L 20 RJ 629/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 4 RJ 658/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 629/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.10.1999 aufgehoben.
II. Die Beklagte wird in Abänderung ihres Bescheides vom 12.01.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.07.1998 verpflichtet, die Beitragszeiten der Klägerin vom 14.11.1953 bis 21.09.1970 und vom 11.01.1973 bis 09.06.1976 als nachgewiesen mit den vollen Tabellenwerten bei der Berechnung der Altersrente zu berücksichtigen.
III. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Bewertung von Versicherungszeiten der Klägerin in Rumänien vom 14.11.1953 bis 21.09.1970 und vom 11.01.1973 bis 09.06.1976 nach dem Fremdrentengesetz (FRG).

Die am 30.01.1938 geborene Klägerin übersiedelte am 04.09.1980 aus Rumänien in die Bundesrepublik. Sie ist Inhaberin des Vertriebenenausweises "A".

In einem Antrag auf Kontenklärung vom 25.06.1981 gab die Klägerin an, dass sie vom 14.11.1953 bis 21.09.1970 und vom 11.01.1973 bis 09.06.1976 als Webereiarbeiterin in Rumänien versicherungspflichtig beschäftigt war. In den vorgelegten Adeverintas Nr 2484 vom 17.04.1981 und Nr 1789 vom 10.08.1994 des Textilunternehmens "T ..." wurde bestätigt, dass die Klägerin während des gesamten (von ihr angegebenen) Zeitraums dort tätig war.

Auf den Antrag der Klägerin vom 25.11.1997 gewährte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 12.01.1998 ab 01.02.1998 Altersrente für Frauen. Die Zeiten vom 14.11.1953 bis 21.09.1970 und vom 11.01.1973 bis 09.06.1976 wurden (unter Kürzung der Entgeltpunkte auf 5/6) nicht als nachgewiesene, sondern lediglich als glaubhaft gemachte Beitragszeiten anerkannt.

Dagegen erhob die Klägerin am 29.01.1998 wegen der 5/6-Kürzung Widerspruch. Zur Begründung legte sie im Widerspruchsverfahren die von der " ..." ausgestellte Adeverinta Nr 1918 vom 14.04.1998 - betreffend den Zeitraum 1953 bis 1976 - vor, in der ihre Krankenurlaube nach Jahren, Monaten und Tagen aufgeschlüsselt waren und weiter bestätigt wurde, dass die Daten den Zahlungslisten und Anwesenheits-Büchern des Archivs entnommen seien, die Arbeitswoche 48 Stunden betragen habe und die Sozialversicherungsbeiträge entrichtet worden seien.

Mit Bescheid vom 01.07.1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei lediglich glaubhaft, dass die Klägerin von 1953 (mit Unterbrechungen) bis 1976 in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe, das Versicherungspflicht nach dem Recht der Bundesrepublik - Stichtag 01.03.1957 - begründet hätte. Die vorgelegte Bescheinigung Nr 1918 vom 14.04.1998 sei nach Art, Umfang und Inhalt nicht geeignet, den Nachweis einer ununterbrochenen Beitragsleistung zu liefern. Es sei schon aus systembedingten Gründen zu bezweifeln, dass für Zeiten, die bis zu 45 Jahre zurücklägen, noch lückenlos Unterlagen vorhanden seien.

Dagegen hat die Klägerin am 22.07.1998 Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben und beantragt, die in Rumänien zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten in vollem Umfang zu berücksichtigen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 11.10.1999 abgewiesen. Die von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden vorgenommene Bewertung sei rechtlich zutreffend. Die streitigen Zeiten könnten lediglich als glaubhaft gemachte Beitrags- und Beschäftigungszeiten angesehen werden, da unterschiedliche Bescheinigungen des rumänischen Arbeitsgebers vorlägen.

Gegen das ihr am 15.11.1999 zugestellte Urteil richtet sich die am 13.12.1999 beim Bayer.Landessozialgericht (BayLSG) eingegangene Berufung der Klägerin.

Sie macht - wie in erster Instanz - die ungekürzte Anrechnung der in Rumänien zurückgelegten Beitragszeiten geltend. Die von ihr vorgelegte Adeverinta müsse insoweit als Nachweis dienen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des SG Bayreuth vom 11.10.1999 aufzuheben und die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 12.01.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.1998 zu verurteilen, die Beschäftigungszeiten vom 14.11.1953 bis 21.09.1970 und vom 11.01.1973 bis 09.06.1976 als nachgewiesene Beitragszeiten anzuerkennen und mit 6/6 bei der Berechnung der Altersrente zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 11.10.1999 zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten und die Prozessakte des Sozialgerichts Nürnberg vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes = SGG) und auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).

Das Rechtsmittel ist begründet, denn das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, da die von der Klägerin in Rumänien zurückgelegten Versicherungszeiten als nachgewiesen (ohne Kürzung der Entgeltpunkte auf 5/6) bei der Berechnung ihrer Altersrente zu berücksichtigen sind.

Nachweis iS des § 22 Abs 3 FRG bedeutet die Führung des vollen Beweises, der - wie in anderen Rechtsgebieten - auch im Sozialversicherungsrecht mit allen Beweismitteln erbracht werden kann, soweit nicht der Kreis zulässiger Beweismittel gesetzlich eingeschränkt ist. Eine Beschränkung auf bestimmte Beweismittel findet aber im Rahmen der Prüfung, ob Zeiten nach §§ 15, 16 FRG nachgewiesen oder nur glaubhaft gemacht sind, nicht statt (BSGE 20, 255).

Nachgewiesen sind Zeiten dann, wenn mit der für den vollen Beweis erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit feststeht, dass sie ohne relevante Unterbrechungen zurückgelegt sind. Dies kann angenommen werden, wenn eine Arbeitsbescheinigung nicht nur konkrete und glaubwürdige Angaben über den Umfang der Beschäftigungs- bzw Beitragszeiten, sondern auch über dazwischenliegende Fehlzeiten enthält. Der Beweis einer (gemessen am Monatsprinzip) lückenlosen Beitragsleistung an einen nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung wird in erster Linie durch Urkunden, amtliche Auskünfte und Zeugenaussagen geführt. Dabei wird der Urkundenbeweis regelmäßig als das zuverlässigste Beweismittel gelten können. Sowohl öffentliche Urkunden als auch die von früheren Arbeitgebern ausgestellten Bescheinigungen (in Rumänien: Adeverintas) sind in der Regel geeignet, den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen zu erbringen. Dies gilt nach der Überzeugung des Senats auch für die hier maßgebliche Adeverinta Nr 1918 vom 14.04.1998 (Fa. "T ..." AG [SA]). Diese Bescheinigung ist erkennbar vom rumänischen Arbeitgeber der Klägerin ausgestellt und der Beklagten im Original vorgelegt worden. Die Adeverinta entspricht in vollem Umfang den Anforderungen, die der Senat schon bisher an den Nachweis rumänischer Beitragszeiten gestellt hat. Insbesondere enthält sie Aussagen über alle denkbaren, während des Arbeitslebens auftretenden Fehlzeiten, aufgeschlüsselt nach Jahren, Monaten und einzelnen Tagen. Es sind verteilt über den Gesamtzeitraum die Fehlzeiten der Klägerin wegen Krankheit, Erholungsurlaubs, unbezahlten Urlaubs und unentschuldigter Fehltage vermerkt. Ein vernünftiger Zweifel an der Richtigkeit dieser Bescheinigung besteht für den Senat nicht; es findet sich auch kein Hinweis darauf, dass die Bescheiigung zugunsten der Klägerin gefälscht oder verfälscht sein könnte.

Die von der Beklagten geäußerten Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigung teilt der Senat nicht. Auch wenn die Unterlagen auf Initiative der Klägerin und auf privatem Wege nach Deutschland gelangt sind, lässt dies nicht den Schluss zu, dass sie in Rumänien von einer dazu nicht legitimierten Stelle erstellt sein könnten oder dass die betreffenden Zeiten willkürlich (ohne Zuhilfenahme der archivierten Original-Betriebsunterlagen) bestätigt wurden.

Die vorgenannte Adeverinta erfüllt demnach iVm den eigenen Angaben der Klägerin die Anforderungen an einen Nachweis der fraglichen Versicherungszeiten. Fehlzeiten haben zur Überzeugung des Senats nur in dem Umfang vorgelegen, wie sie bescheinigt wurden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG Nr 1 und 2 liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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