L 17 U 105/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 124/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 105/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 20/01 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 17.11.1998 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Anerkennung und Entschädigung einer Lungenfibrose des Klägers wie eine Berufskrankheit (BK).

Der am 1940 geborene Kläger erlernte den Beruf eines Schmieds. Anschließend arbeitete er von 1958 bis 1992 als Schweißer an Punktschweißmaschinen und nach dem Lichtbogen- und Schutzgasschweißverfahren in beengten räumlichen und unter ungünstigen Lüftungsverhältnissen. Als Werkstoffe wurden von ihm korosionsgeschützter, chrom-nickelbeschichteter bzw galvanisch verzinkter Stahl mit unlegiertem Zusatzmaterial verarbeitet. Dabei war er bis zur Installation von Schweißrauchabsauganlagen im Jahre 1985 chrom-nickelhaltigem und zinkhaltigem Schweißrauch sowie Verbrennungsrückständen aus Konservierungsmitteln (Öl) ausgesetzt. Wegen arbeitsunfähiger Erkrankung stellte der Kläger die Tätigkeit am 04.02.1992 ein (Anzeige des Unternehmers vom 28.07.1992).

Am 19.06.1992 zeigten Dr.H.W. (Medizinische Universitätsklinik W.) und am 29.07.1992 die Firma W. (B.) das Vorliegen einer BK bei der Beklagten an. Dr.W. diagnostizierte beim Kläger eine interstitielle Lungenerkrankung mit Alveolitis und machte hierfür die Tätigkeit als Schweißer verantwortlich. Die Beklagte zog von den behandelnden Ärzten des Klägers Befundberichte, eine Auskunft der Schwäbisch-Gmündner-Ersatzkasse vom 08.07.1992, Unterlagen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Bad Brückenau, des Ärztlichen Dienstes des Arbeitsamtes Würzburg, Stellungnahmen des TAD vom 19.11.1992 und der Gewerbeärzte Dr.M.S./ G.M. (Bayer.Landesinstitut für Arbeitsmedizin, W.) vom 13.08.1993 (primäre Lungenfibrose ungeklärter Ursache) bei und holte Gutachten des Oberarztes PD Dr.M.S. (Medizinische Universitätsklinik W.) vom 18.08.1994, des Internisten Dr.J.K. (Bad Reichenhall) vom 28.11.1994 und des Internisten Dr.U.V. (Nürnberg) vom 18.01.1995 ein. Dr.S. diagnostizierte eine exogen-allergische Alveolitis nach Nr 4201 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) mit respiratorischer Insuffizienz aufgrund restriktiver Ventilationsstörung. Die MdE bewertete er seit März 1992 mit 50 vH. Dr.K. verneinte die Voraussetzungen einer BK nach Nr 4201 und bezeichnete die Gesundheitsstörungen als unspezifische Lungenfibrose ungeklärter Ursache. Dr.V. stimmte dieser Auffassung zu.

Mit Bescheid vom 13.02.1995 lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung einer BK nach Nr 4201 mit der Begründung ab, durch die berufliche Tätigkeit habe eine exogen-allergische Alveolitis nicht entstehen können, da Schweißrauch keine organischen Stoffe enthalte. Die Lungenfibrose sei unabhängig von beruflichen Einwirkungen entstanden.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren zog die Beklagte ergänzende Stellungnahmen des TAD vom 02.06.1995 und des Dr.V. vom 10.07.1995 sowie eine Stellungnahme des Prof.Dr.G.L. (Direktor des Instituts und Poliklinik für Arbeits- Sozial- und Umweltmedizin der Universität E.) vom 08.11.1995 bei und holte ein Gutachten des Prof. Dr.H.-J.W. (Leiter des Institus und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität G. , Vorsitzender des Beirats der Sektion Arbeitsmedizin beim BMA) vom 03.07.1996 ein. Prof.W. hielt in seinem Gutachen die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK nach § 551 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) für gegeben (Lungenfibrose nach langjähriger Einwirkung von Schweißrauch unter ungünstigen Expositionsbedingungen) und bewertete die MdE mit 50 vH. Prof.L. wies darauf hin, dass Prof.W. die Thematik der Lungenfibrose nach langjähriger Schweißrauchbelastung noch nicht in den Beirat eingebracht habe. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 19.03.1997 mit der Begründung zurück, der beim Schweißen erstandene Rauch sei nicht in der Lage gewesen, eine fibrosierende Alveolitis hervorzurufen. Auch lägen neue Erkenntnisse über einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Schweißertätigkeit und dem Auftreten einer Lungenfibrose nach § 551 Abs 2 RVO nicht vor.

Gegen die ablehnenden Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid vom 13.02.1995 idF des Widerspruchsbescheides vom 19.03.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Lungenfibrose nach langjähriger Einwirkung von Schweißrauch wie eine BK anzuerkennen und ab 05.02.1992 mit einer MdE von 50 vH zu entschädigen.

Das SG hat zur Aufklärung des Sachverhalts die einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen, einen Befundbericht des Prof. Dr.M.S. vom 25.03.1998 sowie eine Auskunft des BMA vom 31.08.1998 beigezogen und ein Gutachten des Internisten Dr.W.S. (Erlangen) vom 10.07.1998 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, es lägen die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach § 551 Abs 2 RVO vor, da der Kläger langjährig und unter ungünstigen Bedingungen als Vollzeitschweißer im Lichtbogenhandschweißverfahren tätig gewesen sei und andere Ursachen für eine Lungenfibrose auszuschließen seien. Die MdE bewertete er ab Aufgabe der Tätigkeit mit 50 vH.

Mit Urteil vom 17.11.1998 hat das SG die Beklagte zur Anerkennung einer Lungenfibrose nach langjähriger Einwirkung von Schweißrauch wie eine BK und zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 50 vH ab 05.02.1992 verurteilt. Zur Begründung hat es auf die Gutachten des Prof.W. und des Dr.S. sowie auf ein Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 13.11.1996 Bezug genommen und die Auffassung vertreten, die verzögerte Bearbeitung des Anerkennungsverfahrens durch den Verordnungsgeber könne nicht zu Lasten des Klägers gehen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und vorgetragen, der Verordnungsgeber sei vor Inkrafttreten der BKV vom 31.10.1997 offensichtlich noch nicht von neuen Erkenntnissen ausgegangen, weil er sonst die Elektroschweißerlunge in die Liste der BKen aufgenommen hätte. Im ärztlichen Sachverständigenbeirat sei diese Frage nach der 35. Jahrestagung der Dt. Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin vom 15. bis 18.05.1995 erneut beraten und offensichtlich weiterhin kontrovers diskutiert worden. Der Sachverständigenbeirat habe sich auch 1998 mehrfach eingehend mit der Thematik befasst, sei jedoch nach wie vor zu keiner abschließenden Meinungsbildung gekommen.

Der Senat hat eine Auskunft des BMA vom 08.12.2000 beigezogen und eine ergänzende Stellungnahme des Dr.S. vom 04.02.2000 zur Frage der Höhe der MdE eingeholt. Dieser hat weiterhin eine Bewertung mit 50 vH vorgeschlagen. Die Beklagte hat hierzu Stellungnahmen des Dr.V. vom 14.12.1999/ 05.06.2000 vorgelegt, der dieser Einschätzung mit Wirkung ab 05.02.1992 zugestimmt hat.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 17.11.1998 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 13.02.1995 idF des Widerspruchsbescheides vom 19.03.1997 abzuweisen, hilfsweise das Urteil des SG Würzburg vom 17.11.1998 insoweit aufzuheben, als der Rentenbeginn nach § 580 RVO a.F. festzustellen ist, hilfsweise eine erneute Auskunft beim BMA einzuholen und die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Würzburg vom 17.11.1998 als unbegründet zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, der Bericht über die 35. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin vom 15.05. bis 18.05.1995 belege das Vorliegen gesicherter medizinischer Erkenntnisse, die eine Anerkennung der Lungenfibrose wie eine BK rechtfertigten. Moderne Diagnostik habe zu neuen Erkenntnissen geführt. Aus dem Untätigbleiben des Verordnungsgebers bei der Anerkennung als BK könne auf eine Ablehnung nicht geschlossen werden.

Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet, da das SG sie zu Recht verurteilt hat, die Lungenfibrose des Klägers wie eine BK zu entschädigen (§ 551 Abs 2 RVO).

Anzuwenden sind im vorliegenden Fall noch die Vorschriften der RVO, da die zu beurteilende BK noch vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) - am 01.01.1997 eingetreten ist (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII).

Nach § 551 Abs 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKV bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen wie eine BK entschädigen. Mit dieser Regelung trägt der Gesetzgeber der Erkenntnis Rechnung, dass die Berufskrankheitenliste nicht immer auf dem neuesten Stand der technischen Entwicklung und der wissenschaftlichen Erkenntnisse sein kann und daher nicht alle Krankheiten, die die Voraussetzungen einer BK erfüllen, in der BKV enthalten sein können (BT-Drucksache IV/120 Seite 55 zu § 552 RVO; Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, § 9 SGB VII RdNr 29).

Neben der fehlenden Nennung in der Berufskrankheitenliste ist es erforderlich, dass die Gesundheitsstörungen im Einzelfall rechtlich wesentlich durch besondere Einwirkungen verursacht wurden, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Diese Einwirkungen müssen generell geeignet sein, Krankheiten solcher Art zu verursachen. Weitere Voraussetzung ist, dass die Krankheit bislang in die Liste der BKen nicht aufgenommen wurde, weil die medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Gefährdung besonderer Berufsgruppen neu sind. Diese sind als neu anzusehen, wenn sie erst nach der letzten Änderung der BKV gewonnen oder bekannt geworden sind (BSGE 44, 90, 93), sie sich erst nach der letzten Änderung der BK-Liste zur BK-Reife verdichtet haben (BSGE 59, 295; 72, 303, 305; BSG SozR 2200 Nr 18 zu § 551) oder die Erkenntnisse zwar objektiv alt sind, dem Verordnungsgeber aber nicht bekannt waren und daher von ihm nicht berücksichtigt werden konnten bzw sie dem Verordnungsgeber zwar bekannt waren, er sie dennoch nicht geprüft und gewürdigt hat oder wenn sie trotz Nachprüfung nicht ausreichten, sie sich aber mit nachträglichen Erkenntnissen zur BK-Reife verdichtet haben (BSGE 44, 90; 49, 248, 150; BVerfGE 58, 369, 376).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, dass das SG die Beklagte zu Recht verurteilt hat, die Lungenfibrose des Klägers wie eine BK nach § 551 Abs 2 RVO zu entschädigen.

Der ursächliche Zusammenhang der Lungenfibrose des Klägers mit der von ihm verrichteten gefährdenden Tätigkeit ist hinreichend wahrscheinlich. Der Kläger war während seiner 34-jährigen Schweißertätigkeit höhergradigen Einwirkungen durch Schweißrauch und seinen Bestandteilen - einer komplexen Mischung aus chemisch-irritativen und toxisch wirksamen Gasen und feinsten Partikeln - unter ungünstigen Expositionsbedingungen ausgesetzt. Die Erkrankung wurde klinisch, röntgenologisch, computertomographisch, lungenfunktionsanalytisch und histologisch gesichert. Diese manifestierte sich nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof.W. im Zeitraum von 1990 bis 1992. Andere ätiologische Faktoren der Lungenfibrose hat der Sachverständige ausgeschlossen. So machen Krankheitsbeginn, Krankheitsverlauf und der fehlende Nachweis von Typ-III-Antikörpern eine exogen-allergische Alveolitis nicht wahrscheinlich.

Der Kläger gehörte als ein unter arbeitshygienisch sehr unzureichenden Expositionsbedingungen arbeitender Vollzeitschweißer zu einer Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt war. Diese Einwirkungen sind nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft generell geeignet eine Lungenfibrose zu verursachen. Ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse liegen vor, wenn die überwiegende Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben, wissenschaftlich fundierten Meinung gelangten. Die Erkenntnisse müssen durch Forschung und praktische Erfahrung gesichert sein. Voraussetzung ist dagegen nicht, dass sie die einhellige Meinung aller Fachmediziner darstellen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit 6. Auflage 1998 Seite 101).

Prof.W. hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass erste Hinweise auf eine Assoziation zwischen Schweißrauch und Lungenfibrose bereits seit den 50er Jahren bekannt sind. Seitdem wurden Fallberichte und Fallserien veröffentlicht, die sich mit Lungenfibrosen nach Einwirkung von Schweißrauch befassten. Mit der Zunahme bronchoskopischer Untersuchungen und Probeexzisionen von Lungengewebe konnte nach 1990 nachgewiesen werden, dass in der Umgebung der Schweißrauchpartikel-Depots in der Lunge fibrotische Reaktionen bis zur massiven Lungenfibrose auftreten. Neuere pathologisch-anatomische Methoden (analytische Elektronenmikroskopie iVm energiedispersiven Röntgenmikroanalysen) ermöglichten jetzt die Darstellung der Histomorphologie der geweblichen Reaktion in unmittelbarer topographischer Beziehung zur Ablagerung von Schweißrauchbestandteilen. Diese Untersuchungen - vor 1986 kaum angewendet - führten nunmehr zu einem zunehmenden Verständnis der pathogenetischen Mechanismen, die nach Schweißrauch-Inhalation zu einer Lungenfibrose führen. Aufgrund der jahrzehntelangen Beobachtung einer Fülle gleichgelagerter Erkrankungen in Verbindung mit dem Fortschritt der pathologisch-anatomischen Methodenentwicklung nach 1990 bestehen inzwischen keine Zweifel, dass Schweißrauch und seine Bestandteile unter bestimmten Expositionsbedingungen generell geeignet sind, fibrosierende Lungenerkrankungen zu verursachen (Mehrtens/Perlebach aaO M 4107 RdNr 3).

Diese medizinischen Erkenntnisse wie sie in den Gutachten der Sachverständigen Prof.W. und Dr.S. aber auch in der Studie von J.A.R. , K.M. , R.-M.M. und H.-J.W. , vorgelegt auf der 35. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin vom 15.05.1995 bis 18.05.1995, zum Ausdruck kommen, sind neu im Sinne des § 551 Abs 2 RVO. Sie haben sich erst nach Inkrafttreten der 2. Änderungsverordnung vom 18.12.1992 zur BK-Reife verdichtet (Hessisches Landessozialgericht vom 13.11.1996 - L 3 U 40/93). Obwohl sie somit bereits vor der letzten Änderungsverordnung vom 31.10.1997 bekannt waren, gelten sie weiterhin als neu. Es ist nämlich eine relevante Bewertung der vorliegenden medizinischen Erkenntnisse durch den Verordnungsgeber anlässlich der letzten Änderung der BKV unterblieben. Nach den Auskünften des BMA vom 31.10.1998 und 08.12.2000 hat der Verordnungsgeber sie nicht geprüft. Damit er die Aufnahme der Erkrankung in die BK-Liste nicht abgelehnt und folglich die medizinischen Erkenntnisse auch nicht als unzureichend eingestuft (BSG BG 1967, 75; BSGE 44, 90, 93, 94; BSGE 72, 303, 305; BSGE 75, 51, 53, 54; BSG Urteil vom 19.01.1995 - 2 RU 14/94; BSGE 79, 250, 254; BSG Urteil vom 24.02.2000 - B 2 U 43/98R = SozR 3-2200 § 551 Nr 14; BSGE 52, 272, 274). Hat der Verordnungsgeber aber wegen unterlassener Prüfung das Vorliegen neuer Erkenntnisse nicht bewusst verneint, bedeutet dies, dass die an sich objektiv alten medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnisse weiterhin als neu zu gelten haben (BVerfG Soz Vers. 1982, 19; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung § 9 SGB VII RdNr 13.1). Damit ist die Anwendung des § 551 Abs 2 RVO nach ständiger Rechtsprechung des BSG im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen.

Bei der Anwendung des § 551 Abs 2 RVO wird daher vorliegend der vom Gericht zu beachtende gesetzlich vorgeschriebene Vorrang der Entscheidung des Verordnungsgebers vor derjenigen der Verwaltung nicht tangiert (BSGE 72, 303, 305; BSG Urteil vom 24.02.2000 aaO). Dies auch deshalb, weil nach Auskunft des BMA vom 08.12.2000 nicht abzusehen ist, ob die Thematik durch den beim BMA gebildeten Sachverständigenbeirat jemals erneut zur Beratung aufgegriffen wird. Da der Verordnungsgeber derzeit erkennbar nicht ermittelt, ist die Anwendung des § 551 Abs 2 RVO zu Gunsten des Klägers auch nicht "gesperrt" (a.A. Landessozialgericht Baden Württemberg Urteil vom 23.11.2000 - L 10 U 4773/98).

Diese somit weiterhin als neu geltenden wissenschaftlichen Erkenntnisse hat der Senat seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Zwar hat sich die Lungenfibrose des Klägers bereits in den Jahren 1990 bis 1992 manifestiert. Für die Entscheidung maßgeblich ist jedoch die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (BSG Urteil vom 25.11.1992 - 2 RU 40/91; Hessisches LSG Urteil vom 13.11.1996 - L 3 U 40/93; BVerfG vom 22.10.1981 aaO; Meyer-Ladewig SGG, § 54 Anm 34).

Nach den Feststellungen der Sachverständigen Prof.W. und Dr.S. besteht bei dem Kläger eine auf die beruflichen Einwirkungen ursächlich zurückzuführende interstitielle Lungenfibrose mit einer bis mittelgradigen Einschränkung der Ventilation und Atemmechanik sowie Luftnot bei Belastung und Arterialisationsstörung. Die Sachverständigen Prof.W. und Dr.S. haben hierfür eine MdE von 50 vH vorgeschlagen. Diese Bewertung orientiert sich zutreffend an den im Schrifttum zusammengefassten Erfahrungswerten (vgl Schönberger aaO Seite 98) und findet auch die Zustimmung des beratenden Arztes der Beklagten, Dr.U.V. (Stellungnahme vom 05.06.2000), der mit Dr.S. diesen MdE-Grad bereits ab 05.02.1992 (Einstellung der Arbeit) ansetzt. Der Rentenbeginn 05.02.1992 ergibt sich aus § 580 Abs 3 Ziffer 2 RVO.

Da der Kläger somit Anspruch auf Entschädigung seiner Lungenfibrose wie eine BK hat, war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 17.11.1998 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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