L 5 RJ 658/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 911/99 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 658/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 9. August 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Der am ...1938 geborene Kläger ist von 1969 bis 1971 in Deutschland als Hilfsarbeiter (18 Monate deutsche Beiträge) bei der Fa. M ... in B ... beschäftigt gewesen. Nach Kroatien zurückgekehrt verrichtete er bis Juli 1996 Hilfstätigkeiten im Hafen und in der Landwirtschaft. Seitdem erhält er dort Invalidenrente wegen der Folgen seiner Erkrankungen an der Lunge und der Bauchspeicheldrüse sowie wegen einer Zuckerkrankheit.

Den am 26.08.1996 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid/Widerspruchsbescheid vom 25.01.1999/04.05.1999 ab. Nach ihren ärztlichen Feststellungen (Blutzuckererkrankung, neurotische Störung, Übergewichtigkeit bei Fettstoffwechselstörungen, Funktionsminderung der Wirbelsäule bei Verschleißerscheinungen ohne Wurzelreiz) sei der Kläger noch in der Lage, vollschichtig leichte Arbeiten unter diversen Einschränkungen zu verrichten.

Hiergegen hat dieser Klage zum Sozialgericht Landshut (SG) erhoben und angeführt, dass die Untersuchungen in Zagreb oberflächlich durchgeführt worden seien, denn insgesamt könne er keine vollschichtigen Arbeiten mehr verrichten. Nach einem zugleich vorgelegten Bericht des Krankenhauses Split (Dr. G ...) war der Kläger im April 1999 wegen Schmerzes in der linken Brusthälfte (leichte Lungenentzündung) stationär aufgenommen worden. Eine gründliche Untersuchung des Herzens habe keine krankhaften Befunde ergeben.

Das SG hat Gutachten der Ärztin für Sozialmedizin Dr. T ... und des Neurologen Dr. Dr. W ... sowie Zusatzbefunde des Laborarztes Dr. H ..., des Internisten und Gastroenterologen Prof. Dr. H ..., des Kardiologen Prof. Dr. A ..., des Radiologen Prof. Dr. R ... und des Augenarztes Dr. K ... eingeholt. Dr. Dr. W ... setzt sich eingehend mit den allgemeinärztlichen und psychiatrischen Vorgutachten vom September 1998 sowie der Stellungnahme des Sozialärztlichen Dienstes vom 08.01.1999 auseinander und diagnostiziert: 1. Spannungskopfschmerz. 2. Restless-Legs-Syndrom. 3. Wirbelsäulenaufbrauchsyndrom der Hals- und Lendenwirbelsäule ohne Nervenwurzelreizerscheinungen. Eine psychiatrische Störung von eigenständigem Krankheitswert hat der Sachverständige nicht gefunden. Damit bestehe ein Leistungsprofil für vollschichtige leichte Tätigkeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, ohne schweres Heben und Tragen von Lasten, ohne Akkord-, Schicht- oder Nachtarbeit und ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit. Die Umstellungsfähigkeit sei nicht gravierend unterhalb der Alters- und Ausbildungsnorm.

Dr.T ... hat in ihrem Gutachten unter Einbeziehung der im Klinikum Landshut zusätzlich erhobenen Befunde folgende Diagnosen gestellt: 1. Chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung. 2. Adipositas bei Leberparenzymschaden und Fettstoffwechselstörung. 3. Altersemphysem. 4. Funktionseinschränkung der Wirbelsäule ohne Nervenwurzel- reizsymptomatik. 5. Kniegelenksbeschwerden beidseits mit Funktionseinschränkung links, leichte sensible Polyneuropathie. Die Stoffwechselfunktion sei normal bis auf die lediglich labortechnisch nachweisbare Grunderkrankung der Bauchspeicheldrüsenentzündung. Insgesamt könne der Kläger leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten ohne häufiges Bücken und ohne ständiges Gehen verrichten. Eine zeitliche Einschränkung im Rahmen der Vollschicht lasse sich nicht begründen.

Durch Urteil vom 9. August 2000 hat das SG die Klage abgewiesen: Die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei zwar durch einige Gesundheitsstörungen eingeschränkt, jedoch nicht in einem solchem Maße, dass er seit der Rentenantragstellung nicht mehr in der Lage gewesen wäre, zumindest die Hälfte des Lohnes eines vergleichbaren Versicherten (ungelernter Arbeiter) zu erzielen. Er könne noch leichte körperliche Arbeiten vollschichtig verrichten.

Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt und wiederum auf seinen Gesundheitszustand hingewiesen, der ihm eine vollschichtige Arbeitstätigkeit verbiete. Bei den bestehenden Leistungseinschränkungen seien ohnehin keine Arbeitsmöglichkeiten für ihn gegeben.

Das LSG hat dem Kläger mitgeteilt, dass eine weitere Beweiserhebung von Amts wegen nicht mehr beabsichtigt sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm aufgrund ab des Antrags vom 26.08.1996 unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 09.08.2000 sowie des Bescheides vom 25.01.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.05.1999 Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten erster und zweiter Instanz sowie der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gerichtete Berufung ist statthaft und zulässig (§ 144 Abs.1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - in der Fassung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 01.03.1993). Sie ist auch fristgemäß eingelegt (§ 153 Abs.1 SGG i.V.m. § 87 Abs.1 Satz 2 SGG).

In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Eine solche Leistung kann er nach den §§ 43 Abs.1 Nr.2, 44 Abs.1 Nr.2 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung ebenso wie in der Fassung der §§ 43 bzw. 240 SGB VI (ab 01.01.2001) nur beanspruchen, wenn er berufs- bzw. erwerbsunfähig ist, vor Eintritt der verminderten Erwerbsfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeitragszeiten (PBZ) aufweist.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs sind erfüllt. Der Kläger hat den Fünf-Jahres-Zeitraum vor der Antragstellung voll mit kroatischen/jugoslawischen Beitragszeiten (anzurechnen gemäß Art.25 Abs.1 des zum Zeitpunkt der Antragstellung noch geltenden Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über soziale Sicherheit vom 12.10.1968) belegt und mit seinen deutschen und jugoslawischen Beiträgen die allgemeine Wartezeit erfüllt.

Nach § 43 Abs.2 SGB VI (Fassung bis zum 31.12.2000) bzw. § 240 SGB VI ist ein Versicherter berufsunfähig, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperliche oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich oder geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und die ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat, da er das beim Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit abgedeckte Risiko bestimmt. Dabei unterscheidet die Rechtsprechung nach dem sogenannten Stufenschema die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion (auch des besonders hochqualifizierten Facharbeiters), des Facharbeiters, des angelernten und des ungelernten Arbeiters.

Nach seinem Berufsleben in Deutschland sowie seinem bisherigen beruflichen Werdegang ist der Kläger mit einer dreijährigen Schulausbildung und bloßen Helfertätigkeiten vor und nach seinem Aufenthalt in Deutschland sowie der von ihm persönlich verneinten regelrechten oder qualifizierten Berufsausbildung der Gruppe der ungelernten Arbeiter zuzurechnen. Denn auch in Deutschland ist er von 1969 bis 1971 als Hilfsarbeiter bei M ... in B ... beschäftigt gewesen.

Damit - ohne Berufsschutz und ohne besondere Einschränkung für die Angelernten des oberen Bereiches - ist der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen, auf dem er, wie im Folgenden noch auszuführen ist, wegen seines vollschichtigen Arbeitsvermögens mehr als die Lohnhälfte verdienen kann und damit nicht berufsunfähig ist.

Nach dem Ergebnis der medizinischen Sachaufklärung kann der Kläger zustandsangemessene ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts vollschichtig verrichten. Gemäß § 44 SGB VI (in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung) liegt demgegenüber Erwerbsunfähigkeit nur vor, wenn der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße (bzw. ab 01.04.1999 einen Betrag von DM 630,00) übersteigt. Ab 01.01.2001 ist nur derjenige erwerbsunfähig, der entweder teilweise erwerbsgemindert ist (§ 43 Abs.1 Satz 2; Versicherte, die auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein bzw. § 43 Abs.2; Versicherte, die außerstande sind, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein). Der Kläger erfüllt weder die strengeren Bedingungen eines Unvermögens zu achtstündigem/vollschichtigen Erwerb, noch diejenigen einer teilweisen oder einer vollen Erwerbsminderung des ab 01.01.2001 geltenden Rechts. Denn die Sachverständigen haben ihn noch für imstande gehalten, acht Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Damit erfüllt er erst recht nicht die verschärften Bedingungen nach dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl.2000, S.1827 ff.).

Gegen die sorgfältigen Gutachten der Sachverständigen Dr.Dr.W ... und Dr.T ..., insbesondere auch mit den vielzähligen, zusätzlich erhobenen Befunden im Klinikum Landshut, ist nichts einzuwenden. Sachlich hat der Kläger dagegen auch nichts Fundiertes vorgebracht. Die Gutachten vom August 2000 sind noch aktuell. Die darin aufgeführten Krankheiten weisen auch keine Tendenz zur Progredienz aus. Daher bedurfte es keiner neuen Begutachtung.

Bei dem gefundenen Leistungsprofil liegt weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, noch eine Verschlossenheit des Arbeitsmarkts aufgrund eines sogenannten Katalogfalles. Denn weder hat der Kläger besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz, noch weist er Leistungseinschränkungen auf, die sich in der Verbindung mit anderen Einschränkungen besonders erschwerend bei einer Arbeitsplatzsuche auswirken, wie z.B. die von der Rechtsprechung erwähnten Fälle der Erforderlichkeit zusätzlicher Arbeitspausen, der Einschränkungen bei Arm- und Handbewegung, bei der Notwendigkeit eines jederzeit selbst bestimmten Wechsels vom Sitzen zum Gehen oder beim Vorliegen von Einarmigkeit oder Einäugigkeit.

Die Frage, ob eine Vermittlung auf einen den gesundheitlichen Anforderungen entsprechenden Arbeitsplatz möglich ist, bedarf hier keiner Erörterung. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist es nur erforderlich, dass es Arbeitsplätze gibt, die der Versicherte mit der ihm verbliebenen Erwerbsfähigkeit auszufüllen vermag. Das Risiko, keinen Arbeitsplatz zu finden, trägt grundsätzlich die Arbeitslosen- und nicht die Rentenversicherung (vgl. z.B. BSG in SozR 2200, § 1246 Nr.82, SozR 3-2600, BSG/GS in § 44 Nr.8). Das Arbeitsmarktrisiko, das nach der bisherigen Rechtsprechung für diesen Personenkreis (neben den gesundheitlichen Einschränkungen weitere Risikofaktoren wie vorgerücktes Alters oder mangelhafte Ausbildung) von der Bundesanstalt für Arbeit, soweit noch Arbeitslosengeld zu zahlen ist, vom Bundeshaushalt, soweit Arbeitslosenhilfe zu zahlen ist und im Übrigen von den Sozialhilfeträgern getragen wird, wird nicht auf die Rentenversicherungsträger verlagert.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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