L 19 RJ 626/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 17 Ar 566/94
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 RJ 626/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.12.1994 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 08.11.1995 verurteilt, die Beitragszeit des Klägers vom 01.01.1964 bis 23.12.1983 bei der Berechnung der Altersrente als nachgewiesen zu berücksichtigen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welchem Umfang in Rumänien zurückgelegte Versicherungszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) bei der Berechnung der Altersrente zu berücksichtigen sind.

Der am 1935 geborene Kläger ist am 03.02.1984 aus Rumänien in das Bundesgebiet übergesiedelt und ist Inhaber des Bundesvertriebenenausweises A. In seiner Heimat arbeitete er vom 25.07.1952 bis 23.12.1983 als Elektriker und Elektromeister. Im Kontenklärungsverfahren 1985 legte er die Adeverinta Nr 199 vom 31.01.1984 vor. Die Beklagte merkte mit Bescheid vom 03.09.1986 die streitige Zeit zu 6/6 vor.

Im Rahmen der nach dem RRG 1992 erfolgten Überprüfung merkte die Beklagte mit Bescheid vom 06.04.1994 und Widerspruchsbescheid vom 21.07.1994 sämtliche Versicherungszeiten des Klägers nur noch zu 5/6 vor. Das hiergegen angerufene Sozialgericht Nürnberg (SG) hat die Klage - gerichtet auf Vollanrechnung der Zeit vom 01.01.1964 bis 23.12.1983 - mit Urteil vom 20.12.1994 abgewiesen, weil die streitige Zeit nur glaubhaft gemacht sei.

Mit Bescheid vom 08.11.1995 bewilligte die Beklagte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 01.11.1995.

Im Berufungsverfahren legte der Kläger die vom rumänischen Arbeitsministerium über die LVA Unterfranken zugeleitete Adeverinta Nr 565 vom 10.03.1995 vor - ausgestellt von der Handelsgesellschaft "C." in Brasov. Darin ist (gegliedert nach den gearbeiteten Monaten, Tagen des Krankenurlaubs, unbezahlten Urlaubs und des unerlaubten Fehlens) die Beschäftigungszeit des Klägers von Januar 1964 bis Ende 1983 erfasst. Die Bescheinigung enthält den Zusatz, dass die Daten den Unterlagen aus dem Archiv der Ausstellerin entnommen wurden. Dazu trägt der Kläger vor, es sei nicht einsehbar, warum Versicherte, die in Rumänien beschäftigt und nach dem dort geltenden Sozialversicherungssystem versichert waren, nunmehr schlechter gestellt werden sollten als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer. Er weist außerdem auf die Angaben des im früheren Kontenklärungsverfahren einvernommenen Zeugen G. hin, dem keine Unterbrechung seines Beschäftigungsverhältnisses in diesen Jahren erinnerlich gewesen sei. Er - der Kläger - sei während seiner 20-jährigen Beschäftigung niemals krankheitsbedingt dem Arbeitsplatz fern geblieben, mit Ausnahme einer Knieoperation, deretwegen er im Jahre 1979 oder 1980 zwei oder drei Wochen arbeitsunfähig gewesen sei.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 20.12.1994 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08.11.1995 zu verurteilen, die in Rumänien zurückgelegte Beitragszeit vom 01.01.1964 bis 23.12.1983 ungekürzt bei der Berechnung der Altersrente zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt, die Klage gegen den Bescheid vom 08.11.1995 abzuweisen und die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung ihres Antrags auf die nach ihrer Auffassung zutreffenden Ausführungen des erstgerichtlichen Urteils.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren neben den Streitakten der ersten und zweiten Instanz die Unterlagen der Beklagten. Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die genannten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und auch im Übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet. Auf den Antrag des Klägers war das Urteil des SG Nürnberg vom 20.12.1994 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08.11.1995 zu verurteilen, die Beitragszeit des Klägers vom 01.01.1964 bis 23.12.1983 bei der Berechnung der Altersrente ungekürzt zu berücksichtigen. Diese Beschäftigungszeiten des Klägers sind nach Auffassung des Senats nicht lediglich glaubhaft gemacht, sondern nachgewiesen.

Der Senat hatte über den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag des Klägers als Klage zu entscheiden; denn der erst während des Berufungsverfahrens ergangene Altersrentenbescheid vom 08.11.1995 war in entsprechender Anwendung von § 96 SGG in das laufende Berufungsverfahren einzubeziehen. Über ihn hatte das LSG als erstinstanzliches Gericht und damit auf Klage zu entscheiden, ohne dass es eines verwaltungsbehördlichen Vorverfahrens bedurfte (vgl Meyer-Ladewig SGG 6. Auflage RdNr 7 zu § 96; BSGE 47, 170).

Anzuwenden ist das FRG in der ab 01.01.1992 gültigen Fassung iVm Art 6 §§ 4, 5 FANG, da der Versicherte bis zum 30.06.1990 seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen hat und die Rentenleistungen aus seiner Versicherung in der Zeit vom 01.07.1990 bis 31.12.1995 (vorliegend am 01.11.1995) begonnen haben. Der somit anzuwendende § 22 Abs 3 FRG ersetzt die Kürzung der Zeiten nach § 19 Abs 2 FRG aF durch eine Kürzung der Entgeltpunkte. Danach werden für Beitrags- oder Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, die ermittelten Entgeltpunkte um 1/6 gekürzt. Vorliegend sind die streitigen Zeiten als Beitragszeiten nachgewiesen und somit ungekürzt zu berücksichtigen.

Nachweis iS des § 22 Abs 3 FRG bedeutet die Führung des vollen Beweises, der - wie in anderen Rechtsgebieten - auch im Sozialversicherungsrecht mit allen Beweismitteln erbracht werden kann, soweit nicht der Kreis zulässiger Beweismittel gesetzlich eingeschränkt ist. Eine Beschränkung auf bestimmte Beweismittel findet aber im Rahmen der Prüfung, ob Zeiten nach §§ 15, 16 FRG nachgewiesen oder nur glaubhaft gemacht sind, nicht statt (BSGE 20, 255).

Nachgewiesen sind Zeiten dann, wenn mit der für den vollen Beweis erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststeht, dass sie (ohne relevante Unterbrechungen) zurückgelegt sind. Dies kann zB angenommen werden, wenn eine Arbeitsbescheinigung nicht nur konkrete und glaubwürdige Angaben über den Umfang der Beschäftigungs- bzw Beitragszeiten, sondern auch über dazwischenliegende Ausfallzeiten enthält. Der Beweis einer (gemessen am Monatsprinzip) lückenlosen Beitragszeit zum Rentenversicherungssystem eines nichtdeutschen (hier des rumänischen) Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung bzw der Nachweis einer ununterbrochenen Beschäftigungszeit, die nach dem am 01.03.1957 geltenden Recht der Bundesrepublik Deutschland Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ausgelöst hätte, wird in erster Linie durch Urkunden, amtliche Auskünfte und Zeugenaussagen geführt. Dabei wird der Urkundenbeweis regelmäßig als das zuverlässigste Beweismittel gelten. Sowohl öffentliche als auch von früheren Arbeitgebern ausgestellte Bescheinigungen (Adeverintas) und die in der Regel ebenfalls von den Arbeitgebern vorgenommenen Eintragungen in den rumänischen Arbeitsbüchern sind grundsätzlch geeignet, den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen zu erbringen.

Enthalten aber die Beweismittel - wie in der Regel die rumänischen Arbeitsbücher - nur Angaben über Beginn und Ende der Beschäftigung, ohne erkennen zu lassen, ob und in welchem Umfang die Beitrags- oder Beschäftigungszeiten durch Fehlzeiten unterbrochen wurden, sind sie nur als Mittel der Glaubhaftmachung geeignet (BSG, Urteile vom 21.04.1982 - 4 RJ 433/81 - und vom 09.11.1982 - 11 RA 64/81 -). Sie können dann nur zu einer gekürzten Anrechnung führen.

Unter Berücksichtigung der oben angeführten Gesichtspunkte ist vorliegend der erforderliche Nachweis durch die Adeverinta Nr 565 vom 10.03.1995 geführt. Denn sie enthält Angaben über die Tätigkeiten des Versicherten, die gearbeiteten Monate, Tage des Krankenurlaubs, unbezahlten Urlaubs und unerlaubten Fehlens in der Zeit von Januar 1964 bis Ende 1983. Aus ihr ergibt sich, dass der Kläger in der streitigen Zeit keine unbezahlten Urlaubstage und keine unbegründeten Fehlzeiten hatte; auch war er nicht arbeitslos. Die Aufzeichnungen sind den Unterlagen des Archivs der Ausstellerin entnommen. Solch qualifizierte Bescheinigungen mit den vorstehend bezeichneten Angaben bedeuten ein wesentliches Mehr an Auskunft gegenüber den bloßen Adeverintas ohne entsprechende Hinweise auf Fehlzeiten. Im Hinblick auf die bestätigten Angaben bestehen für den Senat keine begründeten Zweifel am Wahrheitsgehalt der genannten Adeverinta. Diese erfüllt vielmehr insgesamt die Anforderungen an einen Nachweis der Versicherungszeiten, da neben den effektiv gearbeiteten Monaten die Fehlzeiten des Versicherten einzeln vermerkt sind. Nach Auffassung des Senats dürfen die Anforderungen an einen Nachweis nicht überspannt werden, was hier bedeutet, dass kein vernünftiger Grund vorliegt, die Bestätigung des rumänischen Arbeitgebers bzgl der auf das Beschäftigungsverhältnis bezogenen Angaben an wesentlich strengere formale Erfordernisse zu knüpfen als bei deutschen Arbeitgebern. Zum anderen kann nicht verlangt werden, dass nach völlig unwahrscheinlichen Fehlzeiten im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses (zB Arbeitsausfall durch höhere Gewalt) geforscht bzw gefragt werden muss. Auch bestehen für den Senat keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Inhalt der genannten Adeverinta zu Gunsten des Klägers verfälscht worden sein könnte. Insbesondere spricht nichts für die Annahme, die Ausstellerin der Urkunde könnte ihr bekannte Fehlzeiten des Klägers verschwiegen oder die Adeverinta aus reiner Gefälligkeit erstellt haben. Ein vernünftiger Zweifel an der Richtigkeit dieser Bescheinigung besteht für den Senat deshalb nicht.

Gegen die Richtigkeit der Adeverinta Nr 565 vom 10.03.1995 spricht auch nicht der Umstand, dass der Kläger einen geringeren Umfang der Arbeitsunfähigkeit in Folge der Knieoperation angegeben hat als in der Adeverinta bestätigt wurde. Ferner spricht nicht dagegen, dass der im Kontenklärungsverfahren einvernommene Zeuge G. angegeben hat, er könne sich nicht an eine Unterbrechung der Beschäftigungszeit des Klägers erinnern. Gegenüber dem Aussagewert dieser Bescheinigung kommt den Angaben des Klägers und den Bekundungen des Zeugen G. nur untergeordnete Bedeutung zu, da solche naturgemäß lange zurückliegenden Zeiten einer Erkrankung bzw Beurlaubung allein aus der Erinnerung heraus nicht nach Jahren, Monaten und Tagen zuverlässig angegeben werden können. Im Übrigen erscheint es dem Senat mit Rücksicht auf die Unzuverlässigkeit des menschlichen Gedächtnisses gerade nicht außergewöhnlich, dass sich der Kläger bei seinen anamnestischen Angaben über den Zeitpunkt und die Dauer der Knieerkrankung in Rumänien geirrt hat. Es entspricht einer häufig gemachten Erfahrung, dass Versicherte ihre früheren Angaben zu Tatsachen und Ereignissen anhand der später aus dem Vertreibungsland übersandten Beitragsunterlagen korrigieren müssen.

Die vorgenannte Adeverinta erfüllt demnach die Anforderungen an einen Nachweis der urkundlich bestätigten Versicherungszeiten. Fehlzeiten haben zur Überzeugung des Senats nur in dem Umfang vorgelegen, wie sie bescheinigt wurden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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