oberpfalz (LVA) nach Auswertung des Gutachtens HR-D 207 vom 26.02.1996 sowie nervenärztlicher und internistischer Begutachtung im April 1997 ab. Zwar sei die Erwerbsfähigkeit durch eine Angina pectoris bei Bluthochdruck und wirbelsäulenabhängige Beschwerden ohne Nervenwurzelschädigung beeinträchtigt. Die Klägerin könne jedoch noch leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen (ohne Akkordarbeit, ohne Nachtschicht, ohne häufiges Bücken, ohne einseitige Zwangshaltungen) vollschichtig verrichten (Bescheid vom 16.05.1997, Widerspruchsbescheid vom 04.09.1997).

In ihrer Klage zum Sozialgericht Landshut (SG) hat die Klägerin im Wesentlichen vorgetragen, wegen Herzstörungen und psychischer Erkankung stehe ihr eine Rente zu. Im Auftrag des SG haben der Neurologe und Psychiater Dr. Dr. W. und die Ärztin Dr. T. die Klägerin im Oktober 1998 untersucht und begutachtet. Die Gesundheit der Klägerin sei durch eine depressive Störung, einen Bluthochdruck mit stenokardischen Beschwerden, Wirbelsäulenbeschwerden bei Fehlhaltung und degenerativen Veränderungen, ein Schulter-Arm-Syndrom, eine Bewegungseinschränkung des rechten Hüftgelenks sowie eine Varikosis eingeschränkt. Das Leistungsvermögen sei auch unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen auf vier bzw. vier bis fünf Stunden pro Tag seit September 1998 herabgesetzt. Bei entsprechender psychiatrischer Behandlung bestehe die begründete Aussicht, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin wesentlich bessere. Das Angebot, bei Annahme des Eintritts von Erwerbsunfähigkeit (EU) auf Zeit ab 10.09.1998 Rente wegen EU auf Zeit (01.04.1999 - 31.03.2002) zu gewähren, hat die Beklagte zurückgenommen. Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kroatien vom 24.11.1997 (BGBl. II S.2034, in Kraft am 01.12.1998, zukünftig: Abkommen von 1997) bestimme, dass deutsche arbeitsmarktbedingte Zeitrenten, die nach dem 01.12.1998 beginnen, bei einem Aufenthalt in Kroatien nicht erbracht werden. Das Angebot hatte die Klägerin im Hinblick auf ihren schon seit Jahren bestehenden gleich schlechten Gesundheitszustand nicht angenommen.

Durch Gerichtsbescheid vom 02.06.1999 hat das SG die Klage abgewiesen. Ein Rentenanspruch bestehe im Hinblick auf das Beweisergebnis und die von der Beklagten korrekt dargestellte Rechtslage zum Abkommen vom 24.11.1997, das eine Leistung von deutschen Arbeitsmarktrenten nach Kroatien ausschließe, nicht.

Gegen den erst am 17.03.2000 wirksam zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung der Klägerin vom April 2000. Ihre Erwerbsunfähigkeit bestehe schon seit dem Krankhausaufenthalt im Juli 1993, so dass ihr eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit noch nach altem Recht (Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12.10.1968, BGBl. 1969 II S. 1438, zukünftig: Abkommen von 1968) zustehe.

Der Senat hat Beweis erhoben und den Orthopäden Dr. L. , die Nervenärztin Dr. V. sowie den Internisten Dr. P. zu Sachverständigen bestellt. Auf die Gutachten (orthopädisch vom 06.02.2001, nervenärztlich vom 16.03.2001, internistisch vom 05.05.2001), die den Beteiligten jeweils in Abschrift übersandt worden sind, wird verwiesen. Nach Auffassung der Sachverständigen Dr. V. sei das berufliche Leistungsvermögen seit September 1998 nach der Begutachtung bei Dr. Dr. W. auf zwei Stunden herabgesunken.

Die Beklagte hat angeboten, Rente wegen voller Erwerbsminderung (Eintritt am 07.02.2001) ab dem 01.03.2001 bis zum 65. Lebensjahr zu gewähren. Ein früherer Zeitpunkt komme nicht in Betracht, da die vom SG gehörten Gutachter im Oktober 1998 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen seien, dass sich die Leistungsfähigkeit in absehbarer Zeit bessern werde. Davon sei nach der nervenärztlichen Untersuchung am 07.02.2001 nicht mehr auszugehen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid vom 02.06.1999 sowie den Bescheid vom 16.05.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Antrag vom 09.02.1994 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 02.06.1999 zurückzuweisen, soweit das Begehren über das Angebot vom 29.08.2001 hinausgeht.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakten der Beklagten. Auf ihren Inhalt wird zur Ergänzung des Sachverhalts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist zum Teil begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.03.2001 auf Dauer bei Eintritt der vollen Erwerbsminderung zum Zeitpunkt der nervenärztlichen Untersuchung vom 07.02.2001. Im Übrigen ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägern hat das Teilanerkenntis der Beklagten mit Schreiben vom 22.11.2001 abgelehnt. Mit der Rechtsprechung des BSG geht der Senat davon aus, dass auch in einem solchen Fall ein Anerkenntnisurteil nicht ausgeschlossen ist. In diesen Fällen ist die Prüfung des Klageanspruchs nicht mehr notwendig (vgl. BSG, SozSich 1987, 157).

Soweit die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung vor dem 01.03.2001 begehrt, ist die Berufung zurückzuweisen.

Der Anspruch der Klägerin auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ist wegen der Antragstellung vor dem 31.03.2001 (hier am 09.02.1994) zunächst an den Vorschriften des SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) zu messen, da geltend gemacht ist, dass dieser Anspruch bereits seit einem Zeitpunkt vor dem 01.01.2001 besteht, vgl. § 300 Abs. 2 SGB VI. Für den Anspruch der Klägerin sind aber auch die Vorschriften des SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (n.F.) maßgebend, soweit sinngemäß auch (hilfsweise) vorgetragen ist, dass jedenfalls ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung seit einem Zeitpunkt nach dem 31.12.2000 gegeben sei, vgl. § 300 Abs. 1 SGB VI.

Gemäß § 44 Abs. 2 SGB VI a.F. sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das 1/7 der monatlichen Bezugsgrenze bzw. (ab 01.01.2000) 630,00 DM pro Monat übersteigt. Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist. Die Klägerin ist in diesem Sinne seit dem 10.09.1998 erwerbsunfähig. Ein Rentenanspruch ab 01.04.1999 scheitert aber am Abkommen von 1997. Ein Rentenanspruch besteht erst seit der am 07.02.2001 festgestellten vollen Erwerbsminderung, somit ab 01.03.2001.

Der Senat stützt sich auf das Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere auf die schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dres. L. und P. sowie von Dr. V. , soweit ihr gefolgt werden konnte. So bestehen bei der Klägerin auf orthopädischem, nervenärztlichem und internistischem Gebiet folgende Gesundheitsstörungen: 1. Schwere depressive Episode mit wahnhafter Symptomatik. 2. Chronischer Spannungskopfschmerz mit möglicherweise Schmerzmittel-induziertem Kopfschmerz. 3. Chronisches Halswirbelsäulen-, Schulter-Arm- und Lendenwirbelsäulensyndrom leichter bis mittelschwerer Prägung mit sich daraus ergebender Funktionseinschränkung ohne Zeichen eines peripher-neurogenen Defektes. 4. Periarthropathie beider Schultergelenke im Entfall eines schmerzhaften Bogens. 5. Cox- und Gonalgien beidseits im Arthroseausschluss mit mäßiggradig verminderter Geh- und Stehfähigkeit. 6. Senk-Spreizfüße. 7. Unbedeutende Vena saphena parva-Varikosis beidseits. 8. Seit 1992 beschriebene Angina pectoris bei Belastung bei dringendem, coronarangiografisch bisher nicht gesichertem Verdacht auf eine coronare Herzkrankheit. 9. Seit etwa zehn Jahren bekannte und medikamentös behandelte arterielle Hypertonie. 10. Leichte chronisch-obstruktive Lungenerkrankung ohne Störung des Gasaustausches.

Soweit die Sachverständige Dr. V. bereits seit September 1998 ein Leistungsvermögen von unter zwei Stunden bejaht, folgt der Senat dieser Auffassung in Übereinstimmung mit der nervenärztlichen Stellungnahme der Beklagten nicht. Die vom SG beauftragten Sachverständigen Dres. W. und T. haben die Klägerin im September 1998 untersucht und begutachtet. Dabei haben sie übereinstimmend ein Leistungsvermögen von fünf Stunden (Dr.Dr. W.) bzw. vier bis fünf Stunden (Dr. T.) vorgeschlagen. Ein anderes zeitliches Leistungsvermögen ist nicht nachgewiesen. Die Nervenärztin Dr. V. spricht selbst von einem wellenförmigen Verlauf der Erkrankung. Zudem stimmt sie dem Gutachter Dr.Dr. W. in vollem Umfang zu, der ein fünf-stündiges Leistungsvermögen ab September 1998 bejaht. Das gleichwohl von ihr vorgeschlagene Leistungsvermögen ab diesem Zeitpunkt von unter zwei Stunden steht dazu diametral im Widerspruch. Die von ihr gezogenen Schlussfolgerungen sind damit nicht schlüssig und in diesem Punkt nicht verwertbar.

Ein Rentenanspruch für die Zeit vom 01.04.1999 bis 28.02.2001 steht der Klägerin nicht zu.

Zwar hat die Beklagte nach Auswertung der vom SG eingeholten Gutachten bei einem Leistungsvermögen von fünf Stunden eine Erwerbsunfähigkeit ab 10.09.1998 bejaht. Zum damaligen Zeitpunkt war eine Erwerbsunfähigkeit auf Zeit anzunehmen, weil im Oktober 1998 die überwiegende Wahrscheinlichkeit bestanden hat, dass sich die Leistungsfähigkeit der Klägerin durch eine medikamentöse Therapie oder eine stationäre Behandlung in einer Akutklinik bessern werde. In Anbetracht des weiteren Verlaufs, insbesondere des am 07.02.2001 erhobenen Befundes, ist das Leistungsvermögen auf unter zwei Stunden herabgesunken, eine Besserung ist nach dem medizinischen Beweisergebnis, dem der Senat folgt, nicht mehr anzunehmen.

Damit ist die Beklagte zu Recht von einer arbeitsmarktabhängigen Zeitrente i.S.d. § 102 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI ausgegangen. Leistungsbeginn ist jedoch nicht der 10.09.1998, da zu diesem Zeitpunkt allenfalls das subjektive Stammrecht entstanden war, d.h. die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen als solche vorgelegen haben. Maßgeblicher Zeitpunkt ist nach § 101 Abs. 1 SGB VI vielmehr der 01.04.1999, wonach befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Monats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet werden. Denn ein Anspruch im Sinne des § 194 BGB bzw. des § 40 Abs. 1 SGB I entsteht erst dann, wenn aus der rechtlichen Wurzel "Stammrecht" ein - regelmäßig wiederkehrender - Einzelanspruch auf eine konkrete Leistung erwächst. § 300 SGB VI stellt für das jeweils auf den Rentenanspruch anzuwendende Recht auf den Rentenbeginn im Sinne des Leistungsbeginns ab (vgl. BSG SozR 3-2600 § 300 SGB VI Nr. 3 sowie BSG SozR 3-2600 § 300 SGB VI Nr. 14). Damit gilt für die Klägerin nicht das Abkommen von 1968, sondern das neue Abkommen von 1997, das am 01.12.1998 in Kraft getreten ist und damit vor dem rechtlich möglichen Leistungsbeginn am 01.04.1999 gegolten hat.

Nach dem Abkommen vom 1997 werden solche Renten, die nach Inkrafttreten des Abkommens am 01.12.1998 beginnen (hier am 01.04.1999), bei einem Aufenthalt in Kroatien nicht mehr erbracht (vgl. Art. 5 des Abkommens von 24.11.1997, i.V.m. dem Schlussprotokoll zum Abkommen vom 24.11.1997 Ziffer 3, Buchstabe a). Damit scheidet ein Rentenanspruch der in Kroatien wohnhaften Klägerin für den oben genannten Zeitraum aus. Aus dem Angebot der Beklagten vom 03.02.1999 kann die Klägerin mangels Annahme keine Rechte mehr herleiten. Die Rücknahme des Angebots, betreffend die Gewährung einer Zeitrente ab 01.04.1999, entspricht dem ab 01.12.1998 gültigen materiellen Recht.

Der Anspruch der Klägerin auf Invaliditätsleistungen nach dem Recht ihres Herkunftsstaates führt nicht zu Rentenleistungen nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Denn das auf die Klägerin anwendbare zwischenstaatliche Sozialversicherungsabkommen enthält keine Bestimmungen über die gegenseitige Anerkennung der in einem Vertragsstaat festgestellten "Invalidität". Damit richten sich die Voraussetzungen einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bzw. wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung ausschließlich nach den innerstaatlichen (hier: deutschen) Rechtsvorschriften desjenigen Vertragsstaates, aus dessen Sozialversicherungssystem Leistungen begehrt werden.

Nach alledem steht der Klägerin bei Eintritt der Erwerbsminderung am 07.02.2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.03.2001 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres zu. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 02.06.1999 sowie der Bescheid vom 16.05.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.1997 waren deshalb abzuändern; im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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