L 6 RJ 94/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 15 RJ 2634/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 94/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 4. Januar 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, hilfsweise Rente wegen Erwerbsminderung.

Der am 1952 geborene Kläger hat von 1966 bis 1970 den Beruf eines Kraftfahrzeugmechanikers erlernt und bis 1984 auch überwiegend ausgeübt. In der Folgezeit ist er sodann als Kraftfahrer berufstätig gewesen; die Prüfung nach der Verordnung über die Berufsausbildung zum Berufskraftfahrer hat er nicht abgelegt.

Bei seinem letzten Arbeitgeber, der Firma Transportunternehmen H. S. , N. (Fa.S.), ist der Kläger vom 18.10.1993 bis 31.01.1995 als Betonmischerfahrer beschäftigt worden. Er ist entsprechend den Beschäftigungsmerkmalen in die Lohngruppe 4 ("Kraftfahrer") des ab 01.07.1994 geltenden Lohntarifvertrags Nr. 17 vom 10.05.1994 für die gewerblichen Arbeitnehmer des Speditions- und Transportgewerbes in Bayern (Tarifvertrag) eingestuft gewesen.

Vom 15.05.1999 bis 14.05.2001 hat der Kläger an einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) teilgenommen. Er ist hier bei der gemeinnützigen Einrichtung "HausMeisterei W. R.", R. (HausMeisterei), für sehr einfache Hilfsarbeiten und kurze Fahrertätigkeiten verwendet worden.

Einen ersten auf Zahlung von Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit gerichteten Antrag des Klägers vom 04.11.1996 hat die Beklagte mit Bescheid vom 13.01.1997 abgelehnt. Am 24.03. 1998 stellte der Kläger diesen Antrag erneut. Die Beklagte lehnte ihn mit Bescheid vom 10.06.1998 und Widerspruchsbescheid vom 16.11.1998 ab. Der Versicherte habe keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI (sc. in der bis 31.12.2000 geltenden alten Fassung - a.F. - ), da er nach den im Verwaltungsverfahren zu seinem Gesundheitszustand und beruflichen Leistungsvermögen sowie zu seinem beruflichen Werdegang getroffenen Feststellungen nicht berufsunfähig im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift sei; er habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VI (gültig bis 31.12.2000), da er erst recht nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB VI sei.

Gesundheitszustand und berufliches Leistungsvermögen entnahm die Beklagte hierbei umfangreichen Vorbefunden und vor allem dem Gutachten der Ärztin für Orthopädie Dr.C. vom 18.05.1998.

Mit der am 03.12.1998 zum Sozialgericht (SG) München erhobenen Klage verfolgte der Kläger seinen Rentenanspruch weiter.

Das SG zog die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Schwerbehindertenakten des Amtes für Versorgung und Familienförderung (AVF) München II bei, richtete bezüglich etwaiger medizinischer Unterlagen Anfragen an die AOK Bayern und das Landesarbeitsamt Bayern und erholte einen Befundbericht von dem behandelnden Internisten - Sportmedizin Dr.R. (vom 22.04.1999) sowie eine Auskunft von der Fa.S. (vom 30.04.1999).

Das SG holte sodann zu Gesundheitszustand und beruflichem Leistungsvermögen des Klägers von dem Facharzt für Orthopädie Dr.S. ein medizinisches Sachverständigengutachten ein (vom 16.06.1999). Dieser stellte folgende Gesundheitsstörungen beim Kläger fest: 1. Überwiegend funktionelles Halswirbelsäulensyndrom ohne nachweisbares radikuläres sensomotorisches Defizit und ohne wesentliche Funktionsminderung. 2. Degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom bei Osteochondrose L 5/S 1 sowie beginnender Spondylose und Facettgelenksarthrose ohne radikuläre sensomotorische Reizerscheinungen und Ausfälle. 3. Zustand nach hüftgelenksnaher Knochentuberkulose mit Coxitis und nachfolgender Arthrodese 1979, Zustand nach intertrochantärer Umstellungsosteotomie am 18.04.1996 mit resultierender Arthrodese im linken Hüftgelenk, in guter Stellung knöchern fest konsolidiert mit nachhaltiger Funktionsbeeinträchtigung; beginnende degenerative Veränderungen am rechten Hüftgelenk. 4. Beginnende Gonarthrose, links mehr als rechts; Inaktivitätsatrophie links. 5. Beginnende Arthrose der oberen Sprunggelenke beiderseits. 6. Zustand nach Kreissägenverletzung der rechten Hand mit Replantation der Finger 3 und 4 mit Verkürzung sowie Teilverlust des 5. Fingers. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten unter Verwendung eines Arthrodesenstuhls zeitweise im Sitzen und zeitweise im Gehen und Stehen in geschlossenen Räumen vollschichtig ohne das Heben und Tragen von Lasten, ohne häufiges Bücken, ohne Arbeiten an Maschinen und ohne Ansprüche an die Greiffunktion der rechten Hand durchführen. Einschränkungen hinsichtlich des Anmarschweges zur Arbeitsstätte bestünden bei den üblicherweise zugrundegelegten Strecken nicht. Der Kläger kann öffentliche Verkehrsmittel sowie ein Kfz ohne Zusatzeinrichtungen fahren.

Die Beklagte bestätigt nunmehr dem Kläger erneut die bereits früher bewilligte berufsfördernde Maßnahme in Gestalt einer Eingliederungshilfe. Das SG wies den Kläger, der diese ablehnte, da er erwerbsunfähig sei, sodann darauf hin, dass es ihn für eine Tätigkeit als einfacher Pförtner oder für einfache Kontrolltätigkeiten geeignet ansehe, und wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 04.01.2000 ab.

Am 14.02.2000 ging die Berufung des Klägers gegen diesen an ihn am 25.01.2000 zur Post gegebenen Gerichtsbescheid beim SG München ein. Zur Begründung legte er eine Stellungnahme seines behandelnden Internisten - Naturheilverfahren Dr.L. vom 22.02.2000 vor, in der bescheinigt ist, der Kläger sei nicht vollschichtig belastbar, außerdem bestünden Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte.

Der Senat zog die Klageakten des SG München sowie die Verwaltungsakten der Beklagten bei, holte Auskünfte von der Fa.S. (vom 17.04.2000 - Eingang beim Senat - , vom 18.10.2000 und vom 03.11.2000) sowie von der HausMeisterei (vom 09.01.2001) ein und zog den für den Kläger anzuwendenden Tarifvertrag bei. Außerdem erholte der Senat ein medizinisches Sachverständigengutachten von dem Arzt für Orthopädie Dr.F. (vom 09.06.2000).

Dr.F. stellte beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen fest: 1. Beginnende Spondylarthrose und Streckhaltung der Halswirbelsäule. 2. Initiale Spondylochondrose L 2 bis L 3, Chondrosis intervertebralis L 5/S 1, Spondylose der Lendenwirbelsäule. 3. Ankylose des linken Hüftgelenks nach abgelaufener Tuberkulose, Beinverkürzung links von 4 cm, ausgedehnte Narben am linken Bein nach operativer Hüftgelenksversteifung und Verlängerungsosteotomie. 4. Initiale Gonarthrose beidseits. 5. Leichte Sprunggelenksarthrose beidseits. 6. Funktionsstörungen der Finger der rechten Hand nach Reimplantation D 3 und D 4 sowie Teilverlust des 5. Fingers, mäßige Heberdenarthrose beidseits. Dr.F. führte zum beruflichen Leistungsvermögen aus, der Kläger könne unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses (insbes. ohne zusätzliche Pausen) leichte Arbeiten mit der Möglichkeit zum Wechsel der Ausgangslage (kein pausenloses Sitzen, vor allem nicht auf normalem Stuhlwerk; kein überwiegendes Stehen oder Gehen) vollschichtig verrichten; hierbei seien kraftfordernde manuelle Tätigkeiten ebensowenig zumutbar wie Heben oder Tragen schwerer Lasten sowie Arbeiten in gebückter Stellung. Der Kläger könne Fußwege von mehr als 500 Meter an einem Stück in angemessener Geschwindigkeit (höchstens 15 Minuten für 500 Meter) zurücklegen, um die Entfernungen zwischen Wohnung, öffentlichem Verkehrsmittel und Arbeitsplatz vor Arbeitsbeginn und nach Arbeitsende zu überwinden. Für den zuletzt ausgeübten Beruf als Kraftfahrer sei der Kläger schon wegen der Unmöglichkeit dauernden Sitzens ohne halbseitig abklappbare Sitzfläche nicht mehr geeignet.

Der in der mündlichen Verhandlung nicht anwesende und auch nicht vertretene Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des SG München vom 04.01.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10.06.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01.03.1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, hilfsweise eine Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Gerichtsbescheid des SG München vom 04.01.2000 ist nicht zu beanstanden, da der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ist wegen der Antragstellung vor dem 31.03.2001 an den Vorschriften des SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) zu messen, da geltend gemacht ist, dass dieser Anspruch bereits seit einem Zeitpunkt vor dem 01.01.2001 besteht, vgl. § 300 Abs. 2 SGB VI. Für den Anspruch des Klägers sind aber auch die Vorschriften des SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (n.F.) maßgebend, soweit sinngemäß auch (hilfsweise) vorgetragen ist, dass jedenfalls ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung seit einem Zeitpunkt nach dem 31.12.2000 gegeben sei, vgl. § 300 Abs. 1 SGB VI.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI a.F., da er ab dem Zeitpunkt des Rentenantrags vom März 1998 bis jetzt nicht im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift berufsunfähig ist. Nach § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. sind nämlich nur solche Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen auf weniger als die Hälfte derjenigen von gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist (Satz 1). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt hierbei alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Satz 2). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4). Die hier genannten Tatbestandsmerkmale der Berufsunfähigkeit liegen beim Kläger nicht vor.

Das nach Satz 1 dieser Vorschrift zunächst festzustellende berufliche Leistungsvermögen des Klägers ist bereits eingeschränkt. Er kann aber unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses (insbes. ohne zusätzliche Pausen) noch leichte Arbeiten mit der Möglichkeit zum Wechsel der Ausgangslage (kein pausenloses Sitzen, vor allem nicht auf normalem Stuhlwerk; kein überwiegendes Stehen oder Gehen) vollschichtig verrichten; hierbei sind kraftfordernde manuelle Tätigkeiten ebensowenig zumutbar wie Heben oder Tragen schwerer Lasten sowie Arbeiten in gebückter Stellung. Beschränkungen des Anmarschweges zur Arbeitsstätte liegen nicht vor, da der Kläger die durchschnittlich erforderlichen Fußwege zurücklegen kann (vgl. hierzu BSG SozR 3-2200 § 1247 RVO Nr. 10).

Dieses berufliche Leistungsvermögen des Klägers ergibt sich vor allem aus dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr.F ... Der Senat schließt sich den Aussagen dieses schlüssigen und überzeugenden Gutachtens an. Hierdurch sind im übrigen die im erstinstanzlichen und im Verwaltungsverfahren erholten Gutachten in ihren wesentlichen Ergebnissen bestätigt worden.

Beim Kläger liegen folgende wesentlichen Gesundheitsstörungen vor: 1. Beginnende Spondylarthrose und Streckhaltung der Halswirbelsäule. 2. Initiale Spondylochondrose L 2 bis L 3, Chondrosis intervertebralis L 5/S 1, Spondylose der Lendenwirbelsäule. 3. Ankylose des linken Hüftgelenks nach abgelaufener Tuberkulose, Beinverkürzung links von 4 cm, ausgedehnte Narben am linken Bein nach operativer Hüftgelenksversteifung und Verlängerungsosteotomie. 4. Initiale Gonarthrose beidseits. 5. Leichte Sprunggelenksarthrose beidseits. 6. Funktionsstörungen der Finger der rechten Hand nach Reimplantation D 3 und D 4 sowie Teilverlust des 5. Fingers, mäßige Heberdenarthrose beidseits.

Eingeschränkt wird die körperliche Belastbarkeit des Klägers zunächst insofern, als er wegen der in 25 Grad Beugestellung versteiften linken Hüfte nur auf einem sogenannten Arthrodesenstuhl mit halbseitig abklappbarer Sitzfläche ausreichend sitzen kann, ohne die Wirbelsäule in eine unphysiologische vermehrte Vorwärtskrümmung zu zwingen. Das Gehvermögen ist durch die Versteifung der linken Hüfte, die Beinverkürzung und die beginnenden Verschleißerscheinungen der Knie- und Sprunggelenke mäßiggradig beeinträchtigt. Daß die unteren Extremitäten noch relativ intensiv belastet werden, ergibt sich aus der keineswegs gering ausgeprägten Fußsohlenbeschwielung. Seitens der Halswirbelsäule sind wesentliche Einschränkungen nicht begründbar, da hier nur geringe degenerative Veränderungen an einzelnen Wirbelbogengelenken zu verzeichnen sind und keine Bandscheibenverschmälerung. Leichte Bandscheibenschäden der Lendenwirbelsäule lassen Heben und Tragen von Lasten sowie häufiges Bücken nicht mehr zu. Ein gelegentlicher Wechsel der Körperposition sollte ermöglicht werden. Eingeschränkt ist die manuelle Belastbarkeit seitens der rechten Hand insofern, als dort kraftfordernde manuelle Tätigkeiten nicht mehr abverlangt werden sollten. Es sind auch keine Tätigkeiten möglich, die an einen vollen Faustschluß und eine volle Fingerstreckung gebunden sind. Seitens der linken Hand ergeben sich nur leichtere Einschränkungen aus Verschleißerscheinungen einzelner Fingergelenke.

Nach dem beruflichen Leistungsvermögen ist weiterer Ausgangspunkt für die Feststellung der Berufsunfähigkeit der Hauptberuf des Versicherten. Bei dessen Bestimmung ist grundsätzlich von der zuletzt ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit auszugehen (vgl. KassKomm-Niesel § 43 SGB VI Rdnr. 21 ff. mit weiteren Nachweisen). Maßgeblicher Hauptberuf ist vorliegend der eines Kraftfahrers, wie ihn der Kläger bei der Fa.S. ausgeübt hat. Die von vornherein befristete Tätigkeit bei der HausMeisterei im Rahmen der ABM bleibt zugunsten des Klägers außer Betracht (vgl. KassKomm-Niesel § 43 SGB VI Rdnr. 33).

Seinen Beruf als Kraftfahrer kann der Kläger schon wegen der Unmöglichkeit dauernden Sitzens ohne halbseitig abklappbare Sitzfläche nicht mehr ausüben, wie Dr.F. überzeugend ausführt.

Obwohl der Kläger seinen maßgeblichen Beruf also nicht mehr ausüben kann, ist er aber dennoch nicht berufsunfähig. Für die Annahme von Berufsunfähigkeit reicht es nämlich nicht aus, wenn Versicherte ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann; vielmehr sind - wie sich aus § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI a.F. ergibt - Versicherte nur dann berufsunfähig, wenn ihnen auch die Verweisung auf andere Berufstätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen oder sozial nicht mehr zumutbar ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. u.a. SozR 2200 1246 RVO Nr.138).

Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der sozialen Wertigkeit des bisherigen Berufs. Um diese zu beurteilen, hat das BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als 2 Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu 2 Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 138 und 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht auschließ1ich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbi1dung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl. z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 27 und 33). Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrigere Gruppe verwiesen werden (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 143 m.w.N.; SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr.5).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Kläger der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters, und zwar des unteren Bereichs (Ausbildungs- oder Anlernzeit von 3 Monaten bis zu einem Jahr, vgl. BSG-Urteil vom 29.03.1994 - 13 RJ 35/93 = SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 45), zuzuordnen. Dies folgt aus der tariflichen Einstufung seiner Berufstätigkeit in die Lohngruppe 4 des Tarifvertrags. Diese liegt unter der für den "Berufskraftfahrer mit bestandender IHK-Prüfung" geltenden Lohngruppe 5, die ihrerseits - wie sich aus dem Vergleich der Monatslöhne ergibt - sozial deutlich unterhalb der eigentlichen Handwerker-Lohngruppe 7 Buchst. c ("Betriebshandwerker") angesiedelt ist (Lohngruppe 5: Monatslohn 2647 DM; Lohngruppe 7 Buchst. c: Monatslohn 3083 DM). Der Kraftfahrer nach Lohngruppe 4 ist tariflich somit zwei Stufen unter den Berufen mit mehr als zweijähriger Ausbildungszeit eingeordnet.

Als angelerntem Arbeiter des unteren Bereichs ist dem Kläger die Verweisung auf praktisch alle - auch ungelernte - Berufstätigkeiten sozial zumutbar, denen er körperlich, geistig und seelisch gewachsen ist. Der Benennung eines konkreten Verweisungsberufs bedarf es grundsätzlich nicht. Auch liegt beim Kläger weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, die ausnahmsweise die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit auch bei einem Versicherten erforderlich machen würde, der der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters des unteren Bereichs zuzuordnen ist. Dennoch sei darauf hingewiesen, dass die Berufstätigkeit eines einfachen Pförtners, die bereits das SG als objektiv und subjektiv zumutbaren Verweisungsberuf benannt hat, auch nach Ansicht des Senats vom Kläger ohne weiteres vollschichtig ausgeübt werden kann; insbesondere werden hier - dies ist allgemeinkundig - an die Greiffunktionen nur sehr geringe Anforderungen gestellt, und ein Wechsel der Ausgangsposition ist jederzeit möglich. Im Hinblick auf die Greiffähigkeit der Hände ist zudem davon auszugehen, dass keine stärkere Behinderung des Klägers vorliegt, nachdem die entsprechende Verletzung bereits 1978 stattgefunden hat (vgl. hierzu das Gutachten Dr.C. - Blatt 78 des Gutachtensheftes) und der Kläger trotz ihrer Folgen jahrelang auch in manuell belastenden Berufen gearbeitet hat. Sofern der Kläger einen Arthrodesenstuhl benötigt, würde dieser vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt (vgl. BSG-Urteil vom 15.05.1991 - 5 RJ 92/89, Seite 4 des Umdrucks). Ob dem Kläger ein Arbeitsplatz tatsächlich vermittelt werden könnte, ist rechtlich unerheblich, da bei vollschichtig einsatzfähigen Versicherten der Arbeitsmarkt als offen anzusehen ist und das Risiko der Arbeitsvermittlung von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen ist; dementsprechend bestimmt § 43 Abs. 2 Satz 4 SGB VI, dass nicht berufsunfähig ist, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, und dass hierbei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist (vgl. zum Vorstehenden zusammenfassend den Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 - GS 2/95 = SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr. 8).

Der Kläger, der keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit hat, hat erst recht keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 Abs. 1 SGB VI, weil er die noch strengeren Voraussetzungen des Begriffs der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift nicht erfüllt. Nach § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI sind solche Versicherte nicht erwerbsunfähig, die - wie der Kläger - (irgend) eine Berufstätigkeit noch vollschichtig ausüben können; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach den §§ 43, 240 SGB VI n.F. hat der Kläger keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung, da hiernach - wie bisher - ein Rentenanspruch jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn ein Versicherter - wie der Kläger - einen zumutbaren anderen Beruf als den bisherigen vollschichtig ausüben kann.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG München vom 04.01.2000 war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved