L 5 RJ 98/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 15 RJ 1001/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 98/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 21.12.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der am 1949 geborene Kläger arbeitete ab April 1973 in Deutschland zunächst als Elektriker, später als Kontrolleur, ab Juli 1984 als Produktionsmechaniker und zuletzt bis 31.08.1993 als Staplerfahrer. Seitdem ist er arbeitslos und bezieht Arbeitslosengeld und - hilfe. Beiträge fehlen für die Zeit vom Januar bis April 1997.

Am 08.10.1999 beantragte der Kläger Rente. Nach Begutachtung auf internistischem Gebiet lehnte die Beklagte diese mit Bescheid vom 21.12.1999/Widerspruchsbescheid vom 24.05.2000 ab. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte Arbeiten im Wechselrhythmus ohne häufiges Bücken und häufiges Überkopfarbeiten vollschichtig verrichten und sei daher nicht erwerbs- bzw. berufsunfähig.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und vorgetragen, er sei für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr leistungsfähig.

Das SG hat Gutachten des Orthopäden Dr. T. vom 16.05.2001 und des Internisten Dr. S. vom 11.07.2201 eingeholt, wonach trotz der Neigung zu belastungsabhängigen Wirbelsäulensyndromen, diversen degenerativen Veränderungen am linken Ellenbogen und der Schulter, einer leichtgradigen Kreislaufregulationsstörung und eines Tinnitus leichte Arbeiten vollschichtig möglich seien. Dagegen hat der Kläger angeführt, dass der HNO-ärztliche Befundbericht von Frau Dr. S. nicht berücksichtigt sei.

Durch Gerichtsbescheid vom 21.12.2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten sei nicht zu beanstanden, da der Kläger weder berufs- noch erwerbsunfähig sei. Er sei auch nicht vermindert erwerbsfähig nach § 43 SGB VI n.F. Nach den Gutachten der Sachverständigen werde dieser zwar in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, aber nicht in einem Maße, dass Berufsunfähigkeit oder gar Erwerbsunfähigkeit oder geminderte Erwerbsfähigkeit gegeben wären.

Hiergegen hat der Kläger Berufung zum LSG eingelegt und unter Anführung seiner Schwindelerscheinungen bei Vorlage eines Arztbriefes des Klinkums rechts der Isar vom 21.01.2002 und eines arbeitsamtsärztlichen Gutachtens vom 01.04.1999 eine vollschichtigen Einsatzfähigkeit bestritten.

Am 14.05.2002 hat der Senat dem Kläger unter Verweis auf die Sachermittlung des SG mitgeteilt, von Amts wegen kein neues Gutachten einzuholen.

Der Kläger stellt den Antrag,

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 21.12.2001 sowie des Bescheides vom 21.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2000 aufgrund seines am 08.10.1999 gestellten Rentenantrags zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die auf Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeitsrente gerichtete Berufung ist statthaft und zulässig (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - in der Fassung des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 01.03.1993). Sie ist auch fristgemäß eingelegt (§§ 151 Abs. 1, 153 Abs. 1, 87 Abs. 1 S. 1 SGG).

Zutreffend hat das SG festgestellt, dass dem Kläger weder ein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit ( BU, § 43 SGB VI RRG 92) noch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ( EU, § 44 SGB VI RRG 92) zusteht. Ebensowenig ist das nach In-Kraft-Treten des ab 01.01.2001 geltenden Reformgesetzes der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit - RefGEU - (20.12.2000, BGBl. 1827) der Fall, auch wenn damit dem Grunde nach ab 01.01.2001 neue (vgl. § 302 b der ab 01.01.2001 geltenden Fassung des SGB VI) Ansprüche erworben werden können ( § 300 Abs. 1 SGB VI).

Der Kläger zählt zum Personenkreis, der gegen den Eintritt verminderter Erwerbsfähigkeit geschützt ist. Denn die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen liegen im Zeitpunkt der Rentenantragstellung (08.10.1999) in der Form der sog. 3/5 Belegung - §§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 44 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VI RRG 92 - vor. Der Kläger hat in der Zeit von 1973 bis jetzt (als sonstiger Versicherter nach § 2 SGB VI) - mit Ausnahme von 4 Monaten (vom Januar bis April 1997) durchgehend Pflichtbeiträge geleistet.

Der eigentliche (medizinische) Versicherungsfall der verminderten Erwerbsfähigkeit liegt aber nicht vor.

Der Kläger ist nach § 43 Abs. 2 SGB VI RRG 92 nicht berufsunfähig (bu). Seine Erwerbsfähigkeit ist nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken, sondern seine Erwerbslosigkeit beruht auf strukturellen Verhältnissen und seinen besonderen Lebensumständen. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten hierbei zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die zum einen seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen (objektive Zumutbarkeit) und ihm zum anderen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit (Subjektiv) zugemutet werden können.

Zur Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers stützt sich der Senat auf die Feststellungen der vom SG als Sachverständigen gehörten Ärzte Dr. S. und Dr. T. , eine internistische Begutachtung Im Rentenverfahren der Beklagten und die von Dr. H. im Gutachten vom 22.01.2001 erhobenen Befunde. Der Senat weist die Berufung insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung des SG als unbegründet zurück und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG in der Fassung des Vereinfachungsnovelle vom 11.01.1993, BGBl. I, 50). Ergänzend ist in Würdigung des dem Senat vorgelegten Berichts der HNO-Klinik rechts der Isar auszuführen, dass auch danach der Kläger ein vollschichtiges Erwerbsvermögen besitzt, wie insgesamt die Situation auf diesem Fachgebiet durch den Befundbericht von Dr. S. und die Befunderhebung durch Dr. H. und Dr. S. hat deswegen häufiges Bücken und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten in gefahrgeneigten Positionen zu unterbleiben.

Insgesamt hat der Senat keinen Anlass, die im Wege des Sachverständigen- und Urkundenbeweises gewonnene Beurteilung des Leistungsvermögens durch das SG in Zweifel zu ziehen. Die darin gestellten Diagnosen sind schlüssig und ausreichend auf die erhobenen klinischen und medizinisch-technischen Befunde gestützt. Die hinsichtlich des dem Kläger verbliebenen - vollschichtigen - Leistungsvermögens gezogenen Schlussfolgerungen entsprechen der rentenrechtlichen Begutachtungspraxis.

Mit diesem Leistungsvermögen ist eine Berufsunfähigkeit (BU) im Sinne des § 43 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung nicht gegeben. Denn der Kläger kann damit über die Hälfte des Lohnes eines vergleichbaren Versicherten auf dem AM verdienen. Ausgangspunkt für die Beurteilung des "vergleichbaren Versicherten" ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der " bisherige Beruf ". Dieser ergibt sich aus der letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit, die auch dann maßgebend ist, wenn sie nur kurzfristig ausgeübt worden war, aber zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist. Welcher Gruppe des Mehrstufenschemas (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 13) eine bestimmte Tätigkeit zuzuordnen ist, richtet sich dabei nach der Qualität der verrichteten Arbeit. Kriterien dafür sind: Ausbildung, tarifliche Einstufung, Dauer der Berufsausübung, Höhe der Entlohnung und Anforderungen des Berufes. Dabei unterscheidet die Rechtsprechung nach dem sogenannten 4-Stufenschema die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion (auch des besonders hochqualifizierten Facharbeiters), des Facharbeiters, des angelernten und des ungelernten Arbeiters. Nach der letzten Berufstätigkeit als Staplerfahrer bis zum 31.08.1993 war der Kläger als Angelernter beschäftigt - nicht der eines angelernten Arbeiters im oberen Bereich. Dies stützt sich auf die Auskunft des Arbeitgebers, der Fa. B. vom 17.11.2000, wonach der Kläger nach Lohngruppe 05 bezahlt wurde (Ecklohn: Gruppe 07, aufsteigend). Der Senat weist die Berufung im Übrigen auch insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung des SG als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Nach den vom BSG aufgestellten Regeln ist der Kläger damit auf alle Tätigkeiten eines ungelernten Arbeiters verweisbar. Demnach ist die anspruchsauslösende Schwelle der Unzumutbarkeit nicht überschritten, wenn die Berufsausübung auf einer Stufe unter der bisherigen möglich ist. Lediglich auf Tätigkeiten mit ganz geringem qualitativen Wert (z.B. Reiniger, Platzarbeiter, Parkplatzwächter) darf nicht verwiesen werden (BSGE 43, 243, 247 = SozR 2200 § 1246 Nr. 16). Derartige Arbeitsgelegenheiten sind in genügender Anzahl vorhanden und müssen nicht konkret benannt werden, solange eine Tätigkeit vollschichtig ausgeübt werden kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§§ 43 Abs. 2 Satz 4, § 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 2. SGB VI Änderungsgesetz vom 02.05.1996 - BGBl. I S. 659).

Der Kläger ist auch nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB VI (anzuwenden gemäß § 300 Abs. 1 SGB VI bei Antragstellung am 15.12.1998) in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung. Da er ohnehin schon nicht bu ist, kann er auch nicht eu sein, denn dies setzt i.S.d der objektiven Zumutbarkeit eine noch stärkere Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit voraus. Danach muss ein Versicherter außerstande sei, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder- Einkommen zu erzielen, das 325 Euro (nach dem Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24.3.1999 ) übersteigt. Die Rechtsprechung geht hier von einer 2-Stundengrenze aus. Unzumutbarkeit im Falle des Klägers liegt insbesondere nicht deswegen vor, weil er unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ( vgl. § 119 Abs. 4 SGB III) keine Tätigkeit finden würde. Denn bei ihm liegen weder ein nur eine Teilzeit erlaubendes Erwerbsvermögen noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, die ausnahmsweise die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bei Versicherten, die der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters im unteren und mittleren Bereich zuzuordnen ist, erforderlich machen würde; auch bestehen keine relevanten Einschränkungen der Wegefähigkeit. Auch für sonstige sog. Katalogfälle (vgl. SozR 2200 § 1246 Nrn. 30, 75, 81, 90, 104, 109, 117; SozR 3-2200 § 1247 Nr. 8, § 1246 Nr.41) liegt - nach den Feststellungen der SV und der Überzeugung des Senats - kein Anhalt vor. Denn weder hat der Kläger besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 104, 117) noch weist er Leistungseinschränkungen auf, die sich in Verbindung mit anderen Einschränkungen besonders erschwerend bei einer Arbeitsplatzsuche auswirkten, wie z.B. die von der Rspr. erwähnten Fälle der Erforderlichkeit zusätzlicher Arbeitspausen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 136), Einschränkungen bei Arm- und Handbewegungen, jederzeit selbstbestimmten Wechsels vom Sitzen zum Gehen (BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr. 8), Einarmigkeit und Einäugigkeit (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 30). Dass der Katalog zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes insbesondere bei älteren, arbeitslosen, ungelernten bzw. angelernten Versicherten keiner Erweiterung bedarf, hat zuletzt der Große Senat des BSG entschieden (vgl. Beschluss vom 19.12.1996, Az: GS 2/95, in: SozR 32600 § 44 SGB VI Nr. 8 ).

Der Kläger hat somit ab dem Zeitpunkt der Antragstellung weder einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit noch wegen Erwerbsunfähigkeit. Dies erst recht nicht nach dem ab 01.01.2001 geltenden Recht (§ 43 Abs. 1 Satz 2 RefGEU), nach welchem Versicherten erst bei einem unter sechs Stunden täglich gesunkenen Leistungsvermögen eine Teil- bzw. Arbeitsmarktrente zusteht. Die Voraussetzungen an die objektive Zumutbarkeit sind durch das RefGEU verschärft worden und verlangen nunmehr eine noch stärkere Beeinträchtigung des Leistungsvermögens. Lediglich nach § 240 Abs. 2 SGB VI neue Fassung liegt BU bereits vor, wenn die Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten schon auf weniger als sechs Stunden - statt bisher (halbschichtig) vier Stunden - gesunken ist. Jedoch ist der Kläger aus Gründen der subjektiven Zumutbarkeit nicht bu (vgl. oben Seite 5 unten). Er unterliegt dem Maßstab des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München war daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (SGG § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2).
Rechtskraft
Aus
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