L 5 RJ 245/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 5 RJ 192/97 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 245/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 11. Januar 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

In diesem Rechtsstreit geht es um einen früheren Rentenbeginn.

Der am 1936 geborene Kläger hat in Deutschland in den Jahren 1964 bis 1974 insgesamt 73 Monate an Pflichtbeitragszeiten erworben. Beschäftigt war er zumeist bei der Firma W. und F. und zwar nach eigenen Angaben als Zimmerer. Danach kehrte er nach Bosnien zurück, wo noch bis Juli 1986 Versicherungszeiten bestätigt wurden.

Am 21.04.1986 hat der Kläger in Bosnien Rentenantrag gestellt, der dort zu einer Rente ab Juli 1986 führte. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 12.11.1987 und Widerspruchsbescheid vom 09.06.1988 wegen fehlender Mitwirkung ab, weil der Kläger nicht bereit war, zur Untersuchung nach Deutschland zu kommen. In einem anschließenden Klageverfahren erklärte sie sich bereit, über den Antrag erneut zu entscheiden. Nachdem der Kläger trotz wiederholter Aufforderung wiederum nicht zur Untersuchung kam, wurde der Rentenantrag mit Bescheid vom 06.10.1989 und Widerspruchsbescheid vom 18.07.1990 abgelehnt.

Diese Bescheide waren Gegenstand eines weitern Klageverfahrens (S 16 AR 5826/90 JU), das mit einer Klageabweisung - gestützt auf ein Aktenlagegutachten von Dr.R. vom 10.09.1991 - endete. Im anschließenden Berufungsverfahren (L 11/5 AR 861/91) teilte die Arbeitgeberin auf Anfrage des Senats mit, der Kläger sei dort Zimmerer gewesen, über die tarifliche Einstufung könne jedoch nichts mehr gesagt werden. In einem weiteren Aktenlagegutachten von Dr.K. vom 02.10.1995 wird festgestellt, dass sich aus den Unterlagen des Klägers aus seiner Heimat eine Vielzahl neurologisch-psychiatrischer Diagnosen ergäben, die jedoch teilweise widersprüchlich seien. Es sei unmöglich, sich daraus ein Bild zu machen. Der Kläger müsse zur Untersuchung nach Deutschland kommen. Daraufhin erklärte sich der Kläger bereit, sich einer Untersuchung in der Gutachterstelle Regensburg der Beklagten zu unterziehen, und erklärte den Rechtsstreit für erledigt.

Vom 17. bis 19.06.1996 wurde der Kläger in Regensburg auf neuro-psychiatrischem Fachgebiet untersucht, wobei auch röntgenologische, testpsychologische, elektrokardiographische und labormedizinische Zusatzuntersuchungen durchgeführt und folgende Diagnosen gestellt wurden: 1. Depressive Entwicklung mäßigen Grades. 2. Wirbelsäulenabhängige Beschwerden und Kniegelenksbeschwerden rechts ohne schwerwiegende Funktionsminderung. 3. Bluthochdruck ohne Hinweis auf eine wesentliche Einschränkung der Herzleistungsbreite. 4. Rezidivierende Kopfschmerzen bei Zustand nach Kopftrauma vor etwa 10 Jahren (Angaben des Versicherten). Aufgrund der erhobenen Befunde sei das Leistungsvermögen des Klägers zwar qualitativ, nicht aber quantitativ beeinträchtigt. In Zusammenschau aller Befunde sei er noch in der Lage, leichte Arbeiten vollschichtig auszuüben.

Gestützt auf diese Untersuchung lehnte die Beklagte den Rentenantrag vom 21.04.1986 mit Bescheid vom 03.09.1996 erneut ab. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.1996 zurückgewiesen.

Im Klageverfahren hat der Kläger weitere ärztliche Unterlagen vorgelegt und erklärt, dass er nicht reisefähig sei. Das SG hat daraufhin ein weiteres neurologisch-psychiatrisches Gutachten nach Aktenlage von Dr.Dr.W. vom 08.01.1998 eingeholt, wonach, um den Gesundheitszustand des Klägers zu beurteilen, eine Untersuchung unumgänglich sei. Dazu war der Kläger nicht bereit sondern legte ein Attest vom 19.12.1997 von einem Zagreber Krankenhaus vor, aus dem sich ergibt, dass er am 20.11.1997 in die Klinik eingeliefert und am 11.12.1997 wegen eines Neoplasmas an der Kehle operiert worden ist (totale Laryngektomie).

Die Beklagte hat sich daraufhin mit Schriftsätzen vom 24.04.1998 bzw. 01.03.1999 bereit erklärt, Erwerbsunfähigkeit auf Dauer ab 20.11.1997 anzuerkennen. Der Kläger hat dieses Angebot nicht angenommen und zur Begründung ausgeführt, er leide bereits seit 1986 unter einer psychischen Erkrankung, die überhaupt nicht berücksichtigt worden sei. Er sei bereit, zur Untersuchung nach Deutschland zu kommen. Die Beklagte hat dem entgegengehalten, durch eine persönliche Untersuchung könne das Leistungsvermögen von vor 13 Jahren nicht beurteilt werden.

Das SG hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 11.01.2000 entsprechend ihrem Angebot verurteilt, ab 01.12.1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren, und die Klage im Übrigen abgewiesen. In der Begründung heißt es, ein früherer Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit als Dezember 1997 sei nicht nachgewiesen. Eine (frühere) Rente wegen Berufsunfähigkeit komme nicht in Betracht, weil der Nachweis, dass der Kläger gelernter Zimmerer gewesen sei, nicht habe geführt werden können. Durch eine nunmehr vom Kläger angebotene persönliche Untersuchung lasse sich ein früherer Eintritt des Versicherungsfalles der Erwerbsunfähigkeit nicht mehr nachweisen.

Gegen den am 08.03.2000 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger mit Schreiben vom 19.04.2000, eingegangen am 25.04.2000, Berufung eingelegt und zur Begründung wiederum ausgeführt, er leide an einer tiefgreifenden Depression, die bereits seit 1986 bestehe. Er sei bereit, sich in Deutschland untersuchen zu lassen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Gerichtsbescheides des SG Landshut vom 11.01.2000 sowie des Bescheides vom 03.09.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.12.1996 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bereits ab Antragstellung im Jahre 1986 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen wurden die Akten der Beklagten, des SG Landshut sowie des Bayerischen Landessozialgerichtes - L 5 AR 861/91.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs.1 Satz 2, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Insbesondere ist die Berufungsfrist gewahrt, die im vorliegenden Fall drei Monate beträgt, weil der Kläger im Ausland wohnt (§ 153 Abs.1 i.V.m. § 87 Abs.1 Satz 2 SGG).

In der Sache erweist sie sich jedoch als unbegründet. Unstreitig liegt bei dem inzwischen fast 65-jährigen Kläger seit der Feststellung eines Neoplasmas im Kehlkopfbereich im November 1997, das eine totale Laryngektomie erforderlich machte, Erwerbsunfähigkeit vor. Dementsprechend erhält er seit 01.12.1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Ein früherer Eintritt der Erwerbsunfähigkeit und damit ein früherer Rentenbeginn lässt sich nicht belegen. Nach § 44 Abs.2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das 1/7 der monatlichen Bezugsgrenze bzw. (ab 01.04.1999) 630,00 DM übersteigt. Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist. Voraussetzung für eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ist damit, dass die Einsatzfähigkeit eines Versicherten auf unter 8 Stunden abgesunken sein muss (untervollschichtig). Das war beim Kläger vor dem Auftreten des Geschwulstleidens nicht der Fall bzw. es konnte nicht nachgewiesen werden. Zwar hat er bereits im Jahre 1986 in seiner Heimat einen Rentenantrag gestellt, der nach dem deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen auch als Antrag auf eine deutsche Rentenleistung gilt. Er hat auch eine große Anzahl von Befundberichten und Attesten vorgelegt, in denen insbesondere Diagnosen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet verzeichnet sind. Andererseits hat er sich (bis 1996) geweigert, sich in Deutschland untersuchen zu lassen. Die medizinischen Unterlagen aus seiner Heimat wurden im Zuge zahlreicher Gerichtsverfahren wiederholt ärztlich (nach Aktenlage) gewürdigt, und zwar von Dr.R. am 10.09.1991, von Dr.K. (auf Veranlassung des Bayerischen Landessozialgerichts) am 02.10.1995 und zuletzt von Dr.Dr.W. am 08.01.1998 auf Veranlassung des SG Landshut. Übereinstimmend kommen diese Gutachter zu dem Ergebnis, dass die vom Kläger vorgelegten bzw. von der Beklagten beigezogenen Arztberichte, Atteste und sonstigen ärztlichen Unterlagen in sich widersprüchlich, teilweise unschlüssig und damit zum Nachweis der Erwerbsunfähigkeit ungeeignet seien. Nicht einmal die vom Kläger behauptete Reiseunfähigkeit ging daraus nach Auffassung der Gutachter in nachvollziehbarer Weise hervor. Die Richtigkeit dieser Wertung wird dadurch bestätigt, dass der Kläger nunmehr, obgleich sich sein Gesundheitszustand zweifellos nicht gebessert haben kann, durchaus bereit wäre, zur Untersuchung nach Deutschland zu kommen, sich hierzu also in der Lage fühlt.

Wenn der Kläger gleichwohl in der Vergangenheit eine Untersuchung verweigert hat, so geht dies gemäß § 66 Abs.1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) zu seinen Lasten.

Erst in der Sitzung des Bayerischen Landessozialgerichtes vom 17.11.1995 hat der Kläger sich schließlich bereit erklärt, sich einer Untersuchung in der Untersuchungsstelle der Beklagten in Regensburg zu unterziehen. Diese fand vom 17. bis 19.06.1996 statt. Dabei wurde auf dem im Vordergrund stehenden neurologisch/psychiatrischen Fachgebiet im Wesentlichen eine depressive Entwicklung mäßigen Grades festgestellt. Hinzu kamen wirbelsäulenabhängige und Kniegelenksbeschwerden ohne gravierende Funktionsminderung, ein Bluthochdruck ohne eine wesentliche Einschränkung der Herzleistungsbreite sowie rezidivierende Kopfschmerzen. Die Sachverständigen kamen damals zu dem Ergebnis, dass das Leistungsvermögen des Klägers aufgrund der festgestellten Leiden zwar qualitativ beeinträchtigt sei, nicht aber quantitativ. Er sei vielmehr durchaus noch in der Lage, leichte Arbeiten vollschichtig auszuüben. Zu vermeiden seien Akkordbedingungen, Schicht- bzw. Nachtdienst, besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit. An der Richtigkeit dieser durch zahlreiche Zusatzuntersuchungen sowie eine fachärztlich neurologisch-/psychiatrische Untersuchung festgestellten Bewertung bestehen für den Senat keine Zweifel. Im anschließenden Klageverfahren hat es der Kläger wiederum abgelehnt, sich einer neuerlichen Überprüfung durch eine Untersuchung zu unterziehen. Neue Gesichtspunkte ergaben sich erst durch das im November 1997 aufgetretene Tumorleiden, dem jedoch typischerweise keine längere Vorlaufzeit in leistungsmindernder Weise vorauszugehen pflegt. Es ist deshalb mit der Beklagten und mit dem Erstgericht davon auszugehen, dass vor diesem Zeitpunkt eine Erwerbsunfähigkeit nicht vorgelegen hat, so dass ein früherer Rentenbeginn nicht in Betracht kommt.

Auch wenn der Kläger nunmehr dazu bereit wäre, bestand keine Veranlassung, ihn in Deutschland untersuchen zu lassen, weil das derzeitige Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit außer Streit steht. Der Nachweis dafür, dass der Kläger bereits vor dem November 1997 in relevanter Weise erwerbsgemindert gewesen wäre, d.h. dass sein Leistungsvermögen auf untervollschichtig abgesunken gewesen war, kann von einer Untersuchung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erwartet werden. Dies gilt umso mehr, als durch die damals noch sehr zeitnahe Untersuchung in Regensburg das Gegenteil belegt ist.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass für einen früheren Beginn der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit kein Anhalt gegeben ist.

Der Kläger hat aber auch keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit in der Zeit vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit. Nach § 43 Abs.2 SGB VI sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder wegen Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs oder der besonderen Anforderungen ihrer Berufstätigkeit zugemutet werden können.

Auch diese Voraussetzungen sind beim Kläger nicht erfüllt. Zwar kann er nach dem Ergebnis insbesondere der Untersuchung in Regensburg zumindest seit damals (1996) nicht mehr als Zimmerer arbeiten, doch führt dies nicht zu einem Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, weil der Kläger keinen Berufsschutz als Zimmerer genießt.

Zwar behauptet er, in seiner Heimat den Beruf eines Zimmermanns erlernt zu haben, doch konnte er kein entsprechendes Abschlusszeugnis vorlegen, so dass die Frage, ob der dortige Abschluss einem deutschen Gesellenbrief im Zimmermannshandwerk entspricht, dahingestellt bleiben kann. In Deutschland hat der Kläger im Wesentlichen bei der Firma W. und F. gearbeitet, und zwar nach seinen eigenen Angaben als Zimmerer. Diese Feststellung wird vom Arbeitgeber bestätigt. Allerdings fehlen nähere Angaben dazu, was darunter zu verstehen ist. Insbesondere konnte der Arbeitgeber keinerlei Angaben mehr zur tariflichen Einstufung des Klägers machen und auch nicht zur Art und Wertigkeit der von ihm geleisteten Arbeit; Unterlagen aus der Zeit bis 1974 liegen beim Arbeitgeber nicht mehr vor, wie dieser auf wiederholte Anfrage sowohl der Beklagten als auch des SG und des LSG bestätigt hat. Diese Nichtnachweisbarkeit einer Facharbeitereigenschaft geht nach dem im Sozialrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers.

Dieser hat demnach vor Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente auch keinen Anspruch auf eine (niedrigere) Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Die Berufung musste deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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