L 20 RJ 322/97

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 Ar 739/94
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 322/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 08.04.1997 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 01.06.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.10.1994 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der am 1943 in Griechenland geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt und in Deutschland von 1962 bis 14.03.1986 als Maschinenarbeiter und Montierer versicherungspflichtig gearbeitet. Vom 15.03.1986 bis 31.03.1988 war er selbständiger Gastwirt ohne Beitragsleistung; anschließend war er krank und arbeitslos.

Auf seinen ersten Rentenantrag vom 10.04.1991 ließ die Beklagte den Kläger nervenärztlich, orthopädisch und internistisch untersuchen. Die Gutachter hielten den Kläger für fähig, leichte Tätigkeiten im Wechselrhythmus vollschichtig zu verrichten. Im Hinblick auf das Ergebnis dieser Begutachtung lehnte die Beklagte mit bindendem Bescheid vom 05.09.1991 die Bewilligung von Rente ab. Außerdem wies sie darauf hin, dass selbst bei Eintritt von Berufsunfähigkeit (BU) oder Erwerbsunfähigkeit (EU) im April 1991 der Antrag aus versicherungsrechtlichen Gründen abzulehnen gewesen wäre, weil im Zeitraum vom 01.09.1984 bis 31.03.1991 lediglich für 19 Monate Pflichtbeiträge nachgewiesen seien.

Vom 19.05. bis 16.06.1992 unterzog sich der Kläger in der Klinik H. B. einem stationären Heilverfahren, aus dem er als arbeitsfähig entlassen wurde.

Am 13.01.1994 beantragte der Kläger wiederum Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Der Neurologe und Psychiater Dr.D. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten gelangte im Gutachten vom 28.04.1994 zu dem Ergebnis, die psychische Symptomatik habe sich beim Kläger in einem solchen Maße zugespitzt, dass er sie auch bei zumutbarer Willensanstrengung nicht mehr überwinden könne. Er sei deshalb unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr einsetzbar. Mit Bescheid vom 01.06.1994 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit (AU) am 01.09.1993 erwerbsunfähig sei, gleichwohl lehnte sie die Zahlung von Leistungen ab, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der geltend gemachten Ansprüche nicht erfüllt seien. Der gegen diesen Bescheid am 04.07.1994 erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 04.10.1994).

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg (SG) hat der Kläger geltend gemacht, die EU sei schon vor 1984 eingetreten.

Das SG hat neben den Schwerbehindertenakten des AVF Würzburg und den Leistungsakten des Arbeitsamtes Nürnberg Befundberichte und Unterlagen des Orthopäden Dr.E. , des Internisten Dr.N. , des Neurologen Dr.K. , des Allgemeinmediziners S. , des Urologen Dr.M. und der Allgemeinmedizinerin Dr.M. sowie einen Leistungsauszug der AOK Mittelfranken für die Jahre 1979 bis 1988 zum Verfahren beigenommen. Zur Frage des Eintritts des Leistungsfalles hat das SG den Nervenarzt Dr.M. gehört (Gutachten vom 15.07.1996). Er hat die Auffassung vertreten, die jetzt festzustellenden Gesundheitsstörungen seien schon in früheren Jahren diagnostiziert und behandelt worden. Dies treffe sowohl für die körperlichen als auch für die psychischen Befindlichkeitsstörungen zu. Man werde rückschauend davon ausgehen können, dass schon vor dem 01.05.1986 (etwa seit 01.01.1986) nurmehr ein unter vollschichtiges Leistungsvermögen vorgelegen habe.

Mit Urteil vom 08.04.1997 hat das SG die Beklagte verpflichtet, dem Kläger ab 01.01.1994 Rente wegen EU nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Es hat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes den Leistungsfall - den Ausführungen des Sachverständigen Dr.M. folgend - mit Aufgabe der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung angenommen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Unter Hinweis auf eine nervenärztliche Stellungnahme von Dr.D. macht sie geltend, ein zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen des Klägers für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sei vor Anfang 1993 keinesfalls belegt. Im Übrigen gehe nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast die Beweislosigkeit einer quantitativen Erwerbsminderung schon vor diesem Zeitpunkt zu Lasten des Klägers.

Mit Beschluss vom 11.01.1999 hat der Senat die LVA Württemberg gemäß § 75 Abs 2 SGG als möglicherweise leistungspflichtigen RV-Träger zum Verfahren beigeladen. Die Vollstreckbarkeit aus dem angefochtenen Urteil wurde mit Beschluss vom 17.02.1998 ausgesetzt.

Der Senat hat zunächst ein ärztliches Sachverständigengutachten des Neurologen und Psychiaters Dr.B. eingeholt. Dieser gelangte im Gutachten vom 19.07.1999 zu dem Ergebnis, ein Absinken der Leistungsfähigkeit in den unter vollschichtigen Bereich sei beim Kläger erst Anfang 1993 eingetreten. Der Senat hat außerdem den Kläger informatorisch angehört und seine Ehefrau sowie T. M. , A. M. und V. K. als Zeugen einvernommen. Insoweit wird auf die Niederschriften vom 17.03.2000 und 30.03.2001 verwiesen.

Der weiter von Amts wegen gehörte Neurologe und Psychiater Dr.W. gelangte - ebenso wie Dr.B. - im Gutachten vom 03.07.2001 zu dem Ergebnis, in der Zeit von 1980 bis 1992 habe - zumindest für leichte Arbeiten - noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen bestanden. Erst seit dem zweiten Rentenantrag im Januar 1994 habe sich der Zustand des Klägers derart verschlechtert, dass von da an nur noch eine maximal halbschichtige Belastbarkeit anzuerkennen sei. Demgegenüber gelangte der auf Antrag des Klägers gehörte Nervenarzt Dr.G. im Gutachten vom 03.04.2002 zu der Beurteilung, das Leistungsvermögen des Klägers sei bereits seit Mai 1986 in den unter vollschichtigen Bereich gesunken. Dieser Einschätzung hat die Beklagte unter Hinweis auf die nervenärztliche Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr.D. vom 10.05.2002 widersprochen.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

das Urteil des SG Nürnberg vom 08.04.1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist insoweit auf die Ausführungen des vom SG gehörten Sachverständigen Dr.M. und die Bekundungen der vom Senat einvernommenen Zeugen. Spätestens bei Aufgabe der versicherungspflichtigen Beschäftigung im Frühjahr 1986 sei das progredient verlaufende Krankheitsbild bei ihm soweit fortgeschritten gewesen, dass er selbst leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr ganztägig verrichten konnte.

Dem Gericht haben neben den genannten Unterlagen die Verwaltungsunterlagen der Beklagten und die Streitakten erster und zweiter Instanz vorgelegen; auf deren Inhalt wird zur Ergänzung des Tatbestands verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und auch im Übrigen zulässig.

Die Berufung ist auch begründet. Auf den Antrag der Beklagten war das angefochtene Urteil des SG Nürnberg vom 08.04.1997 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 01.06.1994 idG des Widerspruchsbescheides vom 04.10.1994 abzuweisen. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Leistungen wegen EU oder BU, weil die hierzu erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Da der Kläger geltend macht, der Versicherungsfall der EU sei bereits mit Aufgabe der letzten versicherungspflichtigen Tätigkeit (31.03.1986) eingetreten, und die Beklagte mit bindend gewordenem Bescheid vom 05.09.1991 (§ 77 SGG) entsprechende Leistungen abgelehnt hatte (weil zum damaligen Zeitpunkt die medizinischen Voraussetzungen der fraglichen Ansprüche nicht vorlagen), kommt vorliegend nur eine Entscheidung gemäß § 44 SGB X in Betracht. Nach Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift kann ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, für die Vergangenheit zurückgenommen werden, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers nicht erfüllt.

Anspruch auf Rente wegen EU haben Versicherte nach § 44 Abs 1 SGB VI aF, wenn sie 1. erwerbsunfähig sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der EU drei Jahre Pflichtbeitragszeiten haben und 3. vor Eintritt der EU die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Der Kläger ist zwar, was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, in seiner psychischen Befindlichkeit so schwerwiegend krankhaft gestört, dass eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nicht möglich ist. Die Beteiligten sind sich auch darüber einig, dass ursächlich für die jetzt vorliegende EU ein psychogener Versagenszustand mit Somatisierungen ist, der sich als Mischbild einer depressiv-hysterischen-hypochondrischen Reaktion darstellt. Es kann im Ergebnis dahinstehen, ob die EU bereits Anfang des Jahres 1993 (Gutachten Dr.B. vom 19.07.1999), am 01.09.1993 (Ärztlicher Dienst der Beklagten) oder Anfang des Jahres 1994 (Dr.W. im Gutachten vom 03.04.2002) eingetreten ist. Denn auch bei Heranziehung des frühesten der genannten Zeitpunkte fehlt es für die Bewilligung von Rentenleistungen wegen EU, wie die Beklagte in den streitbefangenen Bescheiden zu Recht ausgeführt hat, an den notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Der Kläger hat zwar die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren (§ 50 Abs 1 SGB VI), nicht aber die für die streitigen Ansprüche erforderliche Beitragsdichte des § 44 Abs 1 Nr 2 SGB VI aF erfüllt, da der letzte Pflichtbeitrag zur Rentenversicherung der Arbeiter am 14.03.1986 entrichtet worden ist. Im Versicherungsverlauf des Klägers besteht somit eine Lücke ab April 1986, die - soweit sie auf die Zeit ab 01.01.1984 entfällt (vgl Art 2 § 6 Abs 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes) - eine Rentengewährung für einen 1993 bzw 1994 eingetretenen Leistungsfall der EU ausschließt.

Auch die Voraussetzungen der mit dem Rentenreformgesetz 1992 eingeführten Übergangsvorschriften gemäß §§ 240 Abs 2 bzw 241 Abs 2 SGB VI sind nicht erfüllt. Danach sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der BU oder EU bei Versicherten, die (wie der Kläger) vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt haben, nicht erforderlich, wenn jeder Kalendermonat in der Zeit vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der BU/EU mit Beiträgen oder sonstigen Anwartschaftserhaltungszeiten iS des § 240 Abs 2 SGB VI belegt ist. Beides ist beim Kläger nicht der Fall. Seine Beitragsleistung zur gesetzlichen Rentenversicherung endet vielmehr im März 1986.

Sonstige Anwartschafterhaltungszeiten (§ 240 Abs 2 Nrn 2 - 6 SGB VI) sind für die fragliche Zeit ab 01.01.1984 ebenfalls nicht nachgewiesen. Beitragslücken ab 1984 kann der Kläger auch nicht durch Nachentrichtung freiwilliger Beiträge schließen. Nach § 197 Abs 2 SGB VI (in Kraft seit 01.01.1992) sind freiwillige Beiträge nur dann wirksam, wenn sie bis 31.03. des Jahres gezahlt werden, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen. Nach der bis 31.12.1991 geltenden Vorgängervorschrift des § 1418 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) konnten Beiträge sogar nur bis zum Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres wirksam entrichtet werden. Damit scheidet nach beiden Bestimmungen eine wirksame Beitragsentrichtung für den fraglichen Zeitraum aus. Eine solche ist auch nicht gemäß §§ 240 Abs 2 Satz 2, 241 Abs 2 Satz 2 SGB VI entbehrlich, da diese Bestimmungen ein dem Grunde nach bestehendes Recht zur Beitragsnachentrichtung voraussetzen (BSG in SozR 3-2600 § 241 Nr 1). Daran fehlt es. Die Voraussetzungen einer Nachsichtgewährung sind ebenfalls nicht gegeben; diesbezüglich wurde vom Kläger auch nichts vorgetragen.

Ein Rentenanspruch wegen EU käme somit nur dann in Betracht, wenn der Leistungsfall der EU, wie vom Kläger geltend gemacht, bereits 1983 eingetreten wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der Senat schließt sich insoweit den überzeugenden Ausführungen der ärztlichen Sachverständigen Dr.B. und Dr.W. an, die in Übereinstimmung mit dem Gutachterarzt der Beklagten (Dr.D.) eine wesentliche Einschränkung im Leistungsvermögen des Klägers erst für die Zeit nach 1992 angenommen haben. Die Gesundheitsstörungen, die zur Annahme medizinischer EU des Klägers geführt haben, sind nach den in sich schlüssigen Ausführungen der ärztlichen Sachverständigen Dr.B. und Dr.W. bis Ende 1992 bei weitem nicht so stark ausgeprägt gewesen, dass hierdurch der Leistungsfall der EU ausgelöst worden wäre. Eine nach Art und Ausmaß in dieser Weise verminderte Erwerbsfähigkeit ist im streitigen Zeitraum nicht nachgewiesen.

Gegen die Annahme einer in den unter vollschichtigen Bereich gesunkenen Erwerbsfähigkeit vor 1993 sprechen insbesondere die objektiven Unterlagen. Dazu verweist der Senat zunächst auf das Ergebnis der dem behaupteten Versicherungsfall zeitnächsten Untersuchung des Klägers (im ersten Rentenverfahren) durch den Neurologen und Psychiater Dr.N ... Dieser hat in seinem Gutachten vom 16.07.1991 eine vollschichtige Einsatzfähigkeit des Klägers festgestellt, der zwar bei der Untersuchung subdepressiv verstimmt war (ohne Hinweis auf eine endogene Komponente), aber ersichtlich unter dem Einfluss der begleitenden Ehefrau stand, die versuchte, das Rentenbegehren des Klägers wirkungsvoll zu unterstützen. Auch aus dem Heilverfahren in der Klinik H. B. (19.05. bis 16.06.1992) wurde der Kläger - nach nervenärztlichem Konsil - als arbeitsfähig entlassen. Psychisch ist der Kläger damals überhaupt nicht aufgefallen. Den Ausführungen von Dr.M. und Dr.G. , die einen wesentlich früheren Leistungsfall der EU als Dr.B. und Dr.W. angenommen haben, kann deshalb nicht gefolgt werden, zumal diesbezüglich keine zu einer aussagekräftigen Befundsicherung geeigneten Einzelheiten ermittelt werden konnten. Gegen die von Dr.M. und Dr.G. vertretene Beurteilung sprechen eindeutig die Befunderhebungen Dr.N. und die längerfristige Beobachtung des Klägers in der Klinik H. während des stationären Heilverfahrens im Jahre 1992.

Mitbestimmend für die Überzeugung des Senats, dass der Leistungsfall der EU nicht vor 1993 eingetreten ist, war ferner auch der Umstand, dass dem Leistungsauszug der AOK Mittelfranken über die Jahre 1979 bis 1988 für die letzte Zeit der versicherungspflichtigen Tätigkeit des Klägers (März 1986) keinerlei Anhaltspunkte zu entnehmen sind, dass die für den Eintritt der EU ursächlichen psychischen Störungen eine relevante Rolle gespielt haben. So ergeben sich aus dem Leistungsauszug für die Zeit vom 07.01. bis 14.03.1986 als zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen lediglich "akute Mandelentzündung, Grippe, Bronchitis" (07.01. bis 17.01.1986), "HWS-Erkrankung und Affektionen des Rückens" (20.01. bis 19.02.1986) sowie "Neurose und Grippe" (25.02. bis 14.03.1986). Für die Zeit der Selbständigkeit als Gastwirt (15.03.1986 bis 31.03.1988) ist keine Arbeitsunfähigkeit verzeichnet.

Gegen die Annahme eines vor 1993 eingetretenen Leistungsfalles der EU spricht schließlich der Entlassungsbericht der Kurklinik S. in B ... Dort war der Kläger stationär vom 23.07. bis 20.08.1986 (also in der Zeit seiner Tätigkeit als selbständiger Gastwirt) stationär aufgenommen. Als Gesundheitsstörungen wurden von der Klinik eine chronisch rezidivierende Prostatitis und eine vasovegetative Dysregulation angegeben. Die eigene Beschwerdeschilderung des Klägers beschränkte sich auf "Blasen- und Kreuzbeschwerden". Zwar wurde von den Ärzten der Kurklinik insoweit eine psychische Komponente nicht ausgeschlossen; gleichwohl erfolgte die Entlassung als sofort arbeitsfähig für die Tätigkeit als selbständiger Restaurantführer. Diese Leistungseinschätzung steht auch nicht im Widerspruch zu den Unterlagen der behandelnden Ärzte. Denn der damals behandelnde Neurologe und Psychiater Dr.K. hat noch im Jahre 1989 lediglich ein psychovegetatives Syndrom bei Psychasthenie feststellen können. Eine schwerwiegende Leistungsbeeinträchtigung bzw der Eintritt der EU lässt sich daraus nicht ableiten. Die Beurteilungen von Dr.M. und G. sind daher mit den objektiven medizinischen Befundunterlagen nicht in Einklang zu bringen, weshalb der Senat ihre Leistungseinschätzung nicht für schlüssig hält.

Bei dieser Sachlage ist das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit den Ausführungen der ärztlichen Sachverständigen Dr.B. und Dr.W. zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Eintritt des Leistungsfalls der EU beim Kläger nicht schon für einen Zeitpunkt vor 1993 feststellen lässt. Aus der vorliegenden Dokumentation ärztlicher Befunde sind wertvolle Hinweise über Beginn und Fortentwicklung des beim Kläger gesicherten Krankheitsbildes zu entnehmen. Die aktenkundigen Beweisunterlagen liefern wesentlich zuverlässigere Aussagen über den Schweregrad der neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen des Klägers als dessen subjektive Selbsteinschätzung oder die Angaben seiner Ehefrau und der vom Senat einvernommenen Zeugen.

Dem Kläger ist daher der Nachweis eines früher eingetretenen Leistungsfalles der EU nicht gelungen. Nachgewiesen ist eine Tatsache nur dann, wenn sie mit der für den vollen Beweis erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststeht. Es müssten also - bezogen auf den vorliegenden Fall - bereits vor 1993 erhebliche, die Erwerbsfähigkeit des Klägers einschränkende Gesundheitsstörungen vorgelegen haben. Ein so früher Leistungsfall konnte aber durch die objektiven Unterlagen und auch durch die Ausführungen der von Amts wegen gehörten ärztlichen Sachverständigen nicht bewiesen werden. Das Gericht darf jedoch eine Leistung nur dann zusprechen, wenn die anspruchsbegründenden Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt sind. Ein solcher Nachweis ist hinsichtlich der in §§ 1246 Abs 2 und 1247 Abs 2 RVO bzw §§ 43 und 44 SGB VI aF vorausgesetzten Erwerbsminderung nicht geführt. Nach den auch im sozialgerichtlichen Prozess geltenden Grundsätzen von der objektiven Beweis- und Feststellungslast (vgl Meyer-Ladewig SGG 7.Aufl § 103 RdNr 19 a mit weiteren, insbesondere Rechtsprechungsnachweisen) geht die Unerweislichkeit von Tatsachen, aus denen ein Beteiligter günstige Rechtsfolgen für sich herleiten will, zu seinen Lasten. Das bedeutet: Selbst wenn das Leistungsvermögen des Klägers bereits vor 1993 (auf Dauer) in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt war, kann das Berufungsgericht diesen Umstand mangels ausreichender Nachweise seiner Entscheidung nicht zugrunde legen.

Nach alledem hat der Kläger gegen die Beklagte, obwohl medinisch EU vorliegt, keinen Anspruch auf Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach §§ 43, 44 SGB VI aF. Auf die Berufung der Beklagten war deshalb das angefochtene Urteil des SG Nürnberg aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved